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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Rechtssymbolik

unterwarf. Um die Beschwörung zu vollbringen, mußte irgend etwas Heiliges beim
Schwur berührt werden. Die Berührung nun blieb noch lange Zeit als Symbol
bestehen, nachdem sich der ursprüngliche Sinn längst verloren hatte. In grauer
Vorzeit schworen unsere Vorfahren vielfach, in der Weise, daß sie die Hand aufs
Schwert stützten, das tief in der Erde stak; denn die Erde galt als heilig. Die
in ihr wurzelnde geheimnisvolle Triebkraft weckte unwillkürlich die Vorstellung
des Göttlichen. Die Erdberührung beim Schwur erhielt sich lange Zeit als
symbolischer Brauch. Aber die Vorstellung, daß zur Wirksamkeit des Schwures
überhaupt irgendeine Berührung notwendig sei, führt in der Folge zur Schaffung
einer ganzen Reihe rein symbolischer Äußerlichkeiten, welche den Schwur be¬
gleiten. So schwören Männer später vielfach mit auf die Brust gelegter Hand,
"Hand aufs Herz." Auch Frauen legten die Hand auf die Brust, rührten auch
wohl, wie in Bayern und Schwaben, den vorn über die Schultern hängenden
Zopf mit an. Schwören beim Bart und mit Anfassen des Bartes, eine jetzt
noch häufige, morgenländische Sitte, sind nach der vielfachen Erwähnung im
Liede sicher viel im Brauche gewesen. Jeder Beruf berührte gern das ihm
eigentümliche Gerät: der Fuhrmann ein Rad, der Reiter den Steigbügel oder
den Bug des Rosses, der Krieger den Schild, die Fahne. Man muß nicht ver¬
gessen, daß der Eid ja nicht im Gerichtssaal geleistet werden brauchte, sondern
überall auf freiem Felde wie im geschlossenen Raume abgelegt werden konnte,
und zwar nicht allein vor dem Richter, sondern auch vor der Gegenpartei; zu¬
weilen berührt der Schwörende nicht seinen Leib, sondern den des anderen, dem
er sich verpflichtete. Dieser sprach dann die Eidesformel vor. Er "Städte" den
Schwur. So schwur der Knecht dem Herrn, der Sohn seinem Vater, die Hand
unter dessen Hüfte legend, ein Brauch, dem wir auch bei den alten Jsraeliten
begegnen. Ganz eigenartig berührt uns die altertümliche Gewohnheit, beim
Gastmahle unter Berührung der edelsten Speisen, des Ebers und des Pfaues,
zu schwören.

Nicht immer sind es religiöse Vorstellungen, die dem Symbol in seiner
ursprünglichen Bedeutung als wesentlicher Teil eines Rechtsgeschäftes zugrunde
liegen. Zuweilen stoßen wir beim Forschen nach den Quellen des Symbols auf
ganz natürliche Vorgänge, die das Rechtsgeschäft eben nur in seiner ursprüng¬
lichen Form erscheinen lassen. Einige Beispiele mögen dies belegen: das alt¬
römische Recht kennt als feierlichen Kauf die "mancipatio", als feierliches Dar¬
lehen das "nexum". Vor fünf Zeugen wird das den Kaufpreis wirklich
darstellende Kupfermetall durch einen gelernten Wägemeister dem Verkäufer zu¬
gewogen, indes gleichzeitig der Käufer mit feierlichen Worten von der gekauften
Sache als seinem nunmehrigen Eigentum Besitz ergreift. In ähnlicher feierlicher
Weise wird dem Darlehenempfänger die entsprechende Menge Barmetall zu¬
gewogen. Das war kein Scheinkauf, kein Scheindarlehen, sondern wirklicher
Kauf, wirkliches Darlehen. Gab es doch noch kein gemünztes Geld. Als
aber die Dezemvirn dieses einführten, blieb gleichwohl der alte Formalismus


