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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Herrenmenschen

hatte, und den er leider nur zu oft auszusetzen gezwungen war, festgebunden. Er
hatte sich diesen Unterricht ganz anders vorgestellt, nämlich als eine Sache, die
man spielend erledigt -- die Elemente der lateinischen Sprache bei einem Knaben
so regen Geistes! Aber diese Elemente waren doch verzweifelt langweilig, und
der rege Geist des Knaben beschäftigte sich immer mit andern Dingen, als mit
denen er sich beschäftigen sollte, und hatte für Vokabeln nur ein geringes Interesse.
Ging es ihm nicht auch so, daß seine Gedanken, ehe er sichs versah, vom Plusquam¬
perfektum und Futurum cxaktum weit wegflogen? Es war eine Plage für beide, eine
ganz respektable Last, eine Sache, die sich nicht nebenbei erledigen ließ, sondern
eine volle Kraft forderte. Er dachte ernstlich daran, einen Hauslehrer zu nehmen.
Aber woher? und wie sicher sein, keinen Mißgriff zu tun?

Und dann war auch noch eine andre Sache da, die ihm die Laune verdarb.
Es our eine Klage auf Zahlung der bewußten 10000 Mark eingelaufen. Sollte
man so etwas für möglich halten? Ein Mensch, der als Brandstifter über die
Grenze geflohen ist, darf eine Klage erheben, die sich auf ein gefälschtes Dokument
stützt, er findet einen Rechtsanwalt, der seine Sache vertritt, und ein Gericht, das
ihm zu seinem "Rechte" verhilft. Denn es war gar nicht unmöglich, daß der
Mensch seine Klage gewann. Wenigstens eröffnete der Rechtsanwalt des Doktors
nicht gerade tröstliche Aussichten. Hierzu kam, daß, da der Kläger offenbar mittel¬
los war, der Doktor seinen Anteil an den Gerichtskosten zu tragen hatte, auch für
den Fall, daß er obsiegte. Der Rechtsanwalt riet zu einem Vergleiche.

Vergleich? Nein, niemals, erklärte der Doktor. Früher hatte er selbst dazu
geraten, uun aber, nachdem er wußte, wer hinter Heinemnnn stand, und von wem
alle diese Pfeile abgeschossen wurden, würde ein Vergleich das Zugeständnis, be¬
siegt zu sein, bedeuten. Es war freilich eine sehr unerfreuliche Sache, auf der
Schanze zu stehn gegen Feinde, die sich in unsichtbarer Minierarbeit heranbohrten,
es war lästig, jeden Brief durch einen Boten eine halbe Tagereise weit bis zum
nächsten Postamt zu schicken, da dem PostVerwalter in Tapnicken nicht zu trauen
war, es war eine Arbeit, die auf die Nerven schlug, ein Gut über Wasser zu
halten, währeud es überall an Mitteln fehlte, und während von unsichtbarer Hand
überall Steine auf den Weg geworfen wurden. Aber es mußte geschehen. Es
mußte durchaus geschehen.

Man war in Tapnicken auch patriotisch, offiziell und inoffiziell. In letzter
Beziehung trug man eine stumme, aber aufrichtige Verehrung und Liebe zu König
und Vaterland im Herzen. Man war dankbar für das, was die preußischen
Könige für das Land getan hatten, und kannte den Geist der Zersetzung und Zer-
störung nicht, der anderwärts Land und Leute verdirbt. Mau war selbst da gut
köuigstreu gesinnt, wo im Namen des Königs geschah, was der König schwerlich
gebilligt hätte. Aber dies alles war latenter Patriotismus. Offiziell hatte man
seinen Kriegervereiu, seine Fahne im Schulzencunt und für deu Hafenmast, und
dazu feierte man seine patriotischen Feste in landesüblicher Weise mit viel Getränk.
Dann gab es am andern Tage schwere Köpfe und blaue Flecke, aber das gehörte
nun einmal zur Vaterlandsliebe. Woher die blauen Flecke stammten, sagte man
nicht gern, und die Frauen, die ihre schwer betrnnknen Männer aus den Wirts¬
häusern holten, verrieten es nicht.

In Tapnicken feierte man als lokalpatriotisches Fest den Erinneruugstag der
Schlacht von Amiens, an welchem Tage das Regiment, zu dem Tapnicken seine
Rekruten sandte, seinen Ehrentag gehabt hatte. Den Höhepunkt des Festes bildete
ein Fackelzug, der vor dem Kurhaus endete, und an den sich ein Parademarsch
anschloß. Zur Verherrlichung dieses Festaktes Pflegte das Kurhaus "feenhaft" er¬
leuchtet zu sein. Zwei alte eiserne Töpfe standen rechts und links von der Treppe.
Sie waren mit Schiffspech gefüllt, das brennend einen dicken, schwarzen Qualm
verursachte. In den Fenstern leuchteten ein paar Kücheulampeu. Oben auf dem
Balkon stand der Herr Amtshauptmann mit seinem Stab und nahm die Parade ent-


