Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die litauisch-baltische Frage

seiner Verheiratung mit der polnischen Prinzessin Hedwig den Königsthron von
Polen. Doch erzwang sich das litauische Volk zunächst noch einen eigenen
Großfürsten, Wjtaut, Keistuts Sohn, der noch einmal die Macht litauischen
Heldentums offenbarte. Wjtaut war ein kluger Politiker, der bald mit dem
Orden, bald mit Jagello in Freundschaft stand, je nachdem es das Interesse
seines Landes erheischte. Den Juden gab er 1389 besondere Vorrechte, um
den Handel im Lande zu heben. Er förderte die Einführung des Christentums
aus nationalen Gründen und sandte 1418 zwanzig griechische Bischöfe seines
Landes nach Konstanz, um eine Union der römischen und griechischen Kirche
herbeizuführen. Die Böhmen boten ihm ihre Königskrone an, weil sie von
seiner religiösen Toleranz viel Segen erhofften. Mit seinem Vetter Jagello
führte er 1410 die große Niederlage des Ordens bei Tannenberg herbei, wußte
aber ini Frieden durchzusetzen, daß der Orden ihm gewogen blieb, er selbst
Szamaiten behielt, Jagello aber nichts bekam. Es war das ein polititsch sehr
kluger Schachzug Wjtauts, daß er im Interesse Litauens Polen nicht übermächtig
werden ließ. 1422 schloß er mit dem Orden den Frieden am Melnosee,
wodurch die noch jetzt bestehende Ostgrenze des Ordenslandes festgelegt wurde.
Hierbei hat er den Zugang zur Ostsee bei Polangen für Litauen erwirkt, wodurch
die bis dahin zusammengrenzenden Gebiete des deutschen Ritterordens und des
Schwertbrüderordens voneinander getrennt wurden. Der Kaiser Sigismund
trug Wjtaut die Königskrone an; 1429 sollte er sie sich in Wilna aufs Haupt
setzen. Indessen ließen die auf Litauens Größe neidischen Polen, die befürchteten,
daß Litauen sowohl politisch wie kirchlich völlig frei und von Polen unabhängig
würde, die kaiserliche Gesandtschaft nicht über die Grenze, und Wjtaut starb
enttäuscht und kinderlos in Troll. Litauen fiel nun in Personalunion mit Polen
und teilte dessen Geschicke. Zunächst blieb der litauische Adel völlig selbständig
und wählte jedesmal seinen Großfürsten, bevor die Polen zur Königswahl
geschritten waren. Erst 1501 wurde, nachdem bereits 1413 eine gleiche Verein¬
barung in Horodlo getroffen war, unter dem Einfluß des polnischen Adels
beschlossen, den König gemeinschaftlich zu wählen, der gleichzeitig Großfürst von
Litauen sein sollte. Litauen behielt aber zunächst noch eigene Verwaltung, ein
eigenes Heer, einen besondern Landtag in Wilna und eigene Finanzverwaltung.
Für die Rechtspflege in Litauen bildete das "litauische Statut" die Grundlage.
Darin hatte der Kanzler Gosztaut das litauische Gewohnheitsrecht und alle
Erlasse der litauischen Großfürsten zusammengefaßt. Das Statut blieb nach
seiner Bestätigung durch den Reichstag in Wilna 1529 bis zum Jahre 1839
in Kraft, wo es durch die russischen Reichsgesetze ersetzt wurde. Das Ende
fast jeglicher Selbständigkeit Litauens brachte die Union zu Ludim (1569). in
der beide Länder vereinigt, ein gemeinsamer Landtag und Senat eingeführt
und die Grenze zwischen Litauen und Polen verwischt wurde.

