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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Der Feind im Vsten

Wort und Tat sich bekennt, daß Kulturvölker nicht angegriffen werden
dürfen, haben wir auch den Herzen der übrigen Nationen einzupflanzen; die
Neutralen werden ihn mit Freuden auf- und annehmen, die Engländer und
Franzosen wird die eherne Stimme der deutschen Geschütze von seiner Richtigkeit
überzeugen.

Der große Fehler der europäischen Politik besteht darin, daß sie Rußland
als gleichberechtigten Kulturstaat anerkennt, weil es die Fassade und die
materiellen Machtmittel eines Großstaats besitzt. Rußland ist eine astatische
Barbarei und darum rechtmäßiger Jagdgrund, oder sagen wir lieber, da wir
doch keine Hunnen sind, eine Arbeitsstätte, ein Neuland, in welchem sich
Deutschlands Geist und Kraft schöpferisch betätigen können. In Rußland würde
ein deutsches Heer, zur rechten Zeit eingerückt, wenig zerstört (auch schon weit
weniger als im Westen zu zerstören gefunden), dagegen eine unendliche Fülle
schöpferischer Tätigkeit entbunden haben. Genauer als Meineckes Wort trifft
das Wort eines englischen Staatsmannes, wenn ich mich recht erinnere Salis-
burns, den Kern des Problems: die Gefahr des Krieges lauere nur noch dort,
wo die Kultur an die Barbarei grenzt; Barbarenläuder sind rechtmäßige "Jagd¬
gründe"; sie in Besitz nehmen und kultivieren, heißt das göttliche Gebot
1. Mose 1, 28 erfüllen: "Wachset und mehret euch und erfüllet die Erde und
machet sie euch Untertan"; heißt nach der natürlichen und vernünftigen Regel
verfahren, daß die Auswanderung aus den dicht bevölkerten in die menschen¬
leeren, aus den hochkultivierten in die unzivilisierten Länder zu leiten ist.

Eine andere Betrachtungsweise mündet in dasselbe Ergebnis. Die Welt¬
geschichte beginnt mit Fehden der Sippen, einem Kriege aller gegen alle. Die
Sippen ballen sich zu Stämmen, die Stämme zu Völkern zusammen, aus deren
Innerem, sobald sie als Staaten organisiert sind, der Kampf mit körperlichen
Waffen verbannt ist. In Vorderasten begann die Großstaatbildung, griff nach
Europa über, und der Prozeß endete mit dem befriedeten orbis terrarum derNömer.
Während dieser zerfiel, begann der Prozeß aufs neue in größerem Maßstabe
und auf einer höheren Entwicklungsstufe. Das Mittelalter hindurch befehdeten
Großgrundbesitzer, Ritter, Städte, Bauernschaften, Stände einander. Territorial¬
staaten machten dem Kleinkrieg in, Innern ein Ende und schoben den Waffen-
lampf an die Grenzen der Staaten hinaus. Teils unbewußt, teils mit klarer
Erkenntnis des Zieles rangen die Territorialstaaten mit einander, bis die
Nationalstaaten fertig waren. Seitdem 1870 Deutschland und Italien das Ziel
erreicht haben, liegt auch dieser Prozeß der Hauptsache nach abgeschlossen hinter
uns. In einen geordneten Familienhaushalt hat kein Fremder sich einzu¬
mischen; in einen geordneten Staat, aus dem die Waffenkümpfe verbannt
sind, in welchem die Selbsthilfe der Rechtsordnung Platz gemacht hat, darf
kein Nachbar mit Waffengewalt einbrechen. Dagegen kann es Pflicht eines
Staates werden, in den Nachbarstaat ordnend einzugreifen, wenn dieser bei sich
nicht Ordnung zu schaffen und die Naturschätze seines Landes nicht zu heben


Der Feind im Vsten

Wort und Tat sich bekennt, daß Kulturvölker nicht angegriffen werden
dürfen, haben wir auch den Herzen der übrigen Nationen einzupflanzen; die
Neutralen werden ihn mit Freuden auf- und annehmen, die Engländer und
Franzosen wird die eherne Stimme der deutschen Geschütze von seiner Richtigkeit
überzeugen.

Der große Fehler der europäischen Politik besteht darin, daß sie Rußland
als gleichberechtigten Kulturstaat anerkennt, weil es die Fassade und die
materiellen Machtmittel eines Großstaats besitzt. Rußland ist eine astatische
Barbarei und darum rechtmäßiger Jagdgrund, oder sagen wir lieber, da wir
doch keine Hunnen sind, eine Arbeitsstätte, ein Neuland, in welchem sich
Deutschlands Geist und Kraft schöpferisch betätigen können. In Rußland würde
ein deutsches Heer, zur rechten Zeit eingerückt, wenig zerstört (auch schon weit
weniger als im Westen zu zerstören gefunden), dagegen eine unendliche Fülle
schöpferischer Tätigkeit entbunden haben. Genauer als Meineckes Wort trifft
das Wort eines englischen Staatsmannes, wenn ich mich recht erinnere Salis-
burns, den Kern des Problems: die Gefahr des Krieges lauere nur noch dort,
wo die Kultur an die Barbarei grenzt; Barbarenläuder sind rechtmäßige „Jagd¬
gründe"; sie in Besitz nehmen und kultivieren, heißt das göttliche Gebot
1. Mose 1, 28 erfüllen: „Wachset und mehret euch und erfüllet die Erde und
machet sie euch Untertan"; heißt nach der natürlichen und vernünftigen Regel
verfahren, daß die Auswanderung aus den dicht bevölkerten in die menschen¬
leeren, aus den hochkultivierten in die unzivilisierten Länder zu leiten ist.

