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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Asiatische Probleme

Sehr interessant sind die historischen Betrachtungen Wirths, in denen er
ausführt, wie von jeher die Westarier mit Asiaten vereint geschlagen oder mit
ihnen Bündnisse abgeschlossen haben; in der Urzeit mit den Chatti, später mit
den Hunnen. Chriemhild heiratet Attila. Stilicho hatte hunnische Söldner.
Karl der Große stand in Beziehungen zu Harun al Raschid und zu den
spanischen Mauren. Byzanz verband sich mit Chazaren, Türken, Petschenegen.
Friedrich der Zweite, der bedeutendste aller Hohenstaufen, war der Freund
Kauns, Franz der Erste, ja sogar der Papst reizten die Hohe Pforte gegen Karl
den Fünften. Venedig ging mit den Türken, andre italienische Städte mit
Marokko. Schweden, England, Frankreich und Preußen waren wiederholt
Bundesgenossen des Padischah. Weshalb soll also der Kaiser nicht der Freund
der Türkei sein, wenn er es im deutschen Interesse für ratsam erachtet!

Pessimistischer als Wirth geht Vosberg-Rekow *) an die Beurteilung
der Beziehungen zwischen der europäischen und asiatischen Kultur- und Geistes¬
welt in ihrer Rückwirkung auf Welthandel und Weltpolitik. Es kommt ihm
zustatten. daß er seit Jahren im Präsidium der Deutschasiatischen Gesellschaft
gewirkt hat. Er kann mit dem doppelten Sachverständnis des National-
ökonomen und des Orientkenners auftreten. Von Weltpolitik, Weltmarkt und
Weltmachtstellung handeln seine Betrachtungen, ferner von den Hochstraßen
des Verkehrs, der Arbeit der Technik und der Technik der Arbeit, dem alten
und dem neuen Deutschland, der wirtschaftlichen Rangordnung der Staaten,
der weißen und der gelben Rasse, dem Geheimnis des Buddha und schlie߬
lich vom Kriege im Osten und von der Zukunft Europas auf dem asiatischen
Markte.

Der Pessimismus des Verfassers zieht sich leider durch das ganze sonst
so vortrefflich geschriebne Werk. Was soll man dazu sagen, wenn Vosberg-
Rekow im Kassandraton ausruft: "Nach Lage der Dinge wird uns die erste
Rolle im Bereich der Kulturvölker nicht mehr beschieden sein"? Das ist doch
eine durch nichts berechtigte Prophezeiung, und sogar unsre Konkurrenten sind
vom Gegenteil überzeugt. Es ist immer eine heikle Sache mit dem Prophezeien,
und der Verfasser würde es sich sicher bald abgewöhnen, wenn er nur einige
Monate auf irgendeinem wichtigen diplomatischen Posten selbständig zu be¬
richten hätte. Ein Teil seiner Prophezeiungen hat sich schon heute, kurze
Zeit nach dem Erscheinen seines Buches, als irrig herausgestellt, so zum
Beispiel seine Ideen von dem Wachstum der Sozialdemokratie, die inzwischen
die großartige Niederlage bei den Reichstagswahlen- erlitten hat. Außerdem
begeht er den Fehler, Ideen, die für das Privatleben passen mögen, auf das
Leben der Völker anzuwenden. Er meint, wir Deutschen, die ja doch nie
die erste Rolle auf dem Welttheater spielen könnten, sollten uns bei dem



*) Nation und Welt. Betrachtungen über Grundlagen und Aussichten der deutschen Welt¬
politik von 0r, VoZberg-Rekow. B-rien, Allgemeiner Verein fitr deutsche Literatur.
Asiatische Probleme

Sehr interessant sind die historischen Betrachtungen Wirths, in denen er
ausführt, wie von jeher die Westarier mit Asiaten vereint geschlagen oder mit
ihnen Bündnisse abgeschlossen haben; in der Urzeit mit den Chatti, später mit
den Hunnen. Chriemhild heiratet Attila. Stilicho hatte hunnische Söldner.
Karl der Große stand in Beziehungen zu Harun al Raschid und zu den
spanischen Mauren. Byzanz verband sich mit Chazaren, Türken, Petschenegen.
Friedrich der Zweite, der bedeutendste aller Hohenstaufen, war der Freund
Kauns, Franz der Erste, ja sogar der Papst reizten die Hohe Pforte gegen Karl
den Fünften. Venedig ging mit den Türken, andre italienische Städte mit
Marokko. Schweden, England, Frankreich und Preußen waren wiederholt
Bundesgenossen des Padischah. Weshalb soll also der Kaiser nicht der Freund
der Türkei sein, wenn er es im deutschen Interesse für ratsam erachtet!

Pessimistischer als Wirth geht Vosberg-Rekow *) an die Beurteilung
der Beziehungen zwischen der europäischen und asiatischen Kultur- und Geistes¬
welt in ihrer Rückwirkung auf Welthandel und Weltpolitik. Es kommt ihm
zustatten. daß er seit Jahren im Präsidium der Deutschasiatischen Gesellschaft
gewirkt hat. Er kann mit dem doppelten Sachverständnis des National-
ökonomen und des Orientkenners auftreten. Von Weltpolitik, Weltmarkt und
Weltmachtstellung handeln seine Betrachtungen, ferner von den Hochstraßen
des Verkehrs, der Arbeit der Technik und der Technik der Arbeit, dem alten
und dem neuen Deutschland, der wirtschaftlichen Rangordnung der Staaten,
der weißen und der gelben Rasse, dem Geheimnis des Buddha und schlie߬
lich vom Kriege im Osten und von der Zukunft Europas auf dem asiatischen
Markte.

