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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Zur mazedonischen Frage

Verbindung mit der Adria gebracht, denn Serajevo ist über Mostar mit
Gravosa und andern Hafenplätzen verbunden. Doch diese Verbindung darf
nicht die einzige bleiben, soll ganze Arbeit geleistet werden. Es handelt sich
dabei nicht bloß um ein wirtschaftliches Interesse, sondern zugleich um die
Beruhigung der Gemüter, die sehr wohl als Posten wirtschaftlicher Entwicklung
in Rechnung zu stellen ist. Es wird beständig über die Prütentionen der
kleinen Balkanstaaten gespottet, von denen ein jeder auch seine Bahn haben
will. Es darf aber nicht verkannt werden, daß diesem Streben ein durchaus be¬
rechtigtes wirtschaftliches Entwicklungsbedürfnis zugrunde liegt. Bei der Be¬
hauptung, daß die von Serbien und Bulgarien gewünschten Anschlusse gar
keine Bedeutung für den Verkehr hätten, wird ein wichtiger Punkt außer acht
gelassen: die Nähe Italiens, mit dessen vortrefflichem Hafen Brindisi sich eine
Verbindung herstellen läßt, die nicht bloß dem Transport von Personen und
Stückgütern, sondern auch dem von Massengütern neue Wege weisen würde.
Auch hier gibt die historische Betrachtung einen Fingerzeig, der nicht zu ver¬
achten ist Der westeuropäisch-mazedonische Verkehr ging über Dyrrhachium,
das heutige Durazzo (slawisch Dratsch). das Epidauros der Griechen. Dieser
Ort. heut ein ärmlicher Hafenplatz, der von den Küstendampfern des Oster¬
reichischen Lloyd berührt wird, liegt nur 150 Kilometer von Brut.se entfernt,
wäre also von dort in fünf Stunden zu erreichen. Nun ist heute Durazzo
als ein ungeeigneter Ausgangspunkt einer Bahnlinie zu betrachten. Der
Schienenweg ist aber mit Leichtigkeit die 60 Kilometer der Kustenebene uach
Norden zu führen in die Nähe des letzthin vielgenannten San Gwvanm
ti Medua. von wo aus er dem Drintale zu folgen hat. um nach 200 Kilo¬
metern Prizrcnd zu erreichen. Der diesem Orte in der Luftlinie am nächsten
liegende Punkt der Bahn Mitrovitza-Üsküb-Salonik ist Varos. 40 Kilometer
östlich von Prizrend doch wird der Terrainvcrhältnisse halber der Anschluß
"n einem etwa 20 Kilometer nördlicher gelegnen Punkte, am Südende des
berühmten Amselfeldes zu erfolgen haben. Schon durch eine solche Verbindung,
die doch nur eine unbedeutende Strecke darstellt und kostspieliger Kunstbauten
nicht bedarf wird Serbien mit der Adria in Verbindung gesetzt, und ebenso
Bulgarien, wenn man ihm die kurze Strecke Köstendil-Kumanowa (an der
Linie Risch-Üsküb) bewilligt. Wollen die Serben dann noch ein übriges tun.
