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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Arbeitskraft alles geschaffen, was zu einem modernen Staate gehört, soweit es
ohne spontane Mitwirkung des Volkes geschaffen werden kann und dieses bloß
als Material verwendet zu werden braucht; und aus der gewaltigen Größe
dieses Staates ergibt sich um die Haltung, die wir Deutschen ihm gegenüber
einzunehmen haben. Seit dreißig Jahren predige ich: nicht westwärts, sondern
nach Osten haben wir zu blicken.

Von Frankreich und England haben wir eiuen Stoß ins Herz nicht zu
fürchten: Frankreich ist zu schwach, und England ist eine Seemacht, Löwe und
Hai können einander nicht tödlich verwunden. Ein dem unsern ebenbürtiges
Heer konnte England sich nicht schaffen, denn bei allgemeiner Dienstpflicht wäre
es ihm unmöglich gewesen, sein Kolonialreich zu gründen und sein (schon seit
ein paar Jahrzehnten verlorenes) Handels- und Jndustriemonopol zu erwerben.
Das konnte es nur, weil jeder Engländer in seinen kräftigsten und unternehmungs¬
lustigsten Jahren seinen Geschäften und seiner Abenteuerlust in aller Welt nach¬
gehen durfte, ohne in seiner Bewegungsfreiheit durch die Dienstpflicht be¬
schränkt zu sein. Zudem vermöchte das Volk die Doppellast nicht zu
ertragen, wenn der Flotte noch ein Millionenheer beigegeben würde, die
Flotte aber kann es nicht entbehren, sie ist ihm das, was uns das Landheer
ist. In Heft 42 der vorjährigen Grenzboten habe ich gezeigt, daß es heute
keine Seehenschaft mehr geben kann, wenn man darunter die Macht eines
Staates versteht, den Verkehr der übrigen Nationen auf dem Weltmeere will¬
kürlich zu regeln oder einzuschränken, und angedeutet, daß den Engländern der
wahnsinnige Versuch, durch Rückkehr zur Piraterie diese Herrschaft noch einmal
zu erringen, teuer zu stehen kommen werde. Aber in einem anderen Sinne ist
das Streben der Engländer nach Seeherrschaft berechtigt und Pflicht der Selbst¬
erhaltung. Da Großbritanien eine Insel, ein Einfall in das Land also nur
zu Schiffe möglich ist. da zudem England vier Fünftel seiner Nahrungsmittel
aus überseeischen Gebieten bezieht und demnach durch Flotten ausgehungert
werden kann wie eine belagerte Stadt, so muß es unter der heute noch ziemlich
allgemein geltenden Voraussetzung, daß Kriege, auch zwischen den europäischen
Staaten, selbstverständlich und unvermeidlich seien, zu seinem Schutz eine Flotte
haben, die nicht nur jeder anderen Flotte, sondern auch jeder denkbaren
Kombination von Flotten gewachsen ist; die Engländer müssen darum bei jeder
Flottenverstärkung anderer Staaten Angst bekommen. Deutschland dagegen
bleibt -- trotz den glänzenden Taten unserer Marine, die möglich sind, weil
der Deutsche allseitig begabt ist -- nach seiner geographischen Lage, seiner
geschichtlichen Entwicklung und dem Naturell feiner Bevölkerung eine Landmacht;
glücklicherweise! Denn Seemächte ruhen auf einem unsicheren Fundament und
sind kurzlebig, wie schon Thukndides an dem Paradigma der griechischen Klein¬
staaten gezeigt hat. In einer der Beratungen, die dem Peloponnesischen Kriege
vorhergingen -- sie erinnern lebhast an die Präludien des jetzigen Weltkrieges --,
läßt er einen Korinther sagen: Die Athener haben das Geld und die Schiffe,


Der Feind im Göte»

Arbeitskraft alles geschaffen, was zu einem modernen Staate gehört, soweit es
ohne spontane Mitwirkung des Volkes geschaffen werden kann und dieses bloß
als Material verwendet zu werden braucht; und aus der gewaltigen Größe
dieses Staates ergibt sich um die Haltung, die wir Deutschen ihm gegenüber
einzunehmen haben. Seit dreißig Jahren predige ich: nicht westwärts, sondern
nach Osten haben wir zu blicken.

