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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Theodor Fontane und Bernhard von Lepel

treulichst nach Berlin zu Freund Lepel und wird von ihn: in seinen: Kasernen-
stübchen, auf Königsivache oder auf dem kleinen idyllischen Schlößchen Bellevue
bei Köpenick gelesen, glossiert und mit dichterischen Gegengaben beantwortet,
die dann ihrerseits wieder ein kritisches Echo von der Themse wecken.

Beider Lächeln schwebt über allem, manchmal sauersüß, und Lepel, der
eigentlich immer in heiklen Lagen die "bessere Miene" macht, kommt in Ver¬
suchung, das Bild zweier alten Freunde zu zeichnen, die sich über den Kanal
hinüber "Prisen starken Tabaks präsentieren".

Lepel hat immer eine überlegene Distanz zu sich, eine heitere Selbstironie
und ein ungeniertes, ungezwungen plauderndes Faible für seine Schwächen.
Er erzählt mit nie erschlaffender Munterkeit, wie er so gern auf des Freundes
"Maria Stuart"-PIan näher eingegangen wäre, wie ihn aber gerade da sein
eigener "Kirke"Stoff eigentlich mehr interessiert habe.

Das ist der typische Ideen-Egoismus in allen Dichterbriefwechseln -- im
Keller-Stormschen vor allein naiv auf der Stormschen Seite --, aber er gibt
sich nirgends so liebenswürdig eingestanden selber preis wie hier.

Ganz reizend ist es auch, wie Lepel, der Alexander von Humboldt, als
den Schöpfer des "Kosmos", in einer rollenden Ode besungen:

von seiner Audienz bei seinem Helden berichtet: er bleibt anderthalb
Stunden bei dem "berühmten alten Herrn", er deklamiert ihm auf Verlangen
die ganze Ode vor, und der Gelehrte revanchiert sich mit einer einstündiger
Vorlesung aus dem zweiten Teil des "Kosmos". Und davon sagt nun Lepel,
wie er gar nicht mehr hinhörte, sondern sanft hindämmerte.

Mehr Glück hatte der weise Greis mit einem menschlichen Wort, das er
nach den stürmischen Tagen von achtundvierzig zu Lepel sprach. Er beklagte
sich, daß sein Haus viermal vom Volke gestürmt worden sei, und er fügte
erklärend hinzu: "Die Leute lesen den Kosmos nicht".

Diese Bemerkung hatte auch Fontane viel mehr Freude gemacht als der
ganze tiefgründige "Kosmos" selbst, und in dem Sinn für solche Lebenssachen
und Menschlichkeiten begegnen sich die beiden Freunde am meisten. Das
Fontanesche im Anschauen und schnörkelhaften Umprägen der Dinge hat Lepel
auch, und daraus kann man verstehen, daß Fontane das .Epistolare' von ihm
gelernt haben wollte.

Sie sind sich beiderseitig das beste Publikum für dergleichen. Und wenn
Lepel Fontane schätzte, weil er solche "feinen Dinge jederzeit mit feinster Zunge
kostete", und für ihn "Geschichten sammelte, erst um ihn: und dann gleich
hinterher auch sich selber eine Freude zu machen, eine Freude über des
andern Freude", so geschah das durchaus in vollwertigem Austausch.

Lepel liebt wie Fontane das genrehafte Ausmalen einer Situation mit
schnurrigen Arabesken und Federzeichnungs - Naildeinfällen, dazu mit einer


Grenzboten II 1910 8
Theodor Fontane und Bernhard von Lepel

treulichst nach Berlin zu Freund Lepel und wird von ihn: in seinen: Kasernen-
stübchen, auf Königsivache oder auf dem kleinen idyllischen Schlößchen Bellevue
bei Köpenick gelesen, glossiert und mit dichterischen Gegengaben beantwortet,
die dann ihrerseits wieder ein kritisches Echo von der Themse wecken.

Beider Lächeln schwebt über allem, manchmal sauersüß, und Lepel, der
eigentlich immer in heiklen Lagen die „bessere Miene" macht, kommt in Ver¬
suchung, das Bild zweier alten Freunde zu zeichnen, die sich über den Kanal
hinüber „Prisen starken Tabaks präsentieren".

Lepel hat immer eine überlegene Distanz zu sich, eine heitere Selbstironie
und ein ungeniertes, ungezwungen plauderndes Faible für seine Schwächen.
Er erzählt mit nie erschlaffender Munterkeit, wie er so gern auf des Freundes
„Maria Stuart"-PIan näher eingegangen wäre, wie ihn aber gerade da sein
eigener „Kirke"Stoff eigentlich mehr interessiert habe.

Das ist der typische Ideen-Egoismus in allen Dichterbriefwechseln — im
Keller-Stormschen vor allein naiv auf der Stormschen Seite —, aber er gibt
sich nirgends so liebenswürdig eingestanden selber preis wie hier.

