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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Karl Goedeke

"Auch stellt zurück zu dem windigen Tand nichtsnutzige Klosternovellen
Und den lyrischen Quark von Peter und Squenz, voll Weltschmerz über die
Maßen,

Voll Weltschmerzweh, voll Weltwehschmerz, voll Wehweltschmerz so gewaltgem,
Daß Spätere sich einbilden, es seien am Darmschmerz, schlechter Verdauung,
An Grimmen im Bauch, an Reißen im Wanst die gemarterten Deutschen ver¬
schieden."


Die Schlußparabase hat Goedeke später unter dem Titel "Die deutsche
Bühne" in die Anthologie von 1844 hinübergenommen. Er hat sich darin die
Gelegenheit nicht entgehen lassen, den sittlichen Tiefstand und die mangelnde
Charaktererhebung der Zeit in gebührender Weise zu züchtigen, die dem
Publikum den Blick für das Edle, Große und Gute in der Kunst wie im Leben
raubten, und die es der stümperhaften Bühnenware des Tages begeistert zu¬
jubeln ließen.


"Tief sanken im Wert die Tragödien längst wie die Staatsschuldscheine der
Spanier,

Ja tiefer sogar, bald völlig erklärt bankrott sich der tragische Bettel."


Der tiefe sittliche Ernst in der Bekämpfung der Mißgeburt der Zeit und
die warme Vaterlandsliebe des "Kodrus" gemahnen lebhaft an die aristo¬
phanischen Vorlagen und räumen dem Stücke, das sich durch eine vortreffliche
und geschickte Handhabung der verschiedenen schwierigen Rhythmen auszeichnet,
einen Platz neben den wenigen gelungenen deutschen Satiren eines Platen.
Prutz, Hamerling und Schack ein.

Die in Grimms Schreiben erwähnten politischen Gedichte Goedekes sind
nicht zur Veröffentlichung gelangt, während einige seiner lyrischen Schöpfungen
im "Stuttgarter Morgenblatt" und in der "Didaskalia" erschienen sind. Seine in
zahlreichen Zeitschriften verstreuten Novellen gab er 1841 mit einer Zueignung
an seinen Freund, den Theologen Stölting, heraus. Die breiten, zopfig an¬
mutenden, inhaltsarmen acht Dichtungen ermangeln aller Eigenart und jeder
poetischen Bedeutung. Seine späteren dichterischen Versuche sind zu keinem Ab¬
schluß gelangt.

Im Frühjahr 1838 war er inzwischen auf vier Jahre zu wissenschaftlicher
und journalistischer Beschäftigung nach Celle zurückgekehrt, von wo er sich 1842
als literarischer Ratgeber der Hahnschen Verlagsbuchhandlung nach Hannover
begab. Aus einer Neubearbeitung der bekannten Schrift seines Landsmannes
Adolf Freiherrn von Knigge "Über den Umgang mit Menschen" erwuchs 1844
seine Biographie des Verfassers. Aus den Novellenalmanach für das Jahr 1843
ließ dann Goedeke 1844 die treffliche Anthologie "Deutschlands Dichter von
1813 bis 1843" folgen. Er gab hierin eine Auswahl von 872 charakteristischen
Gedichten aus 131 Dichtern mit biographisch-literarischen Bemerkungen und
einer einleitenden Abhandlung über die technische Bildung poetischer Formen.


Karl Goedeke

„Auch stellt zurück zu dem windigen Tand nichtsnutzige Klosternovellen
Und den lyrischen Quark von Peter und Squenz, voll Weltschmerz über die
Maßen,

Voll Weltschmerzweh, voll Weltwehschmerz, voll Wehweltschmerz so gewaltgem,
Daß Spätere sich einbilden, es seien am Darmschmerz, schlechter Verdauung,
An Grimmen im Bauch, an Reißen im Wanst die gemarterten Deutschen ver¬
schieden."


Die Schlußparabase hat Goedeke später unter dem Titel „Die deutsche
Bühne" in die Anthologie von 1844 hinübergenommen. Er hat sich darin die
Gelegenheit nicht entgehen lassen, den sittlichen Tiefstand und die mangelnde
Charaktererhebung der Zeit in gebührender Weise zu züchtigen, die dem
Publikum den Blick für das Edle, Große und Gute in der Kunst wie im Leben
raubten, und die es der stümperhaften Bühnenware des Tages begeistert zu¬
jubeln ließen.


„Tief sanken im Wert die Tragödien längst wie die Staatsschuldscheine der
Spanier,

Ja tiefer sogar, bald völlig erklärt bankrott sich der tragische Bettel."


Der tiefe sittliche Ernst in der Bekämpfung der Mißgeburt der Zeit und
die warme Vaterlandsliebe des „Kodrus" gemahnen lebhaft an die aristo¬
phanischen Vorlagen und räumen dem Stücke, das sich durch eine vortreffliche
und geschickte Handhabung der verschiedenen schwierigen Rhythmen auszeichnet,
einen Platz neben den wenigen gelungenen deutschen Satiren eines Platen.
Prutz, Hamerling und Schack ein.

