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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Die Weiterentwicklung des deutsch-österreichischen Bündnisses

doch noch anders als heute, und insbesondre konnte Bismarck auf seine per¬
sönliche Autorität hin manches wagen, was seinen Nachfolgern versagt schien.
Welche Taktik nun aber im einzelnen Falle vom leitenden deutschen Staats¬
manne befolgt wurde, um den Frieden zu sichern, kommt erst in zweiter Linie.
Die Tatsache bleibt bestehen: in beiden Fällen fehlte nur wenig, daß
das Deutsche Reich wegen einer Orientfrage, an der es gar kein Interesse hatte,
die uns, um mit Bismarck zu sprechen, durchaus Hekuba sein konnte, in einen
Krieg mit Rußland verwickelt worden wäre, der einen französischen Angriff zur
sicheren, und im zweiten Falle einen englischen zur wahrscheinlichen Folge gehabt
hätte, kurzum in einen Krieg um Sein oder Nichtsein. Daß der Bündnis¬
vertrag in der Tat die Kriegsmöglichkeiten für Deutschland vermehre, hat
Bismarck übrigens offen zugestanden, so z. B. in seiner programmatischen Rede
vom 6. Februar 1888 mit den Worten: "Und deshalb glaube ich, Sie werden
die Politik Seiner Majestät des Kaisers, die das publizierte Bündnis abgeschlossen
hat, billigen, obschon die Möglichkeit eines Krieges dadurch verstärkt wird."

Der Vertrag bedeutet in seinen Wirkungen für beide Teile nicht dasselbe.
Wenn man vom Deutschen Reiche selbst absieht, so hat Österreich nur einen
Feind, der es wirklich vernichten könnte, und das ist Rußland; wenn nun
Deutschland durch das Bündnis als möglicher Gegner ausgeschaltet wird und
jeder Angriff Rußlands sofort den Bündnisfall schafft, d. h. das Deutsche Reich
zwingt, mit allen seinen militärischen Machtmitteln dem Verbündeten zu Hilfe
zu kommen, so bedeutet der Vertrag für Österreich so ziemlich die Garantie
seines territorialen Bestandes durch das Deutsche Reich, womit ja natürlich
noch nicht gesagt ist, daß die Machtmittel der Verbündeten auch stets ausreichen
werden, um eine Niederlage und als Folge davon Gebietsverluste zu verhindern.
Für das Deutsche Reich liegt die Sache aber ganz anders; Rußland ist nicht
sein einziger und keinesfalls sein stärkster Gegner. Wir könnten in einen Krieg
mit Frankreich und England verwickelt sein, ohne daß Österreich auch nur den
Finger zu rühren braucht. Diese Verschiedenheit des praktischen Wertes des
Bündnisses für die beiden Mächte gab der Bismarckschen Politik mit dem
russischen RückVersicherungsvertrag zweifellos die innere Berechtigung; Bismarck
wollte das auf die deutsche Seite fallende Risiko abschwächen. Die Festigkeit
des Bündnisses hat dadurch aber kaum gewonnen; denn naturgemäß löste diese
Politik auf österreichischer Seite ein ähnliches Bemühen aus, sich mit Rußland
zu verständigen, mögen die Voraussetzungen hier auch anders und schwieriger
liegen. Die Möglichkeit kasuistischer Auslegung ergibt sich aber eben daraus,
daß das Bündnis nur auf einen bestimmten Fall zugeschnitten und weit entfernt
davon ist, ein Schutz- und Trutzbündnis zu sein. Etwas derartiges hatte
Bismarck aber tatsächlich erstrebt; ihm schwebte ein Verhältnis zu Österreich
vor, das das alte Verhältnis im Deutschen Bund ersetzen sollte, ohne dessen
Unzuträglichkeiten zu haben. Das hatte er fast unmittelbar nach Königgrätz
geäußert, dann während des Deutsch-Französischen Krieges zu Busch. Und auf