Von Frankreich und England haben wir eiuen Stoß ins Herz nicht zu
fürchten: Frankreich ist zu schwach, und England ist eine Seemacht, Löwe und
Hai können einander nicht tödlich verwunden. Ein dem unsern ebenbürtiges
Heer konnte England sich nicht schaffen, denn bei allgemeiner Dienstpflicht wäre
es ihm unmöglich gewesen, sein Kolonialreich zu gründen und sein (schon seit
ein paar Jahrzehnten verlorenes) Handels- und Jndustriemonopol zu erwerben.
Das konnte es nur, weil jeder Engländer in seinen kräftigsten und unternehmungs¬
lustigsten Jahren seinen Geschäften und seiner Abenteuerlust in aller Welt nach¬
gehen durfte, ohne in seiner Bewegungsfreiheit durch die Dienstpflicht be¬
schränkt zu sein. Zudem vermöchte das Volk die Doppellast nicht zu
ertragen, wenn der Flotte noch ein Millionenheer beigegeben würde, die
Flotte aber kann es nicht entbehren, sie ist ihm das, was uns das Landheer
ist. In Heft 42 der vorjährigen Grenzboten habe ich gezeigt, daß es heute
keine Seehenschaft mehr geben kann, wenn man darunter die Macht eines
Staates versteht, den Verkehr der übrigen Nationen auf dem Weltmeere will¬
kürlich zu regeln oder einzuschränken, und angedeutet, daß den Engländern der
wahnsinnige Versuch, durch Rückkehr zur Piraterie diese Herrschaft noch einmal
zu erringen, teuer zu stehen kommen werde. Aber in einem anderen Sinne ist
das Streben der Engländer nach Seeherrschaft berechtigt und Pflicht der Selbst¬
erhaltung. Da Großbritanien eine Insel, ein Einfall in das Land also nur
zu Schiffe möglich ist. da zudem England vier Fünftel seiner Nahrungsmittel
aus überseeischen Gebieten bezieht und demnach durch Flotten ausgehungert
werden kann wie eine belagerte Stadt, so muß es unter der heute noch ziemlich
allgemein geltenden Voraussetzung, daß Kriege, auch zwischen den europäischen
Staaten, selbstverständlich und unvermeidlich seien, zu seinem Schutz eine Flotte
haben, die nicht nur jeder anderen Flotte, sondern auch jeder denkbaren
Kombination von Flotten gewachsen ist; die Engländer müssen darum bei jeder
Flottenverstärkung anderer Staaten Angst bekommen. Deutschland dagegen
bleibt — trotz den glänzenden Taten unserer Marine, die möglich sind, weil
der Deutsche allseitig begabt ist — nach seiner geographischen Lage, seiner
geschichtlichen Entwicklung und dem Naturell feiner Bevölkerung eine Landmacht;
glücklicherweise! Denn Seemächte ruhen auf einem unsicheren Fundament und
sind kurzlebig, wie schon Thukndides an dem Paradigma der griechischen Klein¬
staaten gezeigt hat. In einer der Beratungen, die dem Peloponnesischen Kriege
vorhergingen — sie erinnern lebhast an die Präludien des jetzigen Weltkrieges —,
läßt er einen Korinther sagen: Die Athener haben das Geld und die Schiffe,


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[0024] Der Feind im Göte» Arbeitskraft alles geschaffen, was zu einem modernen Staate gehört, soweit es ohne spontane Mitwirkung des Volkes geschaffen werden kann und dieses bloß als Material verwendet zu werden braucht; und aus der gewaltigen Größe dieses Staates ergibt sich um die Haltung, die wir Deutschen ihm gegenüber einzunehmen haben. Seit dreißig Jahren predige ich: nicht westwärts, sondern nach Osten haben wir zu blicken. Von Frankreich und England haben wir eiuen Stoß ins Herz nicht zu fürchten: Frankreich ist zu schwach, und England ist eine Seemacht, Löwe und Hai können einander nicht tödlich verwunden. Ein dem unsern ebenbürtiges Heer konnte England sich nicht schaffen, denn bei allgemeiner Dienstpflicht wäre es ihm unmöglich gewesen, sein Kolonialreich zu gründen und sein (schon seit ein paar Jahrzehnten verlorenes) Handels- und Jndustriemonopol zu erwerben. Das konnte es nur, weil jeder Engländer in seinen kräftigsten und unternehmungs¬ lustigsten Jahren seinen Geschäften und seiner Abenteuerlust in aller Welt nach¬ gehen durfte, ohne in seiner Bewegungsfreiheit durch die Dienstpflicht be¬ schränkt zu sein. Zudem vermöchte das Volk die Doppellast nicht zu ertragen, wenn der Flotte noch ein Millionenheer beigegeben würde, die Flotte aber kann es nicht entbehren, sie ist ihm das, was uns das Landheer ist. In Heft 42 der vorjährigen Grenzboten habe ich gezeigt, daß es heute keine Seehenschaft mehr geben kann, wenn man darunter die Macht eines Staates versteht, den Verkehr der übrigen Nationen auf dem Weltmeere will¬ kürlich zu regeln oder einzuschränken, und angedeutet, daß den Engländern der wahnsinnige Versuch, durch Rückkehr zur Piraterie diese Herrschaft noch einmal zu erringen, teuer zu stehen kommen werde. Aber in einem anderen Sinne ist das Streben der Engländer nach Seeherrschaft berechtigt und Pflicht der Selbst¬ erhaltung. Da Großbritanien eine Insel, ein Einfall in das Land also nur zu Schiffe möglich ist. da zudem England vier Fünftel seiner Nahrungsmittel aus überseeischen Gebieten bezieht und demnach durch Flotten ausgehungert werden kann wie eine belagerte Stadt, so muß es unter der heute noch ziemlich allgemein geltenden Voraussetzung, daß Kriege, auch zwischen den europäischen Staaten, selbstverständlich und unvermeidlich seien, zu seinem Schutz eine Flotte haben, die nicht nur jeder anderen Flotte, sondern auch jeder denkbaren Kombination von Flotten gewachsen ist; die Engländer müssen darum bei jeder Flottenverstärkung anderer Staaten Angst bekommen. Deutschland dagegen bleibt — trotz den glänzenden Taten unserer Marine, die möglich sind, weil der Deutsche allseitig begabt ist — nach seiner geographischen Lage, seiner geschichtlichen Entwicklung und dem Naturell feiner Bevölkerung eine Landmacht; glücklicherweise! Denn Seemächte ruhen auf einem unsicheren Fundament und sind kurzlebig, wie schon Thukndides an dem Paradigma der griechischen Klein¬ staaten gezeigt hat. In einer der Beratungen, die dem Peloponnesischen Kriege vorhergingen — sie erinnern lebhast an die Präludien des jetzigen Weltkrieges —, läßt er einen Korinther sagen: Die Athener haben das Geld und die Schiffe,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/24>, abgerufen am 15.05.2024.