Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.Aus den Lriunerungeu eines alte" Burschenschafters Wir erschöpft und erkältet nach zwei Tagen eintrafen. Wir wurden dort nicht, Diese bestanden aus Kanonenräumen, deren innere Seitenflächen durch Mauer" Da wir nicht unter Kommandantur, souderu unter der Polizeibehörde standen, In andrer Beziehung war der Aufenthalt in Posen bei weitem zusagender Unter den sechs Mitgefangnen, sie hießen Brüggemcm", später Redakteur der Rudolph wurde im Gefängnis wahnsinnig und in seine Heimat Stettin ent- Aus den Lriunerungeu eines alte» Burschenschafters Wir erschöpft und erkältet nach zwei Tagen eintrafen. Wir wurden dort nicht, Diese bestanden aus Kanonenräumen, deren innere Seitenflächen durch Mauer» Da wir nicht unter Kommandantur, souderu unter der Polizeibehörde standen, In andrer Beziehung war der Aufenthalt in Posen bei weitem zusagender Unter den sechs Mitgefangnen, sie hießen Brüggemcm», später Redakteur der Rudolph wurde im Gefängnis wahnsinnig und in seine Heimat Stettin ent- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0781" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295198"/> <fw type="header" place="top"> Aus den Lriunerungeu eines alte» Burschenschafters</fw><lb/> <p xml:id="ID_3719" prev="#ID_3718"> Wir erschöpft und erkältet nach zwei Tagen eintrafen. Wir wurden dort nicht,<lb/> wie in Glans, der Kommandantur, sondern der Polizei übergeben und fanden uns<lb/> in unsern Erwartungen in betreff einer Verbesserung unsrer äußern Lage alsbald<lb/> überaus getäuscht. Unsre Gefängnisse in Posen lagen im Erdgeschoß eiues sechs<lb/> Stock hohen Montalembertschen Turmes des Fort Winiary, einen, Außenwerke von<lb/> Posen, das zugleich der Garnison als Kaserne diente.</p><lb/> <p xml:id="ID_3720"> Diese bestanden aus Kanonenräumen, deren innere Seitenflächen durch Mauer»<lb/> ausgefüllt waren. Die Erleuchtung war höchst »ngünflig. Als Fenster diente eine<lb/> Kanonenschießscharte in einer etwa acht Fuß dicken Mauer; die Lichtstrahlen fiele»<lb/> nicht vo» oben, sonder» wagerecht auf den davorstehenden Tisch, und infolgedessen<lb/> bewirkten sie einen steten die»de»den, für die Augen schmerzhaften Schein. Vor<lb/> diesem Fenster saßen zur Vermeidung einer möglichen Kommunikation nach außen<lb/> eiserne Tränken und ein enges Drahtgitter, das das Lokal noch mehr verdunkelte.<lb/> Man war deshalb genötigt, bei schriftlichen Arbeiten fast immer Licht zu brennen.<lb/> Die Luft in den Gefängnissen war feucht und kellerartig.</p><lb/> <p xml:id="ID_3721"> Da wir nicht unter Kommandantur, souderu unter der Polizeibehörde standen,<lb/> so waren unsre Freiheiten viel geringer als in Glans. In der Lektüre, den: Brief¬<lb/> schreiben, dem Besuch der Kirche unterlagen wir Beschränkungen, die wir in Glans<lb/> nicht kannten. Wir hatten täglich nur zwei Freistunden, die wir auf den? großen<lb/> Kasernenhof in Begleitung von Militärpatrouillen abhalten mußten. Diese Unan¬<lb/> nehmlichkeiten ergriffen meinen Gefährten Massow so, daß er gleich Schritte tat,<lb/> um wieder von Pose» versetzt zu werden, was ihm, dem Neffen des Ministers<lb/> von Kamptz, auch alsbald gelang. Er wurde nach Kolberg gebracht und ist von<lb/> da auf einen? Schiff nach Amerika entkommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_3722"> In andrer Beziehung war der Aufenthalt in Posen bei weitem zusagender<lb/> als in Glans. Das Verfahren unsrer Vorgesetzten gegen