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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

Wie es heißt, sollen auch Kreise, die dem Herrn Reichskanzler nicht ganz fern
stehen, die Haltung Bassermanns mißbilligen.

Wer das Streben der Konservativen und Rechtsliberalen gutheißt, über¬
sieht und ignoriert die historische Grundlage des heutigen Kampfes, übersieht
auch, welche Aufgabe der nationalliberalen Jugend zugefallen ist. Die Jung¬
liberalen sind die eigentlichen Vertreter des "neuen Mittelstandes", d. h. der In¬
tellektuellen, der Privatangestellten und eines Teiles der Staatsbeamten, die
dank dem Lose, das ihnen zugefallen, den Höhenflug der jungen Unternehmer-
Aristokratie nicht mitmachen konnten. Die Jungliberalen sind daher, obwohl
nationale Idealisten im besten Sinne, ähnlich wie die Sozialdemokraten für das
Arbeiterproletariat, Vertreter der großen unorganisierten Gewerkschaft des
geistigen Proletariats. Das macht sie aber auch zugleich zur einzigen organi¬
sierten Kerntruppe inmitten des neuen Mittelstandes, die es versteht, den
Sozialdemokraten Mitläufer abzujagen. Daß unter diesen Voraussetzungen der
bürgerliche Staat und die bürgerliche Gesellschaft ein großes Interesse daran
hat, die Jungliberalen im Anschluß an eine erprobte nationale Partei im Reichs¬
tage zu Worte kommen zu lassen, ergibt sich aus einer Betrachtung, die
K. Kautsky im Vorwärts (Ur. 47) anstellt. Dort finden wir über den
neuen Mittelstand folgende Angaben:

"Keine Bevölkerungsschicht nimmt in der modernen Gesellschaft so rasch zu, wie diese.
Seit 1882 betrug in Landwirtschaft, Industrie und Handel die Zahl der männlichen Erwerbs¬
tätigen:





Während die Zahl der selbständigen in den? betrachteten Zeitraum von 25 Jahren
fast gleich blieb, vermehrten sich die männlichen Lohnarbeiter um ungefähr die Hälfte, die
Zahl der Angestellten dagegen vervierfachte sich.

Am raschesten nahm ihre Zahl in der Industrie zu, am langsamsten in der Landwirt¬
schaft. Man zählte männliche Angestellte in:





Reichsspiegel

Wie es heißt, sollen auch Kreise, die dem Herrn Reichskanzler nicht ganz fern
stehen, die Haltung Bassermanns mißbilligen.

Wer das Streben der Konservativen und Rechtsliberalen gutheißt, über¬
sieht und ignoriert die historische Grundlage des heutigen Kampfes, übersieht
auch, welche Aufgabe der nationalliberalen Jugend zugefallen ist. Die Jung¬
liberalen sind die eigentlichen Vertreter des „neuen Mittelstandes", d. h. der In¬
tellektuellen, der Privatangestellten und eines Teiles der Staatsbeamten, die
dank dem Lose, das ihnen zugefallen, den Höhenflug der jungen Unternehmer-
Aristokratie nicht mitmachen konnten. Die Jungliberalen sind daher, obwohl
nationale Idealisten im besten Sinne, ähnlich wie die Sozialdemokraten für das
Arbeiterproletariat, Vertreter der großen unorganisierten Gewerkschaft des
geistigen Proletariats. Das macht sie aber auch zugleich zur einzigen organi¬
sierten Kerntruppe inmitten des neuen Mittelstandes, die es versteht, den
Sozialdemokraten Mitläufer abzujagen. Daß unter diesen Voraussetzungen der
bürgerliche Staat und die bürgerliche Gesellschaft ein großes Interesse daran
hat, die Jungliberalen im Anschluß an eine erprobte nationale Partei im Reichs¬
tage zu Worte kommen zu lassen, ergibt sich aus einer Betrachtung, die
K. Kautsky im Vorwärts (Ur. 47) anstellt. Dort finden wir über den
neuen Mittelstand folgende Angaben:

„Keine Bevölkerungsschicht nimmt in der modernen Gesellschaft so rasch zu, wie diese.
Seit 1882 betrug in Landwirtschaft, Industrie und Handel die Zahl der männlichen Erwerbs¬
tätigen:





Während die Zahl der selbständigen in den? betrachteten Zeitraum von 25 Jahren
fast gleich blieb, vermehrten sich die männlichen Lohnarbeiter um ungefähr die Hälfte, die
Zahl der Angestellten dagegen vervierfachte sich.

