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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Der Raufmcmnsstcmd in der deutschen Literatur

Kaufmannsstand zu sagen weiß, beschäftigt sich zum Teil mit den uns aus den
Fastnachtsspielen bekannten Ehebruchaffären. Der verheiratete Kaufmann ist das
Opfer seines Berufs; kommt er von der Reise zurück, schreit ein fremdes Kind
in der Wiege. Ein anderer Schwank zeigt uns einen Kaufmann, der die Gast¬
freundschaft eines Edelmannes genießt, oder wir lesen von einem Handelsmann,
der im Sterben liegt, seine Seele nicht halten kann und sie schließlich dem
Teufel verschreibt, dem er sie ja, wie der Autor bemerkt, schon zu Lebzeiten
verkauft hatte mit Wucher und falschem Gewerbe.

Auch bei Wickram erfahren wir über den Kaufmannsstand eigentlich wenig.
Es mag sein, daß seine sonst keinen Stand schonende Satire durch den Zweck
des Buches, das den Kaufleuten gewidmet war, etwas gemildert oder ein¬
geschüchtert wurde. Auch ist der Antisemitismus bei Wickram bedeutend schwächer
als bei seinen Vorgängern. Somit verschont er den Juden als Kaufmann in
einer dieser Zeit eher widersprechenden Art. Erscheinen im "Rollwagenbüchlein"
die Bauern als dick, dumm und gefräßig, so ist ihnen der Kaufmann weit
überlegen. "3ca e!u8U8 sse 2 mei-Latore" ist das Ergebnis des schwankes
"Von einem beuerischen dauern, der neun Tag ein lässer was". Oder Wickram
stellt einem einfältigen Bauern, der Kein: Anblick einer mit Blut übermalten
Christusfigur ein Vaterunser stammelt, um zuguderletzt seinem Herrgott den
wohlgemeinten Rat zu erteilen: "Laß dirs ein witzgung sein und kund nit
mehr unter die schnöden bösen Juden", einen Heringsverkäufer gegenüber, der
sich vor einem jammervollen Christusbild den Witz gestattet: "Ach du lieber
Herrgott, wan du auch häring hattest seyl gehabt, fo kuntestu nicht wol übler
sehen." Ja, die Schlauheit eines seiner Kaufleute wird diesem zur Lebens¬
retterin: Während sich alle seine Genossen, von Räubern überfallen, ihr Hab
und Gut im Stiche lassend, flüchten, bleibt er, auf Gott vertrauend, bei seiner
Ware stehen. Wie aber die Räuber sich anschicken, die Samt- und Seiten¬
balken mit Spießen abzumessen, sängt er laut an zu lachen über die lange Elle
und empfiehlt den Banditen, sich mit diesem Maß ja auf keinem Markte sehen
zu lassen. Da müssen die Räuber lachen, zollen seiner Rede Beifall und lassen
ihm Waren und Leben.

Wenn Luther gegen die Fugger loszieht, sehen wir, wie Wickram, im
Gegensatz, auch ihre guten Eigenschaften herauszufinden weiß.

Die Herausgeber des "Wunderhorn", Arnim und Brentano, haben die
Erzählung in der Vorrede, der Widmung an Goethe, wieder verwertet. Es ist
die Geschichte von: armen Sänger Grünewald, der in Augsburg seine Wirts¬
zeche nicht bezahlen kann. In seiner Verzweiflung dichtet er ein Lied und geht
damit zum reichen Fugger, der des Sängers Krankheit bald erkennt:


Der Raufmcmnsstcmd in der deutschen Literatur

Kaufmannsstand zu sagen weiß, beschäftigt sich zum Teil mit den uns aus den
Fastnachtsspielen bekannten Ehebruchaffären. Der verheiratete Kaufmann ist das
Opfer seines Berufs; kommt er von der Reise zurück, schreit ein fremdes Kind
in der Wiege. Ein anderer Schwank zeigt uns einen Kaufmann, der die Gast¬
freundschaft eines Edelmannes genießt, oder wir lesen von einem Handelsmann,
der im Sterben liegt, seine Seele nicht halten kann und sie schließlich dem
Teufel verschreibt, dem er sie ja, wie der Autor bemerkt, schon zu Lebzeiten
verkauft hatte mit Wucher und falschem Gewerbe.

