Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Lodz

Häuflein von blonden Kinderköpfen umrahmen, daß es ist wie ein Bild
himmlischer Heerscharen von Meister Correggio oder Rafael.

Die meisten dieser Kleinen, die da mit großen Augen durch die schmalen
Scheiben in die seltsam aufgeregte Welt schauen, sehen freilich bei all ihrer
kindlichen Freudigkeit nicht gerade pausbäckig und übermütig aus. denn auch
sie haben jetzt unter der bestehenden Teuerung zu leiden. Man merkt es
eben allenthalben, daß die Lebensmittel knapper sind als sonst wohl, wenn
auch von einer Hungersnot zu sprechen kein Anlaß vorliegt. Ja. vielleicht ist
die Warenknappheit nicht einmal so groß, als das Angebot glauben macht.
Vielleicht haben diejenigen Kenner der Verhältnisse recht, die den spekulierenden
Händlern die Schuld an der Teuerung zurechnen, jenen Gewissenlosen, die
große Mengen von Mehl, Kartoffeln usw. aufgekauft und aufgespeichert haben
und nur in kleinen, unzureichenden Portionen wieder absetzen, um die Preise
zu treiben oder doch zu halten. Für Rußland und also auch für das "deutsche"
Lodz nichts Ungewöhnliches.

Aber diesmal hat man die Rechnung ohne den Wirt gemacht, d. h. ohne
die deutsche Heeresverwaltung, die umsichtig und schonungslos ihres Amtes waltet
und regelnd und helfend eingreift. Nun wehe dem "Grossisten", der sein voll¬
gerüttelt Lager nicht öffnet! Dreifach wehe ihm. denn unsre Heeresverwaltung
greift nicht nur mit entschlossener Hand zu, sondern sorgt in aller Stille auch
für Erschließung neuer Quellen und für stete Zufuhr von außen.

Ein großer Tag für die Bewucherten sowohl als auch für die Herren
Wucherer war deshalb zum Beispiel der 26. Dezember, sah er doch die erste
Lokomotive auf der durch unsre braven Eisenbahner und Pioniere wiederhergestellten
Kalischer Strecke daherdampfen und in den hiesigen Bahnhof wie die Victoria
selber einlaufen. Wie der Auftakt zur großen Sinfonie des Wiedererstehens von
Deutsch-Lodz klang der helle, triumphierende, langhinhallende Pfiff der bekränzten
Maschine. Die ganze Stadt, schien's, horchte Hochauf. Kein Wunder! denn ihr
Magen ist groß, zumal jetzt viel deutsches Militär die Vorräte mit verzehren
hilft. Allerdings schaffen gerade sür die Truppen unsre unermüdlichen Proviant¬
kolonnen immer neue Zufuhr herbei. Wagenreihen von 40 und 50 Gespannen
find nichts Seltenes, wenn auch für die Lodzer immer etwas Erstaunliches.
Da sammeln sie sich dann in dichten Reihen am Straßendamm rechts und
links und starren neugierig oder auch sehnsüchtig diese vollbeladenen Gefährte
an, von denen sie nicht glauben mögen, daß sie deutsche Ware bringen. Als
ob es in Rußland noch etwas zu requirieren gäbe! Als ob die russische" Armeen
noch etwas verschont hätten! Du lieber Gott! Und was sie wirklich mal
mitzunehmen vergaßen oder nicht mehr aufzupacken vermochten, das wird von
"Bauern" und streifenden Horden geholt.

Davon weiß auch Lodz zu erzählen.

Auch Lodz! jawohl. Es steckt ja trotz allem so gut wie das ganze übrige
polnische Land voller Spionenfurcht, voll nagender Angst vor späterer Denunziation


Lodz

Häuflein von blonden Kinderköpfen umrahmen, daß es ist wie ein Bild
himmlischer Heerscharen von Meister Correggio oder Rafael.

Die meisten dieser Kleinen, die da mit großen Augen durch die schmalen
Scheiben in die seltsam aufgeregte Welt schauen, sehen freilich bei all ihrer
kindlichen Freudigkeit nicht gerade pausbäckig und übermütig aus. denn auch
sie haben jetzt unter der bestehenden Teuerung zu leiden. Man merkt es
eben allenthalben, daß die Lebensmittel knapper sind als sonst wohl, wenn
auch von einer Hungersnot zu sprechen kein Anlaß vorliegt. Ja. vielleicht ist
die Warenknappheit nicht einmal so groß, als das Angebot glauben macht.
Vielleicht haben diejenigen Kenner der Verhältnisse recht, die den spekulierenden
Händlern die Schuld an der Teuerung zurechnen, jenen Gewissenlosen, die
große Mengen von Mehl, Kartoffeln usw. aufgekauft und aufgespeichert haben
und nur in kleinen, unzureichenden Portionen wieder absetzen, um die Preise
zu treiben oder doch zu halten. Für Rußland und also auch für das „deutsche"
Lodz nichts Ungewöhnliches.

