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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Für das Erbrecht des Reiches

weise zu großer Belästigung des Publikums, aber zu geringem Erfolge für die
Reichs- und Staatskasse führt. Wie viel Zeit verstreicht, bis sie überhaupt von
dem Sterbefall etwas erfährt! Bis zum vorigen Jahre hatten die Standes¬
beamten die sogenannten Totenlisten alle drei Monate einzureichen, nach neuerer
Bestimmung allmonatlich. Dann werden die Listen bearbeitet, es wird durch
Schriftwechsel ermittelt, wer vermutlich als Erbe anzusehen ist. Nach Verlauf
von mehreren Monaten fängt das Steueramt dann endlich an, Fragen zu
stellen, mittels eines langen, achtzehn Abteilungen umfassenden Fragebogens.
Binnen einer weiteren Frist von mindestens einem Monat soll der Erbe die
Steuererklärung abgeben. In diesem Zeitpunkt sind aber zuverlässige Ant¬
worten vielfach schon darum unmöglich, weil niemand mehr weiß, was über¬
haupt beim Tode des Erblassers vorhanden war. Häufig ist der Nachlaß kurz
nach der Beerdigung verteilt, manches ist verschenkt, manches abhanden gekommen,
vieles vergessen. Wie soll man drei oder vier Monate nach dem Sterbefall
angeben, wieviel bares Geld, welche Vorräte an Lebensmitteln, an Feuerung,
welche Kleidungsstücke am Todestage vorhanden waren? Das kann man doch
nur wissen, wenn ohne Verzug ein Verzeichnis aufgestellt ist. Sonst aber bringen
solche quälenden Fragen den Erben, der sie gemäß ausdrücklicher Versicherung
nach bestem Wissen und Gewissen beantworten soll, in eine Gewisfensbedrängnis,
die ebenso unerlaubt wie überflüssig ist. Eine sachgemäße Feststellung des
Nachlasses ist nur unverzüglich nach dein Sterbefall und nur so lange tunlich,
als der Nachlaß noch zusammen ist. Da ferner in der großen Mehrzahl der
Fälle der Erbe die Steuererklärung ohnehin nicht selbst aufstellt, sondern dies
durch einen Auktionator oder Rechtskonsulenten besorgen läßt, so ist es offenbar
zweckmäßiger, wenn das Verzeichnis des Nachlasses tunlichst schnell nach dem
Todesfall durch einen Beamten der Wohnsitzgemeinde aufgenommen wird. Es
ist zweckmäßig in Hinsicht auf das Staatsinteresse an der Steuer, aber auch
für den Erben selbst, der zu einer Zeit, in der es noch ohne Schwierigkeit
möglich ist, eine zuverlässige amtliche Übersicht über den Nachlaß gewinnt, ohne
morale- und jahrelangen Quälereien ausgesetzt zu sein. Die Sorgfalt in der
Aufnahme wird noch besonders befördert, wenn der Gemeinde auch für diese
Tätigkeit eine Vergütung gewährt wird, die in einem Anteil am Steuerbetrage
besteht. Unsere Betrachtung, die nur anscheinend von der Frage des Gemeinde¬
interesses an der Erbrechtsreform abschweift, führt mithin zu folgendem
Ergebnis:

In steuerpflichtigen Erdfällen hat die Wohnsitzgemeinde eine Woche nach
dem Sterbefall ein Verzeichnis des Nachlasses aufzunehmen. Sie hat außerdem
alle zweckdienlichen Schritte zur Feststellung des Nachlasses zu tun. Auf Antrag
eines Erben ist das Verzeichnis vor Ablauf einer Woche aufzunehmen. Ein
Erbe, der Nachlaßgegenstände vor der Aufnahme an sich nimmt, hat doppelte
Erbschaftssteuer zu entrichten. -- Erscheint es aus diesen Erwägungen schon bei
der Erhebung der Erbschaftssteuer im Interesse aller Beteiligten unerläßlich, daß


