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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Karl Goedeke

Bruder Wilhelm des Vierten, zu. Am 1. November 1837 hob der neue
Herrscher die 1833 verkündete Verfassung mit der Begründung auf, daß sie
ohne seine, des damaligen Thronerben, Zustimmung erlassen worden sei. Gegen
diesen Akt protestierten am 18. November 1837 die Göttinger Professoren
Gervinus, Jacob und Wilhelm Grimm, Dahlmann, Ewald, Albrecht und Weber
mit der gemeinsamen Erklärung, datz sie sich durch ihren auf das Staatsgrund¬
gesetz geleisteten Eid gebunden fühlten. Sie wurden hierauf kurzerhand ihrer
Stellung entsetzt.

Goedeke spielt auf diese Göttinger Vorgänge, über die er der Augs¬
burger Allgemeinen Zeitung ausführlich berichtete, in seiner Satire "König
Kodrus. Eine Mißgeburt der Zeit" an. Wenn Robert Prutz in seiner
"Politischen Wochenstube" (1843). wohl der besten und schärfsten unter den
deutschen politischen Komödien, meint:


"Wiewohl ich ja weiß, daß der Deutsche nur schlecht auf komö-
dischen Scherz sich verstehet,"

so hat doch der unter dem Pseudonym Karl Stahl 1839 erschienene und den
Brüdern Grimm zugeeignete "König Kodrus" Beifall gefunden.

Charakteristisch genug sind die Worte, die Jacob Grimm darüber an
Dahlmann schrieb: "Ich kann es nicht lassen. Ihnen den Beginn einer Dichtung
mitzuteilen, welche zu vollenden ich den jungen talentvollen Verfasser aufs
kräftigste ermuntere. Es ist Goedeke aus Celle, behalten Sie den Namen aber
noch geheim; eine Sammlung seiner politischen Lieder, eben jetzt in der Schweiz
gedruckt, gelangt ehestens in Ihre Hände. Ich wüßte keinen, der vielleicht
Platens Verlust so schnell zu ersetzen vermöchte; das Gedicht hat sehr Aus¬
gezeichnetes, bei welchem Urteil mich sicher nicht besticht, daß es so lebhaft für
uns Partei nimmt." Die gestrenge Zensurbehörde hatte alle Schärfen gestrichen,
so daß der Dichter "dies halbe Lied" darbringen mußte, da ihm ein ganzes
"vor zagen Ohren, welche kaum die Hälfte dulden und der anderen Hälfte sich
sorgsam verschließen", zu singen nicht vergönnt war.

Das Stück hat den Opfertod des Königs Kodrus von Athen im Kampfe
gegen die Hercckliden zum Inhalt und ist in engem Anschluß an Platens aus¬
gezeichnete aristophanische Literaturkomödien verfaßt, in denen sich ja auch
politische Anspielungen finden. Wie Prutz mit begeisterten Worten in der
"Wochenstube", so feiert Goedeke im "Kodrus" sein Vorbild Platen. das "echte
deutsche Blut". Gerade in dieser Zeit hat er für die bei Cotta erscheinende
Gesamtausgabe von Platens Werken eine warmherzige Charakteristik seines
Lieblingsdichters geliefert. Scharf zieht er im "Kodrus" gegen den "Thersites"
Heine, "den bereits die Mode verwirft", und gegen das junge Deutschland,
zumal gegen dessen Schlagwort von der Emanzipation des Fleisches, zu Felde.
Den damaligen literarischen Geschmack des Publikums und die von Byron aus¬
gehenden, von Heine besonders gepflegten weltschmerzlichen Gefühle tut der junge
Satiriker witzig mit den Worten ab:


6*
Karl Goedeke

Bruder Wilhelm des Vierten, zu. Am 1. November 1837 hob der neue
Herrscher die 1833 verkündete Verfassung mit der Begründung auf, daß sie
ohne seine, des damaligen Thronerben, Zustimmung erlassen worden sei. Gegen
diesen Akt protestierten am 18. November 1837 die Göttinger Professoren
Gervinus, Jacob und Wilhelm Grimm, Dahlmann, Ewald, Albrecht und Weber
mit der gemeinsamen Erklärung, datz sie sich durch ihren auf das Staatsgrund¬
gesetz geleisteten Eid gebunden fühlten. Sie wurden hierauf kurzerhand ihrer
Stellung entsetzt.

Goedeke spielt auf diese Göttinger Vorgänge, über die er der Augs¬
burger Allgemeinen Zeitung ausführlich berichtete, in seiner Satire „König
Kodrus. Eine Mißgeburt der Zeit" an. Wenn Robert Prutz in seiner
„Politischen Wochenstube" (1843). wohl der besten und schärfsten unter den
deutschen politischen Komödien, meint:


„Wiewohl ich ja weiß, daß der Deutsche nur schlecht auf komö-
dischen Scherz sich verstehet,"

so hat doch der unter dem Pseudonym Karl Stahl 1839 erschienene und den
Brüdern Grimm zugeeignete „König Kodrus" Beifall gefunden.

