Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zu Flecken

"Habt ihr den auf dem Markte gekauft?" fragte Okolitsch lachend.

"Wo? HerrI Wer wird ein solches Schwein kaufen! Er ist unser Nachbar.
Er hat in der Schenke gesessen und sein Sohn ist unterdessen nach Hause gefahren.
Wir haben ihn mitgenommen, damit er nicht irgendwo liegen bleibe und über¬
fahren werde."

"Jäger, gib mir meinen Grischka", fuhr der Mann fort zu schreien und warf
sich umher, daß die Mädchen alle Kraft aufbieten mußten, um ihn vor dein Hinaus¬
fallen zu wahren.

Lautes Brüllen und Johlen näherte sich rasch. Wohl gegen zwanzig Bauern¬
wagen kamen an, im Galopp von den mageren Pferden gezogen, in einem wirren
Haufen die ganze Breite der Chaussee einnehmend. Die Lenker standen teils auf¬
recht, suchten einander zuvorzukommen und trieben die Tiere durch Schreien und
Schläge zur äußersten Anstrengung an. So sausten sie vorüber. Der Chaussee¬
schmutz flog weit über die Gräben zu beiden Seiten hinaus.

"Wenn sie nur weiter so jagen möchten!" brummte Okolitsch, der sich gegen
den ärgsten Schmutz hinter einem Werstpfosten geborgen hatte. "Aber daran ist
gar nicht zu denken."

Richtig, da hielt bereits der Haufe. Ein Gefährt lag auf der Seite. Die
Speichen eines der alten unbeschlagenen Räder waren aus den Fugen gewichen.
Die Bauern standen herum und betrachteten kopfschüttelnd und kopfkratzend die
Trümmer des Rades.

Mit Genugtuung blickte Okolitsch auf die umhergestreuten Radstücke. Jetzt
lag die Hoffnung nah, daß die betrunkene Bande ihn nicht so bald überholen werde.

"Gott helfe das Rad ausbessern", sprach er mit verborgener Schadenfreude
im Vorübergehen.

Die Leute guckten ihn mißtrauisch an; nur einer bequemte sich brummig zu
antworten:

"Wir danken."

Ein langer Kerl aber wandte den Kopf zu ihm und fuhr ihn barsch an:

"Nu, geh vorbei."

Ein greulich unanständiger Fluch schloß die Aufforderung.

Okolitsch sagte nichts. Wenn betrunkene Bauern in großer Überzahl bei¬
sammen sind, läßt sich mit ihnen nicht reden. Er blickte nur scharf hin, um sich
den Kerl für alle Fälle zu merken. Er war stark gebaut und hatte ein ungewöhnlich
freches Gesicht mit kleinen, stechenden Augen und einem schlichten, gelbblonden Barte.

Etwa eine halbe Werst weiter zweigte sich von der Chaussee ein breiter Land¬
weg ab. Diese nach der Kaiserin Katharina genannten Wege bilden noch jetzt an
vielen Stellen eine Wohltat für die Bevölkerung, tragen besonders in den nörd¬
lichen Gegenden, wo sie mit Birken bepflanzt sind, zum Schmuck der Landschaft
bei und lenken namentlich im Sommer in der Sonnenhitze die Gedanken des
Wanderers dankbar zu der Zeit der großen Kaiserin zurück. Viele Tausende von
Wersten ziehen sich diese Wege von Stadt zu Stadt und legen Zeugnis ab von
der rührigen zivilisatorischer Tätigkeit jener Glanzperiode. Noch vor kurzem ist
von der Regierung wieder der Befehl erlassen, die alten Bäume an den Katharinen-
wegen zu schonen und zu schützen und überall, wo sie nicht mehr vorhanden sind,
neue Bäume als Ersatz anzupflanzen.


Zu Flecken

„Habt ihr den auf dem Markte gekauft?" fragte Okolitsch lachend.