Auch bei Wickram erfahren wir über den Kaufmannsstand eigentlich wenig.
Es mag sein, daß seine sonst keinen Stand schonende Satire durch den Zweck
des Buches, das den Kaufleuten gewidmet war, etwas gemildert oder ein¬
geschüchtert wurde. Auch ist der Antisemitismus bei Wickram bedeutend schwächer
als bei seinen Vorgängern. Somit verschont er den Juden als Kaufmann in
einer dieser Zeit eher widersprechenden Art. Erscheinen im „Rollwagenbüchlein"
die Bauern als dick, dumm und gefräßig, so ist ihnen der Kaufmann weit
überlegen. „3ca e!u8U8 sse 2 mei-Latore" ist das Ergebnis des schwankes
„Von einem beuerischen dauern, der neun Tag ein lässer was". Oder Wickram
stellt einem einfältigen Bauern, der Kein: Anblick einer mit Blut übermalten
Christusfigur ein Vaterunser stammelt, um zuguderletzt seinem Herrgott den
wohlgemeinten Rat zu erteilen: „Laß dirs ein witzgung sein und kund nit
mehr unter die schnöden bösen Juden", einen Heringsverkäufer gegenüber, der
sich vor einem jammervollen Christusbild den Witz gestattet: „Ach du lieber
Herrgott, wan du auch häring hattest seyl gehabt, fo kuntestu nicht wol übler
sehen." Ja, die Schlauheit eines seiner Kaufleute wird diesem zur Lebens¬
retterin: Während sich alle seine Genossen, von Räubern überfallen, ihr Hab
und Gut im Stiche lassend, flüchten, bleibt er, auf Gott vertrauend, bei seiner
Ware stehen. Wie aber die Räuber sich anschicken, die Samt- und Seiten¬
balken mit Spießen abzumessen, sängt er laut an zu lachen über die lange Elle
und empfiehlt den Banditen, sich mit diesem Maß ja auf keinem Markte sehen
zu lassen. Da müssen die Räuber lachen, zollen seiner Rede Beifall und lassen
ihm Waren und Leben.

Wenn Luther gegen die Fugger loszieht, sehen wir, wie Wickram, im
Gegensatz, auch ihre guten Eigenschaften herauszufinden weiß.

Die Herausgeber des „Wunderhorn", Arnim und Brentano, haben die
Erzählung in der Vorrede, der Widmung an Goethe, wieder verwertet. Es ist
die Geschichte von: armen Sänger Grünewald, der in Augsburg seine Wirts¬
zeche nicht bezahlen kann. In seiner Verzweiflung dichtet er ein Lied und geht
damit zum reichen Fugger, der des Sängers Krankheit bald erkennt:


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[0129] Der Raufmcmnsstcmd in der deutschen Literatur Kaufmannsstand zu sagen weiß, beschäftigt sich zum Teil mit den uns aus den Fastnachtsspielen bekannten Ehebruchaffären. Der verheiratete Kaufmann ist das Opfer seines Berufs; kommt er von der Reise zurück, schreit ein fremdes Kind in der Wiege. Ein anderer Schwank zeigt uns einen Kaufmann, der die Gast¬ freundschaft eines Edelmannes genießt, oder wir lesen von einem Handelsmann, der im Sterben liegt, seine Seele nicht halten kann und sie schließlich dem Teufel verschreibt, dem er sie ja, wie der Autor bemerkt, schon zu Lebzeiten verkauft hatte mit Wucher und falschem Gewerbe. Auch bei Wickram erfahren wir über den Kaufmannsstand eigentlich wenig. Es mag sein, daß seine sonst keinen Stand schonende Satire durch den Zweck des Buches, das den Kaufleuten gewidmet war, etwas gemildert oder ein¬ geschüchtert wurde. Auch ist der Antisemitismus bei Wickram bedeutend schwächer als bei seinen Vorgängern. Somit verschont er den Juden als Kaufmann in einer dieser Zeit eher widersprechenden Art. Erscheinen im „Rollwagenbüchlein" die Bauern als dick, dumm und gefräßig, so ist ihnen der Kaufmann weit überlegen. „3ca e!u8U8 sse 2 mei-Latore" ist das Ergebnis des schwankes „Von einem beuerischen dauern, der neun Tag ein lässer was". Oder Wickram stellt einem einfältigen Bauern, der Kein: Anblick einer mit Blut übermalten Christusfigur ein Vaterunser stammelt, um zuguderletzt seinem Herrgott den wohlgemeinten Rat zu erteilen: „Laß dirs ein witzgung sein und kund nit mehr unter die schnöden bösen Juden", einen Heringsverkäufer gegenüber, der sich vor einem jammervollen Christusbild den Witz gestattet: „Ach du lieber Herrgott, wan du auch häring hattest seyl gehabt, fo kuntestu nicht wol übler sehen." Ja, die Schlauheit eines seiner Kaufleute wird diesem zur Lebens¬ retterin: Während sich alle seine Genossen, von Räubern überfallen, ihr Hab und Gut im Stiche lassend, flüchten, bleibt er, auf Gott vertrauend, bei seiner Ware stehen. Wie aber die Räuber sich anschicken, die Samt- und Seiten¬ balken mit Spießen abzumessen, sängt er laut an zu lachen über die lange Elle und empfiehlt den Banditen, sich mit diesem Maß ja auf keinem Markte sehen zu lassen. Da müssen die Räuber lachen, zollen seiner Rede Beifall und lassen ihm Waren und Leben. Wenn Luther gegen die Fugger loszieht, sehen wir, wie Wickram, im Gegensatz, auch ihre guten Eigenschaften herauszufinden weiß. Die Herausgeber des „Wunderhorn", Arnim und Brentano, haben die Erzählung in der Vorrede, der Widmung an Goethe, wieder verwertet. Es ist die Geschichte von: armen Sänger Grünewald, der in Augsburg seine Wirts¬ zeche nicht bezahlen kann. In seiner Verzweiflung dichtet er ein Lied und geht damit zum reichen Fugger, der des Sängers Krankheit bald erkennt:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/129>, abgerufen am 10.06.2024.