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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die preußische Verwaltungsorganisation früher

Wie wir gesehen haben, entbehrten die einzelnen Provinzen von Anfang
an in sich keineswegs eines teilweise sogar ziemlich großen Zusammenhalts.
Gering war höchstens der Zusammenhang zwischen den neuen Erwerbungen und
den alten Landesteilen im ganzen, und dieser Gegensatz ist erst spät, in der
zweiten Hälfte des Jahrhunderts, zum Teil erst unter der Einwirkung des
gemeinsamen Kampfes gegen Frankreich geschwunden. Die Nachteile der Orga¬
nisation hätten also, wenn die Theorie des Herrn von Zedlitz richtig wäre, voll
vornherein oder ganz spät hervortreten müssen. Keins von beiden ist geschehen.
Wenn man also im Lauf der Zeit wirklich Mängel der Stein-Hardenoergischen
Organisation empfunden hat, dann wird dies wohl weniger in Tatsachen
begründet gewesen sein, als in gewissen Theorien von Selbstverwaltung und
Dezentralisation, die zur Zeit der Julirevolution zuerst aus Frankreich, später aus
England zu uns kamen und seit den fünfziger Jahren durch die großen Arbeiten
Rudolfs von Gneist über die englische Verfassung und Verwaltung ein bestimmtes
Ziel erhielten. Noch weniger kann ich Lotz zustimmen. Wie ich früher bemerkt
habe, setzen die Veränderungen der allgemeinen Verhältnisse bei uns erst Ende
der vierziger Jahre langsam ein. Die oben erwähnte, durch französische und
englische Ideen genährte geistige Bewegung hatte für die laufende Verwaltung
wenigstens noch keine Bedeutung. Mängel in den Leistungen der Verwaltung
waren aber scholl früher hervorgetreten, wie Lotz selbst andeutet und wie Delbrück
und Treitschke bekunden. Besonders bemerkenswert ist dabei, daß die ersten
Spuren geringer Leistungen in einer Zeit auftraten, wo die schweren Übergangs¬
jahre bereits überwunden waren. Wenn Lotz recht hätte, dann wäre also die
merkwürdige Erscheinung zu verzeichnen, daß dieselbe Verwaltungsorganisation
in schwierigen Zeiten Vorzügliches geleistet, in einer Zeit mit leichtern Aufgaben
aber versagt Hütte. Das wäre dann eine sonderbare Organisation gewesen.

Nein! Daß die Leistungen der preußischen Verwaltung seit den zwanziger
Jahren des vorigen Jahrhunderts allmählich zurückgingen, lag nicht an der
Organisation der Behörden und nicht an der Veränderung der allgemeinen
Verhältnisse, sondern an den Beamten. Die große Zeit der preußischen Ver¬
waltung im ersten Viertel des vorigen Jahrhunderts ist die Zeit großer
Beamten. Es sind die Taten großer Staatsmänner und großer Verwaltungs¬
talente, die wir in jener Zeit bewundern, der Minister Stein und Hardenberg.
Motz und Maaßen, der Oberpräsidenten Vincke, Merkel. Sack. Schön, Bassewitz,
Klewitz und wie sie sollst geheißen haben mögen. Und unter diesen Männern
waren in den Regierungen ausgezeichnete Beamte tätig, die entweder noch selbst
im alten Staat oder später unter der Leitung hervorragender Lehrmeister aus
dieser alte" Zeit, der Schroeter, Mücke, Bassewitz und andrer, eine treffliche
Vermaltmigsschule durchgemacht hatten. Besonders groß waren die Leistungen
der Oberprüsidenten. Treitschke schreibt es grade dem persönlichen Verdienst
dieser Männer zu, daß die neuen Formen der Provinzialverwaltung so rasch Wurzel
geschlagen hätten. Von Vincke. Merkel lind Sack insbesondere rühmt er, das;


Die preußische Verwaltungsorganisation früher

Wie wir gesehen haben, entbehrten die einzelnen Provinzen von Anfang
an in sich keineswegs eines teilweise sogar ziemlich großen Zusammenhalts.
Gering war höchstens der Zusammenhang zwischen den neuen Erwerbungen und
den alten Landesteilen im ganzen, und dieser Gegensatz ist erst spät, in der
zweiten Hälfte des Jahrhunderts, zum Teil erst unter der Einwirkung des
gemeinsamen Kampfes gegen Frankreich geschwunden. Die Nachteile der Orga¬
nisation hätten also, wenn die Theorie des Herrn von Zedlitz richtig wäre, voll
vornherein oder ganz spät hervortreten müssen. Keins von beiden ist geschehen.
Wenn man also im Lauf der Zeit wirklich Mängel der Stein-Hardenoergischen
Organisation empfunden hat, dann wird dies wohl weniger in Tatsachen
begründet gewesen sein, als in gewissen Theorien von Selbstverwaltung und
Dezentralisation, die zur Zeit der Julirevolution zuerst aus Frankreich, später aus
England zu uns kamen und seit den fünfziger Jahren durch die großen Arbeiten
Rudolfs von Gneist über die englische Verfassung und Verwaltung ein bestimmtes
Ziel erhielten. Noch weniger kann ich Lotz zustimmen. Wie ich früher bemerkt
habe, setzen die Veränderungen der allgemeinen Verhältnisse bei uns erst Ende
der vierziger Jahre langsam ein. Die oben erwähnte, durch französische und
englische Ideen genährte geistige Bewegung hatte für die laufende Verwaltung
wenigstens noch keine Bedeutung. Mängel in den Leistungen der Verwaltung
waren aber scholl früher hervorgetreten, wie Lotz selbst andeutet und wie Delbrück
und Treitschke bekunden. Besonders bemerkenswert ist dabei, daß die ersten
Spuren geringer Leistungen in einer Zeit auftraten, wo die schweren Übergangs¬
jahre bereits überwunden waren. Wenn Lotz recht hätte, dann wäre also die
merkwürdige Erscheinung zu verzeichnen, daß dieselbe Verwaltungsorganisation
in schwierigen Zeiten Vorzügliches geleistet, in einer Zeit mit leichtern Aufgaben
aber versagt Hütte. Das wäre dann eine sonderbare Organisation gewesen.

