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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Der Feind im Böden

Scheidung herbeizuführen, war die russische Revolution nach der ostasiatischen
Niederlage. Damals mußte das deutsche Volk den westlichen Nachbarn sagen:
"Ihr habt vollkommen recht, wir sind keine saturierte Nation, aber wir sind
weder so gewissenlos noch so töricht, über euch herzufallen, die ihr das, was
wir brauchen, Neuland, nicht habt; im Osten und Südosten liegt unser Kolonial¬
land." Gelang es damals unserer Diplomatie, Frankreichs und Englands
Neutralität zu erkaufen, dann war der Sieg über Rußland ohne schwere Opfer
zu erringen.

Friedrich Meinecke, der uns vor vier Jahren das schöne Werk "Welt¬
bürgertum und Nationalstaat" geschenkt hat, führte kürzlich in einer Zeitschrift
aus, Depressionsgebiete, in denen die Kriegsgewitter entstünden, seien die
schwachen Staaten, denn sie lockten, als Jagdgründe, die starken an. Das
kommt ja vor, ist aber heute nicht mehr die Regel; nicht um Beute zu er¬
jagen, sind die deutschen Truppen in das schwache Belgien eingerückt, denn wir
sind ein sittliches Volk. Gewiß, die Schritte des Staatsmannes dürfen nicht mit
der Elle der Philistermoral gemessen werden, aber verzichtet die Politik auf
sittliche Normen und Aufgaben, dann sinkt sie zu einer wüsten Balgerei herab,
an der sich zu beteiligen der echte Mensch, der den Namen Mensch verdient,
nicht mehr der Mühe wert erachtet, ^re völkerrechtlichen Vereinbarungen be¬
weisen, daß sich die moderne Menschheit des sittlichen Gehalts der Politik erinnert
hat. Was ist nun sittlich gut? Was (leiblich, geistig, sittlich) gesundes Menschen¬
leben und Streben erhält und fördert. Nur der Pessimist, dem der Wille zum
Dasein als das Urböse gilt, muß diese Definition ablehnen. Gesunde und
gute Menschen töten, ihre Felder und Gärten verwüsten, ihre Häuser verbrennen,
ihre Kunstdenkmäler zerschießen, das sind demnach, weil sie Leben und dem
Leben dienende Menschenwerke zerstören und vernichten, an sich Verbrechen, die
nur in dem Falle zu erlaubten Handlungen werden, daß es kein anderes
Mittel gibt, das Leben der eigenen Nation vor der drohenden Vernichtung zu
schützen. Woraus folgt, daß der Krieg gegen einen Kulturstaat nur als Ver-
teidigungs- niemals cels Angriffskrieg erlaubt ist. Zu ewigem Ruhme gereicht
es dem deutschen Volke und der deutschen Regierung, daß sie nach diesem
Grundsatze gehandelt, Belgien und einen Teil von Frankreich nur okkupiert
haben, weil sie das mußten, weil die Feinde an Deutschland das ruchlose Ver¬
brechen zu verüben geplant hatten, und daß sie mitten in der blutigen Kriegs¬
arbeit die unvermeidlichen Zerstörungen samt den vermeidlichen, welche die Feinde
im eigenen Lande anrichten, nach Kräften wieder gut machen, bauend, ordnend,
schaffend sich als Diener des guten Prinzips, des schöpferischen, Leben liebenden,
als Kinder Gottes bewähren. Daß dieses und manch anderes Gute -- wer
möchte die sittliche Größe unseres Volkes vermissen, die sich im Kriege offenbart!
-- aus jenem Verbrechen hervorgeht, bedeutet keine Verminderung der Schuld
der Verbrecher. "Ärgernisse müssen kommen, aber wehe dem Menschen,
der Ärgernis gibt!" Den Grundsatz nun, zu dem das deutsche Volk in


Der Feind im Böden

Scheidung herbeizuführen, war die russische Revolution nach der ostasiatischen
Niederlage. Damals mußte das deutsche Volk den westlichen Nachbarn sagen:
„Ihr habt vollkommen recht, wir sind keine saturierte Nation, aber wir sind
weder so gewissenlos noch so töricht, über euch herzufallen, die ihr das, was
wir brauchen, Neuland, nicht habt; im Osten und Südosten liegt unser Kolonial¬
land." Gelang es damals unserer Diplomatie, Frankreichs und Englands
Neutralität zu erkaufen, dann war der Sieg über Rußland ohne schwere Opfer
zu erringen.