Charakteristisch genug sind die Worte, die Jacob Grimm darüber an
Dahlmann schrieb: „Ich kann es nicht lassen. Ihnen den Beginn einer Dichtung
mitzuteilen, welche zu vollenden ich den jungen talentvollen Verfasser aufs
kräftigste ermuntere. Es ist Goedeke aus Celle, behalten Sie den Namen aber
noch geheim; eine Sammlung seiner politischen Lieder, eben jetzt in der Schweiz
gedruckt, gelangt ehestens in Ihre Hände. Ich wüßte keinen, der vielleicht
Platens Verlust so schnell zu ersetzen vermöchte; das Gedicht hat sehr Aus¬
gezeichnetes, bei welchem Urteil mich sicher nicht besticht, daß es so lebhaft für
uns Partei nimmt." Die gestrenge Zensurbehörde hatte alle Schärfen gestrichen,
so daß der Dichter „dies halbe Lied" darbringen mußte, da ihm ein ganzes
„vor zagen Ohren, welche kaum die Hälfte dulden und der anderen Hälfte sich
sorgsam verschließen", zu singen nicht vergönnt war.

Das Stück hat den Opfertod des Königs Kodrus von Athen im Kampfe
gegen die Hercckliden zum Inhalt und ist in engem Anschluß an Platens aus¬
gezeichnete aristophanische Literaturkomödien verfaßt, in denen sich ja auch
politische Anspielungen finden. Wie Prutz mit begeisterten Worten in der
„Wochenstube", so feiert Goedeke im „Kodrus" sein Vorbild Platen. das „echte
deutsche Blut". Gerade in dieser Zeit hat er für die bei Cotta erscheinende
Gesamtausgabe von Platens Werken eine warmherzige Charakteristik seines
Lieblingsdichters geliefert. Scharf zieht er im „Kodrus" gegen den „Thersites"
Heine, „den bereits die Mode verwirft", und gegen das junge Deutschland,
zumal gegen dessen Schlagwort von der Emanzipation des Fleisches, zu Felde.
Den damaligen literarischen Geschmack des Publikums und die von Byron aus¬
gehenden, von Heine besonders gepflegten weltschmerzlichen Gefühle tut der junge
Satiriker witzig mit den Worten ab:


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[0095] Karl Goedeke Bruder Wilhelm des Vierten, zu. Am 1. November 1837 hob der neue Herrscher die 1833 verkündete Verfassung mit der Begründung auf, daß sie ohne seine, des damaligen Thronerben, Zustimmung erlassen worden sei. Gegen diesen Akt protestierten am 18. November 1837 die Göttinger Professoren Gervinus, Jacob und Wilhelm Grimm, Dahlmann, Ewald, Albrecht und Weber mit der gemeinsamen Erklärung, datz sie sich durch ihren auf das Staatsgrund¬ gesetz geleisteten Eid gebunden fühlten. Sie wurden hierauf kurzerhand ihrer Stellung entsetzt. Goedeke spielt auf diese Göttinger Vorgänge, über die er der Augs¬ burger Allgemeinen Zeitung ausführlich berichtete, in seiner Satire „König Kodrus. Eine Mißgeburt der Zeit" an. Wenn Robert Prutz in seiner „Politischen Wochenstube" (1843). wohl der besten und schärfsten unter den deutschen politischen Komödien, meint: „Wiewohl ich ja weiß, daß der Deutsche nur schlecht auf komö- dischen Scherz sich verstehet," so hat doch der unter dem Pseudonym Karl Stahl 1839 erschienene und den Brüdern Grimm zugeeignete „König Kodrus" Beifall gefunden. Charakteristisch genug sind die Worte, die Jacob Grimm darüber an Dahlmann schrieb: „Ich kann es nicht lassen. Ihnen den Beginn einer Dichtung mitzuteilen, welche zu vollenden ich den jungen talentvollen Verfasser aufs kräftigste ermuntere. Es ist Goedeke aus Celle, behalten Sie den Namen aber noch geheim; eine Sammlung seiner politischen Lieder, eben jetzt in der Schweiz gedruckt, gelangt ehestens in Ihre Hände. Ich wüßte keinen, der vielleicht Platens Verlust so schnell zu ersetzen vermöchte; das Gedicht hat sehr Aus¬ gezeichnetes, bei welchem Urteil mich sicher nicht besticht, daß es so lebhaft für uns Partei nimmt." Die gestrenge Zensurbehörde hatte alle Schärfen gestrichen, so daß der Dichter „dies halbe Lied" darbringen mußte, da ihm ein ganzes „vor zagen Ohren, welche kaum die Hälfte dulden und der anderen Hälfte sich sorgsam verschließen", zu singen nicht vergönnt war. Das Stück hat den Opfertod des Königs Kodrus von Athen im Kampfe gegen die Hercckliden zum Inhalt und ist in engem Anschluß an Platens aus¬ gezeichnete aristophanische Literaturkomödien verfaßt, in denen sich ja auch politische Anspielungen finden. Wie Prutz mit begeisterten Worten in der „Wochenstube", so feiert Goedeke im „Kodrus" sein Vorbild Platen. das „echte deutsche Blut". Gerade in dieser Zeit hat er für die bei Cotta erscheinende Gesamtausgabe von Platens Werken eine warmherzige Charakteristik seines Lieblingsdichters geliefert. Scharf zieht er im „Kodrus" gegen den „Thersites" Heine, „den bereits die Mode verwirft", und gegen das junge Deutschland, zumal gegen dessen Schlagwort von der Emanzipation des Fleisches, zu Felde. Den damaligen literarischen Geschmack des Publikums und die von Byron aus¬ gehenden, von Heine besonders gepflegten weltschmerzlichen Gefühle tut der junge Satiriker witzig mit den Worten ab: 6*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/95>, abgerufen am 15.06.2024.