Das eigentliche ethnographische Litauen war klein im Verhältnis zu den
Gebieten, die der litauischen Herrschaft unterworfen waren. Der Adel, der die


Grenzbsten I 1916 14
Die litauisch-baltische Frage

seiner Verheiratung mit der polnischen Prinzessin Hedwig den Königsthron von
Polen. Doch erzwang sich das litauische Volk zunächst noch einen eigenen
Großfürsten, Wjtaut, Keistuts Sohn, der noch einmal die Macht litauischen
Heldentums offenbarte. Wjtaut war ein kluger Politiker, der bald mit dem
Orden, bald mit Jagello in Freundschaft stand, je nachdem es das Interesse
seines Landes erheischte. Den Juden gab er 1389 besondere Vorrechte, um
den Handel im Lande zu heben. Er förderte die Einführung des Christentums
aus nationalen Gründen und sandte 1418 zwanzig griechische Bischöfe seines
Landes nach Konstanz, um eine Union der römischen und griechischen Kirche
herbeizuführen. Die Böhmen boten ihm ihre Königskrone an, weil sie von
seiner religiösen Toleranz viel Segen erhofften. Mit seinem Vetter Jagello
führte er 1410 die große Niederlage des Ordens bei Tannenberg herbei, wußte
aber ini Frieden durchzusetzen, daß der Orden ihm gewogen blieb, er selbst
Szamaiten behielt, Jagello aber nichts bekam. Es war das ein polititsch sehr
kluger Schachzug Wjtauts, daß er im Interesse Litauens Polen nicht übermächtig
werden ließ. 1422 schloß er mit dem Orden den Frieden am Melnosee,
wodurch die noch jetzt bestehende Ostgrenze des Ordenslandes festgelegt wurde.
Hierbei hat er den Zugang zur Ostsee bei Polangen für Litauen erwirkt, wodurch
die bis dahin zusammengrenzenden Gebiete des deutschen Ritterordens und des
Schwertbrüderordens voneinander getrennt wurden. Der Kaiser Sigismund
trug Wjtaut die Königskrone an; 1429 sollte er sie sich in Wilna aufs Haupt
setzen. Indessen ließen die auf Litauens Größe neidischen Polen, die befürchteten,
daß Litauen sowohl politisch wie kirchlich völlig frei und von Polen unabhängig
würde, die kaiserliche Gesandtschaft nicht über die Grenze, und Wjtaut starb
enttäuscht und kinderlos in Troll. Litauen fiel nun in Personalunion mit Polen
und teilte dessen Geschicke. Zunächst blieb der litauische Adel völlig selbständig
und wählte jedesmal seinen Großfürsten, bevor die Polen zur Königswahl
geschritten waren. Erst 1501 wurde, nachdem bereits 1413 eine gleiche Verein¬
barung in Horodlo getroffen war, unter dem Einfluß des polnischen Adels
beschlossen, den König gemeinschaftlich zu wählen, der gleichzeitig Großfürst von
Litauen sein sollte. Litauen behielt aber zunächst noch eigene Verwaltung, ein
eigenes Heer, einen besondern Landtag in Wilna und eigene Finanzverwaltung.
Für die Rechtspflege in Litauen bildete das „litauische Statut" die Grundlage.
Darin hatte der Kanzler Gosztaut das litauische Gewohnheitsrecht und alle
Erlasse der litauischen Großfürsten zusammengefaßt. Das Statut blieb nach
seiner Bestätigung durch den Reichstag in Wilna 1529 bis zum Jahre 1839
in Kraft, wo es durch die russischen Reichsgesetze ersetzt wurde. Das Ende
fast jeglicher Selbständigkeit Litauens brachte die Union zu Ludim (1569). in
der beide Länder vereinigt, ein gemeinsamer Landtag und Senat eingeführt
und die Grenze zwischen Litauen und Polen verwischt wurde.

