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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Der Feind im Gsten

ernähren. Möglich, aber doch nur bei weiterer Intensivierung des Betriebs,
also Steigerung der Brot- und Fleischpreise; will oder kann die das Volk nicht
zahlen, dann fallen die Agrarzölle, die deutsche Landwirtschaft erliegt einer
Katastrophe, und das deutsche Volk wird mit seiner Ernährung vom Auslande
abhängig. Das will geradezu die Linke: mit ausgeführten Jndustrieerzeugnissen
sollen wir Brot kaufen und so in die ungesunden Zustände Englands hinein¬
geraten, die ich oft geschildert habe. Überseeische Kolonien sollen ergänzen.
Aber was können die helfen? Überseeische Siedlungsgebiete giebt es nicht
mehr. Die Naturschätze der Tropen unserer Kulturwelt zuzuführen, ist ein
nobile okkicium aller Kulturnationen, und jeder Europäer, der will, kann sich
an der Erfüllung dieser Pflicht beteiligen. Aber der Besitz, die Verwaltung
und Verteidigung eines tropischen Gebietes ist kein Vorteil für den besitzenden
Staat; ihm bürdet solcher Besitz nur Kosten und Arbeit auf und schwächt, da
er zur Zersplitterung seiner Streitkräfte zwingt, seine Macht. Für den englischen
Staat sind nur das tropische Indien und das subtropische Ägypten, als alte
Kulturländer, bisher Einnahmequellen, gewesen, die aber jetzt, wenn sie
nicht ganz verloren gehen, nahe daran sind, sich in fressende Kapitalien
zu verwandeln. Was uns dagegen Rußland verspricht, ist in Heft 47
der vorjährigen Grenzboten angedeutet worden. Solange die Macht des
Zartums ungebrochen bleibt, sperrt dieses uns auch den Zugang zur
asiatischen Türkei. Der Sultan wird es sicherlich gern sehen, wenn deutscher
Geist und deutscher Fleiß diese Länder zu neuem wirtschaftlichen Leben erwecken
und dadurch seinen Staat bereichern; daß sie Nußland denselben Dienst er¬
weisen, mag das Zartum nicht leiden, schon in den achtziger Jahren hat die
Vertreibung tüchtiger deutscher Landwirte aus russisch Polen begonnen. Die
Einwendungen gegen meine Behauptung, daß Deutschland übervölkert sei und
fein Volk mehr Land brauche, habe ich andernorts oft widerlegt. Hier will ich
nur den Hinweis auf den Rückgang der Auswanderung begegnen mit dem Hinweis
auf unsere in den Konzentrationslagern der Feinde schmachtenden Volksgenossen,
die in der Auswandererstatistik nicht sichtbar werden. Die Forderung der
Vergeltung wurde im ersten Dezemberheft des Kunstwart mit der Bemerkung
zurückgewiesen. Wiedervergeltung sei gar nicht möglich, weil in England,
Frankreich und Rußland zwanzigmal soviel Deutsche ihr Brot suchten, als
Ausländer in Deutschland (der slawischen Wanderarbeiter würde in einem
anderen Zusammenhange zu gedenken sein), und eine fünfprozentige Wieder¬
vergeltung keinen Eindruck machen würde. Die Bevölkerungskapazität des
Bodens wächst ja mit dem Fortschritte der Technik, aber doch nicht ins grenzen¬
lose; beim Wachstum der Volkszahl über eine gewisse Grenze hinaus bleibt
Erweiterung des Nahrungs- und Bewegungsspielraums unabweisbares Be¬
dürfnis. Das ist eine so einleuchtende und allgemein anerkannte Wahrheit,
daß in der ganzen Welt kein Mensch an unsere Aufrichtigkeit geglaubt hat,
wenn wir unsere Friedensliebe beteuerten. Der richtige Zeitpunkt, die Ent-


