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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Das Glück des Hauses Rottland

Annahme des weißen Prämonstratenserinnenhabits eine Ruhestätte unter den
alten Birnbäumen des Klostergartens zu erkaufen.

"Sie sind nun doch zur rmson gekommen," sagte Herr Salentin, nachdem
er den Brief zu Ende gelesen hatte, "aber auf eine andere msniöre, als ich bei
ihrer pisäileLtivn für Haus Rottland supponieren mußte."




Es war in dem alten Renthanse still und einsam: geworden, seit die beiden
Damen, die bis dahin den Verkehr mit der Welt und dem Himmel aufrecht
erhalten hatten, von bannen gezogen waren. Ein Tag verlief jetzt wie der andere.
Wären Saat und Ernte nicht gewesen, so hätte der Freiherr gar nicht gemerkt,
wie ein Jahr nach dem andern dahinging. Freilich: einen Maßstab für den
raschen Flug der Zeit hatte er doch nocht Er brauchte nur den kleinen Ferdinand
anzuschauen, der jetzt als ein sechsjähriges Bürschlein in Haus und Hof sein
schweigsames Wesen trieb, und dessen Gebrechen sich auf alle Mitbewohner von
Haus Rottland übertragen zu haben schien. Denn der Kleine war nun einmal
die Hauptperson, um die sich im Grunde genommen alles drehte, und wenn die
Hauptperson stumm war, wozu brauchten da die andern noch Worte zu machen?

Merge vermied es nach Möglichkeit, mit ihrem Gatten zusammenzukommen.
Sie hauste mit dem Kinde in dem ehemaligen Gemache der Schwägerinnen und
griff, wenn der Knabe schlief oder im Garten spielte, bei der Arbeit der beiden
alten Mägde wacker mit zu. Aber sie sprach kaum ein Wort, und in ihrer Nähe
verstummte auch das Gesinde, dem es nicht in den Kopf wollte, daß es in der
einstigen Herrin und Hausfrau nun seinesgleichen zu sehen hatte.

Das Kind war unter der aufopfernden Pflege der Mutter körperlich trefflich
gediehen, aber seine verkümmerte Seele entfaltete sich nur langsam. Allmählich,
ganz allmählich lernte Merge, sich mit dein unglücklichen Geschöpf zu verständigen,
dann aber erkannte sie von Tag zu Tag deutlicher, daß der Geist des Kindes für
die mannigfachen Eindrücke empfänglich zu werden begann, die ihm durch das
Gesicht und das Gefühl vermittelt wurden. Durch einen Zufall war der Kleine
auf die Laute aufmerksam geworden, die seit langem wieder an ihrem alten
Platz auf dem Boden hing, und deren Anblick die junge Mutier immer peinlich
berührte. Die kleine Hand streckte sich begehrlich nach dem Instrument aus, und
die dunkeln Kinderaugen hefteten sich so eindringlich auf Mergens Antlitz, daß
sie ihren Widerwillen bezwang und die Laute herablangte.

Sie setzte sich auf die Bodentreppe, zog die Wirbel an und ließ die Saiten
^ise schwingen. Der Knabe, der neben ihr hockte, sah dem Tun der Mutter
verwundert zu und legte, einer inneren Eingebung folgend, die Spitzen seiner
Nngerchen auf den Schallkasten des Instruments.

Eine ganze Weile verharrte er wie versteinert, dann überflog sein Gesichtchen
ein Schimmer ungeahnten Glücks, er kletterte eine Stufe höher, schlang seine
Ärmchen in einer Aufwallung von stürmischer Zärtlichkeit um den Hals der
Zauberin, die ihm eine neue, fremde Welt erschlossen hatte, und bedeckte ihr
Antlitz mit heißen Küssen. Es war die erste Äußerung einer unendlichen Dank-
barkeit.


Das Glück des Hauses Rottland

Annahme des weißen Prämonstratenserinnenhabits eine Ruhestätte unter den
alten Birnbäumen des Klostergartens zu erkaufen.

„Sie sind nun doch zur rmson gekommen," sagte Herr Salentin, nachdem
er den Brief zu Ende gelesen hatte, „aber auf eine andere msniöre, als ich bei
ihrer pisäileLtivn für Haus Rottland supponieren mußte."




Es war in dem alten Renthanse still und einsam: geworden, seit die beiden
Damen, die bis dahin den Verkehr mit der Welt und dem Himmel aufrecht
erhalten hatten, von bannen gezogen waren. Ein Tag verlief jetzt wie der andere.
Wären Saat und Ernte nicht gewesen, so hätte der Freiherr gar nicht gemerkt,
wie ein Jahr nach dem andern dahinging. Freilich: einen Maßstab für den
raschen Flug der Zeit hatte er doch nocht Er brauchte nur den kleinen Ferdinand
anzuschauen, der jetzt als ein sechsjähriges Bürschlein in Haus und Hof sein
schweigsames Wesen trieb, und dessen Gebrechen sich auf alle Mitbewohner von
Haus Rottland übertragen zu haben schien. Denn der Kleine war nun einmal
die Hauptperson, um die sich im Grunde genommen alles drehte, und wenn die
Hauptperson stumm war, wozu brauchten da die andern noch Worte zu machen?

Merge vermied es nach Möglichkeit, mit ihrem Gatten zusammenzukommen.
Sie hauste mit dem Kinde in dem ehemaligen Gemache der Schwägerinnen und
griff, wenn der Knabe schlief oder im Garten spielte, bei der Arbeit der beiden
alten Mägde wacker mit zu. Aber sie sprach kaum ein Wort, und in ihrer Nähe
verstummte auch das Gesinde, dem es nicht in den Kopf wollte, daß es in der
einstigen Herrin und Hausfrau nun seinesgleichen zu sehen hatte.