Für das Erbrecht des Reiches

weise zu großer Belästigung des Publikums, aber zu geringem Erfolge für die
Reichs- und Staatskasse führt. Wie viel Zeit verstreicht, bis sie überhaupt von
dem Sterbefall etwas erfährt! Bis zum vorigen Jahre hatten die Standes¬
beamten die sogenannten Totenlisten alle drei Monate einzureichen, nach neuerer
Bestimmung allmonatlich. Dann werden die Listen bearbeitet, es wird durch
Schriftwechsel ermittelt, wer vermutlich als Erbe anzusehen ist. Nach Verlauf
von mehreren Monaten fängt das Steueramt dann endlich an, Fragen zu
stellen, mittels eines langen, achtzehn Abteilungen umfassenden Fragebogens.
Binnen einer weiteren Frist von mindestens einem Monat soll der Erbe die
Steuererklärung abgeben. In diesem Zeitpunkt sind aber zuverlässige Ant¬
worten vielfach schon darum unmöglich, weil niemand mehr weiß, was über¬
haupt beim Tode des Erblassers vorhanden war. Häufig ist der Nachlaß kurz
nach der Beerdigung verteilt, manches ist verschenkt, manches abhanden gekommen,
vieles vergessen. Wie soll man drei oder vier Monate nach dem Sterbefall
angeben, wieviel bares Geld, welche Vorräte an Lebensmitteln, an Feuerung,
welche Kleidungsstücke am Todestage vorhanden waren? Das kann man doch
nur wissen, wenn ohne Verzug ein Verzeichnis aufgestellt ist. Sonst aber bringen
solche quälenden Fragen den Erben, der sie gemäß ausdrücklicher Versicherung
nach bestem Wissen und Gewissen beantworten soll, in eine Gewisfensbedrängnis,
die ebenso unerlaubt wie überflüssig ist. Eine sachgemäße Feststellung des
Nachlasses ist nur unverzüglich nach dein Sterbefall und nur so lange tunlich,
als der Nachlaß noch zusammen ist. Da ferner in der großen Mehrzahl der
Fälle der Erbe die Steuererklärung ohnehin nicht selbst aufstellt, sondern dies
durch einen Auktionator oder Rechtskonsulenten besorgen läßt, so ist es offenbar
zweckmäßiger, wenn das Verzeichnis des Nachlasses tunlichst schnell nach dem
Todesfall durch einen Beamten der Wohnsitzgemeinde aufgenommen wird. Es
ist zweckmäßig in Hinsicht auf das Staatsinteresse an der Steuer, aber auch
für den Erben selbst, der zu einer Zeit, in der es noch ohne Schwierigkeit
möglich ist, eine zuverlässige amtliche Übersicht über den Nachlaß gewinnt, ohne
morale- und jahrelangen Quälereien ausgesetzt zu sein. Die Sorgfalt in der
Aufnahme wird noch besonders befördert, wenn der Gemeinde auch für diese
Tätigkeit eine Vergütung gewährt wird, die in einem Anteil am Steuerbetrage
besteht. Unsere Betrachtung, die nur anscheinend von der Frage des Gemeinde¬
interesses an der Erbrechtsreform abschweift, führt mithin zu folgendem
Ergebnis:

In steuerpflichtigen Erdfällen hat die Wohnsitzgemeinde eine Woche nach
dem Sterbefall ein Verzeichnis des Nachlasses aufzunehmen. Sie hat außerdem
alle zweckdienlichen Schritte zur Feststellung des Nachlasses zu tun. Auf Antrag
eines Erben ist das Verzeichnis vor Ablauf einer Woche aufzunehmen. Ein
Erbe, der Nachlaßgegenstände vor der Aufnahme an sich nimmt, hat doppelte
Erbschaftssteuer zu entrichten. — Erscheint es aus diesen Erwägungen schon bei
der Erhebung der Erbschaftssteuer im Interesse aller Beteiligten unerläßlich, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/66>, abgerufen am 31.05.2024.