Die Weiterentwicklung des deutsch-österreichischen Bündnisses

doch noch anders als heute, und insbesondre konnte Bismarck auf seine per¬
sönliche Autorität hin manches wagen, was seinen Nachfolgern versagt schien.
Welche Taktik nun aber im einzelnen Falle vom leitenden deutschen Staats¬
manne befolgt wurde, um den Frieden zu sichern, kommt erst in zweiter Linie.
Die Tatsache bleibt bestehen: in beiden Fällen fehlte nur wenig, daß
das Deutsche Reich wegen einer Orientfrage, an der es gar kein Interesse hatte,
die uns, um mit Bismarck zu sprechen, durchaus Hekuba sein konnte, in einen
Krieg mit Rußland verwickelt worden wäre, der einen französischen Angriff zur
sicheren, und im zweiten Falle einen englischen zur wahrscheinlichen Folge gehabt
hätte, kurzum in einen Krieg um Sein oder Nichtsein. Daß der Bündnis¬
vertrag in der Tat die Kriegsmöglichkeiten für Deutschland vermehre, hat
Bismarck übrigens offen zugestanden, so z. B. in seiner programmatischen Rede
vom 6. Februar 1888 mit den Worten: „Und deshalb glaube ich, Sie werden
die Politik Seiner Majestät des Kaisers, die das publizierte Bündnis abgeschlossen
hat, billigen, obschon die Möglichkeit eines Krieges dadurch verstärkt wird."

Der Vertrag bedeutet in seinen Wirkungen für beide Teile nicht dasselbe.
Wenn man vom Deutschen Reiche selbst absieht, so hat Österreich nur einen
Feind, der es wirklich vernichten könnte, und das ist Rußland; wenn nun
Deutschland durch das Bündnis als möglicher Gegner ausgeschaltet wird und
jeder Angriff Rußlands sofort den Bündnisfall schafft, d. h. das Deutsche Reich
zwingt, mit allen seinen militärischen Machtmitteln dem Verbündeten zu Hilfe
zu kommen, so bedeutet der Vertrag für Österreich so ziemlich die Garantie
seines territorialen Bestandes durch das Deutsche Reich, womit ja natürlich
noch nicht gesagt ist, daß die Machtmittel der Verbündeten auch stets ausreichen
werden, um eine Niederlage und als Folge davon Gebietsverluste zu verhindern.
Für das Deutsche Reich liegt die Sache aber ganz anders; Rußland ist nicht
sein einziger und keinesfalls sein stärkster Gegner. Wir könnten in einen Krieg
mit Frankreich und England verwickelt sein, ohne daß Österreich auch nur den
Finger zu rühren braucht. Diese Verschiedenheit des praktischen Wertes des
Bündnisses für die beiden Mächte gab der Bismarckschen Politik mit dem
russischen RückVersicherungsvertrag zweifellos die innere Berechtigung; Bismarck
wollte das auf die deutsche Seite fallende Risiko abschwächen. Die Festigkeit
des Bündnisses hat dadurch aber kaum gewonnen; denn naturgemäß löste diese
Politik auf österreichischer Seite ein ähnliches Bemühen aus, sich mit Rußland
zu verständigen, mögen die Voraussetzungen hier auch anders und schwieriger
liegen. Die Möglichkeit kasuistischer Auslegung ergibt sich aber eben daraus,
daß das Bündnis nur auf einen bestimmten Fall zugeschnitten und weit entfernt
davon ist, ein Schutz- und Trutzbündnis zu sein. Etwas derartiges hatte
Bismarck aber tatsächlich erstrebt; ihm schwebte ein Verhältnis zu Österreich
vor, das das alte Verhältnis im Deutschen Bund ersetzen sollte, ohne dessen
Unzuträglichkeiten zu haben. Das hatte er fast unmittelbar nach Königgrätz
geäußert, dann während des Deutsch-Französischen Krieges zu Busch. Und auf