Eine andere Betrachtungsweise mündet in dasselbe Ergebnis. Die Welt¬
geschichte beginnt mit Fehden der Sippen, einem Kriege aller gegen alle. Die
Sippen ballen sich zu Stämmen, die Stämme zu Völkern zusammen, aus deren
Innerem, sobald sie als Staaten organisiert sind, der Kampf mit körperlichen
Waffen verbannt ist. In Vorderasten begann die Großstaatbildung, griff nach
Europa über, und der Prozeß endete mit dem befriedeten orbis terrarum derNömer.
Während dieser zerfiel, begann der Prozeß aufs neue in größerem Maßstabe
und auf einer höheren Entwicklungsstufe. Das Mittelalter hindurch befehdeten
Großgrundbesitzer, Ritter, Städte, Bauernschaften, Stände einander. Territorial¬
staaten machten dem Kleinkrieg in, Innern ein Ende und schoben den Waffen-
lampf an die Grenzen der Staaten hinaus. Teils unbewußt, teils mit klarer
Erkenntnis des Zieles rangen die Territorialstaaten mit einander, bis die
Nationalstaaten fertig waren. Seitdem 1870 Deutschland und Italien das Ziel
erreicht haben, liegt auch dieser Prozeß der Hauptsache nach abgeschlossen hinter
uns. In einen geordneten Familienhaushalt hat kein Fremder sich einzu¬
mischen; in einen geordneten Staat, aus dem die Waffenkümpfe verbannt
sind, in welchem die Selbsthilfe der Rechtsordnung Platz gemacht hat, darf
kein Nachbar mit Waffengewalt einbrechen. Dagegen kann es Pflicht eines
Staates werden, in den Nachbarstaat ordnend einzugreifen, wenn dieser bei sich
nicht Ordnung zu schaffen und die Naturschätze seines Landes nicht zu heben


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[0028] Der Feind im Vsten Wort und Tat sich bekennt, daß Kulturvölker nicht angegriffen werden dürfen, haben wir auch den Herzen der übrigen Nationen einzupflanzen; die Neutralen werden ihn mit Freuden auf- und annehmen, die Engländer und Franzosen wird die eherne Stimme der deutschen Geschütze von seiner Richtigkeit überzeugen. Der große Fehler der europäischen Politik besteht darin, daß sie Rußland als gleichberechtigten Kulturstaat anerkennt, weil es die Fassade und die materiellen Machtmittel eines Großstaats besitzt. Rußland ist eine astatische Barbarei und darum rechtmäßiger Jagdgrund, oder sagen wir lieber, da wir doch keine Hunnen sind, eine Arbeitsstätte, ein Neuland, in welchem sich Deutschlands Geist und Kraft schöpferisch betätigen können. In Rußland würde ein deutsches Heer, zur rechten Zeit eingerückt, wenig zerstört (auch schon weit weniger als im Westen zu zerstören gefunden), dagegen eine unendliche Fülle schöpferischer Tätigkeit entbunden haben. Genauer als Meineckes Wort trifft das Wort eines englischen Staatsmannes, wenn ich mich recht erinnere Salis- burns, den Kern des Problems: die Gefahr des Krieges lauere nur noch dort, wo die Kultur an die Barbarei grenzt; Barbarenläuder sind rechtmäßige „Jagd¬ gründe"; sie in Besitz nehmen und kultivieren, heißt das göttliche Gebot 1. Mose 1, 28 erfüllen: „Wachset und mehret euch und erfüllet die Erde und machet sie euch Untertan"; heißt nach der natürlichen und vernünftigen Regel verfahren, daß die Auswanderung aus den dicht bevölkerten in die menschen¬ leeren, aus den hochkultivierten in die unzivilisierten Länder zu leiten ist. Eine andere Betrachtungsweise mündet in dasselbe Ergebnis. Die Welt¬ geschichte beginnt mit Fehden der Sippen, einem Kriege aller gegen alle. Die Sippen ballen sich zu Stämmen, die Stämme zu Völkern zusammen, aus deren Innerem, sobald sie als Staaten organisiert sind, der Kampf mit körperlichen Waffen verbannt ist. In Vorderasten begann die Großstaatbildung, griff nach Europa über, und der Prozeß endete mit dem befriedeten orbis terrarum derNömer. Während dieser zerfiel, begann der Prozeß aufs neue in größerem Maßstabe und auf einer höheren Entwicklungsstufe. Das Mittelalter hindurch befehdeten Großgrundbesitzer, Ritter, Städte, Bauernschaften, Stände einander. Territorial¬ staaten machten dem Kleinkrieg in, Innern ein Ende und schoben den Waffen- lampf an die Grenzen der Staaten hinaus. Teils unbewußt, teils mit klarer Erkenntnis des Zieles rangen die Territorialstaaten mit einander, bis die Nationalstaaten fertig waren. Seitdem 1870 Deutschland und Italien das Ziel erreicht haben, liegt auch dieser Prozeß der Hauptsache nach abgeschlossen hinter uns. In einen geordneten Familienhaushalt hat kein Fremder sich einzu¬ mischen; in einen geordneten Staat, aus dem die Waffenkümpfe verbannt sind, in welchem die Selbsthilfe der Rechtsordnung Platz gemacht hat, darf kein Nachbar mit Waffengewalt einbrechen. Dagegen kann es Pflicht eines Staates werden, in den Nachbarstaat ordnend einzugreifen, wenn dieser bei sich nicht Ordnung zu schaffen und die Naturschätze seines Landes nicht zu heben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/28>, abgerufen am 15.05.2024.