Das eigentliche ethnographische Litauen war klein im Verhältnis zu den
Gebieten, die der litauischen Herrschaft unterworfen waren. Der Adel, der die


Grenzbsten I 1916 14
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0221" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323318"/>
          <fw type="header" place="top"> Die litauisch-baltische Frage</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_700" prev="#ID_699"> seiner Verheiratung mit der polnischen Prinzessin Hedwig den Königsthron von<lb/>
Polen. Doch erzwang sich das litauische Volk zunächst noch einen eigenen<lb/>
Großfürsten, Wjtaut, Keistuts Sohn, der noch einmal die Macht litauischen<lb/>
Heldentums offenbarte. Wjtaut war ein kluger Politiker, der bald mit dem<lb/>
Orden, bald mit Jagello in Freundschaft stand, je nachdem es das Interesse<lb/>
seines Landes erheischte. Den Juden gab er 1389 besondere Vorrechte, um<lb/>
den Handel im Lande zu heben. Er förderte die Einführung des Christentums<lb/>
aus nationalen Gründen und sandte 1418 zwanzig griechische Bischöfe seines<lb/>
Landes nach Konstanz, um eine Union der römischen und griechischen Kirche<lb/>
herbeizuführen. Die Böhmen boten ihm ihre Königskrone an, weil sie von<lb/>
seiner religiösen Toleranz viel Segen erhofften. Mit seinem Vetter Jagello<lb/>
führte er 1410 die große Niederlage des Ordens bei Tannenberg herbei, wußte<lb/>
aber ini Frieden durchzusetzen, daß der Orden ihm gewogen blieb, er selbst<lb/>
Szamaiten behielt, Jagello aber nichts bekam. Es war das ein polititsch sehr<lb/>
kluger Schachzug Wjtauts, daß er im Interesse Litauens Polen nicht übermächtig<lb/>
werden ließ. 1422 schloß er mit dem Orden den Frieden am Melnosee,<lb/>
wodurch die noch jetzt bestehende Ostgrenze des Ordenslandes festgelegt wurde.<lb/>
Hierbei hat er den Zugang zur Ostsee bei Polangen für Litauen erwirkt, wodurch<lb/>
die bis dahin zusammengrenzenden Gebiete des deutschen Ritterordens und des<lb/>
Schwertbrüderordens voneinander getrennt wurden. Der Kaiser Sigismund<lb/>
trug Wjtaut die Königskrone an; 1429 sollte er sie sich in Wilna aufs Haupt<lb/>
setzen. Indessen ließen die auf Litauens Größe neidischen Polen, die befürchteten,<lb/>
daß Litauen sowohl politisch wie kirchlich völlig frei und von Polen unabhängig<lb/>
würde, die kaiserliche Gesandtschaft nicht über die Grenze, und Wjtaut starb<lb/>
enttäuscht und kinderlos in Troll. Litauen fiel nun in Personalunion mit Polen<lb/>
und teilte dessen Geschicke. Zunächst blieb der litauische Adel völlig selbständig<lb/>
und wählte jedesmal seinen Großfürsten, bevor die Polen zur Königswahl<lb/>
geschritten waren. Erst 1501 wurde, nachdem bereits 1413 eine gleiche Verein¬<lb/>
barung in Horodlo getroffen war, unter dem Einfluß des polnischen Adels<lb/>
beschlossen, den König gemeinschaftlich zu wählen, der gleichzeitig Großfürst von<lb/>
Litauen sein sollte. Litauen behielt aber zunächst noch eigene Verwaltung, ein<lb/>
eigenes Heer, einen besondern Landtag in Wilna und eigene Finanzverwaltung.<lb/>
Für die Rechtspflege in Litauen bildete das &#x201E;litauische Statut" die Grundlage.<lb/>
Darin hatte der Kanzler Gosztaut das litauische Gewohnheitsrecht und alle<lb/>
Erlasse der litauischen Großfürsten zusammengefaßt. Das Statut blieb nach<lb/>
seiner Bestätigung durch den Reichstag in Wilna 1529 bis zum Jahre 1839<lb/>
in Kraft, wo es durch die russischen Reichsgesetze ersetzt wurde. Das Ende<lb/>
fast jeglicher Selbständigkeit Litauens brachte die Union zu Ludim (1569). in<lb/>
der beide Länder vereinigt, ein gemeinsamer Landtag und Senat eingeführt<lb/>
