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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Im Kampf gegen die Übermacht

Der Pfarrer nahm den Zettel, faltete ihn auseinander und las mit Mühe
die unbeholfene Schrift:

,,Jo Hans is treu. Paste nutz kom,"

"Hat dir Jsak Ratama denn nichts weiter gesagt?" fragte der Pfarrer.
'"

"Jsak hat gesagt, Herr Pastor sollten nich sagen, daß er geschrieben hat.

"Aber du selbst, Anders?"

"Jsak weitz, daß ich nich' lesen kann!"

Der Pfarrer begriff. Der alte Jäger war krank geworden. Jsak war besorgt
und hatte zu dem Pfarrer geschickt, dem Einzigen, dessen Besuch seinen Herrn
erfreute. Aber er hatte so strengen Befehl, mit niemand in der Umwelt Verbindung
zu suchen, daß er seine Absicht auf diese vorsichtige Weise ausgeführt hatte.

Gleich nach Tische machte sich der Pfarrer auf den Weg in den Fjord hinein.

Er blieb die Nacht über in seinem Boot am Ende des FjordeS liegen. Es
war schon so spät, daß er Herrn Johannes nicht vor Mitternacht würde erreichen
können.

Früh am Morgen lief er allein auf Schneeschuhen landeinwärts. Der Elf
war infolge von Eis unfahrbar. Es war ein langer Weg am Ufer entlang. Aber
hier im Walde lag der Schnee tief und die Bahn war gut.

Er fühlte sich beklommen. Denn Jsak Ratama würde nicht nach ihm geschickt
haben, wenn nicht etwas Ernstes vorläge I Und wie nie zuvor fühlte er, wie lieb
er den eigenartigen, einsamen Mann hier tief drinnen im Walde gewonnen hatte.
Er hatte ihn recht häufig besucht. Im April des vorigen Jahres hatte ihn Herr
Johannes auf eine unvergeßliche Schneeschuhfahrt ins Bjönntal hinein mit¬
genommen. Zwei ganze Tage waren sie da draußen gewesen. Auch im Herbst
war er ein paarmal bei ihm gewesen. Und immer tiefer empfand er die Freude
an den Unterhaltungen mit diesem Mann, der als der einzige in seiner Nähe der
Welt des Geistes angehörte. Auch machte sich Sören Römer Vorwürfe, daß er
den offenbaren Verirrungen des alten Herrn nicht kräftig genug widersprochen
hatte, wenn die Rede auf Gott und Christentum gekommen war. Aus vielen
Äußerungen mußte er befürchten, daß Herr Johannes ein Ungläubiger war, den
namentlich die Irrlehren der französischen Enzyklopädisten fesselten. Aber seine
Rede war so bestrickend, sein Älter und seine großen Kenntnisse standen so hoch
über denen des Pfarrers, daß er geschwiegen hatte.

Er hatte seine priesterliche Pflicht versäumt.

Und jetzt war die arme, irrende Seele krank -- vielleicht war er schon tot. . .

schweißtriefend vor Anstrengung und Spannung langte er zur Mittagszeit
bei der Hütte an.

Eine unsägliche Erleichterung empfand er, als er schon von weitem den Rauch
ganz munter aus dem Schornstein aufsteigen sah. Die Hunde liefen lose umher
und fuhren auf ihn ein, aber in aller Freundschaft, denn jetzt kannten sie ihn.

Herr Johannes saß in seinem Stuhl an der Feuerstätte. Er erhob sich und
ging dem Pfarrer mit großer Mühe entgegen.

(Fortsetzung folgt.)




Grenzvoten II 1910<>
Im Kampf gegen die Übermacht

Der Pfarrer nahm den Zettel, faltete ihn auseinander und las mit Mühe
die unbeholfene Schrift:

,,Jo Hans is treu. Paste nutz kom,"

„Hat dir Jsak Ratama denn nichts weiter gesagt?" fragte der Pfarrer.
'"

„Jsak hat gesagt, Herr Pastor sollten nich sagen, daß er geschrieben hat.

„Aber du selbst, Anders?"

„Jsak weitz, daß ich nich' lesen kann!"

Der Pfarrer begriff. Der alte Jäger war krank geworden. Jsak war besorgt
und hatte zu dem Pfarrer geschickt, dem Einzigen, dessen Besuch seinen Herrn
erfreute. Aber er hatte so strengen Befehl, mit niemand in der Umwelt Verbindung
zu suchen, daß er seine Absicht auf diese vorsichtige Weise ausgeführt hatte.

Gleich nach Tische machte sich der Pfarrer auf den Weg in den Fjord hinein.

Er blieb die Nacht über in seinem Boot am Ende des FjordeS liegen. Es
war schon so spät, daß er Herrn Johannes nicht vor Mitternacht würde erreichen
können.

Früh am Morgen lief er allein auf Schneeschuhen landeinwärts. Der Elf
war infolge von Eis unfahrbar. Es war ein langer Weg am Ufer entlang. Aber
hier im Walde lag der Schnee tief und die Bahn war gut.

