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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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anregend zur vergleichende,: Forschung hin. Der Akademiker B. G. Niebuhr,
mit geschichtlicher Kritik und Phantasie ausgerüstet und eine herrliche Persönlich¬
keit, hatte die lateinischen Studien belebt; aber etwas Moderneres war das
deutsche Altertum. Etwa 1807 begannen die Gebrüder Grimm (1841 kamen
sie in die Akademie) ihre Wirksamkeit. 1819 erschien I. Grimms Deutsche
Grammatik. In Dänemark musterte der geistvolle Rask (f 1832) Sprachen
von Island bis nach Zentralasien. Lachmann lehrte seit 1825 klassische und
germanistische Philologie, die später Müllenhoff gelehrt und scharfsinnig allein
vertrat. Dann hatten wir Weinhold in Berlin. Mit der Freudigkeit des
Einhorns stürzte man sich auf diese zukunftsreiche Wissenschaft. Probleme der
neuern Germanistik nahm der vielseitig anregende Scherer seit 1877 in seine
Vorlesungen auf. Bopp (f 1867), Freund W. v. Humboldts, war seit 1821 in
Berlin, nachdem er sich in Paris Anregungen geholt hatte. Dann hat er noch zwanzig
Jahre (von 1832 bis 1852) für seine vergleichende Grammatik gebraucht. Der
Awesta war durch Anquetil-Duperron der gelehrten Welt angeboten, aber zweifelnd
aufgenommen worden. 1802 begann Grotefend mit der Entzifferung der alt¬
persischen Keilschrift. Bei uns machte sich Eb. Schrader hoch verdient durch
seine Arbeiten über die assyrisch-babylonischen Keilschriften (seit 1875 war er
in Berlin). Seit 1899 datieren die Grabungen der Deutschen Orientgesellschaft,
die sich des besonderen Schutzes und Interesses des Kaisers Wilhelm des Zweiten
erfreuen kann. Auf Ägypten hatte I. Fr. Champollion (f 1832) den Blick
gelenkt. In Deutschland folgte R. Lepsius, der 1842 nicht ohne Al. v. Hum¬
boldts Einfluß seine so erfolgreiche Reise zu den Pyramiden antrat. Auch China
trat (zum Teil durch französische Forscher) deutlicher aus dem geheimnis¬
vollen Dunkel seiner alten Geschichte hervor. In Berlin lehrte Chinesisch
mit andern, besonders asiatischen Sprachen W. Schott seit 1839; später
G. v. d. Gabelentz.

Die Arbeitsteilung wird dadurch veranschaulicht, daß die indische Philologie,
in der uns z. B. W, Jones und H. Th. Colebrooke vorangegangen waren,
1867 in Weber ein Ordinariat fand. Die vergleichende Grammatik der indo¬
keltischen Sprachen lehrte nur kurze Zeit Ebel (f 1875), dann Joh. Schmidt.
Die Keltik besonders vertritt jetzt Zimmer. Die romanischen Sprachen hatten
seit 1870 in A. Tobler einen berühmten Lehrer; das Englische errang in Berlin
zuerst durch Zupitza eiuen besondern Platz, das slawische durch Jagiö und
Bruckner. 1349 hatte sich Steinihal habilitiert, der W. v. Humboldts Gedanken
psychologisch fortbildete und die Typen des Sprachbaus geistreich charakterisierte.
Auch hier drang das Kleine und Kleinste vor im Studium der Laute und ihrer
Gesetze. Seit 1851 trug der Lektor (Stenograph) G. Michaelis Lautphysiologie
vor. Das Orientalische Seminar wurde im Jahre 1887/88 unter Sachan
eröffnet. Obgleich bei Savigny, Puchta u. a. schon vom Volksgeist u. tgi. die
Rede ist, tat sich die von Lazarus so benannte Völkerpsychologie seit der Mitte
des Jahrhunderts auf, der seit 1873 als pro5. Kor. lehrte.