und die Grenze zwischen Litauen und Polen verwischt wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_701" next="#ID_702"> Das eigentliche ethnographische Litauen war klein im Verhältnis zu den<lb/>
Gebieten, die der litauischen Herrschaft unterworfen waren.  Der Adel, der die</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbsten I 1916 14</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0221] Die litauisch-baltische Frage seiner Verheiratung mit der polnischen Prinzessin Hedwig den Königsthron von Polen. Doch erzwang sich das litauische Volk zunächst noch einen eigenen Großfürsten, Wjtaut, Keistuts Sohn, der noch einmal die Macht litauischen Heldentums offenbarte. Wjtaut war ein kluger Politiker, der bald mit dem Orden, bald mit Jagello in Freundschaft stand, je nachdem es das Interesse seines Landes erheischte. Den Juden gab er 1389 besondere Vorrechte, um den Handel im Lande zu heben. Er förderte die Einführung des Christentums aus nationalen Gründen und sandte 1418 zwanzig griechische Bischöfe seines Landes nach Konstanz, um eine Union der römischen und griechischen Kirche herbeizuführen. Die Böhmen boten ihm ihre Königskrone an, weil sie von seiner religiösen Toleranz viel Segen erhofften. Mit seinem Vetter Jagello führte er 1410 die große Niederlage des Ordens bei Tannenberg herbei, wußte aber ini Frieden durchzusetzen, daß der Orden ihm gewogen blieb, er selbst Szamaiten behielt, Jagello aber nichts bekam. Es war das ein polititsch sehr kluger Schachzug Wjtauts, daß er im Interesse Litauens Polen nicht übermächtig werden ließ. 1422 schloß er mit dem Orden den Frieden am Melnosee, wodurch die noch jetzt bestehende Ostgrenze des Ordenslandes festgelegt wurde. Hierbei hat er den Zugang zur Ostsee bei Polangen für Litauen erwirkt, wodurch die bis dahin zusammengrenzenden Gebiete des deutschen Ritterordens und des Schwertbrüderordens voneinander getrennt wurden. Der Kaiser Sigismund trug Wjtaut die Königskrone an; 1429 sollte er sie sich in Wilna aufs Haupt setzen. Indessen ließen die auf Litauens Größe neidischen Polen, die befürchteten, daß Litauen sowohl politisch wie kirchlich völlig frei und von Polen unabhängig würde, die kaiserliche Gesandtschaft nicht über die Grenze, und Wjtaut starb enttäuscht und kinderlos in Troll. Litauen fiel nun in Personalunion mit Polen und teilte dessen Geschicke. Zunächst blieb der litauische Adel völlig selbständig und wählte jedesmal seinen Großfürsten, bevor die Polen zur Königswahl geschritten waren. Erst 1501 wurde, nachdem bereits 1413 eine gleiche Verein¬ barung in Horodlo getroffen war, unter dem Einfluß des polnischen Adels beschlossen, den König gemeinschaftlich zu wählen, der gleichzeitig Großfürst von Litauen sein sollte. Litauen behielt aber zunächst noch eigene Verwaltung, ein eigenes Heer, einen besondern Landtag in Wilna und eigene Finanzverwaltung. Für die Rechtspflege in Litauen bildete das „litauische Statut" die Grundlage. Darin hatte der Kanzler Gosztaut das litauische Gewohnheitsrecht und alle Erlasse der litauischen Großfürsten zusammengefaßt. Das Statut blieb nach seiner Bestätigung durch den Reichstag in Wilna 1529 bis zum Jahre 1839 in Kraft, wo es durch die russischen Reichsgesetze ersetzt wurde. Das Ende fast jeglicher Selbständigkeit Litauens brachte die Union zu Ludim (1569). in der beide Länder vereinigt, ein gemeinsamer Landtag und Senat eingeführt und die Grenze zwischen Litauen und Polen verwischt wurde. Das eigentliche ethnographische Litauen war klein im Verhältnis zu den Gebieten, die der litauischen Herrschaft unterworfen waren. Der Adel, der die Grenzbsten I 1916 14

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/221
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/221>, abgerufen am 29.05.2024.