Der Feind im Gsten

ernähren. Möglich, aber doch nur bei weiterer Intensivierung des Betriebs,
also Steigerung der Brot- und Fleischpreise; will oder kann die das Volk nicht
zahlen, dann fallen die Agrarzölle, die deutsche Landwirtschaft erliegt einer
Katastrophe, und das deutsche Volk wird mit seiner Ernährung vom Auslande
abhängig. Das will geradezu die Linke: mit ausgeführten Jndustrieerzeugnissen
sollen wir Brot kaufen und so in die ungesunden Zustände Englands hinein¬
geraten, die ich oft geschildert habe. Überseeische Kolonien sollen ergänzen.
Aber was können die helfen? Überseeische Siedlungsgebiete giebt es nicht
mehr. Die Naturschätze der Tropen unserer Kulturwelt zuzuführen, ist ein
nobile okkicium aller Kulturnationen, und jeder Europäer, der will, kann sich
an der Erfüllung dieser Pflicht beteiligen. Aber der Besitz, die Verwaltung
und Verteidigung eines tropischen Gebietes ist kein Vorteil für den besitzenden
Staat; ihm bürdet solcher Besitz nur Kosten und Arbeit auf und schwächt, da
er zur Zersplitterung seiner Streitkräfte zwingt, seine Macht. Für den englischen
Staat sind nur das tropische Indien und das subtropische Ägypten, als alte
Kulturländer, bisher Einnahmequellen, gewesen, die aber jetzt, wenn sie
nicht ganz verloren gehen, nahe daran sind, sich in fressende Kapitalien
zu verwandeln. Was uns dagegen Rußland verspricht, ist in Heft 47
der vorjährigen Grenzboten angedeutet worden. Solange die Macht des
Zartums ungebrochen bleibt, sperrt dieses uns auch den Zugang zur
asiatischen Türkei. Der Sultan wird es sicherlich gern sehen, wenn deutscher
Geist und deutscher Fleiß diese Länder zu neuem wirtschaftlichen Leben erwecken
und dadurch seinen Staat bereichern; daß sie Nußland denselben Dienst er¬
weisen, mag das Zartum nicht leiden, schon in den achtziger Jahren hat die
Vertreibung tüchtiger deutscher Landwirte aus russisch Polen begonnen. Die
Einwendungen gegen meine Behauptung, daß Deutschland übervölkert sei und
fein Volk mehr Land brauche, habe ich andernorts oft widerlegt. Hier will ich
nur den Hinweis auf den Rückgang der Auswanderung begegnen mit dem Hinweis
auf unsere in den Konzentrationslagern der Feinde schmachtenden Volksgenossen,
die in der Auswandererstatistik nicht sichtbar werden. Die Forderung der
Vergeltung wurde im ersten Dezemberheft des Kunstwart mit der Bemerkung
zurückgewiesen. Wiedervergeltung sei gar nicht möglich, weil in England,
Frankreich und Rußland zwanzigmal soviel Deutsche ihr Brot suchten, als
Ausländer in Deutschland (der slawischen Wanderarbeiter würde in einem
anderen Zusammenhange zu gedenken sein), und eine fünfprozentige Wieder¬
vergeltung keinen Eindruck machen würde. Die Bevölkerungskapazität des
Bodens wächst ja mit dem Fortschritte der Technik, aber doch nicht ins grenzen¬
lose; beim Wachstum der Volkszahl über eine gewisse Grenze hinaus bleibt
Erweiterung des Nahrungs- und Bewegungsspielraums unabweisbares Be¬
dürfnis. Das ist eine so einleuchtende und allgemein anerkannte Wahrheit,
daß in der ganzen Welt kein Mensch an unsere Aufrichtigkeit geglaubt hat,
wenn wir unsere Friedensliebe beteuerten. Der richtige Zeitpunkt, die Ent-


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[0026] Der Feind im Gsten ernähren. Möglich, aber doch nur bei weiterer Intensivierung des Betriebs, also Steigerung der Brot- und Fleischpreise; will oder kann die das Volk nicht zahlen, dann fallen die Agrarzölle, die deutsche Landwirtschaft erliegt einer Katastrophe, und das deutsche Volk wird mit seiner Ernährung vom Auslande abhängig. Das will geradezu die Linke: mit ausgeführten Jndustrieerzeugnissen sollen wir Brot kaufen und so in die ungesunden Zustände Englands hinein¬ geraten, die ich oft geschildert habe. Überseeische Kolonien sollen ergänzen. Aber was können die helfen? Überseeische Siedlungsgebiete giebt es nicht mehr. Die Naturschätze der Tropen unserer Kulturwelt zuzuführen, ist ein nobile okkicium aller Kulturnationen, und jeder Europäer, der will, kann sich an der Erfüllung dieser Pflicht beteiligen. Aber der Besitz, die Verwaltung und Verteidigung eines tropischen Gebietes ist kein Vorteil für den besitzenden Staat; ihm bürdet solcher Besitz nur Kosten und Arbeit auf und schwächt, da er zur Zersplitterung seiner Streitkräfte zwingt, seine Macht. Für den englischen Staat sind nur das tropische Indien und das subtropische Ägypten, als alte Kulturländer, bisher Einnahmequellen, gewesen, die aber jetzt, wenn sie nicht ganz verloren gehen, nahe daran sind, sich in fressende Kapitalien zu verwandeln. Was uns dagegen Rußland verspricht, ist in Heft 47 der vorjährigen Grenzboten angedeutet worden. Solange die Macht des Zartums ungebrochen bleibt, sperrt dieses uns auch den Zugang zur asiatischen Türkei. Der Sultan wird es sicherlich gern sehen, wenn deutscher Geist und deutscher Fleiß diese Länder zu neuem wirtschaftlichen Leben erwecken und dadurch seinen Staat bereichern; daß sie Nußland denselben Dienst er¬ weisen, mag das Zartum nicht leiden, schon in den achtziger Jahren hat die Vertreibung tüchtiger deutscher Landwirte aus russisch Polen begonnen. Die Einwendungen gegen meine Behauptung, daß Deutschland übervölkert sei und fein Volk mehr Land brauche, habe ich andernorts oft widerlegt. Hier will ich nur den Hinweis auf den Rückgang der Auswanderung begegnen mit dem Hinweis auf unsere in den Konzentrationslagern der Feinde schmachtenden Volksgenossen, die in der Auswandererstatistik nicht sichtbar werden. Die Forderung der Vergeltung wurde im ersten Dezemberheft des Kunstwart mit der Bemerkung zurückgewiesen. Wiedervergeltung sei gar nicht möglich, weil in England, Frankreich und Rußland zwanzigmal soviel Deutsche ihr Brot suchten, als Ausländer in Deutschland (der slawischen Wanderarbeiter würde in einem anderen Zusammenhange zu gedenken sein), und eine fünfprozentige Wieder¬ vergeltung keinen Eindruck machen würde. Die Bevölkerungskapazität des Bodens wächst ja mit dem Fortschritte der Technik, aber doch nicht ins grenzen¬ lose; beim Wachstum der Volkszahl über eine gewisse Grenze hinaus bleibt Erweiterung des Nahrungs- und Bewegungsspielraums unabweisbares Be¬ dürfnis. Das ist eine so einleuchtende und allgemein anerkannte Wahrheit, daß in der ganzen Welt kein Mensch an unsere Aufrichtigkeit geglaubt hat, wenn wir unsere Friedensliebe beteuerten. Der richtige Zeitpunkt, die Ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/26>, abgerufen am 15.05.2024.