Am raschesten nahm ihre Zahl in der Industrie zu, am langsamsten in der Landwirt¬
schaft. Man zählte männliche Angestellte in:





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[0454] Reichsspiegel Wie es heißt, sollen auch Kreise, die dem Herrn Reichskanzler nicht ganz fern stehen, die Haltung Bassermanns mißbilligen. Wer das Streben der Konservativen und Rechtsliberalen gutheißt, über¬ sieht und ignoriert die historische Grundlage des heutigen Kampfes, übersieht auch, welche Aufgabe der nationalliberalen Jugend zugefallen ist. Die Jung¬ liberalen sind die eigentlichen Vertreter des „neuen Mittelstandes", d. h. der In¬ tellektuellen, der Privatangestellten und eines Teiles der Staatsbeamten, die dank dem Lose, das ihnen zugefallen, den Höhenflug der jungen Unternehmer- Aristokratie nicht mitmachen konnten. Die Jungliberalen sind daher, obwohl nationale Idealisten im besten Sinne, ähnlich wie die Sozialdemokraten für das Arbeiterproletariat, Vertreter der großen unorganisierten Gewerkschaft des geistigen Proletariats. Das macht sie aber auch zugleich zur einzigen organi¬ sierten Kerntruppe inmitten des neuen Mittelstandes, die es versteht, den Sozialdemokraten Mitläufer abzujagen. Daß unter diesen Voraussetzungen der bürgerliche Staat und die bürgerliche Gesellschaft ein großes Interesse daran hat, die Jungliberalen im Anschluß an eine erprobte nationale Partei im Reichs¬ tage zu Worte kommen zu lassen, ergibt sich aus einer Betrachtung, die K. Kautsky im Vorwärts (Ur. 47) anstellt. Dort finden wir über den neuen Mittelstand folgende Angaben: „Keine Bevölkerungsschicht nimmt in der modernen Gesellschaft so rasch zu, wie diese. Seit 1882 betrug in Landwirtschaft, Industrie und Handel die Zahl der männlichen Erwerbs¬ tätigen: SelbständigeAngestellteArbeiter JahrAbsolute ZahlProz. d. Er¬ werbstätigen der drei Be¬ rufsartenAbsolute ZahlProzent der Er¬ werbs¬ tätigenAbsolute ZahlProzent der Er¬ werbs¬ tätigen 18824 183 46934.17296 9672.427 763 06863.41 18954 406 03931.33682 4074.14S 071 88864.53 19074 43812326.131 130 8396.6611413 89267.21 Während die Zahl der selbständigen in den? betrachteten Zeitraum von 25 Jahren fast gleich blieb, vermehrten sich die männlichen Lohnarbeiter um ungefähr die Hälfte, die Zahl der Angestellten dagegen vervierfachte sich. Am raschesten nahm ihre Zahl in der Industrie zu, am langsamsten in der Landwirt¬ schaft. Man zählte männliche Angestellte in: LandwirtschaftHandelIndustrie JahrAbsolute ZahlProz. d. Er¬ werbstätigen des BerufsAbsolute ZahlProz. der Erwerbs¬ tätigen des BerufsAbsolute ZahlProz. der Erwerbs¬ tätigen des Berufs 188260 7631.07138 38710.8896 8071.84 189578 0661.41249 92014.21264 4213.76 190782 6481.66426 22016.74622 0716.80

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/454>, abgerufen am 31.05.2024.