Aber diesmal hat man die Rechnung ohne den Wirt gemacht, d. h. ohne
die deutsche Heeresverwaltung, die umsichtig und schonungslos ihres Amtes waltet
und regelnd und helfend eingreift. Nun wehe dem „Grossisten", der sein voll¬
gerüttelt Lager nicht öffnet! Dreifach wehe ihm. denn unsre Heeresverwaltung
greift nicht nur mit entschlossener Hand zu, sondern sorgt in aller Stille auch
für Erschließung neuer Quellen und für stete Zufuhr von außen.

Ein großer Tag für die Bewucherten sowohl als auch für die Herren
Wucherer war deshalb zum Beispiel der 26. Dezember, sah er doch die erste
Lokomotive auf der durch unsre braven Eisenbahner und Pioniere wiederhergestellten
Kalischer Strecke daherdampfen und in den hiesigen Bahnhof wie die Victoria
selber einlaufen. Wie der Auftakt zur großen Sinfonie des Wiedererstehens von
Deutsch-Lodz klang der helle, triumphierende, langhinhallende Pfiff der bekränzten
Maschine. Die ganze Stadt, schien's, horchte Hochauf. Kein Wunder! denn ihr
Magen ist groß, zumal jetzt viel deutsches Militär die Vorräte mit verzehren
hilft. Allerdings schaffen gerade sür die Truppen unsre unermüdlichen Proviant¬
kolonnen immer neue Zufuhr herbei. Wagenreihen von 40 und 50 Gespannen
find nichts Seltenes, wenn auch für die Lodzer immer etwas Erstaunliches.
Da sammeln sie sich dann in dichten Reihen am Straßendamm rechts und
links und starren neugierig oder auch sehnsüchtig diese vollbeladenen Gefährte
an, von denen sie nicht glauben mögen, daß sie deutsche Ware bringen. Als
ob es in Rußland noch etwas zu requirieren gäbe! Als ob die russische« Armeen
noch etwas verschont hätten! Du lieber Gott! Und was sie wirklich mal
mitzunehmen vergaßen oder nicht mehr aufzupacken vermochten, das wird von
„Bauern" und streifenden Horden geholt.

Davon weiß auch Lodz zu erzählen.

Auch Lodz! jawohl. Es steckt ja trotz allem so gut wie das ganze übrige
polnische Land voller Spionenfurcht, voll nagender Angst vor späterer Denunziation


