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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Intellektualismus und Dekadenz

wimmelte von Sophisten, Lehrern, Tänzern, Gelehrten, Schauspielern und
Philosophen, -- dabei aber arm an Männern der Tat, an Charakter und
Gewissen, ohne jede Energie, unfähig zum Widerstand, fertig mit seinen organischen
Kräften, von nun an machtlos und ohnmächtig. Auf der andern Seite der
schwerfällige, altfränkische, plumpe Römer, der mit seiner bloßen brutalen und
frischen Kraft, mit der rein tierischen Tatkraft gesunder, starker junger Völker
langsam und planmäßig vordringt. Von: rein intellektuellen Gesichtspunkt ans
ist jenes diesem bei weiten: überlegen; der Kultur und Zivilisation nach ist es
das höher stehende Volk, -- in einem solchen Grade, daß der Eroberer sich
nach dem Sieg die Literatur, die Wissenschaft und Kunst der Ueuen römischen
Untertanen zu eigen macht und sich mit ihren: Geistesleben durchtränkt. Doch
was vermochte Griechenland sonst? Was half ihm sein ungeheures Übergewicht
an Zivilisation? Nichts! Seine Entwicklung war beendet. Die Paralyse hatte
sich seiner Glieder bemächtigt. "Athen" -- so sagt ein Historiker -- "war nur
noch ein Museum und eine Schule, wo viel disputiert wurde, wo man aber
nicht mehr handelte." Griechenland war nur uoch ein ungeheures Feld der
Zersetzung, voller Krankheitskeime. Es mußte verschwinden. Es mußte einer
neuen, tatkräftigen und gesunden Ordnung der Dinge Platz machen. Ein andrer
Organismus sollte aus seinen Trümmern Nahrung schöpfen, um seinerseits zu
zu wachsen und neue Zweige und Blüten hervorzubringen. Und wirklich! beim
ersten Anstoß stürzt Griechenland auf seinen: von Meisterwerken besäeten Boden
in sich zusammen, -- fällt, wie eine überreife Frucht es tut, wenn man leise
den Zweig berührt. Deshalb handelt der Römer bei all seiner Brutalität oder
gar Dummheit in seiner Eigenschaft als junges, unzivilisiertes Volk in Über¬
einstimmung mit dem Naturgesetz. In diesem Augenblick ist es, eben wegen
seines Naturzustandes und Kulturmangels, tatsächlich und dem Lebe"
gegenüber das überlegene Volk. Und später schlägt auch seine Stunde. Es
kommt ein Tag, an welchem der unter der Tradition erliegende, von geistiger
Überkultur erhitzte, mit Zivilisation übersättigte, maßlos raffinierte Römer die
Barbaren von fern her auf seine Tore anrücken sieht. Jetzt ist es Rom, das
den: jungen Barbarentum gegenüber die intellektuelle Vorherrschaft auf der Welt
darstellt. Sein Nimbus ist ungeheuerlich. Ihm allein streben alle Geister und
alle nach Kultur hungernden Seelen zu. In dieser Hinsicht bietet es ein herr¬
liches Schallspiel, nicht nur durch den Glanz der Äußerlichkeiten, sondern durch
die Summe der in ihm angesammelten Intelligenz. Da gibt es große, geschmeidige
und umfassende Geister in Hülle und Fülle, da wimmelt es voll Talenten, da
stehen Philosophie, Literatur lind schöne Künste in höchster Blüte. Es ist eine
der üppigsten Zivilisationsepochen, die es jemals ans der Welt gegeben hat.
Und doch! wer vermöchte unter diesem äußern Glanz, diesem Zauber und dieser
unsagbaren Verfeinerung nicht den innerlichen Bankrott, die Erschlaffung der
Charaktere und die völlige Entkräftung der Rassenenergie zu erkennen? Ein
Verwesungsgeruch umschwebt diese spitzfindig klügelnden Gehirne. Dieser ganze