s° mögen sie Risch mit dem Amselfelde durch eine Bahn verbinden. die un
Tal der Toplica aufsteigt zu dem Punkte der serbisch-türkischen Grenze, bis zu
dem auf den neusten Karten eine ans dem Amselfelde nach Norden ab¬
zweigende Seitenbahn schon trassiert ist. Wird eine gut funktionierende See¬
verbindung Brindisi-Durazzo oder Brindisi-Sau Giovanni ti Medua ge¬
schaffen, und werden direkte Züge auf der Linie Adriaküste-Prizrend-Amselfeld
geführt, so wird der Hauptverkehr Italiens mit Konstantinopel und Salvat,
und sobald die von Herrn von Aehrenthal in Aussicht genommne Verbindung
""t Athen hergestellt ist. auch mit diesem den Weg über den Adnahafen


Zur mazedonischen Frage

Verbindung mit der Adria gebracht, denn Serajevo ist über Mostar mit
Gravosa und andern Hafenplätzen verbunden. Doch diese Verbindung darf
nicht die einzige bleiben, soll ganze Arbeit geleistet werden. Es handelt sich
dabei nicht bloß um ein wirtschaftliches Interesse, sondern zugleich um die
Beruhigung der Gemüter, die sehr wohl als Posten wirtschaftlicher Entwicklung
in Rechnung zu stellen ist. Es wird beständig über die Prütentionen der
kleinen Balkanstaaten gespottet, von denen ein jeder auch seine Bahn haben
will. Es darf aber nicht verkannt werden, daß diesem Streben ein durchaus be¬
rechtigtes wirtschaftliches Entwicklungsbedürfnis zugrunde liegt. Bei der Be¬
hauptung, daß die von Serbien und Bulgarien gewünschten Anschlusse gar
keine Bedeutung für den Verkehr hätten, wird ein wichtiger Punkt außer acht
gelassen: die Nähe Italiens, mit dessen vortrefflichem Hafen Brindisi sich eine
Verbindung herstellen läßt, die nicht bloß dem Transport von Personen und
Stückgütern, sondern auch dem von Massengütern neue Wege weisen würde.
Auch hier gibt die historische Betrachtung einen Fingerzeig, der nicht zu ver¬
achten ist Der westeuropäisch-mazedonische Verkehr ging über Dyrrhachium,
das heutige Durazzo (slawisch Dratsch). das Epidauros der Griechen. Dieser
Ort. heut ein ärmlicher Hafenplatz, der von den Küstendampfern des Oster¬
reichischen Lloyd berührt wird, liegt nur 150 Kilometer von Brut.se entfernt,
wäre also von dort in fünf Stunden zu erreichen. Nun ist heute Durazzo
als ein ungeeigneter Ausgangspunkt einer Bahnlinie zu betrachten. Der
Schienenweg ist aber mit Leichtigkeit die 60 Kilometer der Kustenebene uach
Norden zu führen in die Nähe des letzthin vielgenannten San Gwvanm
ti Medua. von wo aus er dem Drintale zu folgen hat. um nach 200 Kilo¬
metern Prizrcnd zu erreichen. Der diesem Orte in der Luftlinie am nächsten
liegende Punkt der Bahn Mitrovitza-Üsküb-Salonik ist Varos. 40 Kilometer
östlich von Prizrend doch wird der Terrainvcrhältnisse halber der Anschluß
"n einem etwa 20 Kilometer nördlicher gelegnen Punkte, am Südende des
berühmten Amselfeldes zu erfolgen haben. Schon durch eine solche Verbindung,
die doch nur eine unbedeutende Strecke darstellt und kostspieliger Kunstbauten
nicht bedarf wird Serbien mit der Adria in Verbindung gesetzt, und ebenso
Bulgarien, wenn man ihm die kurze Strecke Köstendil-Kumanowa (an der
Linie Risch-Üsküb) bewilligt. Wollen die Serben dann noch ein übriges tun.