Er fühlte sich beklommen. Denn Jsak Ratama würde nicht nach ihm geschickt
haben, wenn nicht etwas Ernstes vorläge I Und wie nie zuvor fühlte er, wie lieb
er den eigenartigen, einsamen Mann hier tief drinnen im Walde gewonnen hatte.
Er hatte ihn recht häufig besucht. Im April des vorigen Jahres hatte ihn Herr
Johannes auf eine unvergeßliche Schneeschuhfahrt ins Bjönntal hinein mit¬
genommen. Zwei ganze Tage waren sie da draußen gewesen. Auch im Herbst
war er ein paarmal bei ihm gewesen. Und immer tiefer empfand er die Freude
an den Unterhaltungen mit diesem Mann, der als der einzige in seiner Nähe der
Welt des Geistes angehörte. Auch machte sich Sören Römer Vorwürfe, daß er
den offenbaren Verirrungen des alten Herrn nicht kräftig genug widersprochen
hatte, wenn die Rede auf Gott und Christentum gekommen war. Aus vielen
Äußerungen mußte er befürchten, daß Herr Johannes ein Ungläubiger war, den
namentlich die Irrlehren der französischen Enzyklopädisten fesselten. Aber seine
Rede war so bestrickend, sein Älter und seine großen Kenntnisse standen so hoch
über denen des Pfarrers, daß er geschwiegen hatte.

Er hatte seine priesterliche Pflicht versäumt.

Und jetzt war die arme, irrende Seele krank — vielleicht war er schon tot. . .

schweißtriefend vor Anstrengung und Spannung langte er zur Mittagszeit
bei der Hütte an.

Eine unsägliche Erleichterung empfand er, als er schon von weitem den Rauch
ganz munter aus dem Schornstein aufsteigen sah. Die Hunde liefen lose umher
und fuhren auf ihn ein, aber in aller Freundschaft, denn jetzt kannten sie ihn.

Herr Johannes saß in seinem Stuhl an der Feuerstätte. Er erhob sich und
ging dem Pfarrer mit großer Mühe entgegen.

(Fortsetzung folgt.)




Grenzvoten II 1910<>
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[0053] Im Kampf gegen die Übermacht Der Pfarrer nahm den Zettel, faltete ihn auseinander und las mit Mühe die unbeholfene Schrift: ,,Jo Hans is treu. Paste nutz kom," „Hat dir Jsak Ratama denn nichts weiter gesagt?" fragte der Pfarrer. '" „Jsak hat gesagt, Herr Pastor sollten nich sagen, daß er geschrieben hat. „Aber du selbst, Anders?" „Jsak weitz, daß ich nich' lesen kann!" Der Pfarrer begriff. Der alte Jäger war krank geworden. Jsak war besorgt und hatte zu dem Pfarrer geschickt, dem Einzigen, dessen Besuch seinen Herrn erfreute. Aber er hatte so strengen Befehl, mit niemand in der Umwelt Verbindung zu suchen, daß er seine Absicht auf diese vorsichtige Weise ausgeführt hatte. Gleich nach Tische machte sich der Pfarrer auf den Weg in den Fjord hinein. Er blieb die Nacht über in seinem Boot am Ende des FjordeS liegen. Es war schon so spät, daß er Herrn Johannes nicht vor Mitternacht würde erreichen können. Früh am Morgen lief er allein auf Schneeschuhen landeinwärts. Der Elf war infolge von Eis unfahrbar. Es war ein langer Weg am Ufer entlang. Aber hier im Walde lag der Schnee tief und die Bahn war gut. Er fühlte sich beklommen. Denn Jsak Ratama würde nicht nach ihm geschickt haben, wenn nicht etwas Ernstes vorläge I Und wie nie zuvor fühlte er, wie lieb er den eigenartigen, einsamen Mann hier tief drinnen im Walde gewonnen hatte. Er hatte ihn recht häufig besucht. Im April des vorigen Jahres hatte ihn Herr Johannes auf eine unvergeßliche Schneeschuhfahrt ins Bjönntal hinein mit¬ genommen. Zwei ganze Tage waren sie da draußen gewesen. Auch im Herbst war er ein paarmal bei ihm gewesen. Und immer tiefer empfand er die Freude an den Unterhaltungen mit diesem Mann, der als der einzige in seiner Nähe der Welt des Geistes angehörte. Auch machte sich Sören Römer Vorwürfe, daß er den offenbaren Verirrungen des alten Herrn nicht kräftig genug widersprochen hatte, wenn die Rede auf Gott und Christentum gekommen war. Aus vielen Äußerungen mußte er befürchten, daß Herr Johannes ein Ungläubiger war, den namentlich die Irrlehren der französischen Enzyklopädisten fesselten. Aber seine Rede war so bestrickend, sein Älter und seine großen Kenntnisse standen so hoch über denen des Pfarrers, daß er geschwiegen hatte. Er hatte seine priesterliche Pflicht versäumt. Und jetzt war die arme, irrende Seele krank — vielleicht war er schon tot. . . schweißtriefend vor Anstrengung und Spannung langte er zur Mittagszeit bei der Hütte an. Eine unsägliche Erleichterung empfand er, als er schon von weitem den Rauch ganz munter aus dem Schornstein aufsteigen sah. Die Hunde liefen lose umher und fuhren auf ihn ein, aber in aller Freundschaft, denn jetzt kannten sie ihn. Herr Johannes saß in seinem Stuhl an der Feuerstätte. Er erhob sich und ging dem Pfarrer mit großer Mühe entgegen. (Fortsetzung folgt.) Grenzvoten II 1910<>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/53>, abgerufen am 17.06.2024.