uns war überaus für¬<lb/> sorglich und huma». Zunächst waren wir dem Oberpräsidenten Flottwell unter¬<lb/> geordnet, der wiederum den jeweiligen Polizeidirektor von Posen, zuerst einen<lb/> Herr» von Hochberg, mit unsrer Überwachung beauftragt hatte. Das Verhältnis<lb/> der Gefangnen untereinander — wir waren nach dem Abgange von Massows<lb/> unsrer sieben — war ein günstiges. Außer den gemeinschaftlichen täglichen zwei<lb/> Freistunden konnten wir noch zwei Stunden in einen? Gefängnislokal zusammen¬<lb/> kommen, wo Wir uns gesellig und wissenschaftlich unterhielten. Der Oberpräsident<lb/> hatte den Gymnasialdireltor Dr. Wendt, spätern Provinzialschulrat in Magdeburg,<lb/> beauftragt, uns mit literarischen und wissenschaftlichen Hilfsmittel» ausreichend zu<lb/> versehen, was von ihm in fürsorglichster Weise geschah.</p><lb/> <p xml:id="ID_3723"> Unter den sechs Mitgefangnen, sie hießen Brüggemcm», später Redakteur der<lb/> Kölnischen Zeitung, Müller, bekannt als Hermann Müller-Strübing, Jacobi, Riem-<lb/> schneider, Rudolph, Dreipelcker, waren besonders die zwei ersten geistig begabt und<lb/> sorgten für anregende wissenschaftliche Unterhaltung und Beschäftigung, sodaß eine<lb/> geistige Versumpfung, wie sie in den Festnngskasematten mir zu leicht eintritt, von<lb/> uns ferngehalten wurde. Über Brüggemann heißt es in den Lebenserinnerungen<lb/> von Levin Schücking (Vgl. Westermanns Monatshefte vom April 1883): „Er hatte<lb/> in den Tagen der Demagogenverfolgung unglaublich Schweres erlitten und jahre¬<lb/> lang die unwürdigste Behaudlung erduldet. Aber es war bewunderungswürdig,<lb/> wie wenig sein heiterer Optimismus dadurch erschüttert und seine Lebensanschauung<lb/> verdunkelt worden, wie wenig die Verfolgung ihm die Milch der frommen<lb/> Denkungsart in gärend Drachengift verwandelt hatte. Mit einem Amtseifer sonder¬<lb/> gleichen unternahm er die schwere Arbeit eines gründlichen Anbaus des Fahrzeugs<lb/> (soll heißen der Kölnischen Zeitung), das seiner Führung anvertraut wurde, und<lb/> blieb mit immer gleich heiterm Mut in den Stürme», denen es entaeaenainc? der<lb/> feste Pilot." u » u », ver</p><lb/> <p xml:id="ID_3724" next="#ID_3725"> Rudolph wurde im Gefängnis wahnsinnig und in seine Heimat Stettin ent-<lb/> lassen, Dreipelcker aus Preußisch-Holland starb ein der Lungenschwindsucht. Mein</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0781]
Aus den Lriunerungeu eines alte» Burschenschafters
Wir erschöpft und erkältet nach zwei Tagen eintrafen. Wir wurden dort nicht,
wie in Glans, der Kommandantur, sondern der Polizei übergeben und fanden uns
in unsern Erwartungen in betreff einer Verbesserung unsrer äußern Lage alsbald
überaus getäuscht. Unsre Gefängnisse in Posen lagen im Erdgeschoß eiues sechs
Stock hohen Montalembertschen Turmes des Fort Winiary, einen, Außenwerke von
Posen, das zugleich der Garnison als Kaserne diente.
Diese bestanden aus Kanonenräumen, deren innere Seitenflächen durch Mauer»
ausgefüllt waren. Die Erleuchtung war höchst »ngünflig. Als Fenster diente eine
Kanonenschießscharte in einer etwa acht Fuß dicken Mauer; die Lichtstrahlen fiele»
nicht vo» oben, sonder» wagerecht auf den davorstehenden Tisch, und infolgedessen
bewirkten sie einen steten die»de»den, für die Augen schmerzhaften Schein. Vor
diesem Fenster saßen zur Vermeidung einer möglichen Kommunikation nach außen
eiserne Tränken und ein enges Drahtgitter, das das Lokal noch mehr verdunkelte.
