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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Postsparkassen

Ansammlung von Sparbeträgen befaßt, tritt er in ein Schuldverhältnis zu den
Einlagen, das durch Kündigung der Einlagen jederzeit, meist in kurzen Rück-
zahlungsfristen, gelöst werden kann. Er nimmt durch die Fürsorge für sichere
und zugleich auskömmliche Anlage der Sparkapitalien eine seinem Wirkungskreise
sonst fremde Verantwortlichkeit auf sich und greift als Anbietender auf das
Treiben des Kreditmarktes mit ein. Die aus den Einrichtungen der Postspar¬
kassen sich ergebenden Kreditverhältnisse des Staates geben sowohl nach der
passiven wie nach der aktiven Seite hin Anlaß zu großen Bedenken. Das
schrankenlose Eingehen von Schulden ist mit den Voraussetzungen, an welche die
Eingehung von Schuldverbindlichkeiten des Staates zur Sicherung des Staats¬
kredites wie zur Wahrung der Rechte der Landesvertretung sonst mit Recht
gebunden ist, nicht leicht in Einklang zu bringen; auch besteht durch die Mög¬
lichkeit der Rückforderung mit kurzer Kündigungsfrist in Fällen von Krisen die
große Gefahr eines allgemeinen Andranges, die deshalb besonders schwer ist,
weil in derartigen Fällen der Staat ohnedies seine Mittel nicht entbehren kann
und auf seine Kredite zurückzugreifen genötigt ist.

Die Gefahren, welche die ausschließliche oder auch nur vorwiegende Anlegung
von Sparkassengeldern in Staatspapieren des eigenen Landes mit sich bringt,
können, wie Röscher") näher darlegt und auch von französischen Volkswirten
anerkannt wird, kaum deutlicher gezeigt werden, als an dem Beispiele der
französischen Sparkassen, welche seit langer Zeit ihre verfügbaren Bestände an
den Staat abliefern müssen. Infolge dieser engen Verbindung der Sparkasscn-
gelder mit den französischen Staatsfinanzen mußten die französischen Sparkassen
an allen politischen Bewegungen des Staates unmittelbar teilnehmen.

Das Einlegerguthaben, welches im Jahre 1847 538 Millionen betrug, ging
infolge der Februarrevolution auf 74 Millionen, also um 79 Prozent, zurück,
während z. B. im Königreich Preußen im Jahre 1348 nur ein Rückgang um
8 Prozent, im Königreich Sachsen nur ein Rückgang um 5 Prozent stattfand.

Während in den meisten deutschen Staaten das Durchschnittsguthaben eines
Einlegers stetig zugenommen hat, schwankte in Frankreich dieser Durchschnitts¬
betrag ganz außerordeutlich.

In diesen für die Geschäftsführung und Entwickelung des Sparkassenwesens
sehr nachteiligen Schwankungen zeigt sich aber ein enger Zusammenhang mit
der jeweiligen politischen Lage des Landes, als natürliche Folge der engen
Verbindung des Kredites der Sparkassen mit dem Kredite des Staates.

Erfahrungen traurigster Art machte im Jahre 1848 die große Pariser
Sparkasse, deren Einlegerguthaben binnen Jahresfrist von 80 auf 16 Millionen
Franken zusammenschmolz. Die Sparkasse mußte für 18 Millionen Franken
Wertpapiere mit einem Verluste von 2,65 Millionen Franken veräußen und
schließlich doch die Barzahlungen einstellen. Die Einleger wurden genötigt,



") Röscher a. a, O. S. 70 ff.
Postsparkassen

Ansammlung von Sparbeträgen befaßt, tritt er in ein Schuldverhältnis zu den
Einlagen, das durch Kündigung der Einlagen jederzeit, meist in kurzen Rück-
zahlungsfristen, gelöst werden kann. Er nimmt durch die Fürsorge für sichere
und zugleich auskömmliche Anlage der Sparkapitalien eine seinem Wirkungskreise
sonst fremde Verantwortlichkeit auf sich und greift als Anbietender auf das
Treiben des Kreditmarktes mit ein. Die aus den Einrichtungen der Postspar¬
kassen sich ergebenden Kreditverhältnisse des Staates geben sowohl nach der
passiven wie nach der aktiven Seite hin Anlaß zu großen Bedenken. Das
schrankenlose Eingehen von Schulden ist mit den Voraussetzungen, an welche die
Eingehung von Schuldverbindlichkeiten des Staates zur Sicherung des Staats¬
kredites wie zur Wahrung der Rechte der Landesvertretung sonst mit Recht
gebunden ist, nicht leicht in Einklang zu bringen; auch besteht durch die Mög¬
lichkeit der Rückforderung mit kurzer Kündigungsfrist in Fällen von Krisen die
große Gefahr eines allgemeinen Andranges, die deshalb besonders schwer ist,
weil in derartigen Fällen der Staat ohnedies seine Mittel nicht entbehren kann
und auf seine Kredite zurückzugreifen genötigt ist.