Das Kind war unter der aufopfernden Pflege der Mutter körperlich trefflich
gediehen, aber seine verkümmerte Seele entfaltete sich nur langsam. Allmählich,
ganz allmählich lernte Merge, sich mit dein unglücklichen Geschöpf zu verständigen,
dann aber erkannte sie von Tag zu Tag deutlicher, daß der Geist des Kindes für
die mannigfachen Eindrücke empfänglich zu werden begann, die ihm durch das
Gesicht und das Gefühl vermittelt wurden. Durch einen Zufall war der Kleine
auf die Laute aufmerksam geworden, die seit langem wieder an ihrem alten
Platz auf dem Boden hing, und deren Anblick die junge Mutier immer peinlich
berührte. Die kleine Hand streckte sich begehrlich nach dem Instrument aus, und
die dunkeln Kinderaugen hefteten sich so eindringlich auf Mergens Antlitz, daß
sie ihren Widerwillen bezwang und die Laute herablangte.

Sie setzte sich auf die Bodentreppe, zog die Wirbel an und ließ die Saiten
^ise schwingen. Der Knabe, der neben ihr hockte, sah dem Tun der Mutter
verwundert zu und legte, einer inneren Eingebung folgend, die Spitzen seiner
Nngerchen auf den Schallkasten des Instruments.

Eine ganze Weile verharrte er wie versteinert, dann überflog sein Gesichtchen
ein Schimmer ungeahnten Glücks, er kletterte eine Stufe höher, schlang seine
Ärmchen in einer Aufwallung von stürmischer Zärtlichkeit um den Hals der
Zauberin, die ihm eine neue, fremde Welt erschlossen hatte, und bedeckte ihr
Antlitz mit heißen Küssen. Es war die erste Äußerung einer unendlichen Dank-
barkeit.


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[0451] Das Glück des Hauses Rottland Annahme des weißen Prämonstratenserinnenhabits eine Ruhestätte unter den alten Birnbäumen des Klostergartens zu erkaufen. „Sie sind nun doch zur rmson gekommen," sagte Herr Salentin, nachdem er den Brief zu Ende gelesen hatte, „aber auf eine andere msniöre, als ich bei ihrer pisäileLtivn für Haus Rottland supponieren mußte." Es war in dem alten Renthanse still und einsam: geworden, seit die beiden Damen, die bis dahin den Verkehr mit der Welt und dem Himmel aufrecht erhalten hatten, von bannen gezogen waren. Ein Tag verlief jetzt wie der andere. Wären Saat und Ernte nicht gewesen, so hätte der Freiherr gar nicht gemerkt, wie ein Jahr nach dem andern dahinging. Freilich: einen Maßstab für den raschen Flug der Zeit hatte er doch nocht Er brauchte nur den kleinen Ferdinand anzuschauen, der jetzt als ein sechsjähriges Bürschlein in Haus und Hof sein schweigsames Wesen trieb, und dessen Gebrechen sich auf alle Mitbewohner von Haus Rottland übertragen zu haben schien. Denn der Kleine war nun einmal die Hauptperson, um die sich im Grunde genommen alles drehte, und wenn die Hauptperson stumm war, wozu brauchten da die andern noch Worte zu machen? Merge vermied es nach Möglichkeit, mit ihrem Gatten zusammenzukommen. Sie hauste mit dem Kinde in dem ehemaligen Gemache der Schwägerinnen und griff, wenn der Knabe schlief oder im Garten spielte, bei der Arbeit der beiden alten Mägde wacker mit zu. Aber sie sprach kaum ein Wort, und in ihrer Nähe verstummte auch das Gesinde, dem es nicht in den Kopf wollte, daß es in der einstigen Herrin und Hausfrau nun seinesgleichen zu sehen hatte. Das Kind war unter der aufopfernden Pflege der Mutter körperlich trefflich gediehen, aber seine verkümmerte Seele entfaltete sich nur langsam. Allmählich, ganz allmählich lernte Merge, sich mit dein unglücklichen Geschöpf zu verständigen, dann aber erkannte sie von Tag zu Tag deutlicher, daß der Geist des Kindes für die mannigfachen Eindrücke empfänglich zu werden begann, die ihm durch das Gesicht und das Gefühl vermittelt wurden. Durch einen Zufall war der Kleine auf die Laute aufmerksam geworden, die seit langem wieder an ihrem alten Platz auf dem Boden hing, und deren Anblick die junge Mutier immer peinlich berührte. Die kleine Hand streckte sich begehrlich nach dem Instrument aus, und die dunkeln Kinderaugen hefteten sich so eindringlich auf Mergens Antlitz, daß sie ihren Widerwillen bezwang und die Laute herablangte. Sie setzte sich auf die Bodentreppe, zog die Wirbel an und ließ die Saiten ^ise schwingen. Der Knabe, der neben ihr hockte, sah dem Tun der Mutter verwundert zu und legte, einer inneren Eingebung folgend, die Spitzen seiner Nngerchen auf den Schallkasten des Instruments. Eine ganze Weile verharrte er wie versteinert, dann überflog sein Gesichtchen ein Schimmer ungeahnten Glücks, er kletterte eine Stufe höher, schlang seine Ärmchen in einer Aufwallung von stürmischer Zärtlichkeit um den Hals der Zauberin, die ihm eine neue, fremde Welt erschlossen hatte, und bedeckte ihr Antlitz mit heißen Küssen. Es war die erste Äußerung einer unendlichen Dank- barkeit.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/451>, abgerufen am 15.05.2024.