Herrenmenschen

hatte, und den er leider nur zu oft auszusetzen gezwungen war, festgebunden. Er
hatte sich diesen Unterricht ganz anders vorgestellt, nämlich als eine Sache, die
man spielend erledigt — die Elemente der lateinischen Sprache bei einem Knaben
so regen Geistes! Aber diese Elemente waren doch verzweifelt langweilig, und
der rege Geist des Knaben beschäftigte sich immer mit andern Dingen, als mit
denen er sich beschäftigen sollte, und hatte für Vokabeln nur ein geringes Interesse.
Ging es ihm nicht auch so, daß seine Gedanken, ehe er sichs versah, vom Plusquam¬
perfektum und Futurum cxaktum weit wegflogen? Es war eine Plage für beide, eine
ganz respektable Last, eine Sache, die sich nicht nebenbei erledigen ließ, sondern
eine volle Kraft forderte. Er dachte ernstlich daran, einen Hauslehrer zu nehmen.
Aber woher? und wie sicher sein, keinen Mißgriff zu tun?

Und dann war auch noch eine andre Sache da, die ihm die Laune verdarb.
Es our eine Klage auf Zahlung der bewußten 10000 Mark eingelaufen. Sollte
man so etwas für möglich halten? Ein Mensch, der als Brandstifter über die
Grenze geflohen ist, darf eine Klage erheben, die sich auf ein gefälschtes Dokument
stützt, er findet einen Rechtsanwalt, der seine Sache vertritt, und ein Gericht, das
ihm zu seinem „Rechte" verhilft. Denn es war gar nicht unmöglich, daß der
Mensch seine Klage gewann. Wenigstens eröffnete der Rechtsanwalt des Doktors
nicht gerade tröstliche Aussichten. Hierzu kam, daß, da der Kläger offenbar mittel¬
los war, der Doktor seinen Anteil an den Gerichtskosten zu tragen hatte, auch für
den Fall, daß er obsiegte. Der Rechtsanwalt riet zu einem Vergleiche.

Vergleich? Nein, niemals, erklärte der Doktor. Früher hatte er selbst dazu
geraten, uun aber, nachdem er wußte, wer hinter Heinemnnn stand, und von wem
alle diese Pfeile abgeschossen wurden, würde ein Vergleich das Zugeständnis, be¬
siegt zu sein, bedeuten. Es war freilich eine sehr unerfreuliche Sache, auf der
Schanze zu stehn gegen Feinde, die sich in unsichtbarer Minierarbeit heranbohrten,
es war lästig, jeden Brief durch einen Boten eine halbe Tagereise weit bis zum
nächsten Postamt zu schicken, da dem PostVerwalter in Tapnicken nicht zu trauen
war, es war eine Arbeit, die auf die Nerven schlug, ein Gut über Wasser zu
halten, währeud es überall an Mitteln fehlte, und während von unsichtbarer Hand
überall Steine auf den Weg geworfen wurden. Aber es mußte geschehen. Es
mußte durchaus geschehen.

Man war in Tapnicken auch patriotisch, offiziell und inoffiziell. In letzter
Beziehung trug man eine stumme, aber aufrichtige Verehrung und Liebe zu König
und Vaterland im Herzen. Man war dankbar für das, was die preußischen
Könige für das Land getan hatten, und kannte den Geist der Zersetzung und Zer-
störung nicht, der anderwärts Land und Leute verdirbt. Mau war selbst da gut
köuigstreu gesinnt, wo im Namen des Königs geschah, was der König schwerlich
gebilligt hätte. Aber dies alles war latenter Patriotismus. Offiziell hatte man
seinen Kriegervereiu, seine Fahne im Schulzencunt und für deu Hafenmast, und
dazu feierte man seine patriotischen Feste in landesüblicher Weise mit viel Getränk.
Dann gab es am andern Tage schwere Köpfe und blaue Flecke, aber das gehörte
nun einmal zur Vaterlandsliebe. Woher die blauen Flecke stammten, sagte man
nicht gern, und die Frauen, die ihre schwer betrnnknen Männer aus den Wirts¬
häusern holten, verrieten es nicht.

In Tapnicken feierte man als lokalpatriotisches Fest den Erinneruugstag der
Schlacht von Amiens, an welchem Tage das Regiment, zu dem Tapnicken seine
Rekruten sandte, seinen Ehrentag gehabt hatte. Den Höhepunkt des Festes bildete
ein Fackelzug, der vor dem Kurhaus endete, und an den sich ein Parademarsch
anschloß. Zur Verherrlichung dieses Festaktes Pflegte das Kurhaus „feenhaft" er¬
leuchtet zu sein. Zwei alte eiserne Töpfe standen rechts und links von der Treppe.
Sie waren mit Schiffspech gefüllt, das brennend einen dicken, schwarzen Qualm
verursachte. In den Fenstern leuchteten ein paar Kücheulampeu. Oben auf dem
Balkon stand der Herr Amtshauptmann mit seinem Stab und nahm die Parade ent-


