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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Über das Studium der Mystik

die enge Verbindung der Verwaltung des Innern mit der staatlichen Forst¬
verwaltung, die jener eine genaue Landeskenntnis vermittelte, durch die sie
gelegentlich sogar den aus der Bevölkerung gewählten Gutachtern und Aus¬
schüssen überlegen war, und die sie in den Stand setzte, die ihr gestellte Auf¬
gabe allseitig anzufassen und vollständig zu lösen. Dieses Urteil eines Sach¬
verständigen ersten Ranges ist besonders wichtig, weil es sich auf eine Zeit
bezieht, wo die früher geschilderte Veränderung der allgemeinen Verhältnisse
bereits weit fortgeschritten war.

So ist also, auch die Geschichte der Stein-Hardenbergischen
Verwaltungsorganisation nur ein Beweis dafür, daß in der Ver¬
waltung nicht die Formen die Hauptsache sind, sondern die Menschen,
die sich ihrer zu bedienen haben.




Rom
Über das Studium der Mystik
Alexander Redlich von

Die mystischen Schriftsteller erleben eine ungeahnte neue Blüte; um allen Orten
taucht das Interesse an den merkwürdigen und sinnigen Geistern, denen gerade
wir Deutsche einige der besten Namen gestellt haben, wieder ans. Darum ist
es von Wert, wenn ein Kenner des gesamten Gebietes überschauende Gesichts¬
D. H. punkte wieder einmal klnrlegt,

gibt wohl keine wissenschaftliche Forschung, welche ohne Nachteil
idie Aufrechterhaltung einer möglichst geschlossenen historischen
Überlieferung entbehren kann; mehr und anders aber als von jedem
Forschungszweig gilt dies von dem Studium des mystischen
Denkens. Die exakten Disziplinen wie auch die logische Spekulation
erwecken zumindest den Anschein, daß sie durch den fortgesetzten Betrieb alte
Standpunkte überwinden und zu neuen, besseren Ergebnissen gelangen. Die
Mystik hingegen wird geradezu charakterisiert durch eine bewußte oder unbewußte
Tendenz nach rückwärts. Es ist ein Grundzug des gesamten Mystizismus, eine
zu den Menschen gelangte höchste Wahrheit in nebelgrauer Ferne zu suchen;
und die fortschreitende Zeit bedeutet ihn: kein Naherrttcken zum Ziel, sondern
eher eine stete Entfernung, ein Abwärtsbewegen. Die chiliastischen Hoffnungen,
also die Hoffnungen auf irgend ein Reich der großen Vollendung, sind dem
Mystiker ein Trost, eine einzige Rettung aus der fortschreitenden Verderbnis.

Aber der Chiliasmus und die Erwartung der letzten Dinge enthalten einen
weiteren, grundlegenden Gedanken der Mystik. Es sei erinnert, daß die Merk¬
male der Endhoffnung im Wesen stets analog sind denen alles kosmischen


Über das Studium der Mystik

die enge Verbindung der Verwaltung des Innern mit der staatlichen Forst¬
verwaltung, die jener eine genaue Landeskenntnis vermittelte, durch die sie
gelegentlich sogar den aus der Bevölkerung gewählten Gutachtern und Aus¬
schüssen überlegen war, und die sie in den Stand setzte, die ihr gestellte Auf¬
gabe allseitig anzufassen und vollständig zu lösen. Dieses Urteil eines Sach¬
verständigen ersten Ranges ist besonders wichtig, weil es sich auf eine Zeit
bezieht, wo die früher geschilderte Veränderung der allgemeinen Verhältnisse
bereits weit fortgeschritten war.

So ist also, auch die Geschichte der Stein-Hardenbergischen
Verwaltungsorganisation nur ein Beweis dafür, daß in der Ver¬
waltung nicht die Formen die Hauptsache sind, sondern die Menschen,
die sich ihrer zu bedienen haben.