Die in Grimms Schreiben erwähnten politischen Gedichte Goedekes sind
nicht zur Veröffentlichung gelangt, während einige seiner lyrischen Schöpfungen
im „Stuttgarter Morgenblatt" und in der „Didaskalia" erschienen sind. Seine in
zahlreichen Zeitschriften verstreuten Novellen gab er 1841 mit einer Zueignung
an seinen Freund, den Theologen Stölting, heraus. Die breiten, zopfig an¬
mutenden, inhaltsarmen acht Dichtungen ermangeln aller Eigenart und jeder
poetischen Bedeutung. Seine späteren dichterischen Versuche sind zu keinem Ab¬
schluß gelangt.

Im Frühjahr 1838 war er inzwischen auf vier Jahre zu wissenschaftlicher
und journalistischer Beschäftigung nach Celle zurückgekehrt, von wo er sich 1842
als literarischer Ratgeber der Hahnschen Verlagsbuchhandlung nach Hannover
begab. Aus einer Neubearbeitung der bekannten Schrift seines Landsmannes
Adolf Freiherrn von Knigge „Über den Umgang mit Menschen" erwuchs 1844
seine Biographie des Verfassers. Aus den Novellenalmanach für das Jahr 1843
ließ dann Goedeke 1844 die treffliche Anthologie „Deutschlands Dichter von
1813 bis 1843" folgen. Er gab hierin eine Auswahl von 872 charakteristischen
Gedichten aus 131 Dichtern mit biographisch-literarischen Bemerkungen und
einer einleitenden Abhandlung über die technische Bildung poetischer Formen.


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[0096] Karl Goedeke „Auch stellt zurück zu dem windigen Tand nichtsnutzige Klosternovellen Und den lyrischen Quark von Peter und Squenz, voll Weltschmerz über die Maßen, Voll Weltschmerzweh, voll Weltwehschmerz, voll Wehweltschmerz so gewaltgem, Daß Spätere sich einbilden, es seien am Darmschmerz, schlechter Verdauung, An Grimmen im Bauch, an Reißen im Wanst die gemarterten Deutschen ver¬ schieden." Die Schlußparabase hat Goedeke später unter dem Titel „Die deutsche Bühne" in die Anthologie von 1844 hinübergenommen. Er hat sich darin die Gelegenheit nicht entgehen lassen, den sittlichen Tiefstand und die mangelnde Charaktererhebung der Zeit in gebührender Weise zu züchtigen, die dem Publikum den Blick für das Edle, Große und Gute in der Kunst wie im Leben raubten, und die es der stümperhaften Bühnenware des Tages begeistert zu¬ jubeln ließen. „Tief sanken im Wert die Tragödien längst wie die Staatsschuldscheine der Spanier, Ja tiefer sogar, bald völlig erklärt bankrott sich der tragische Bettel." Der tiefe sittliche Ernst in der Bekämpfung der Mißgeburt der Zeit und die warme Vaterlandsliebe des „Kodrus" gemahnen lebhaft an die aristo¬ phanischen Vorlagen und räumen dem Stücke, das sich durch eine vortreffliche und geschickte Handhabung der verschiedenen schwierigen Rhythmen auszeichnet, einen Platz neben den wenigen gelungenen deutschen Satiren eines Platen. Prutz, Hamerling und Schack ein. Die in Grimms Schreiben erwähnten politischen Gedichte Goedekes sind nicht zur Veröffentlichung gelangt, während einige seiner lyrischen Schöpfungen im „Stuttgarter Morgenblatt" und in der „Didaskalia" erschienen sind. Seine in zahlreichen Zeitschriften verstreuten Novellen gab er 1841 mit einer Zueignung an seinen Freund, den Theologen Stölting, heraus. Die breiten, zopfig an¬ mutenden, inhaltsarmen acht Dichtungen ermangeln aller Eigenart und jeder poetischen Bedeutung. Seine späteren dichterischen Versuche sind zu keinem Ab¬ schluß gelangt. Im Frühjahr 1838 war er inzwischen auf vier Jahre zu wissenschaftlicher und journalistischer Beschäftigung nach Celle zurückgekehrt, von wo er sich 1842 als literarischer Ratgeber der Hahnschen Verlagsbuchhandlung nach Hannover begab. Aus einer Neubearbeitung der bekannten Schrift seines Landsmannes Adolf Freiherrn von Knigge „Über den Umgang mit Menschen" erwuchs 1844 seine Biographie des Verfassers. Aus den Novellenalmanach für das Jahr 1843 ließ dann Goedeke 1844 die treffliche Anthologie „Deutschlands Dichter von 1813 bis 1843" folgen. Er gab hierin eine Auswahl von 872 charakteristischen Gedichten aus 131 Dichtern mit biographisch-literarischen Bemerkungen und einer einleitenden Abhandlung über die technische Bildung poetischer Formen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/96>, abgerufen am 15.06.2024.