Nein! Daß die Leistungen der preußischen Verwaltung seit den zwanziger
Jahren des vorigen Jahrhunderts allmählich zurückgingen, lag nicht an der
Organisation der Behörden und nicht an der Veränderung der allgemeinen
Verhältnisse, sondern an den Beamten. Die große Zeit der preußischen Ver¬
waltung im ersten Viertel des vorigen Jahrhunderts ist die Zeit großer
Beamten. Es sind die Taten großer Staatsmänner und großer Verwaltungs¬
talente, die wir in jener Zeit bewundern, der Minister Stein und Hardenberg.
Motz und Maaßen, der Oberpräsidenten Vincke, Merkel. Sack. Schön, Bassewitz,
Klewitz und wie sie sollst geheißen haben mögen. Und unter diesen Männern
waren in den Regierungen ausgezeichnete Beamte tätig, die entweder noch selbst
im alten Staat oder später unter der Leitung hervorragender Lehrmeister aus
dieser alte» Zeit, der Schroeter, Mücke, Bassewitz und andrer, eine treffliche
Vermaltmigsschule durchgemacht hatten. Besonders groß waren die Leistungen
der Oberprüsidenten. Treitschke schreibt es grade dem persönlichen Verdienst
dieser Männer zu, daß die neuen Formen der Provinzialverwaltung so rasch Wurzel
geschlagen hätten. Von Vincke. Merkel lind Sack insbesondere rühmt er, das;


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[0081] Die preußische Verwaltungsorganisation früher Wie wir gesehen haben, entbehrten die einzelnen Provinzen von Anfang an in sich keineswegs eines teilweise sogar ziemlich großen Zusammenhalts. Gering war höchstens der Zusammenhang zwischen den neuen Erwerbungen und den alten Landesteilen im ganzen, und dieser Gegensatz ist erst spät, in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, zum Teil erst unter der Einwirkung des gemeinsamen Kampfes gegen Frankreich geschwunden. Die Nachteile der Orga¬ nisation hätten also, wenn die Theorie des Herrn von Zedlitz richtig wäre, voll vornherein oder ganz spät hervortreten müssen. Keins von beiden ist geschehen. Wenn man also im Lauf der Zeit wirklich Mängel der Stein-Hardenoergischen Organisation empfunden hat, dann wird dies wohl weniger in Tatsachen begründet gewesen sein, als in gewissen Theorien von Selbstverwaltung und Dezentralisation, die zur Zeit der Julirevolution zuerst aus Frankreich, später aus England zu uns kamen und seit den fünfziger Jahren durch die großen Arbeiten Rudolfs von Gneist über die englische Verfassung und Verwaltung ein bestimmtes Ziel erhielten. Noch weniger kann ich Lotz zustimmen. Wie ich früher bemerkt habe, setzen die Veränderungen der allgemeinen Verhältnisse bei uns erst Ende der vierziger Jahre langsam ein. Die oben erwähnte, durch französische und englische Ideen genährte geistige Bewegung hatte für die laufende Verwaltung wenigstens noch keine Bedeutung. Mängel in den Leistungen der Verwaltung waren aber scholl früher hervorgetreten, wie Lotz selbst andeutet und wie Delbrück und Treitschke bekunden. Besonders bemerkenswert ist dabei, daß die ersten Spuren geringer Leistungen in einer Zeit auftraten, wo die schweren Übergangs¬ jahre bereits überwunden waren. Wenn Lotz recht hätte, dann wäre also die merkwürdige Erscheinung zu verzeichnen, daß dieselbe Verwaltungsorganisation in schwierigen Zeiten Vorzügliches geleistet, in einer Zeit mit leichtern Aufgaben aber versagt Hütte. Das wäre dann eine sonderbare Organisation gewesen. Nein! Daß die Leistungen der preußischen Verwaltung seit den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts allmählich zurückgingen, lag nicht an der Organisation der Behörden und nicht an der Veränderung der allgemeinen Verhältnisse, sondern an den Beamten. Die große Zeit der preußischen Ver¬ waltung im ersten Viertel des vorigen Jahrhunderts ist die Zeit großer Beamten. Es sind die Taten großer Staatsmänner und großer Verwaltungs¬ talente, die wir in jener Zeit bewundern, der Minister Stein und Hardenberg. Motz und Maaßen, der Oberpräsidenten Vincke, Merkel. Sack. Schön, Bassewitz, Klewitz und wie sie sollst geheißen haben mögen. Und unter diesen Männern waren in den Regierungen ausgezeichnete Beamte tätig, die entweder noch selbst im alten Staat oder später unter der Leitung hervorragender Lehrmeister aus dieser alte» Zeit, der Schroeter, Mücke, Bassewitz und andrer, eine treffliche Vermaltmigsschule durchgemacht hatten. Besonders groß waren die Leistungen der Oberprüsidenten. Treitschke schreibt es grade dem persönlichen Verdienst dieser Männer zu, daß die neuen Formen der Provinzialverwaltung so rasch Wurzel geschlagen hätten. Von Vincke. Merkel lind Sack insbesondere rühmt er, das;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/81>, abgerufen am 17.06.2024.