Man war deshalb genötigt, bei schriftlichen Arbeiten fast immer Licht zu brennen.
Die Luft in den Gefängnissen war feucht und kellerartig.
Da wir nicht unter Kommandantur, souderu unter der Polizeibehörde standen,
so waren unsre Freiheiten viel geringer als in Glans. In der Lektüre, den: Brief¬
schreiben, dem Besuch der Kirche unterlagen wir Beschränkungen, die wir in Glans
nicht kannten. Wir hatten täglich nur zwei Freistunden, die wir auf den? großen
Kasernenhof in Begleitung von Militärpatrouillen abhalten mußten. Diese Unan¬
nehmlichkeiten ergriffen meinen Gefährten Massow so, daß er gleich Schritte tat,
um wieder von Pose» versetzt zu werden, was ihm, dem Neffen des Ministers
von Kamptz, auch alsbald gelang. Er wurde nach Kolberg gebracht und ist von
da auf einen? Schiff nach Amerika entkommen.
In andrer Beziehung war der Aufenthalt in Posen bei weitem zusagender
als in Glans. Das Verfahren unsrer Vorgesetzten gegen uns war überaus für¬
sorglich und huma». Zunächst waren wir dem Oberpräsidenten Flottwell unter¬
geordnet, der wiederum den jeweiligen Polizeidirektor von Posen, zuerst einen
Herr» von Hochberg, mit unsrer Überwachung beauftragt hatte. Das Verhältnis
der Gefangnen untereinander — wir waren nach dem Abgange von Massows
unsrer sieben — war ein günstiges. Außer den gemeinschaftlichen täglichen zwei
Freistunden konnten wir noch zwei Stunden in einen? Gefängnislokal zusammen¬
kommen, wo Wir uns gesellig und wissenschaftlich unterhielten. Der Oberpräsident
hatte den Gymnasialdireltor Dr. Wendt, spätern Provinzialschulrat in Magdeburg,
beauftragt, uns mit literarischen und wissenschaftlichen Hilfsmittel» ausreichend zu
versehen, was von ihm in fürsorglichster Weise geschah.
Unter den sechs Mitgefangnen, sie hießen Brüggemcm», später Redakteur der
Kölnischen Zeitung, Müller, bekannt als Hermann Müller-Strübing, Jacobi, Riem-
schneider, Rudolph, Dreipelcker, waren besonders die zwei ersten geistig begabt und
sorgten für anregende wissenschaftliche Unterhaltung und Beschäftigung, sodaß eine
geistige Versumpfung, wie sie in den Festnngskasematten mir zu leicht eintritt, von
uns ferngehalten wurde. Über Brüggemann heißt es in den Lebenserinnerungen
von Levin Schücking (Vgl. Westermanns Monatshefte vom April 1883): „Er hatte
in den Tagen der Demagogenverfolgung unglaublich Schweres erlitten und jahre¬
lang die unwürdigste Behaudlung erduldet. Aber es war bewunderungswürdig,
wie wenig sein heiterer Optimismus dadurch erschüttert und seine Lebensanschauung
verdunkelt worden, wie wenig die Verfolgung ihm die Milch der frommen
Denkungsart in gärend Drachengift verwandelt hatte. Mit einem Amtseifer sonder¬
gleichen unternahm er die schwere Arbeit eines gründlichen Anbaus des Fahrzeugs
(soll heißen der Kölnischen Zeitung), das seiner Führung anvertraut wurde, und
blieb mit immer gleich heiterm Mut in den Stürme», denen es entaeaenainc? der
feste Pilot." u » u », ver
Rudolph wurde im Gefängnis wahnsinnig und in seine Heimat Stettin ent-
lassen, Dreipelcker aus Preußisch-Holland starb ein der Lungenschwindsucht. Mein
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