Friedrich Meinecke, der uns vor vier Jahren das schöne Werk „Welt¬
bürgertum und Nationalstaat" geschenkt hat, führte kürzlich in einer Zeitschrift
aus, Depressionsgebiete, in denen die Kriegsgewitter entstünden, seien die
schwachen Staaten, denn sie lockten, als Jagdgründe, die starken an. Das
kommt ja vor, ist aber heute nicht mehr die Regel; nicht um Beute zu er¬
jagen, sind die deutschen Truppen in das schwache Belgien eingerückt, denn wir
sind ein sittliches Volk. Gewiß, die Schritte des Staatsmannes dürfen nicht mit
der Elle der Philistermoral gemessen werden, aber verzichtet die Politik auf
sittliche Normen und Aufgaben, dann sinkt sie zu einer wüsten Balgerei herab,
an der sich zu beteiligen der echte Mensch, der den Namen Mensch verdient,
nicht mehr der Mühe wert erachtet, ^re völkerrechtlichen Vereinbarungen be¬
weisen, daß sich die moderne Menschheit des sittlichen Gehalts der Politik erinnert
hat. Was ist nun sittlich gut? Was (leiblich, geistig, sittlich) gesundes Menschen¬
leben und Streben erhält und fördert. Nur der Pessimist, dem der Wille zum
Dasein als das Urböse gilt, muß diese Definition ablehnen. Gesunde und
gute Menschen töten, ihre Felder und Gärten verwüsten, ihre Häuser verbrennen,
ihre Kunstdenkmäler zerschießen, das sind demnach, weil sie Leben und dem
Leben dienende Menschenwerke zerstören und vernichten, an sich Verbrechen, die
nur in dem Falle zu erlaubten Handlungen werden, daß es kein anderes
Mittel gibt, das Leben der eigenen Nation vor der drohenden Vernichtung zu
schützen. Woraus folgt, daß der Krieg gegen einen Kulturstaat nur als Ver-
teidigungs- niemals cels Angriffskrieg erlaubt ist. Zu ewigem Ruhme gereicht
es dem deutschen Volke und der deutschen Regierung, daß sie nach diesem
Grundsatze gehandelt, Belgien und einen Teil von Frankreich nur okkupiert
haben, weil sie das mußten, weil die Feinde an Deutschland das ruchlose Ver¬
brechen zu verüben geplant hatten, und daß sie mitten in der blutigen Kriegs¬
arbeit die unvermeidlichen Zerstörungen samt den vermeidlichen, welche die Feinde
im eigenen Lande anrichten, nach Kräften wieder gut machen, bauend, ordnend,
schaffend sich als Diener des guten Prinzips, des schöpferischen, Leben liebenden,
als Kinder Gottes bewähren. Daß dieses und manch anderes Gute — wer
möchte die sittliche Größe unseres Volkes vermissen, die sich im Kriege offenbart!
— aus jenem Verbrechen hervorgeht, bedeutet keine Verminderung der Schuld
der Verbrecher. „Ärgernisse müssen kommen, aber wehe dem Menschen,
der Ärgernis gibt!" Den Grundsatz nun, zu dem das deutsche Volk in


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[0027] Der Feind im Böden Scheidung herbeizuführen, war die russische Revolution nach der ostasiatischen Niederlage. Damals mußte das deutsche Volk den westlichen Nachbarn sagen: „Ihr habt vollkommen recht, wir sind keine saturierte Nation, aber wir sind weder so gewissenlos noch so töricht, über euch herzufallen, die ihr das, was wir brauchen, Neuland, nicht habt; im Osten und Südosten liegt unser Kolonial¬ land." Gelang es damals unserer Diplomatie, Frankreichs und Englands Neutralität zu erkaufen, dann war der Sieg über Rußland ohne schwere Opfer zu erringen. Friedrich Meinecke, der uns vor vier Jahren das schöne Werk „Welt¬ bürgertum und Nationalstaat" geschenkt hat, führte kürzlich in einer Zeitschrift aus, Depressionsgebiete, in denen die Kriegsgewitter entstünden, seien die schwachen Staaten, denn sie lockten, als Jagdgründe, die starken an. Das kommt ja vor, ist aber heute nicht mehr die Regel; nicht um Beute zu er¬ jagen, sind die deutschen Truppen in das schwache Belgien eingerückt, denn wir sind ein sittliches Volk. Gewiß, die Schritte des Staatsmannes dürfen nicht mit der Elle der Philistermoral gemessen werden, aber verzichtet die Politik auf sittliche Normen und Aufgaben, dann sinkt sie zu einer wüsten Balgerei herab, an der sich zu beteiligen der echte Mensch, der den Namen Mensch verdient, nicht mehr der Mühe wert erachtet, ^re völkerrechtlichen Vereinbarungen be¬ weisen, daß sich die moderne Menschheit des sittlichen Gehalts der Politik erinnert hat. Was ist nun sittlich gut? Was (leiblich, geistig, sittlich) gesundes Menschen¬ leben und Streben erhält und fördert. Nur der Pessimist, dem der Wille zum Dasein als das Urböse gilt, muß diese Definition ablehnen. Gesunde und gute Menschen töten, ihre Felder und Gärten verwüsten, ihre Häuser verbrennen, ihre Kunstdenkmäler zerschießen, das sind demnach, weil sie Leben und dem Leben dienende Menschenwerke zerstören und vernichten, an sich Verbrechen, die nur in dem Falle zu erlaubten Handlungen werden, daß es kein anderes Mittel gibt, das Leben der eigenen Nation vor der drohenden Vernichtung zu schützen. Woraus folgt, daß der Krieg gegen einen Kulturstaat nur als Ver- teidigungs- niemals cels Angriffskrieg erlaubt ist. Zu ewigem Ruhme gereicht es dem deutschen Volke und der deutschen Regierung, daß sie nach diesem Grundsatze gehandelt, Belgien und einen Teil von Frankreich nur okkupiert haben, weil sie das mußten, weil die Feinde an Deutschland das ruchlose Ver¬ brechen zu verüben geplant hatten, und daß sie mitten in der blutigen Kriegs¬ arbeit die unvermeidlichen Zerstörungen samt den vermeidlichen, welche die Feinde im eigenen Lande anrichten, nach Kräften wieder gut machen, bauend, ordnend, schaffend sich als Diener des guten Prinzips, des schöpferischen, Leben liebenden, als Kinder Gottes bewähren. Daß dieses und manch anderes Gute — wer möchte die sittliche Größe unseres Volkes vermissen, die sich im Kriege offenbart! — aus jenem Verbrechen hervorgeht, bedeutet keine Verminderung der Schuld der Verbrecher. „Ärgernisse müssen kommen, aber wehe dem Menschen, der Ärgernis gibt!" Den Grundsatz nun, zu dem das deutsche Volk in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/27>, abgerufen am 15.05.2024.