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[0016] Die Weiterentwicklung des deutsch-österreichischen Bündnisses doch noch anders als heute, und insbesondre konnte Bismarck auf seine per¬ sönliche Autorität hin manches wagen, was seinen Nachfolgern versagt schien. Welche Taktik nun aber im einzelnen Falle vom leitenden deutschen Staats¬ manne befolgt wurde, um den Frieden zu sichern, kommt erst in zweiter Linie. Die Tatsache bleibt bestehen: in beiden Fällen fehlte nur wenig, daß das Deutsche Reich wegen einer Orientfrage, an der es gar kein Interesse hatte, die uns, um mit Bismarck zu sprechen, durchaus Hekuba sein konnte, in einen Krieg mit Rußland verwickelt worden wäre, der einen französischen Angriff zur sicheren, und im zweiten Falle einen englischen zur wahrscheinlichen Folge gehabt hätte, kurzum in einen Krieg um Sein oder Nichtsein. Daß der Bündnis¬ vertrag in der Tat die Kriegsmöglichkeiten für Deutschland vermehre, hat Bismarck übrigens offen zugestanden, so z. B. in seiner programmatischen Rede vom 6. Februar 1888 mit den Worten: „Und deshalb glaube ich, Sie werden die Politik Seiner Majestät des Kaisers, die das publizierte Bündnis abgeschlossen hat, billigen, obschon die Möglichkeit eines Krieges dadurch verstärkt wird." Der Vertrag bedeutet in seinen Wirkungen für beide Teile nicht dasselbe. Wenn man vom Deutschen Reiche selbst absieht, so hat Österreich nur einen Feind, der es wirklich vernichten könnte, und das ist Rußland; wenn nun Deutschland durch das Bündnis als möglicher Gegner ausgeschaltet wird und jeder Angriff Rußlands sofort den Bündnisfall schafft, d. h. das Deutsche Reich zwingt, mit allen seinen militärischen Machtmitteln dem Verbündeten zu Hilfe zu kommen, so bedeutet der Vertrag für Österreich so ziemlich die Garantie seines territorialen Bestandes durch das Deutsche Reich, womit ja natürlich noch nicht gesagt ist, daß die Machtmittel der Verbündeten auch stets ausreichen werden, um eine Niederlage und als Folge davon Gebietsverluste zu verhindern. Für das Deutsche Reich liegt die Sache aber ganz anders; Rußland ist nicht sein einziger und keinesfalls sein stärkster Gegner. Wir könnten in einen Krieg mit Frankreich und England verwickelt sein, ohne daß Österreich auch nur den Finger zu rühren braucht. Diese Verschiedenheit des praktischen Wertes des Bündnisses für die beiden Mächte gab der Bismarckschen Politik mit dem russischen RückVersicherungsvertrag zweifellos die innere Berechtigung; Bismarck wollte das auf die deutsche Seite fallende Risiko abschwächen. Die Festigkeit des Bündnisses hat dadurch aber kaum gewonnen; denn naturgemäß löste diese Politik auf österreichischer Seite ein ähnliches Bemühen aus, sich mit Rußland zu verständigen, mögen die Voraussetzungen hier auch anders und schwieriger liegen. Die Möglichkeit kasuistischer Auslegung ergibt sich aber eben daraus, daß das Bündnis nur auf einen bestimmten Fall zugeschnitten und weit entfernt davon ist, ein Schutz- und Trutzbündnis zu sein. Etwas derartiges hatte Bismarck aber tatsächlich erstrebt; ihm schwebte ein Verhältnis zu Österreich vor, das das alte Verhältnis im Deutschen Bund ersetzen sollte, ohne dessen Unzuträglichkeiten zu haben. Das hatte er fast unmittelbar nach Königgrätz geäußert, dann während des Deutsch-Französischen Krieges zu Busch. Und auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/16>, abgerufen am 15.05.2024.