„Wo? HerrI Wer wird ein solches Schwein kaufen! Er ist unser Nachbar.
Er hat in der Schenke gesessen und sein Sohn ist unterdessen nach Hause gefahren.
Wir haben ihn mitgenommen, damit er nicht irgendwo liegen bleibe und über¬
fahren werde."

„Jäger, gib mir meinen Grischka", fuhr der Mann fort zu schreien und warf
sich umher, daß die Mädchen alle Kraft aufbieten mußten, um ihn vor dein Hinaus¬
fallen zu wahren.

Lautes Brüllen und Johlen näherte sich rasch. Wohl gegen zwanzig Bauern¬
wagen kamen an, im Galopp von den mageren Pferden gezogen, in einem wirren
Haufen die ganze Breite der Chaussee einnehmend. Die Lenker standen teils auf¬
recht, suchten einander zuvorzukommen und trieben die Tiere durch Schreien und
Schläge zur äußersten Anstrengung an. So sausten sie vorüber. Der Chaussee¬
schmutz flog weit über die Gräben zu beiden Seiten hinaus.

„Wenn sie nur weiter so jagen möchten!" brummte Okolitsch, der sich gegen
den ärgsten Schmutz hinter einem Werstpfosten geborgen hatte. „Aber daran ist
gar nicht zu denken."

Richtig, da hielt bereits der Haufe. Ein Gefährt lag auf der Seite. Die
Speichen eines der alten unbeschlagenen Räder waren aus den Fugen gewichen.
Die Bauern standen herum und betrachteten kopfschüttelnd und kopfkratzend die
Trümmer des Rades.

Mit Genugtuung blickte Okolitsch auf die umhergestreuten Radstücke. Jetzt
lag die Hoffnung nah, daß die betrunkene Bande ihn nicht so bald überholen werde.

„Gott helfe das Rad ausbessern", sprach er mit verborgener Schadenfreude
im Vorübergehen.

Die Leute guckten ihn mißtrauisch an; nur einer bequemte sich brummig zu
antworten:

„Wir danken."

Ein langer Kerl aber wandte den Kopf zu ihm und fuhr ihn barsch an:

„Nu, geh vorbei."

Ein greulich unanständiger Fluch schloß die Aufforderung.

Okolitsch sagte nichts. Wenn betrunkene Bauern in großer Überzahl bei¬
sammen sind, läßt sich mit ihnen nicht reden. Er blickte nur scharf hin, um sich
den Kerl für alle Fälle zu merken. Er war stark gebaut und hatte ein ungewöhnlich
freches Gesicht mit kleinen, stechenden Augen und einem schlichten, gelbblonden Barte.