s° mögen sie Risch mit dem Amselfelde durch eine Bahn verbinden. die un
Tal der Toplica aufsteigt zu dem Punkte der serbisch-türkischen Grenze, bis zu
dem auf den neusten Karten eine ans dem Amselfelde nach Norden ab¬
zweigende Seitenbahn schon trassiert ist. Wird eine gut funktionierende See¬
verbindung Brindisi-Durazzo oder Brindisi-Sau Giovanni ti Medua ge¬
schaffen, und werden direkte Züge auf der Linie Adriaküste-Prizrend-Amselfeld
geführt, so wird der Hauptverkehr Italiens mit Konstantinopel und Salvat,
und sobald die von Herrn von Aehrenthal in Aussicht genommne Verbindung
""t Athen hergestellt ist. auch mit diesem den Weg über den Adnahafen


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[0407] Zur mazedonischen Frage Verbindung mit der Adria gebracht, denn Serajevo ist über Mostar mit Gravosa und andern Hafenplätzen verbunden. Doch diese Verbindung darf nicht die einzige bleiben, soll ganze Arbeit geleistet werden. Es handelt sich dabei nicht bloß um ein wirtschaftliches Interesse, sondern zugleich um die Beruhigung der Gemüter, die sehr wohl als Posten wirtschaftlicher Entwicklung in Rechnung zu stellen ist. Es wird beständig über die Prütentionen der kleinen Balkanstaaten gespottet, von denen ein jeder auch seine Bahn haben will. Es darf aber nicht verkannt werden, daß diesem Streben ein durchaus be¬ rechtigtes wirtschaftliches Entwicklungsbedürfnis zugrunde liegt. Bei der Be¬ hauptung, daß die von Serbien und Bulgarien gewünschten Anschlusse gar keine Bedeutung für den Verkehr hätten, wird ein wichtiger Punkt außer acht gelassen: die Nähe Italiens, mit dessen vortrefflichem Hafen Brindisi sich eine Verbindung herstellen läßt, die nicht bloß dem Transport von Personen und Stückgütern, sondern auch dem von Massengütern neue Wege weisen würde. Auch hier gibt die historische Betrachtung einen Fingerzeig, der nicht zu ver¬ achten ist Der westeuropäisch-mazedonische Verkehr ging über Dyrrhachium, das heutige Durazzo (slawisch Dratsch). das Epidauros der Griechen. Dieser Ort. heut ein ärmlicher Hafenplatz, der von den Küstendampfern des Oster¬ reichischen Lloyd berührt wird, liegt nur 150 Kilometer von Brut.se entfernt, wäre also von dort in fünf Stunden zu erreichen. Nun ist heute Durazzo als ein ungeeigneter Ausgangspunkt einer Bahnlinie zu betrachten. Der Schienenweg ist aber mit Leichtigkeit die 60 Kilometer der Kustenebene uach Norden zu führen in die Nähe des letzthin vielgenannten San Gwvanm ti Medua. von wo aus er dem Drintale zu folgen hat. um nach 200 Kilo¬ metern Prizrcnd zu erreichen. Der diesem Orte in der Luftlinie am nächsten liegende Punkt der Bahn Mitrovitza-Üsküb-Salonik ist Varos. 40 Kilometer östlich von Prizrend doch wird der Terrainvcrhältnisse halber der Anschluß "n einem etwa 20 Kilometer nördlicher gelegnen Punkte, am Südende des berühmten Amselfeldes zu erfolgen haben. Schon durch eine solche Verbindung, die doch nur eine unbedeutende Strecke darstellt und kostspieliger Kunstbauten nicht bedarf wird Serbien mit der Adria in Verbindung gesetzt, und ebenso Bulgarien, wenn man ihm die kurze Strecke Köstendil-Kumanowa (an der Linie Risch-Üsküb) bewilligt. Wollen die Serben dann noch ein übriges tun. s° mögen sie Risch mit dem Amselfelde durch eine Bahn verbinden. die un Tal der Toplica aufsteigt zu dem Punkte der serbisch-türkischen Grenze, bis zu dem auf den neusten Karten eine ans dem Amselfelde nach Norden ab¬ zweigende Seitenbahn schon trassiert ist. Wird eine gut funktionierende See¬ verbindung Brindisi-Durazzo oder Brindisi-Sau Giovanni ti Medua ge¬ schaffen, und werden direkte Züge auf der Linie Adriaküste-Prizrend-Amselfeld geführt, so wird der Hauptverkehr Italiens mit Konstantinopel und Salvat, und sobald die von Herrn von Aehrenthal in Aussicht genommne Verbindung ""t Athen hergestellt ist. auch mit diesem den Weg über den Adnahafen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/407>, abgerufen am 16.06.2024.