Der Pessimismus des Verfassers zieht sich leider durch das ganze sonst
so vortrefflich geschriebne Werk. Was soll man dazu sagen, wenn Vosberg-
Rekow im Kassandraton ausruft: „Nach Lage der Dinge wird uns die erste
Rolle im Bereich der Kulturvölker nicht mehr beschieden sein"? Das ist doch
eine durch nichts berechtigte Prophezeiung, und sogar unsre Konkurrenten sind
vom Gegenteil überzeugt. Es ist immer eine heikle Sache mit dem Prophezeien,
und der Verfasser würde es sich sicher bald abgewöhnen, wenn er nur einige
Monate auf irgendeinem wichtigen diplomatischen Posten selbständig zu be¬
richten hätte. Ein Teil seiner Prophezeiungen hat sich schon heute, kurze
Zeit nach dem Erscheinen seines Buches, als irrig herausgestellt, so zum
Beispiel seine Ideen von dem Wachstum der Sozialdemokratie, die inzwischen
die großartige Niederlage bei den Reichstagswahlen- erlitten hat. Außerdem
begeht er den Fehler, Ideen, die für das Privatleben passen mögen, auf das
Leben der Völker anzuwenden. Er meint, wir Deutschen, die ja doch nie
die erste Rolle auf dem Welttheater spielen könnten, sollten uns bei dem



*) Nation und Welt. Betrachtungen über Grundlagen und Aussichten der deutschen Welt¬
politik von 0r, VoZberg-Rekow. B-rien, Allgemeiner Verein fitr deutsche Literatur.
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[0029] Asiatische Probleme Sehr interessant sind die historischen Betrachtungen Wirths, in denen er ausführt, wie von jeher die Westarier mit Asiaten vereint geschlagen oder mit ihnen Bündnisse abgeschlossen haben; in der Urzeit mit den Chatti, später mit den Hunnen. Chriemhild heiratet Attila. Stilicho hatte hunnische Söldner. Karl der Große stand in Beziehungen zu Harun al Raschid und zu den spanischen Mauren. Byzanz verband sich mit Chazaren, Türken, Petschenegen. Friedrich der Zweite, der bedeutendste aller Hohenstaufen, war der Freund Kauns, Franz der Erste, ja sogar der Papst reizten die Hohe Pforte gegen Karl den Fünften. Venedig ging mit den Türken, andre italienische Städte mit Marokko. Schweden, England, Frankreich und Preußen waren wiederholt Bundesgenossen des Padischah. Weshalb soll also der Kaiser nicht der Freund der Türkei sein, wenn er es im deutschen Interesse für ratsam erachtet! Pessimistischer als Wirth geht Vosberg-Rekow *) an die Beurteilung der Beziehungen zwischen der europäischen und asiatischen Kultur- und Geistes¬ welt in ihrer Rückwirkung auf Welthandel und Weltpolitik. Es kommt ihm zustatten. daß er seit Jahren im Präsidium der Deutschasiatischen Gesellschaft gewirkt hat. Er kann mit dem doppelten Sachverständnis des National- ökonomen und des Orientkenners auftreten. Von Weltpolitik, Weltmarkt und Weltmachtstellung handeln seine Betrachtungen, ferner von den Hochstraßen des Verkehrs, der Arbeit der Technik und der Technik der Arbeit, dem alten und dem neuen Deutschland, der wirtschaftlichen Rangordnung der Staaten, der weißen und der gelben Rasse, dem Geheimnis des Buddha und schlie߬ lich vom Kriege im Osten und von der Zukunft Europas auf dem asiatischen Markte. Der Pessimismus des Verfassers zieht sich leider durch das ganze sonst so vortrefflich geschriebne Werk. Was soll man dazu sagen, wenn Vosberg- Rekow im Kassandraton ausruft: „Nach Lage der Dinge wird uns die erste Rolle im Bereich der Kulturvölker nicht mehr beschieden sein"? Das ist doch eine durch nichts berechtigte Prophezeiung, und sogar unsre Konkurrenten sind vom Gegenteil überzeugt. Es ist immer eine heikle Sache mit dem Prophezeien, und der Verfasser würde es sich sicher bald abgewöhnen, wenn er nur einige Monate auf irgendeinem wichtigen diplomatischen Posten selbständig zu be¬ richten hätte. Ein Teil seiner Prophezeiungen hat sich schon heute, kurze Zeit nach dem Erscheinen seines Buches, als irrig herausgestellt, so zum Beispiel seine Ideen von dem Wachstum der Sozialdemokratie, die inzwischen die großartige Niederlage bei den Reichstagswahlen- erlitten hat. Außerdem begeht er den Fehler, Ideen, die für das Privatleben passen mögen, auf das Leben der Völker anzuwenden. Er meint, wir Deutschen, die ja doch nie die erste Rolle auf dem Welttheater spielen könnten, sollten uns bei dem *) Nation und Welt. Betrachtungen über Grundlagen und Aussichten der deutschen Welt¬ politik von 0r, VoZberg-Rekow. B-rien, Allgemeiner Verein fitr deutsche Literatur.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/29>, abgerufen am 22.05.2024.