Intellektualismus und Dekadenz

wimmelte von Sophisten, Lehrern, Tänzern, Gelehrten, Schauspielern und
Philosophen, — dabei aber arm an Männern der Tat, an Charakter und
Gewissen, ohne jede Energie, unfähig zum Widerstand, fertig mit seinen organischen
Kräften, von nun an machtlos und ohnmächtig. Auf der andern Seite der
schwerfällige, altfränkische, plumpe Römer, der mit seiner bloßen brutalen und
frischen Kraft, mit der rein tierischen Tatkraft gesunder, starker junger Völker
langsam und planmäßig vordringt. Von: rein intellektuellen Gesichtspunkt ans
ist jenes diesem bei weiten: überlegen; der Kultur und Zivilisation nach ist es
das höher stehende Volk, — in einem solchen Grade, daß der Eroberer sich
nach dem Sieg die Literatur, die Wissenschaft und Kunst der Ueuen römischen
Untertanen zu eigen macht und sich mit ihren: Geistesleben durchtränkt. Doch
was vermochte Griechenland sonst? Was half ihm sein ungeheures Übergewicht
an Zivilisation? Nichts! Seine Entwicklung war beendet. Die Paralyse hatte
sich seiner Glieder bemächtigt. „Athen" — so sagt ein Historiker — „war nur
noch ein Museum und eine Schule, wo viel disputiert wurde, wo man aber
nicht mehr handelte." Griechenland war nur uoch ein ungeheures Feld der
Zersetzung, voller Krankheitskeime. Es mußte verschwinden. Es mußte einer
neuen, tatkräftigen und gesunden Ordnung der Dinge Platz machen. Ein andrer
Organismus sollte aus seinen Trümmern Nahrung schöpfen, um seinerseits zu
zu wachsen und neue Zweige und Blüten hervorzubringen. Und wirklich! beim
ersten Anstoß stürzt Griechenland auf seinen: von Meisterwerken besäeten Boden
in sich zusammen, — fällt, wie eine überreife Frucht es tut, wenn man leise
den Zweig berührt. Deshalb handelt der Römer bei all seiner Brutalität oder
gar Dummheit in seiner Eigenschaft als junges, unzivilisiertes Volk in Über¬
einstimmung mit dem Naturgesetz. In diesem Augenblick ist es, eben wegen
seines Naturzustandes und Kulturmangels, tatsächlich und dem Lebe»
gegenüber das überlegene Volk. Und später schlägt auch seine Stunde. Es
kommt ein Tag, an welchem der unter der Tradition erliegende, von geistiger
Überkultur erhitzte, mit Zivilisation übersättigte, maßlos raffinierte Römer die
Barbaren von fern her auf seine Tore anrücken sieht. Jetzt ist es Rom, das
den: jungen Barbarentum gegenüber die intellektuelle Vorherrschaft auf der Welt
darstellt. Sein Nimbus ist ungeheuerlich. Ihm allein streben alle Geister und
alle nach Kultur hungernden Seelen zu. In dieser Hinsicht bietet es ein herr¬
liches Schallspiel, nicht nur durch den Glanz der Äußerlichkeiten, sondern durch
die Summe der in ihm angesammelten Intelligenz. Da gibt es große, geschmeidige
und umfassende Geister in Hülle und Fülle, da wimmelt es voll Talenten, da
stehen Philosophie, Literatur lind schöne Künste in höchster Blüte. Es ist eine
der üppigsten Zivilisationsepochen, die es jemals ans der Welt gegeben hat.
Und doch! wer vermöchte unter diesem äußern Glanz, diesem Zauber und dieser
unsagbaren Verfeinerung nicht den innerlichen Bankrott, die Erschlaffung der
Charaktere und die völlige Entkräftung der Rassenenergie zu erkennen? Ein
Verwesungsgeruch umschwebt diese spitzfindig klügelnden Gehirne. Dieser ganze