Etwa eine halbe Werst weiter zweigte sich von der Chaussee ein breiter Land¬
weg ab. Diese nach der Kaiserin Katharina genannten Wege bilden noch jetzt an
vielen Stellen eine Wohltat für die Bevölkerung, tragen besonders in den nörd¬
lichen Gegenden, wo sie mit Birken bepflanzt sind, zum Schmuck der Landschaft
bei und lenken namentlich im Sommer in der Sonnenhitze die Gedanken des
Wanderers dankbar zu der Zeit der großen Kaiserin zurück. Viele Tausende von
Wersten ziehen sich diese Wege von Stadt zu Stadt und legen Zeugnis ab von
der rührigen zivilisatorischer Tätigkeit jener Glanzperiode. Noch vor kurzem ist
von der Regierung wieder der Befehl erlassen, die alten Bäume an den Katharinen-
wegen zu schonen und zu schützen und überall, wo sie nicht mehr vorhanden sind,
neue Bäume als Ersatz anzupflanzen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0086" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317037"/>
          <fw type="header" place="top"> Zu Flecken</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_253"> &#x201E;Habt ihr den auf dem Markte gekauft?" fragte Okolitsch lachend.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_254"> &#x201E;Wo? HerrI Wer wird ein solches Schwein kaufen! Er ist unser Nachbar.<lb/>
Er hat in der Schenke gesessen und sein Sohn ist unterdessen nach Hause gefahren.<lb/>
Wir haben ihn mitgenommen, damit er nicht irgendwo liegen bleibe und über¬<lb/>
fahren werde."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_255"> &#x201E;Jäger, gib mir meinen Grischka", fuhr der Mann fort zu schreien und warf<lb/>
sich umher, daß die Mädchen alle Kraft aufbieten mußten, um ihn vor dein Hinaus¬<lb/>
fallen zu wahren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_256"> Lautes Brüllen und Johlen näherte sich rasch. Wohl gegen zwanzig Bauern¬<lb/>
wagen kamen an, im Galopp von den mageren Pferden gezogen, in einem wirren<lb/>
Haufen die ganze Breite der Chaussee einnehmend. Die Lenker standen teils auf¬<lb/>
recht, suchten einander zuvorzukommen und trieben die Tiere durch Schreien und<lb/>
Schläge zur äußersten Anstrengung an. So sausten sie vorüber. Der Chaussee¬<lb/>
schmutz flog weit über die Gräben zu beiden Seiten hinaus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_257"> &#x201E;Wenn sie nur weiter so jagen möchten!" brummte Okolitsch, der sich gegen<lb/>
den ärgsten Schmutz hinter einem Werstpfosten geborgen hatte. &#x201E;Aber daran ist<lb/>
gar nicht zu denken."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_258"> Richtig, da hielt bereits der Haufe. Ein Gefährt lag auf der Seite. Die<lb/>
Speichen eines der alten unbeschlagenen Räder waren aus den Fugen gewichen.<lb/>
Die Bauern standen herum und betrachteten kopfschüttelnd und kopfkratzend die<lb/>
Trümmer des Rades.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_259"> Mit Genugtuung blickte Okolitsch auf die umhergestreuten Radstücke. Jetzt<lb/>
lag die Hoffnung nah, daß die betrunkene Bande ihn nicht so bald überholen werde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_260"> &#x201E;Gott helfe das Rad ausbessern", sprach er mit verborgener Schadenfreude<lb/>
im Vorübergehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_261"> Die Leute guckten ihn mißtrauisch an; nur einer bequemte sich brummig zu<lb/>
antworten:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_262"> &#x201E;Wir danken."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_263"> Ein langer Kerl aber wandte den Kopf zu ihm und fuhr ihn barsch an:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_264"> &#x201E;Nu, geh vorbei."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_265"> Ein greulich unanständiger Fluch schloß die Aufforderung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_266"> Okolitsch sagte nichts. Wenn betrunkene Bauern in großer Überzahl bei¬<lb/>
sammen sind, läßt sich mit ihnen nicht reden. Er blickte nur scharf hin, um sich<lb/>
den Kerl für alle Fälle zu merken. Er war stark gebaut und hatte ein ungewöhnlich<lb/>
