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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Ziele des Krieges

hinausgehend, Landerwerb nur insoweit anzustreben, als er eine
Stärkung unserer Stellung als mitteleuropäische Großmacht ge¬
währleistet.

Wie weit weiterer Landerwerb unserer strategischen Sicherung dient, mögen
die berufenen Heerführer entscheiden; wie weit er praktisch erreichbar ist, unsere
leitenden Staatsmänner. Als die geringste Forderung an unserer westlichen
Grenze wird die unbedingte Sicherung unserer Vogesen, die Erwerbung von
Belfort, Verdun, Lüttich und Antwerpen auch dem Laien einleuchtend sein.
Im Osten wird ein besserer Schutz unserer ostpreußischen und posenschen Grenzen
gegen feindliche Überflutungen gefordert werden müssen.

Ein über diese strategischen Rücksichten hinausgehender Gebietserwerb wird
also nur dann anzustreben sein, wenn er uns in unseren nationalen Bestrebungen
zur Stärkung dient. Oder mit anderen Worten: nur der Erwerb solchen
Landes ist wünschenswert, der im Zusammenhang mit unserem alten Kolonial¬
land liegt. Und ferner: nur insoweit dürfen wir fremdes Land erwerben, als
mir es mit deutscher Bevölkerung und deutscher Kultur zu durchdringen vermögen.

Es heißt also Klarheit zu gewinnen nicht nur darüber, in welcher Richtung
unsere kolonisatorische Tätigkeit in Zukunft liegen wird, sondern vor allem
darüber, inwieweit wir uns noch kolonisierende Kraft zutrauen können.

Die erste Frage ist schnell beantwortet: das Kolonisationsgebiet des
deutschen Volkes ist der Osten. Dahin weist die geschichtliche Entwicklung des
vergangenen Jahrtausends, dahin auch die sozialen Verhältnisse, die Boden¬
verteilung und Bodenkultur. Somit ergibt sich, daß wir des Landerwerbs
nach Westen nur zu strategischen, nicht aber zu kolonisatorischen Zwecken be¬
dürfen. Daß der Erwerb einzelner Landstriche, die unsere heimische Erzeugung
zu ergänzen imstande sind, wie die Erzgebiete von Lothringen, anzustreben
und zu erreichen sein wird, ergibt sich aus der vorher aufgestellten allgemeinen
Forderung der Autarkie.

Die zweite Frage aber, inwieweit uns noch kolonisatorische Kraft inne-
wohnt. bietet in ihrer Beantwortung so ungeheure Schwierigkeiten, daß nur
einige leitende Gesichtspunkte hier hervorgehoben werden können. Daß der
Höhepunkt unserer kolonisatorischen Kraft einige Jahrhunderte hinter uns liegt,
ergibt ein Blick auf unsere kolonisatorische Geschichte. Ein Vergleich der Kraft,
Wucht, Schnelligkeit, mit der unsere Ostmarken im Mittelalter dem Deutschtum
dauernd gewonnen worden sind, mit unsern heutigen, keineswegs erfolgreichen
Versuchen, kleine nationale Minderheiten -- wie Polen, Reichsländer, Dänen --
einzudeutschen, zeigt mit Deutlichkeit, daß wir in Zukunft große Strecken fremden
Landes mit fremder Bevölkerung nicht mit uns zu einer Einheit zu verschmelzen
wissen werden.

Eine Besiedlung fremden Landes mit deutscher Bevölkerung wird also
nur insoweit erfolgen können, als dort eine einheimische Bevölkerung nicht vor¬
handen ist. Diesem Umstand trägt der in letzter Zeit häufiger ausgesprochene


Ziele des Krieges

hinausgehend, Landerwerb nur insoweit anzustreben, als er eine
Stärkung unserer Stellung als mitteleuropäische Großmacht ge¬
währleistet.

Wie weit weiterer Landerwerb unserer strategischen Sicherung dient, mögen
die berufenen Heerführer entscheiden; wie weit er praktisch erreichbar ist, unsere
leitenden Staatsmänner. Als die geringste Forderung an unserer westlichen
Grenze wird die unbedingte Sicherung unserer Vogesen, die Erwerbung von
Belfort, Verdun, Lüttich und Antwerpen auch dem Laien einleuchtend sein.
Im Osten wird ein besserer Schutz unserer ostpreußischen und posenschen Grenzen
gegen feindliche Überflutungen gefordert werden müssen.

Ein über diese strategischen Rücksichten hinausgehender Gebietserwerb wird
also nur dann anzustreben sein, wenn er uns in unseren nationalen Bestrebungen
zur Stärkung dient. Oder mit anderen Worten: nur der Erwerb solchen
Landes ist wünschenswert, der im Zusammenhang mit unserem alten Kolonial¬
land liegt. Und ferner: nur insoweit dürfen wir fremdes Land erwerben, als
mir es mit deutscher Bevölkerung und deutscher Kultur zu durchdringen vermögen.

Es heißt also Klarheit zu gewinnen nicht nur darüber, in welcher Richtung
unsere kolonisatorische Tätigkeit in Zukunft liegen wird, sondern vor allem
darüber, inwieweit wir uns noch kolonisierende Kraft zutrauen können.