Rom
Über das Studium der Mystik
Alexander Redlich von

Die mystischen Schriftsteller erleben eine ungeahnte neue Blüte; um allen Orten
taucht das Interesse an den merkwürdigen und sinnigen Geistern, denen gerade
wir Deutsche einige der besten Namen gestellt haben, wieder ans. Darum ist
es von Wert, wenn ein Kenner des gesamten Gebietes überschauende Gesichts¬
D. H. punkte wieder einmal klnrlegt,

gibt wohl keine wissenschaftliche Forschung, welche ohne Nachteil
idie Aufrechterhaltung einer möglichst geschlossenen historischen
Überlieferung entbehren kann; mehr und anders aber als von jedem
Forschungszweig gilt dies von dem Studium des mystischen
Denkens. Die exakten Disziplinen wie auch die logische Spekulation
erwecken zumindest den Anschein, daß sie durch den fortgesetzten Betrieb alte
Standpunkte überwinden und zu neuen, besseren Ergebnissen gelangen. Die
Mystik hingegen wird geradezu charakterisiert durch eine bewußte oder unbewußte
Tendenz nach rückwärts. Es ist ein Grundzug des gesamten Mystizismus, eine
zu den Menschen gelangte höchste Wahrheit in nebelgrauer Ferne zu suchen;
und die fortschreitende Zeit bedeutet ihn: kein Naherrttcken zum Ziel, sondern
eher eine stete Entfernung, ein Abwärtsbewegen. Die chiliastischen Hoffnungen,
also die Hoffnungen auf irgend ein Reich der großen Vollendung, sind dem
Mystiker ein Trost, eine einzige Rettung aus der fortschreitenden Verderbnis.

Aber der Chiliasmus und die Erwartung der letzten Dinge enthalten einen
weiteren, grundlegenden Gedanken der Mystik. Es sei erinnert, daß die Merk¬
male der Endhoffnung im Wesen stets analog sind denen alles kosmischen


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[0083] Über das Studium der Mystik die enge Verbindung der Verwaltung des Innern mit der staatlichen Forst¬ verwaltung, die jener eine genaue Landeskenntnis vermittelte, durch die sie gelegentlich sogar den aus der Bevölkerung gewählten Gutachtern und Aus¬ schüssen überlegen war, und die sie in den Stand setzte, die ihr gestellte Auf¬ gabe allseitig anzufassen und vollständig zu lösen. Dieses Urteil eines Sach¬ verständigen ersten Ranges ist besonders wichtig, weil es sich auf eine Zeit bezieht, wo die früher geschilderte Veränderung der allgemeinen Verhältnisse bereits weit fortgeschritten war. So ist also, auch die Geschichte der Stein-Hardenbergischen Verwaltungsorganisation nur ein Beweis dafür, daß in der Ver¬ waltung nicht die Formen die Hauptsache sind, sondern die Menschen, die sich ihrer zu bedienen haben. Rom Über das Studium der Mystik Alexander Redlich von Die mystischen Schriftsteller erleben eine ungeahnte neue Blüte; um allen Orten taucht das Interesse an den merkwürdigen und sinnigen Geistern, denen gerade wir Deutsche einige der besten Namen gestellt haben, wieder ans. Darum ist es von Wert, wenn ein Kenner des gesamten Gebietes überschauende Gesichts¬ D. H. punkte wieder einmal klnrlegt, gibt wohl keine wissenschaftliche Forschung, welche ohne Nachteil idie Aufrechterhaltung einer möglichst geschlossenen historischen Überlieferung entbehren kann; mehr und anders aber als von jedem Forschungszweig gilt dies von dem Studium des mystischen Denkens. Die exakten Disziplinen wie auch die logische Spekulation erwecken zumindest den Anschein, daß sie durch den fortgesetzten Betrieb alte Standpunkte überwinden und zu neuen, besseren Ergebnissen gelangen. Die Mystik hingegen wird geradezu charakterisiert durch eine bewußte oder unbewußte Tendenz nach rückwärts. Es ist ein Grundzug des gesamten Mystizismus, eine zu den Menschen gelangte höchste Wahrheit in nebelgrauer Ferne zu suchen; und die fortschreitende Zeit bedeutet ihn: kein Naherrttcken zum Ziel, sondern eher eine stete Entfernung, ein Abwärtsbewegen. Die chiliastischen Hoffnungen, also die Hoffnungen auf irgend ein Reich der großen Vollendung, sind dem Mystiker ein Trost, eine einzige Rettung aus der fortschreitenden Verderbnis. Aber der Chiliasmus und die Erwartung der letzten Dinge enthalten einen weiteren, grundlegenden Gedanken der Mystik. Es sei erinnert, daß die Merk¬ male der Endhoffnung im Wesen stets analog sind denen alles kosmischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/83>, abgerufen am 17.06.2024.