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[0452] Herrenmenschen hatte, und den er leider nur zu oft auszusetzen gezwungen war, festgebunden. Er hatte sich diesen Unterricht ganz anders vorgestellt, nämlich als eine Sache, die man spielend erledigt — die Elemente der lateinischen Sprache bei einem Knaben so regen Geistes! Aber diese Elemente waren doch verzweifelt langweilig, und der rege Geist des Knaben beschäftigte sich immer mit andern Dingen, als mit denen er sich beschäftigen sollte, und hatte für Vokabeln nur ein geringes Interesse. Ging es ihm nicht auch so, daß seine Gedanken, ehe er sichs versah, vom Plusquam¬ perfektum und Futurum cxaktum weit wegflogen? Es war eine Plage für beide, eine ganz respektable Last, eine Sache, die sich nicht nebenbei erledigen ließ, sondern eine volle Kraft forderte. Er dachte ernstlich daran, einen Hauslehrer zu nehmen. Aber woher? und wie sicher sein, keinen Mißgriff zu tun? Und dann war auch noch eine andre Sache da, die ihm die Laune verdarb. Es our eine Klage auf Zahlung der bewußten 10000 Mark eingelaufen. Sollte man so etwas für möglich halten? Ein Mensch, der als Brandstifter über die Grenze geflohen ist, darf eine Klage erheben, die sich auf ein gefälschtes Dokument stützt, er findet einen Rechtsanwalt, der seine Sache vertritt, und ein Gericht, das ihm zu seinem „Rechte" verhilft. Denn es war gar nicht unmöglich, daß der Mensch seine Klage gewann. Wenigstens eröffnete der Rechtsanwalt des Doktors nicht gerade tröstliche Aussichten. Hierzu kam, daß, da der Kläger offenbar mittel¬ los war, der Doktor seinen Anteil an den Gerichtskosten zu tragen hatte, auch für den Fall, daß er obsiegte. Der Rechtsanwalt riet zu einem Vergleiche. Vergleich? Nein, niemals, erklärte der Doktor. Früher hatte er selbst dazu geraten, uun aber, nachdem er wußte, wer hinter Heinemnnn stand, und von wem alle diese Pfeile abgeschossen wurden, würde ein Vergleich das Zugeständnis, be¬ siegt zu sein, bedeuten. Es war freilich eine sehr unerfreuliche Sache, auf der Schanze zu stehn gegen Feinde, die sich in unsichtbarer Minierarbeit heranbohrten, es war lästig, jeden Brief durch einen Boten eine halbe Tagereise weit bis zum nächsten Postamt zu schicken, da dem PostVerwalter in Tapnicken nicht zu trauen war, es war eine Arbeit, die auf die Nerven schlug, ein Gut über Wasser zu halten, währeud es überall an Mitteln fehlte, und während von unsichtbarer Hand überall Steine auf den Weg geworfen wurden. Aber es mußte geschehen. Es mußte durchaus geschehen. Man war in Tapnicken auch patriotisch, offiziell und inoffiziell. In letzter Beziehung trug man eine stumme, aber aufrichtige Verehrung und Liebe zu König und Vaterland im Herzen. Man war dankbar für das, was die preußischen Könige für das Land getan hatten, und kannte den Geist der Zersetzung und Zer- störung nicht, der anderwärts Land und Leute verdirbt. Mau war selbst da gut köuigstreu gesinnt, wo im Namen des Königs geschah, was der König schwerlich gebilligt hätte. Aber dies alles war latenter Patriotismus. Offiziell hatte man seinen Kriegervereiu, seine Fahne im Schulzencunt und für deu Hafenmast, und dazu feierte man seine patriotischen Feste in landesüblicher Weise mit viel Getränk. Dann gab es am andern Tage schwere Köpfe und blaue Flecke, aber das gehörte nun einmal zur Vaterlandsliebe. Woher die blauen Flecke stammten, sagte man nicht gern, und die Frauen, die ihre schwer betrnnknen Männer aus den Wirts¬ häusern holten, verrieten es nicht. In Tapnicken feierte man als lokalpatriotisches Fest den Erinneruugstag der Schlacht von Amiens, an welchem Tage das Regiment, zu dem Tapnicken seine Rekruten sandte, seinen Ehrentag gehabt hatte. Den Höhepunkt des Festes bildete ein Fackelzug, der vor dem Kurhaus endete, und an den sich ein Parademarsch anschloß. Zur Verherrlichung dieses Festaktes Pflegte das Kurhaus „feenhaft" er¬ leuchtet zu sein. Zwei alte eiserne Töpfe standen rechts und links von der Treppe. Sie waren mit Schiffspech gefüllt, das brennend einen dicken, schwarzen Qualm verursachte. In den Fenstern leuchteten ein paar Kücheulampeu. Oben auf dem Balkon stand der Herr Amtshauptmann mit seinem Stab und nahm die Parade ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/452>, abgerufen am 10.06.2024.