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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Altnordische und altdeutsche Prosa

Ihrem Aufbau nach schreitet die Jsländergeschichte in Szenen dahin, die
von verbindenden Bericht umsponnen werden. Als "dünnen Bericht" und
"geschaute Auftritte" hat Heusler diese wichtigsten Darstellungsphasen bezeichnet.
Die Auftritte, geschaut in vollem Sinne des Wortes, gipfeln in scharf zu¬
gespitzten Dialogen von unbeschreiblicher Wucht und Wirkung. Hier zumal
erweist es sich, welche unerhörte Kraft den schlichten Worten innewohnt, wieviel
diese einfachen Sätze im Zusammenhang der Geschichte, auch in der Übersetzung
noch auszudrücken vermögen, welches Aufwandes an Worten wir bedürften,
um ähnliches auszudrücken. Natürlich braucht sich jedes Wort an Kraft und
Sinn im Laufe der Jahrhunderte ab; aber hier steht noch ein ganz anderes
Ethos hinter der kargen Äußerung, die Leidenschaften bedürfen keines so starken
Ausdrucks. Ein Beispiel. In der Geschichte von den Schwurbrüdern
(Thule XIII) rächt Thorgeir den Tod seines Vaters Havar an Jödur. Thorgeir
kehrt nach vollbrachter Tat heim und wird von seiner Mutter Thorelf empfangen.
"Thorelf. . . begrüßte ihren Sohn und fragte ihn, was es gäbe. Thorgeir ant¬
wortete: ,Eine Wunde wurde heute abend auf Schalenhang geschlagen/
Thorelf fragte: ,Wer hatte Teil daran?' Thorgeir antwortete: ,Jch kann
nicht leugnen, daß ich dabei war/ Thorelf fragte: ,Wie groß war die
Wunde?' Thorgeir antwortete: ,Jch glaube nicht, daß die Wunde, die er
von mir empfing, verbunden zu werden braucht. Das sah ich an meinem
Speer, daß er ganz durch gegangen war und der Mann fiel rücklings in den
Arm seiner Leute/" . . . Und Thorelf jubelt über die Tat, die ihren Gatten
rächt. -- Selbst hier findet sich jene andeutende Art des Berichtes, die manches
Entscheidende offen läßt; Thorgeir erzählt nur, was er sah, er betont aus¬
drücklich, daß er einiges bloß erschließe. Solche meisterhaft aufgebauten Dialoge,
die in kurzen Reden und Gegenreden, mit kühlen, scharf geschliffenen Worten
halb erzählen, halb erraten lassen, halb verschweigen und nur halb aussagen,
hinter deren kalter Sachlichkeit die Leidenschaft brennt, sind Höhen und Glanz¬
punkte der Darstellung, auch in Erzählungen, die, wie die Geschichte von den
Schwurbrüdern, verhältnismäßig stark mit geistlichen Zutaten durchsetzt sind. Die
direkte Rede setzt nicht immer unmittelbar ein, meist ist der erste Satz noch im
Zusammenhange mit der Erzählung in indirekter Rede gehalten, die dann
unversehens in die direkte Rede umschlägt (".. er nahm ihn mit aller Freundlichkeit
auf und bat ihn, auf fein Schiff zu kommen; ,und bleib bei uns, solange du
in Norwegen dich aufhalten willst'").




Die altnordische Sagakunst war bislang ein Gut, um das nur wenige
wußten. Nicht einmal dem ganzen Kreise der Fachleute war sie so recht geläufig,
sondern nur von den wenigen genauer gekannt, die sich innerhalb der germanistischen
Wissenschaft mit dem Studium des Altnordischen trugen. Ich selbst denke
mit dankbarer Freude an die Stunden hohen Genusses, in denen Andreas


Altnordische und altdeutsche Prosa

Ihrem Aufbau nach schreitet die Jsländergeschichte in Szenen dahin, die
von verbindenden Bericht umsponnen werden. Als „dünnen Bericht" und
„geschaute Auftritte" hat Heusler diese wichtigsten Darstellungsphasen bezeichnet.
Die Auftritte, geschaut in vollem Sinne des Wortes, gipfeln in scharf zu¬
gespitzten Dialogen von unbeschreiblicher Wucht und Wirkung. Hier zumal
erweist es sich, welche unerhörte Kraft den schlichten Worten innewohnt, wieviel
diese einfachen Sätze im Zusammenhang der Geschichte, auch in der Übersetzung
noch auszudrücken vermögen, welches Aufwandes an Worten wir bedürften,
um ähnliches auszudrücken. Natürlich braucht sich jedes Wort an Kraft und
Sinn im Laufe der Jahrhunderte ab; aber hier steht noch ein ganz anderes
Ethos hinter der kargen Äußerung, die Leidenschaften bedürfen keines so starken
Ausdrucks. Ein Beispiel. In der Geschichte von den Schwurbrüdern
(Thule XIII) rächt Thorgeir den Tod seines Vaters Havar an Jödur. Thorgeir
kehrt nach vollbrachter Tat heim und wird von seiner Mutter Thorelf empfangen.
„Thorelf. . . begrüßte ihren Sohn und fragte ihn, was es gäbe. Thorgeir ant¬
wortete: ,Eine Wunde wurde heute abend auf Schalenhang geschlagen/
Thorelf fragte: ,Wer hatte Teil daran?' Thorgeir antwortete: ,Jch kann
nicht leugnen, daß ich dabei war/ Thorelf fragte: ,Wie groß war die
Wunde?' Thorgeir antwortete: ,Jch glaube nicht, daß die Wunde, die er
von mir empfing, verbunden zu werden braucht. Das sah ich an meinem
Speer, daß er ganz durch gegangen war und der Mann fiel rücklings in den
Arm seiner Leute/" . . . Und Thorelf jubelt über die Tat, die ihren Gatten
rächt. — Selbst hier findet sich jene andeutende Art des Berichtes, die manches
Entscheidende offen läßt; Thorgeir erzählt nur, was er sah, er betont aus¬
drücklich, daß er einiges bloß erschließe. Solche meisterhaft aufgebauten Dialoge,
die in kurzen Reden und Gegenreden, mit kühlen, scharf geschliffenen Worten
halb erzählen, halb erraten lassen, halb verschweigen und nur halb aussagen,
hinter deren kalter Sachlichkeit die Leidenschaft brennt, sind Höhen und Glanz¬
punkte der Darstellung, auch in Erzählungen, die, wie die Geschichte von den
Schwurbrüdern, verhältnismäßig stark mit geistlichen Zutaten durchsetzt sind. Die
direkte Rede setzt nicht immer unmittelbar ein, meist ist der erste Satz noch im
Zusammenhange mit der Erzählung in indirekter Rede gehalten, die dann
unversehens in die direkte Rede umschlägt („.. er nahm ihn mit aller Freundlichkeit
auf und bat ihn, auf fein Schiff zu kommen; ,und bleib bei uns, solange du
in Norwegen dich aufhalten willst'").




