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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Der Feind im Gston

wir haben das Land und die Leiber, und das ist mehr; denn w,is wir
Peloponnesier von Natur haben, das können sich die Athener nicht verschaffen;
dagegen, was sie durch Verstand und Übung erworben haben: Schiffe und
Geschicklichkeit im Seekampf, das können, wenns not tut, auch wir uns erwerben.
(Bei historischen Parallelen darf man die Unähnlichkeiten nicht übersehen. Gro߬
britannien mit seinen 42 Millionen Bewohnern ist ein ganz anderes Land, als
das jedem feindlichen Einfall offenstehende winzige Attika war, dafür war Athen
eine geistige Macht, mit der sich England nicht vergleichen kann, und hat noch
sechshundert Jahre nach dem Verlust seiner politischen Selbständigkeit mit dem
milden Lichte seiner humanen Bildung die Jugend, auch die christliche, veredelt.
Anderererseits ist Deutschland eine den Engländern weit überlegene Geistes- und
Kulturmacht, während Sparta, die Führerin der Peloponnesier, der höheren
Bildung entbehrte und infolge seiner von den heutigen Eugenikern gerühmten
"Menschenzüchtung" abstarb: König Agis der Vierte fand bei seinem Regierungs¬
antritt in der Mitte des dritten Jahrhunderts vor Christus nur noch siebenhundert
echte Spartiaten vor.)

Sehr viel anders schauts im Osten aus.

Entweder: es gelingt den russischen Staatsmännern, die verrottete Ver¬
waltung zu reformieren, Volkswirtschaft und Volksbildung auf die europäische
Stufe zu heben, -- dann erdrückt uns der Koloß.

Oder: Land und Volk bleiben bei aller äußerlichen Machtentfaltung in
ihrem elenden Zustande; dann ist es Sünde und Schande, wenn wir Nachbarn ge¬
lassen und untätig zusehen, wie der beste Weizeuboden Europas versumpft, versandet,
primitiv bewirtschaftet wird, und wie die großen Wälder verwüstet werden.
Europa bedarf dieser jetzt so schlecht verwalteten Naturschätze, und wir Deutschen
bedürfen ihrer am dringendsten.

Das "entweder" wird jetzt ja wohl auch von den altpreußischen Russen-
freunden zugestanden: die Gefahr, die von Rußland droht, sogar schon ehe die
von seinen Staatsmännern angestrebte wirtschaftliche und kulturelle Hebung
gelungen ist, die Gefahr, von seinen Millionenheeren erdrückt zu werden, während
dem russischen Staate die ungeheure Größe des Landes, seine Unwegsamkeit,
die daraus sich ergebenden Verpflegungsschwierigkeiten vor eindringenden Feinden
Schutz gewähren. Wie eine Dampfwalze, haben unsere Feinde im Westen gehofft,
würden Rußlands Heere, alles zermalmend, sich über Deutschland wegwälzen. Als
ob die Walze auf der Eifel und den Vogesen halt machen würde! Der französische
Rotwein allein schon würde die asiatischen Horden locken, in die gesegneten Fluren
Frankreichs hinabzusteigen. Aber die Erwartung war gar nicht übertrieben;
war Deutschlands Wacht an der Weichsel weniger stark, dann geschah, worauf
die Toren an der Seine sich freuten: Europa wurde kosakisch und seine Kultur
war dahin.

Mein "oder" stößt noch auf lebhaften Widerspruch. Die agrarische Rechte
behauptet, die deutsche Landwirtschaft könne über hundert Millionen Menschen


Der Feind im Gston

wir haben das Land und die Leiber, und das ist mehr; denn w,is wir
Peloponnesier von Natur haben, das können sich die Athener nicht verschaffen;
dagegen, was sie durch Verstand und Übung erworben haben: Schiffe und
Geschicklichkeit im Seekampf, das können, wenns not tut, auch wir uns erwerben.
(Bei historischen Parallelen darf man die Unähnlichkeiten nicht übersehen. Gro߬
britannien mit seinen 42 Millionen Bewohnern ist ein ganz anderes Land, als
das jedem feindlichen Einfall offenstehende winzige Attika war, dafür war Athen
eine geistige Macht, mit der sich England nicht vergleichen kann, und hat noch
sechshundert Jahre nach dem Verlust seiner politischen Selbständigkeit mit dem
milden Lichte seiner humanen Bildung die Jugend, auch die christliche, veredelt.
Anderererseits ist Deutschland eine den Engländern weit überlegene Geistes- und
Kulturmacht, während Sparta, die Führerin der Peloponnesier, der höheren
Bildung entbehrte und infolge seiner von den heutigen Eugenikern gerühmten
„Menschenzüchtung" abstarb: König Agis der Vierte fand bei seinem Regierungs¬
antritt in der Mitte des dritten Jahrhunderts vor Christus nur noch siebenhundert
echte Spartiaten vor.)

Sehr viel anders schauts im Osten aus.

Entweder: es gelingt den russischen Staatsmännern, die verrottete Ver¬
waltung zu reformieren, Volkswirtschaft und Volksbildung auf die europäische
Stufe zu heben, — dann erdrückt uns der Koloß.

Oder: Land und Volk bleiben bei aller äußerlichen Machtentfaltung in
ihrem elenden Zustande; dann ist es Sünde und Schande, wenn wir Nachbarn ge¬
lassen und untätig zusehen, wie der beste Weizeuboden Europas versumpft, versandet,
primitiv bewirtschaftet wird, und wie die großen Wälder verwüstet werden.
Europa bedarf dieser jetzt so schlecht verwalteten Naturschätze, und wir Deutschen
bedürfen ihrer am dringendsten.

Das „entweder" wird jetzt ja wohl auch von den altpreußischen Russen-
freunden zugestanden: die Gefahr, die von Rußland droht, sogar schon ehe die
von seinen Staatsmännern angestrebte wirtschaftliche und kulturelle Hebung
gelungen ist, die Gefahr, von seinen Millionenheeren erdrückt zu werden, während
dem russischen Staate die ungeheure Größe des Landes, seine Unwegsamkeit,
die daraus sich ergebenden Verpflegungsschwierigkeiten vor eindringenden Feinden
Schutz gewähren. Wie eine Dampfwalze, haben unsere Feinde im Westen gehofft,
würden Rußlands Heere, alles zermalmend, sich über Deutschland wegwälzen. Als
ob die Walze auf der Eifel und den Vogesen halt machen würde! Der französische
Rotwein allein schon würde die asiatischen Horden locken, in die gesegneten Fluren
Frankreichs hinabzusteigen. Aber die Erwartung war gar nicht übertrieben;
war Deutschlands Wacht an der Weichsel weniger stark, dann geschah, worauf
die Toren an der Seine sich freuten: Europa wurde kosakisch und seine Kultur
war dahin.

Mein „oder" stößt noch auf lebhaften Widerspruch. Die agrarische Rechte
behauptet, die deutsche Landwirtschaft könne über hundert Millionen Menschen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/25>, abgerufen am 15.05.2024.