Rechtssymbolik

unterwarf. Um die Beschwörung zu vollbringen, mußte irgend etwas Heiliges beim
Schwur berührt werden. Die Berührung nun blieb noch lange Zeit als Symbol
bestehen, nachdem sich der ursprüngliche Sinn längst verloren hatte. In grauer
Vorzeit schworen unsere Vorfahren vielfach, in der Weise, daß sie die Hand aufs
Schwert stützten, das tief in der Erde stak; denn die Erde galt als heilig. Die
in ihr wurzelnde geheimnisvolle Triebkraft weckte unwillkürlich die Vorstellung
des Göttlichen. Die Erdberührung beim Schwur erhielt sich lange Zeit als
symbolischer Brauch. Aber die Vorstellung, daß zur Wirksamkeit des Schwures
überhaupt irgendeine Berührung notwendig sei, führt in der Folge zur Schaffung
einer ganzen Reihe rein symbolischer Äußerlichkeiten, welche den Schwur be¬
gleiten. So schwören Männer später vielfach mit auf die Brust gelegter Hand,
„Hand aufs Herz." Auch Frauen legten die Hand auf die Brust, rührten auch
wohl, wie in Bayern und Schwaben, den vorn über die Schultern hängenden
Zopf mit an. Schwören beim Bart und mit Anfassen des Bartes, eine jetzt
noch häufige, morgenländische Sitte, sind nach der vielfachen Erwähnung im
Liede sicher viel im Brauche gewesen. Jeder Beruf berührte gern das ihm
eigentümliche Gerät: der Fuhrmann ein Rad, der Reiter den Steigbügel oder
den Bug des Rosses, der Krieger den Schild, die Fahne. Man muß nicht ver¬
gessen, daß der Eid ja nicht im Gerichtssaal geleistet werden brauchte, sondern
überall auf freiem Felde wie im geschlossenen Raume abgelegt werden konnte,
und zwar nicht allein vor dem Richter, sondern auch vor der Gegenpartei; zu¬
weilen berührt der Schwörende nicht seinen Leib, sondern den des anderen, dem
er sich verpflichtete. Dieser sprach dann die Eidesformel vor. Er „Städte" den
Schwur. So schwur der Knecht dem Herrn, der Sohn seinem Vater, die Hand
unter dessen Hüfte legend, ein Brauch, dem wir auch bei den alten Jsraeliten
begegnen. Ganz eigenartig berührt uns die altertümliche Gewohnheit, beim
Gastmahle unter Berührung der edelsten Speisen, des Ebers und des Pfaues,
zu schwören.

Nicht immer sind es religiöse Vorstellungen, die dem Symbol in seiner
ursprünglichen Bedeutung als wesentlicher Teil eines Rechtsgeschäftes zugrunde
liegen. Zuweilen stoßen wir beim Forschen nach den Quellen des Symbols auf
ganz natürliche Vorgänge, die das Rechtsgeschäft eben nur in seiner ursprüng¬
lichen Form erscheinen lassen. Einige Beispiele mögen dies belegen: das alt¬
römische Recht kennt als feierlichen Kauf die „mancipatio", als feierliches Dar¬
lehen das „nexum". Vor fünf Zeugen wird das den Kaufpreis wirklich
darstellende Kupfermetall durch einen gelernten Wägemeister dem Verkäufer zu¬
gewogen, indes gleichzeitig der Käufer mit feierlichen Worten von der gekauften
Sache als seinem nunmehrigen Eigentum Besitz ergreift. In ähnlicher feierlicher
Weise wird dem Darlehenempfänger die entsprechende Menge Barmetall zu¬
gewogen. Das war kein Scheinkauf, kein Scheindarlehen, sondern wirklicher
Kauf, wirkliches Darlehen. Gab es doch noch kein gemünztes Geld. Als
aber die Dezemvirn dieses einführten, blieb gleichwohl der alte Formalismus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/33>, abgerufen am 22.05.2024.