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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die preußische Vorwaltungsorganisation früher

"Homogenität und Aktionsfähigkeit" zu geben. 1723 habe man dieses Ziel
glücklich erreicht. Es sei damals die Einheitlichkeit des neuen Verwaltungs¬
rechts gewährleistet worden und das Generaldirektorium habe dann Jahrzehnte
eine höchst fruchtbare Wirksamkeit entfaltet, dank dem Umstände, daß aus¬
gezeichnete Minister an der Spitze der einzelnen Abteilungen gestanden hätten,
"die auf Plenarsitzungen niemals verzichteten und trotz der Unmasse der Detail¬
geschäfte den Überblick über das Ganze nicht verloren". Ähnlich hätten sich
auch die Kriegs- und Domänenkammern bewährt. Erst unter Friedrich dem
Großen soll sich alles ins Gegenteil verändert haben -- teils infolge der bereits
erwähnten Organisationsänderungen, teils durch die natürliche Vermehrung der
Geschäfte.

Dagegen ist zunächst einzuwenden, daß es nicht zur Klärung beitrüge, hier
Naturgesetze hineinzubringen. Höchstens könnte man von einem Gesetz der
geschichtlichen Entwicklung sprechen. Aber auch solche gibt es bekanntlich nicht.
Die geschichtliche Entwicklung wird nicht von Gesetzen bestimmt, sondern, wie
ich bereits früher bemerkt habe, vom Zufall, oder von handelnden Menschen.
Und dieser menschliche Einfluß ist auch hier deutlich wahrzunehmen. Die Einheit
der preußischen Verwaltung wurde 1723 keineswegs so vollständig hergestellt, wie
Lotz annimmt. Man darf dies nicht einmal vom Generaldirektorium behaupten,
da dieses in der Geschäftsverteilung nach Provinzen noch deutlich den alten
Territorialstaat widerspiegelte. Außerdem behielten die alten Regierungen und
neben ihnen manche besondere Behörden, Konsistorien, Medizinalkollegien usw.
zahlreiche Verwaltungsgeschäfte, die sich mit dem Geschäftskreis der Kammern
berührten, was fortgesetzt zu Streitigkeiten führte. Besonders war die
Zuständigkeit der Kriegs- und Domänenkammern für die Entscheidung gewisser
privatrechtlicher Streitigkeiten, die sogenannte Kammerjustiz, die Quelle fort¬
währender langwieriger und heftiger Kämpfe zwischen den Regierungen und
den Kammern. Verschärst wurden alle diese Streitigkeiten dadurch, daß sie
nicht allein aus dem eifersüchtigen Neid wetteifernder Behörden entsprangen, die
bemüht waren, die Selbständigkeit, die Bedeutung und den Glanz ihrer Stellung
im Staat aufrecht zu erhalten, sondern der Ausdruck des großen Zwiespalts
waren, der durch den noch unfertigen Staat ging, des noch nicht beseitigten
Widerspruchs zwischen dem alten Territorialstaat und den: neuen Großstaat, der
allmählich erwuchs.

Was die Einheit der Staatsverwaltung trotz dieser Zersplitterung der
Zuständigkeiten dennoch aufrecht erhielt, war die Regierung aus dem Kabinett
des Königs, der alle Fäden in der Hand behielt, also der Einfluß der Persön¬
lichkeit des Trägers der Krone. Dazu kam die Unterstützung oben durch aus¬
gezeichnete Minister, wie Lotz selbst bemerkt, und unten durch nicht minder
tüchtige, vom Könige selbst ausgesuchte und fachmännisch trefflich geschulte Beamte.

Unter Friedrich dem Großen trat dann, hauptsächlich infolge der bereits
erwähnten Organisationsänderungen, die allerdings teilweise durch die Ver-


Die preußische Vorwaltungsorganisation früher

„Homogenität und Aktionsfähigkeit" zu geben. 1723 habe man dieses Ziel
glücklich erreicht. Es sei damals die Einheitlichkeit des neuen Verwaltungs¬
rechts gewährleistet worden und das Generaldirektorium habe dann Jahrzehnte
eine höchst fruchtbare Wirksamkeit entfaltet, dank dem Umstände, daß aus¬
gezeichnete Minister an der Spitze der einzelnen Abteilungen gestanden hätten,
„die auf Plenarsitzungen niemals verzichteten und trotz der Unmasse der Detail¬
geschäfte den Überblick über das Ganze nicht verloren". Ähnlich hätten sich
auch die Kriegs- und Domänenkammern bewährt. Erst unter Friedrich dem
Großen soll sich alles ins Gegenteil verändert haben — teils infolge der bereits
erwähnten Organisationsänderungen, teils durch die natürliche Vermehrung der
Geschäfte.