Die Gefahren, welche die ausschließliche oder auch nur vorwiegende Anlegung
von Sparkassengeldern in Staatspapieren des eigenen Landes mit sich bringt,
können, wie Röscher") näher darlegt und auch von französischen Volkswirten
anerkannt wird, kaum deutlicher gezeigt werden, als an dem Beispiele der
französischen Sparkassen, welche seit langer Zeit ihre verfügbaren Bestände an
den Staat abliefern müssen. Infolge dieser engen Verbindung der Sparkasscn-
gelder mit den französischen Staatsfinanzen mußten die französischen Sparkassen
an allen politischen Bewegungen des Staates unmittelbar teilnehmen.

Das Einlegerguthaben, welches im Jahre 1847 538 Millionen betrug, ging
infolge der Februarrevolution auf 74 Millionen, also um 79 Prozent, zurück,
während z. B. im Königreich Preußen im Jahre 1348 nur ein Rückgang um
8 Prozent, im Königreich Sachsen nur ein Rückgang um 5 Prozent stattfand.

Während in den meisten deutschen Staaten das Durchschnittsguthaben eines
Einlegers stetig zugenommen hat, schwankte in Frankreich dieser Durchschnitts¬
betrag ganz außerordeutlich.

In diesen für die Geschäftsführung und Entwickelung des Sparkassenwesens
sehr nachteiligen Schwankungen zeigt sich aber ein enger Zusammenhang mit
der jeweiligen politischen Lage des Landes, als natürliche Folge der engen
Verbindung des Kredites der Sparkassen mit dem Kredite des Staates.

Erfahrungen traurigster Art machte im Jahre 1848 die große Pariser
Sparkasse, deren Einlegerguthaben binnen Jahresfrist von 80 auf 16 Millionen
Franken zusammenschmolz. Die Sparkasse mußte für 18 Millionen Franken
Wertpapiere mit einem Verluste von 2,65 Millionen Franken veräußen und
schließlich doch die Barzahlungen einstellen. Die Einleger wurden genötigt,



") Röscher a. a, O. S. 70 ff.
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[0036] Postsparkassen Ansammlung von Sparbeträgen befaßt, tritt er in ein Schuldverhältnis zu den Einlagen, das durch Kündigung der Einlagen jederzeit, meist in kurzen Rück- zahlungsfristen, gelöst werden kann. Er nimmt durch die Fürsorge für sichere und zugleich auskömmliche Anlage der Sparkapitalien eine seinem Wirkungskreise sonst fremde Verantwortlichkeit auf sich und greift als Anbietender auf das Treiben des Kreditmarktes mit ein. Die aus den Einrichtungen der Postspar¬ kassen sich ergebenden Kreditverhältnisse des Staates geben sowohl nach der passiven wie nach der aktiven Seite hin Anlaß zu großen Bedenken. Das schrankenlose Eingehen von Schulden ist mit den Voraussetzungen, an welche die Eingehung von Schuldverbindlichkeiten des Staates zur Sicherung des Staats¬ kredites wie zur Wahrung der Rechte der Landesvertretung sonst mit Recht gebunden ist, nicht leicht in Einklang zu bringen; auch besteht durch die Mög¬ lichkeit der Rückforderung mit kurzer Kündigungsfrist in Fällen von Krisen die große Gefahr eines allgemeinen Andranges, die deshalb besonders schwer ist, weil in derartigen Fällen der Staat ohnedies seine Mittel nicht entbehren kann und auf seine Kredite zurückzugreifen genötigt ist. Die Gefahren, welche die ausschließliche oder auch nur vorwiegende Anlegung von Sparkassengeldern in Staatspapieren des eigenen Landes mit sich bringt, können, wie Röscher") näher darlegt und auch von französischen Volkswirten anerkannt wird, kaum deutlicher gezeigt werden, als an dem Beispiele der französischen Sparkassen, welche seit langer Zeit ihre verfügbaren Bestände an den Staat abliefern müssen. Infolge dieser engen Verbindung der Sparkasscn- gelder mit den französischen Staatsfinanzen mußten die französischen Sparkassen an allen politischen Bewegungen des Staates unmittelbar teilnehmen. Das Einlegerguthaben, welches im Jahre 1847 538 Millionen betrug, ging infolge der Februarrevolution auf 74 Millionen, also um 79 Prozent, zurück, während z. B. im Königreich Preußen im Jahre 1348 nur ein Rückgang um 8 Prozent, im Königreich Sachsen nur ein Rückgang um 5 Prozent stattfand. Während in den meisten deutschen Staaten das Durchschnittsguthaben eines Einlegers stetig zugenommen hat, schwankte in Frankreich dieser Durchschnitts¬ betrag ganz außerordeutlich. In diesen für die Geschäftsführung und Entwickelung des Sparkassenwesens sehr nachteiligen Schwankungen zeigt sich aber ein enger Zusammenhang mit der jeweiligen politischen Lage des Landes, als natürliche Folge der engen Verbindung des Kredites der Sparkassen mit dem Kredite des Staates. Erfahrungen traurigster Art machte im Jahre 1848 die große Pariser Sparkasse, deren Einlegerguthaben binnen Jahresfrist von 80 auf 16 Millionen Franken zusammenschmolz. Die Sparkasse mußte für 18 Millionen Franken Wertpapiere mit einem Verluste von 2,65 Millionen Franken veräußen und schließlich doch die Barzahlungen einstellen. Die Einleger wurden genötigt, ") Röscher a. a, O. S. 70 ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/36>, abgerufen am 16.05.2024.