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anregend zur vergleichende,: Forschung hin. Der Akademiker B. G. Niebuhr,
mit geschichtlicher Kritik und Phantasie ausgerüstet und eine herrliche Persönlich¬
keit, hatte die lateinischen Studien belebt; aber etwas Moderneres war das
deutsche Altertum. Etwa 1807 begannen die Gebrüder Grimm (1841 kamen
sie in die Akademie) ihre Wirksamkeit. 1819 erschien I. Grimms Deutsche
Grammatik. In Dänemark musterte der geistvolle Rask (f 1832) Sprachen
von Island bis nach Zentralasien. Lachmann lehrte seit 1825 klassische und
germanistische Philologie, die später Müllenhoff gelehrt und scharfsinnig allein
vertrat. Dann hatten wir Weinhold in Berlin. Mit der Freudigkeit des
Einhorns stürzte man sich auf diese zukunftsreiche Wissenschaft. Probleme der
neuern Germanistik nahm der vielseitig anregende Scherer seit 1877 in seine
Vorlesungen auf. Bopp (f 1867), Freund W. v. Humboldts, war seit 1821 in
Berlin, nachdem er sich in Paris Anregungen geholt hatte. Dann hat er noch zwanzig
Jahre (von 1832 bis 1852) für seine vergleichende Grammatik gebraucht. Der
Awesta war durch Anquetil-Duperron der gelehrten Welt angeboten, aber zweifelnd
aufgenommen worden. 1802 begann Grotefend mit der Entzifferung der alt¬
persischen Keilschrift. Bei uns machte sich Eb. Schrader hoch verdient durch
seine Arbeiten über die assyrisch-babylonischen Keilschriften (seit 1875 war er
in Berlin). Seit 1899 datieren die Grabungen der Deutschen Orientgesellschaft,
die sich des besonderen Schutzes und Interesses des Kaisers Wilhelm des Zweiten
erfreuen kann. Auf Ägypten hatte I. Fr. Champollion (f 1832) den Blick
gelenkt. In Deutschland folgte R. Lepsius, der 1842 nicht ohne Al. v. Hum¬
boldts Einfluß seine so erfolgreiche Reise zu den Pyramiden antrat. Auch China
trat (zum Teil durch französische Forscher) deutlicher aus dem geheimnis¬
vollen Dunkel seiner alten Geschichte hervor. In Berlin lehrte Chinesisch
mit andern, besonders asiatischen Sprachen W. Schott seit 1839; später
G. v. d. Gabelentz.

Die Arbeitsteilung wird dadurch veranschaulicht, daß die indische Philologie,
in der uns z. B. W, Jones und H. Th. Colebrooke vorangegangen waren,
1867 in Weber ein Ordinariat fand. Die vergleichende Grammatik der indo¬
keltischen Sprachen lehrte nur kurze Zeit Ebel (f 1875), dann Joh. Schmidt.
Die Keltik besonders vertritt jetzt Zimmer. Die romanischen Sprachen hatten
seit 1870 in A. Tobler einen berühmten Lehrer; das Englische errang in Berlin
zuerst durch Zupitza eiuen besondern Platz, das slawische durch Jagiö und
Bruckner. 1349 hatte sich Steinihal habilitiert, der W. v. Humboldts Gedanken
psychologisch fortbildete und die Typen des Sprachbaus geistreich charakterisierte.
Auch hier drang das Kleine und Kleinste vor im Studium der Laute und ihrer
Gesetze. Seit 1851 trug der Lektor (Stenograph) G. Michaelis Lautphysiologie
vor. Das Orientalische Seminar wurde im Jahre 1887/88 unter Sachan
eröffnet. Obgleich bei Savigny, Puchta u. a. schon vom Volksgeist u. tgi. die
Rede ist, tat sich die von Lazarus so benannte Völkerpsychologie seit der Mitte
des Jahrhunderts auf, der seit 1873 als pro5. Kor. lehrte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/24>, abgerufen am 15.05.2024.