Die altnordische Sagakunst war bislang ein Gut, um das nur wenige
wußten. Nicht einmal dem ganzen Kreise der Fachleute war sie so recht geläufig,
sondern nur von den wenigen genauer gekannt, die sich innerhalb der germanistischen
Wissenschaft mit dem Studium des Altnordischen trugen. Ich selbst denke
mit dankbarer Freude an die Stunden hohen Genusses, in denen Andreas


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[0123] Altnordische und altdeutsche Prosa Ihrem Aufbau nach schreitet die Jsländergeschichte in Szenen dahin, die von verbindenden Bericht umsponnen werden. Als „dünnen Bericht" und „geschaute Auftritte" hat Heusler diese wichtigsten Darstellungsphasen bezeichnet. Die Auftritte, geschaut in vollem Sinne des Wortes, gipfeln in scharf zu¬ gespitzten Dialogen von unbeschreiblicher Wucht und Wirkung. Hier zumal erweist es sich, welche unerhörte Kraft den schlichten Worten innewohnt, wieviel diese einfachen Sätze im Zusammenhang der Geschichte, auch in der Übersetzung noch auszudrücken vermögen, welches Aufwandes an Worten wir bedürften, um ähnliches auszudrücken. Natürlich braucht sich jedes Wort an Kraft und Sinn im Laufe der Jahrhunderte ab; aber hier steht noch ein ganz anderes Ethos hinter der kargen Äußerung, die Leidenschaften bedürfen keines so starken Ausdrucks. Ein Beispiel. In der Geschichte von den Schwurbrüdern (Thule XIII) rächt Thorgeir den Tod seines Vaters Havar an Jödur. Thorgeir kehrt nach vollbrachter Tat heim und wird von seiner Mutter Thorelf empfangen. „Thorelf. . . begrüßte ihren Sohn und fragte ihn, was es gäbe. Thorgeir ant¬ wortete: ,Eine Wunde wurde heute abend auf Schalenhang geschlagen/ Thorelf fragte: ,Wer hatte Teil daran?' Thorgeir antwortete: ,Jch kann nicht leugnen, daß ich dabei war/ Thorelf fragte: ,Wie groß war die Wunde?' Thorgeir antwortete: ,Jch glaube nicht, daß die Wunde, die er von mir empfing, verbunden zu werden braucht. Das sah ich an meinem Speer, daß er ganz durch gegangen war und der Mann fiel rücklings in den Arm seiner Leute/" . . . Und Thorelf jubelt über die Tat, die ihren Gatten rächt. — Selbst hier findet sich jene andeutende Art des Berichtes, die manches Entscheidende offen läßt; Thorgeir erzählt nur, was er sah, er betont aus¬ drücklich, daß er einiges bloß erschließe. Solche meisterhaft aufgebauten Dialoge, die in kurzen Reden und Gegenreden, mit kühlen, scharf geschliffenen Worten halb erzählen, halb erraten lassen, halb verschweigen und nur halb aussagen, hinter deren kalter Sachlichkeit die Leidenschaft brennt, sind Höhen und Glanz¬ punkte der Darstellung, auch in Erzählungen, die, wie die Geschichte von den Schwurbrüdern, verhältnismäßig stark mit geistlichen Zutaten durchsetzt sind. Die direkte Rede setzt nicht immer unmittelbar ein, meist ist der erste Satz noch im Zusammenhange mit der Erzählung in indirekter Rede gehalten, die dann unversehens in die direkte Rede umschlägt („.. er nahm ihn mit aller Freundlichkeit auf und bat ihn, auf fein Schiff zu kommen; ,und bleib bei uns, solange du in Norwegen dich aufhalten willst'"). Die altnordische Sagakunst war bislang ein Gut, um das nur wenige wußten. Nicht einmal dem ganzen Kreise der Fachleute war sie so recht geläufig, sondern nur von den wenigen genauer gekannt, die sich innerhalb der germanistischen Wissenschaft mit dem Studium des Altnordischen trugen. Ich selbst denke mit dankbarer Freude an die Stunden hohen Genusses, in denen Andreas

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/123>, abgerufen am 15.06.2024.