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[0034] Intellektualismus und Dekadenz wimmelte von Sophisten, Lehrern, Tänzern, Gelehrten, Schauspielern und Philosophen, — dabei aber arm an Männern der Tat, an Charakter und Gewissen, ohne jede Energie, unfähig zum Widerstand, fertig mit seinen organischen Kräften, von nun an machtlos und ohnmächtig. Auf der andern Seite der schwerfällige, altfränkische, plumpe Römer, der mit seiner bloßen brutalen und frischen Kraft, mit der rein tierischen Tatkraft gesunder, starker junger Völker langsam und planmäßig vordringt. Von: rein intellektuellen Gesichtspunkt ans ist jenes diesem bei weiten: überlegen; der Kultur und Zivilisation nach ist es das höher stehende Volk, — in einem solchen Grade, daß der Eroberer sich nach dem Sieg die Literatur, die Wissenschaft und Kunst der Ueuen römischen Untertanen zu eigen macht und sich mit ihren: Geistesleben durchtränkt. Doch was vermochte Griechenland sonst? Was half ihm sein ungeheures Übergewicht an Zivilisation? Nichts! Seine Entwicklung war beendet. Die Paralyse hatte sich seiner Glieder bemächtigt. „Athen" — so sagt ein Historiker — „war nur noch ein Museum und eine Schule, wo viel disputiert wurde, wo man aber nicht mehr handelte." Griechenland war nur uoch ein ungeheures Feld der Zersetzung, voller Krankheitskeime. Es mußte verschwinden. Es mußte einer neuen, tatkräftigen und gesunden Ordnung der Dinge Platz machen. Ein andrer Organismus sollte aus seinen Trümmern Nahrung schöpfen, um seinerseits zu zu wachsen und neue Zweige und Blüten hervorzubringen. Und wirklich! beim ersten Anstoß stürzt Griechenland auf seinen: von Meisterwerken besäeten Boden in sich zusammen, — fällt, wie eine überreife Frucht es tut, wenn man leise den Zweig berührt. Deshalb handelt der Römer bei all seiner Brutalität oder gar Dummheit in seiner Eigenschaft als junges, unzivilisiertes Volk in Über¬ einstimmung mit dem Naturgesetz. In diesem Augenblick ist es, eben wegen seines Naturzustandes und Kulturmangels, tatsächlich und dem Lebe» gegenüber das überlegene Volk. Und später schlägt auch seine Stunde. Es kommt ein Tag, an welchem der unter der Tradition erliegende, von geistiger Überkultur erhitzte, mit Zivilisation übersättigte, maßlos raffinierte Römer die Barbaren von fern her auf seine Tore anrücken sieht. Jetzt ist es Rom, das den: jungen Barbarentum gegenüber die intellektuelle Vorherrschaft auf der Welt darstellt. Sein Nimbus ist ungeheuerlich. Ihm allein streben alle Geister und alle nach Kultur hungernden Seelen zu. In dieser Hinsicht bietet es ein herr¬ liches Schallspiel, nicht nur durch den Glanz der Äußerlichkeiten, sondern durch die Summe der in ihm angesammelten Intelligenz. Da gibt es große, geschmeidige und umfassende Geister in Hülle und Fülle, da wimmelt es voll Talenten, da stehen Philosophie, Literatur lind schöne Künste in höchster Blüte. Es ist eine der üppigsten Zivilisationsepochen, die es jemals ans der Welt gegeben hat. Und doch! wer vermöchte unter diesem äußern Glanz, diesem Zauber und dieser unsagbaren Verfeinerung nicht den innerlichen Bankrott, die Erschlaffung der Charaktere und die völlige Entkräftung der Rassenenergie zu erkennen? Ein Verwesungsgeruch umschwebt diese spitzfindig klügelnden Gehirne. Dieser ganze

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/34>, abgerufen am 26.05.2024.