Die erste Frage ist schnell beantwortet: das Kolonisationsgebiet des
deutschen Volkes ist der Osten. Dahin weist die geschichtliche Entwicklung des
vergangenen Jahrtausends, dahin auch die sozialen Verhältnisse, die Boden¬
verteilung und Bodenkultur. Somit ergibt sich, daß wir des Landerwerbs
nach Westen nur zu strategischen, nicht aber zu kolonisatorischen Zwecken be¬
dürfen. Daß der Erwerb einzelner Landstriche, die unsere heimische Erzeugung
zu ergänzen imstande sind, wie die Erzgebiete von Lothringen, anzustreben
und zu erreichen sein wird, ergibt sich aus der vorher aufgestellten allgemeinen
Forderung der Autarkie.

Die zweite Frage aber, inwieweit uns noch kolonisatorische Kraft inne-
wohnt. bietet in ihrer Beantwortung so ungeheure Schwierigkeiten, daß nur
einige leitende Gesichtspunkte hier hervorgehoben werden können. Daß der
Höhepunkt unserer kolonisatorischen Kraft einige Jahrhunderte hinter uns liegt,
ergibt ein Blick auf unsere kolonisatorische Geschichte. Ein Vergleich der Kraft,
Wucht, Schnelligkeit, mit der unsere Ostmarken im Mittelalter dem Deutschtum
dauernd gewonnen worden sind, mit unsern heutigen, keineswegs erfolgreichen
Versuchen, kleine nationale Minderheiten — wie Polen, Reichsländer, Dänen —
einzudeutschen, zeigt mit Deutlichkeit, daß wir in Zukunft große Strecken fremden
Landes mit fremder Bevölkerung nicht mit uns zu einer Einheit zu verschmelzen
wissen werden.

Eine Besiedlung fremden Landes mit deutscher Bevölkerung wird also
nur insoweit erfolgen können, als dort eine einheimische Bevölkerung nicht vor¬
handen ist. Diesem Umstand trägt der in letzter Zeit häufiger ausgesprochene


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[0177] Ziele des Krieges hinausgehend, Landerwerb nur insoweit anzustreben, als er eine Stärkung unserer Stellung als mitteleuropäische Großmacht ge¬ währleistet. Wie weit weiterer Landerwerb unserer strategischen Sicherung dient, mögen die berufenen Heerführer entscheiden; wie weit er praktisch erreichbar ist, unsere leitenden Staatsmänner. Als die geringste Forderung an unserer westlichen Grenze wird die unbedingte Sicherung unserer Vogesen, die Erwerbung von Belfort, Verdun, Lüttich und Antwerpen auch dem Laien einleuchtend sein. Im Osten wird ein besserer Schutz unserer ostpreußischen und posenschen Grenzen gegen feindliche Überflutungen gefordert werden müssen. Ein über diese strategischen Rücksichten hinausgehender Gebietserwerb wird also nur dann anzustreben sein, wenn er uns in unseren nationalen Bestrebungen zur Stärkung dient. Oder mit anderen Worten: nur der Erwerb solchen Landes ist wünschenswert, der im Zusammenhang mit unserem alten Kolonial¬ land liegt. Und ferner: nur insoweit dürfen wir fremdes Land erwerben, als mir es mit deutscher Bevölkerung und deutscher Kultur zu durchdringen vermögen. Es heißt also Klarheit zu gewinnen nicht nur darüber, in welcher Richtung unsere kolonisatorische Tätigkeit in Zukunft liegen wird, sondern vor allem darüber, inwieweit wir uns noch kolonisierende Kraft zutrauen können. Die erste Frage ist schnell beantwortet: das Kolonisationsgebiet des deutschen Volkes ist der Osten. Dahin weist die geschichtliche Entwicklung des vergangenen Jahrtausends, dahin auch die sozialen Verhältnisse, die Boden¬ verteilung und Bodenkultur. Somit ergibt sich, daß wir des Landerwerbs nach Westen nur zu strategischen, nicht aber zu kolonisatorischen Zwecken be¬ dürfen. Daß der Erwerb einzelner Landstriche, die unsere heimische Erzeugung zu ergänzen imstande sind, wie die Erzgebiete von Lothringen, anzustreben und zu erreichen sein wird, ergibt sich aus der vorher aufgestellten allgemeinen Forderung der Autarkie. Die zweite Frage aber, inwieweit uns noch kolonisatorische Kraft inne- wohnt. bietet in ihrer Beantwortung so ungeheure Schwierigkeiten, daß nur einige leitende Gesichtspunkte hier hervorgehoben werden können. Daß der Höhepunkt unserer kolonisatorischen Kraft einige Jahrhunderte hinter uns liegt, ergibt ein Blick auf unsere kolonisatorische Geschichte. Ein Vergleich der Kraft, Wucht, Schnelligkeit, mit der unsere Ostmarken im Mittelalter dem Deutschtum dauernd gewonnen worden sind, mit unsern heutigen, keineswegs erfolgreichen Versuchen, kleine nationale Minderheiten — wie Polen, Reichsländer, Dänen — einzudeutschen, zeigt mit Deutlichkeit, daß wir in Zukunft große Strecken fremden Landes mit fremder Bevölkerung nicht mit uns zu einer Einheit zu verschmelzen wissen werden. Eine Besiedlung fremden Landes mit deutscher Bevölkerung wird also nur insoweit erfolgen können, als dort eine einheimische Bevölkerung nicht vor¬ handen ist. Diesem Umstand trägt der in letzter Zeit häufiger ausgesprochene

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/177>, abgerufen am 31.05.2024.