Ganz reizend ist es auch, wie Lepel, der Alexander von Humboldt, als
den Schöpfer des „Kosmos", in einer rollenden Ode besungen:

von seiner Audienz bei seinem Helden berichtet: er bleibt anderthalb
Stunden bei dem „berühmten alten Herrn", er deklamiert ihm auf Verlangen
die ganze Ode vor, und der Gelehrte revanchiert sich mit einer einstündiger
Vorlesung aus dem zweiten Teil des „Kosmos". Und davon sagt nun Lepel,
wie er gar nicht mehr hinhörte, sondern sanft hindämmerte.

Mehr Glück hatte der weise Greis mit einem menschlichen Wort, das er
nach den stürmischen Tagen von achtundvierzig zu Lepel sprach. Er beklagte
sich, daß sein Haus viermal vom Volke gestürmt worden sei, und er fügte
erklärend hinzu: „Die Leute lesen den Kosmos nicht".

Diese Bemerkung hatte auch Fontane viel mehr Freude gemacht als der
ganze tiefgründige „Kosmos" selbst, und in dem Sinn für solche Lebenssachen
und Menschlichkeiten begegnen sich die beiden Freunde am meisten. Das
Fontanesche im Anschauen und schnörkelhaften Umprägen der Dinge hat Lepel
auch, und daraus kann man verstehen, daß Fontane das .Epistolare' von ihm
gelernt haben wollte.

Sie sind sich beiderseitig das beste Publikum für dergleichen. Und wenn
Lepel Fontane schätzte, weil er solche „feinen Dinge jederzeit mit feinster Zunge
kostete", und für ihn „Geschichten sammelte, erst um ihn: und dann gleich
hinterher auch sich selber eine Freude zu machen, eine Freude über des
andern Freude", so geschah das durchaus in vollwertigem Austausch.

Lepel liebt wie Fontane das genrehafte Ausmalen einer Situation mit
schnurrigen Arabesken und Federzeichnungs - Naildeinfällen, dazu mit einer


Grenzboten II 1910 8
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[0069] Theodor Fontane und Bernhard von Lepel treulichst nach Berlin zu Freund Lepel und wird von ihn: in seinen: Kasernen- stübchen, auf Königsivache oder auf dem kleinen idyllischen Schlößchen Bellevue bei Köpenick gelesen, glossiert und mit dichterischen Gegengaben beantwortet, die dann ihrerseits wieder ein kritisches Echo von der Themse wecken. Beider Lächeln schwebt über allem, manchmal sauersüß, und Lepel, der eigentlich immer in heiklen Lagen die „bessere Miene" macht, kommt in Ver¬ suchung, das Bild zweier alten Freunde zu zeichnen, die sich über den Kanal hinüber „Prisen starken Tabaks präsentieren". Lepel hat immer eine überlegene Distanz zu sich, eine heitere Selbstironie und ein ungeniertes, ungezwungen plauderndes Faible für seine Schwächen. Er erzählt mit nie erschlaffender Munterkeit, wie er so gern auf des Freundes „Maria Stuart"-PIan näher eingegangen wäre, wie ihn aber gerade da sein eigener „Kirke"Stoff eigentlich mehr interessiert habe. Das ist der typische Ideen-Egoismus in allen Dichterbriefwechseln — im Keller-Stormschen vor allein naiv auf der Stormschen Seite —, aber er gibt sich nirgends so liebenswürdig eingestanden selber preis wie hier. Ganz reizend ist es auch, wie Lepel, der Alexander von Humboldt, als den Schöpfer des „Kosmos", in einer rollenden Ode besungen: von seiner Audienz bei seinem Helden berichtet: er bleibt anderthalb Stunden bei dem „berühmten alten Herrn", er deklamiert ihm auf Verlangen die ganze Ode vor, und der Gelehrte revanchiert sich mit einer einstündiger Vorlesung aus dem zweiten Teil des „Kosmos". Und davon sagt nun Lepel, wie er gar nicht mehr hinhörte, sondern sanft hindämmerte. Mehr Glück hatte der weise Greis mit einem menschlichen Wort, das er nach den stürmischen Tagen von achtundvierzig zu Lepel sprach. Er beklagte sich, daß sein Haus viermal vom Volke gestürmt worden sei, und er fügte erklärend hinzu: „Die Leute lesen den Kosmos nicht". Diese Bemerkung hatte auch Fontane viel mehr Freude gemacht als der ganze tiefgründige „Kosmos" selbst, und in dem Sinn für solche Lebenssachen und Menschlichkeiten begegnen sich die beiden Freunde am meisten. Das Fontanesche im Anschauen und schnörkelhaften Umprägen der Dinge hat Lepel auch, und daraus kann man verstehen, daß Fontane das .Epistolare' von ihm gelernt haben wollte. Sie sind sich beiderseitig das beste Publikum für dergleichen. Und wenn Lepel Fontane schätzte, weil er solche „feinen Dinge jederzeit mit feinster Zunge kostete", und für ihn „Geschichten sammelte, erst um ihn: und dann gleich hinterher auch sich selber eine Freude zu machen, eine Freude über des andern Freude", so geschah das durchaus in vollwertigem Austausch. Lepel liebt wie Fontane das genrehafte Ausmalen einer Situation mit schnurrigen Arabesken und Federzeichnungs - Naildeinfällen, dazu mit einer Grenzboten II 1910 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/69>, abgerufen am 17.06.2024.