freches Gesicht mit kleinen, stechenden Augen und einem schlichten, gelbblonden Barte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_267"> Etwa eine halbe Werst weiter zweigte sich von der Chaussee ein breiter Land¬<lb/>
weg ab. Diese nach der Kaiserin Katharina genannten Wege bilden noch jetzt an<lb/>
vielen Stellen eine Wohltat für die Bevölkerung, tragen besonders in den nörd¬<lb/>
lichen Gegenden, wo sie mit Birken bepflanzt sind, zum Schmuck der Landschaft<lb/>
bei und lenken namentlich im Sommer in der Sonnenhitze die Gedanken des<lb/>
Wanderers dankbar zu der Zeit der großen Kaiserin zurück. Viele Tausende von<lb/>
Wersten ziehen sich diese Wege von Stadt zu Stadt und legen Zeugnis ab von<lb/>
der rührigen zivilisatorischer Tätigkeit jener Glanzperiode. Noch vor kurzem ist<lb/>
von der Regierung wieder der Befehl erlassen, die alten Bäume an den Katharinen-<lb/>
wegen zu schonen und zu schützen und überall, wo sie nicht mehr vorhanden sind,<lb/>
neue Bäume als Ersatz anzupflanzen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0086] Zu Flecken „Habt ihr den auf dem Markte gekauft?" fragte Okolitsch lachend. „Wo? HerrI Wer wird ein solches Schwein kaufen! Er ist unser Nachbar. Er hat in der Schenke gesessen und sein Sohn ist unterdessen nach Hause gefahren. Wir haben ihn mitgenommen, damit er nicht irgendwo liegen bleibe und über¬ fahren werde." „Jäger, gib mir meinen Grischka", fuhr der Mann fort zu schreien und warf sich umher, daß die Mädchen alle Kraft aufbieten mußten, um ihn vor dein Hinaus¬ fallen zu wahren. Lautes Brüllen und Johlen näherte sich rasch. Wohl gegen zwanzig Bauern¬ wagen kamen an, im Galopp von den mageren Pferden gezogen, in einem wirren Haufen die ganze Breite der Chaussee einnehmend. Die Lenker standen teils auf¬ recht, suchten einander zuvorzukommen und trieben die Tiere durch Schreien und Schläge zur äußersten Anstrengung an. So sausten sie vorüber. Der Chaussee¬ schmutz flog weit über die Gräben zu beiden Seiten hinaus. „Wenn sie nur weiter so jagen möchten!" brummte Okolitsch, der sich gegen den ärgsten Schmutz hinter einem Werstpfosten geborgen hatte. „Aber daran ist gar nicht zu denken." Richtig, da hielt bereits der Haufe. Ein Gefährt lag auf der Seite. Die Speichen eines der alten unbeschlagenen Räder waren aus den Fugen gewichen. Die Bauern standen herum und betrachteten kopfschüttelnd und kopfkratzend die Trümmer des Rades. Mit Genugtuung blickte Okolitsch auf die umhergestreuten Radstücke. Jetzt lag die Hoffnung nah, daß die betrunkene Bande ihn nicht so bald überholen werde. „Gott helfe das Rad ausbessern", sprach er mit verborgener Schadenfreude im Vorübergehen. Die Leute guckten ihn mißtrauisch an; nur einer bequemte sich brummig zu antworten: „Wir danken." Ein langer Kerl aber wandte den Kopf zu ihm und fuhr ihn barsch an: „Nu, geh vorbei." Ein greulich unanständiger Fluch schloß die Aufforderung. Okolitsch sagte nichts. Wenn betrunkene Bauern in großer Überzahl bei¬ sammen sind, läßt sich mit ihnen nicht reden. Er blickte nur scharf hin, um sich den Kerl für alle Fälle zu merken. Er war stark gebaut und hatte ein ungewöhnlich freches Gesicht mit kleinen, stechenden Augen und einem schlichten, gelbblonden Barte. Etwa eine halbe Werst weiter zweigte sich von der Chaussee ein breiter Land¬ weg ab. Diese nach der Kaiserin Katharina genannten Wege bilden noch jetzt an vielen Stellen eine Wohltat für die Bevölkerung, tragen besonders in den nörd¬ lichen Gegenden, wo sie mit Birken bepflanzt sind, zum Schmuck der Landschaft bei und lenken namentlich im Sommer in der Sonnenhitze die Gedanken des Wanderers dankbar zu der Zeit der großen Kaiserin zurück. Viele Tausende von Wersten ziehen sich diese Wege von Stadt zu Stadt und legen Zeugnis ab von der rührigen zivilisatorischer Tätigkeit jener Glanzperiode. Noch vor kurzem ist von der Regierung wieder der Befehl erlassen, die alten Bäume an den Katharinen- wegen zu schonen und zu schützen und überall, wo sie nicht mehr vorhanden sind, neue Bäume als Ersatz anzupflanzen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/86
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/86>, abgerufen am 29.05.2024.