Dagegen ist zunächst einzuwenden, daß es nicht zur Klärung beitrüge, hier
Naturgesetze hineinzubringen. Höchstens könnte man von einem Gesetz der
geschichtlichen Entwicklung sprechen. Aber auch solche gibt es bekanntlich nicht.
Die geschichtliche Entwicklung wird nicht von Gesetzen bestimmt, sondern, wie
ich bereits früher bemerkt habe, vom Zufall, oder von handelnden Menschen.
Und dieser menschliche Einfluß ist auch hier deutlich wahrzunehmen. Die Einheit
der preußischen Verwaltung wurde 1723 keineswegs so vollständig hergestellt, wie
Lotz annimmt. Man darf dies nicht einmal vom Generaldirektorium behaupten,
da dieses in der Geschäftsverteilung nach Provinzen noch deutlich den alten
Territorialstaat widerspiegelte. Außerdem behielten die alten Regierungen und
neben ihnen manche besondere Behörden, Konsistorien, Medizinalkollegien usw.
zahlreiche Verwaltungsgeschäfte, die sich mit dem Geschäftskreis der Kammern
berührten, was fortgesetzt zu Streitigkeiten führte. Besonders war die
Zuständigkeit der Kriegs- und Domänenkammern für die Entscheidung gewisser
privatrechtlicher Streitigkeiten, die sogenannte Kammerjustiz, die Quelle fort¬
währender langwieriger und heftiger Kämpfe zwischen den Regierungen und
den Kammern. Verschärst wurden alle diese Streitigkeiten dadurch, daß sie
nicht allein aus dem eifersüchtigen Neid wetteifernder Behörden entsprangen, die
bemüht waren, die Selbständigkeit, die Bedeutung und den Glanz ihrer Stellung
im Staat aufrecht zu erhalten, sondern der Ausdruck des großen Zwiespalts
waren, der durch den noch unfertigen Staat ging, des noch nicht beseitigten
Widerspruchs zwischen dem alten Territorialstaat und den: neuen Großstaat, der
allmählich erwuchs.

Was die Einheit der Staatsverwaltung trotz dieser Zersplitterung der
Zuständigkeiten dennoch aufrecht erhielt, war die Regierung aus dem Kabinett
des Königs, der alle Fäden in der Hand behielt, also der Einfluß der Persön¬
lichkeit des Trägers der Krone. Dazu kam die Unterstützung oben durch aus¬
gezeichnete Minister, wie Lotz selbst bemerkt, und unten durch nicht minder
tüchtige, vom Könige selbst ausgesuchte und fachmännisch trefflich geschulte Beamte.

Unter Friedrich dem Großen trat dann, hauptsächlich infolge der bereits
erwähnten Organisationsänderungen, die allerdings teilweise durch die Ver-


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[0074] Die preußische Vorwaltungsorganisation früher „Homogenität und Aktionsfähigkeit" zu geben. 1723 habe man dieses Ziel glücklich erreicht. Es sei damals die Einheitlichkeit des neuen Verwaltungs¬ rechts gewährleistet worden und das Generaldirektorium habe dann Jahrzehnte eine höchst fruchtbare Wirksamkeit entfaltet, dank dem Umstände, daß aus¬ gezeichnete Minister an der Spitze der einzelnen Abteilungen gestanden hätten, „die auf Plenarsitzungen niemals verzichteten und trotz der Unmasse der Detail¬ geschäfte den Überblick über das Ganze nicht verloren". Ähnlich hätten sich auch die Kriegs- und Domänenkammern bewährt. Erst unter Friedrich dem Großen soll sich alles ins Gegenteil verändert haben — teils infolge der bereits erwähnten Organisationsänderungen, teils durch die natürliche Vermehrung der Geschäfte. Dagegen ist zunächst einzuwenden, daß es nicht zur Klärung beitrüge, hier Naturgesetze hineinzubringen. Höchstens könnte man von einem Gesetz der geschichtlichen Entwicklung sprechen. Aber auch solche gibt es bekanntlich nicht. Die geschichtliche Entwicklung wird nicht von Gesetzen bestimmt, sondern, wie ich bereits früher bemerkt habe, vom Zufall, oder von handelnden Menschen. Und dieser menschliche Einfluß ist auch hier deutlich wahrzunehmen. Die Einheit der preußischen Verwaltung wurde 1723 keineswegs so vollständig hergestellt, wie Lotz annimmt. Man darf dies nicht einmal vom Generaldirektorium behaupten, da dieses in der Geschäftsverteilung nach Provinzen noch deutlich den alten Territorialstaat widerspiegelte. Außerdem behielten die alten Regierungen und neben ihnen manche besondere Behörden, Konsistorien, Medizinalkollegien usw. zahlreiche Verwaltungsgeschäfte, die sich mit dem Geschäftskreis der Kammern berührten, was fortgesetzt zu Streitigkeiten führte. Besonders war die Zuständigkeit der Kriegs- und Domänenkammern für die Entscheidung gewisser privatrechtlicher Streitigkeiten, die sogenannte Kammerjustiz, die Quelle fort¬ währender langwieriger und heftiger Kämpfe zwischen den Regierungen und den Kammern. Verschärst wurden alle diese Streitigkeiten dadurch, daß sie nicht allein aus dem eifersüchtigen Neid wetteifernder Behörden entsprangen, die bemüht waren, die Selbständigkeit, die Bedeutung und den Glanz ihrer Stellung im Staat aufrecht zu erhalten, sondern der Ausdruck des großen Zwiespalts waren, der durch den noch unfertigen Staat ging, des noch nicht beseitigten Widerspruchs zwischen dem alten Territorialstaat und den: neuen Großstaat, der allmählich erwuchs. Was die Einheit der Staatsverwaltung trotz dieser Zersplitterung der Zuständigkeiten dennoch aufrecht erhielt, war die Regierung aus dem Kabinett des Königs, der alle Fäden in der Hand behielt, also der Einfluß der Persön¬ lichkeit des Trägers der Krone. Dazu kam die Unterstützung oben durch aus¬ gezeichnete Minister, wie Lotz selbst bemerkt, und unten durch nicht minder tüchtige, vom Könige selbst ausgesuchte und fachmännisch trefflich geschulte Beamte. Unter Friedrich dem Großen trat dann, hauptsächlich infolge der bereits erwähnten Organisationsänderungen, die allerdings teilweise durch die Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/74>, abgerufen am 17.06.2024.