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0066" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323164"/>
          <fw type="header" place="top"> Lodz</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_121" prev="#ID_120"> Häuflein von blonden Kinderköpfen umrahmen, daß es ist wie ein Bild<lb/>
himmlischer Heerscharen von Meister Correggio oder Rafael.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_122"> Die meisten dieser Kleinen, die da mit großen Augen durch die schmalen<lb/>
Scheiben in die seltsam aufgeregte Welt schauen, sehen freilich bei all ihrer<lb/>
kindlichen Freudigkeit nicht gerade pausbäckig und übermütig aus. denn auch<lb/>
sie haben jetzt unter der bestehenden Teuerung zu leiden. Man merkt es<lb/>
eben allenthalben, daß die Lebensmittel knapper sind als sonst wohl, wenn<lb/>
auch von einer Hungersnot zu sprechen kein Anlaß vorliegt. Ja. vielleicht ist<lb/>
die Warenknappheit nicht einmal so groß, als das Angebot glauben macht.<lb/>
Vielleicht haben diejenigen Kenner der Verhältnisse recht, die den spekulierenden<lb/>
Händlern die Schuld an der Teuerung zurechnen, jenen Gewissenlosen, die<lb/>
große Mengen von Mehl, Kartoffeln usw. aufgekauft und aufgespeichert haben<lb/>
und nur in kleinen, unzureichenden Portionen wieder absetzen, um die Preise<lb/>
zu treiben oder doch zu halten. Für Rußland und also auch für das &#x201E;deutsche"<lb/>
Lodz nichts Ungewöhnliches.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_123"> Aber diesmal hat man die Rechnung ohne den Wirt gemacht, d. h. ohne<lb/>
die deutsche Heeresverwaltung, die umsichtig und schonungslos ihres Amtes waltet<lb/>
und regelnd und helfend eingreift. Nun wehe dem &#x201E;Grossisten", der sein voll¬<lb/>
gerüttelt Lager nicht öffnet! Dreifach wehe ihm. denn unsre Heeresverwaltung<lb/>
greift nicht nur mit entschlossener Hand zu, sondern sorgt in aller Stille auch<lb/>
für Erschließung neuer Quellen und für stete Zufuhr von außen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_124"> Ein großer Tag für die Bewucherten sowohl als auch für die Herren<lb/>
Wucherer war deshalb zum Beispiel der 26. Dezember, sah er doch die erste<lb/>
Lokomotive auf der durch unsre braven Eisenbahner und Pioniere wiederhergestellten<lb/>
Kalischer Strecke daherdampfen und in den hiesigen Bahnhof wie die Victoria<lb/>
selber einlaufen. Wie der Auftakt zur großen Sinfonie des Wiedererstehens von<lb/>
Deutsch-Lodz klang der helle, triumphierende, langhinhallende Pfiff der bekränzten<lb/>
Maschine. Die ganze Stadt, schien's, horchte Hochauf. Kein Wunder! denn ihr<lb/>
Magen ist groß, zumal jetzt viel deutsches Militär die Vorräte mit verzehren<lb/>
hilft. Allerdings schaffen gerade sür die Truppen unsre unermüdlichen Proviant¬<lb/>
kolonnen immer neue Zufuhr herbei. Wagenreihen von 40 und 50 Gespannen<lb/>
find nichts Seltenes, wenn auch für die Lodzer immer etwas Erstaunliches.<lb/>
Da sammeln sie sich dann in dichten Reihen am Straßendamm rechts und<lb/>
links und starren neugierig oder auch sehnsüchtig diese vollbeladenen Gefährte<lb/>
an, von denen sie nicht glauben mögen, daß sie deutsche Ware bringen. Als<lb/>
ob es in Rußland noch etwas zu requirieren gäbe! Als ob die russische« Armeen<lb/>
noch etwas verschont hätten! Du lieber Gott! Und was sie wirklich mal<lb/>
mitzunehmen vergaßen oder nicht mehr aufzupacken vermochten, das wird von<lb/>
&#x201E;Bauern" und streifenden Horden geholt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_125"> Davon weiß auch Lodz zu erzählen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_126" next="#ID_127"> Auch Lodz! jawohl. Es steckt ja trotz allem so gut wie das ganze übrige<lb/>
polnische Land voller Spionenfurcht, voll nagender Angst vor späterer Denunziation</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0066] Lodz Häuflein von blonden Kinderköpfen umrahmen, daß es ist wie ein Bild himmlischer Heerscharen von Meister Correggio oder Rafael. Die meisten dieser Kleinen, die da mit großen Augen durch die schmalen Scheiben in die seltsam aufgeregte Welt schauen, sehen freilich bei all ihrer kindlichen Freudigkeit nicht gerade pausbäckig und übermütig aus. denn auch sie haben jetzt unter der bestehenden Teuerung zu leiden. Man merkt es eben allenthalben, daß die Lebensmittel knapper sind als sonst wohl, wenn auch von einer Hungersnot zu sprechen kein Anlaß vorliegt. Ja. vielleicht ist die Warenknappheit nicht einmal so groß, als das Angebot glauben macht. Vielleicht haben diejenigen Kenner der Verhältnisse recht, die den spekulierenden Händlern die Schuld an der Teuerung zurechnen, jenen Gewissenlosen, die große Mengen von Mehl, Kartoffeln usw. aufgekauft und aufgespeichert haben und nur in kleinen, unzureichenden Portionen wieder absetzen, um die Preise zu treiben oder doch zu halten. Für Rußland und also auch für das „deutsche" Lodz nichts Ungewöhnliches. Aber diesmal hat man die Rechnung ohne den Wirt gemacht, d. h. ohne die deutsche Heeresverwaltung, die umsichtig und schonungslos ihres Amtes waltet und regelnd und helfend eingreift. Nun wehe dem „Grossisten", der sein voll¬ gerüttelt Lager nicht öffnet! Dreifach wehe ihm. denn unsre Heeresverwaltung greift nicht nur mit entschlossener Hand zu, sondern sorgt in aller Stille auch für Erschließung neuer Quellen und für stete Zufuhr von außen. Ein großer Tag für die Bewucherten sowohl als auch für die Herren Wucherer war deshalb zum Beispiel der 26. Dezember, sah er doch die erste Lokomotive auf der durch unsre braven Eisenbahner und Pioniere wiederhergestellten Kalischer Strecke daherdampfen und in den hiesigen Bahnhof wie die Victoria selber einlaufen. Wie der Auftakt zur großen Sinfonie des Wiedererstehens von Deutsch-Lodz klang der helle, triumphierende, langhinhallende Pfiff der bekränzten Maschine. Die ganze Stadt, schien's, horchte Hochauf. Kein Wunder! denn ihr Magen ist groß, zumal jetzt viel deutsches Militär die Vorräte mit verzehren hilft. Allerdings schaffen gerade sür die Truppen unsre unermüdlichen Proviant¬ kolonnen immer neue Zufuhr herbei. Wagenreihen von 40 und 50 Gespannen find nichts Seltenes, wenn auch für die Lodzer immer etwas Erstaunliches. Da sammeln sie sich dann in dichten Reihen am Straßendamm rechts und links und starren neugierig oder auch sehnsüchtig diese vollbeladenen Gefährte an, von denen sie nicht glauben mögen, daß sie deutsche Ware bringen. Als ob es in Rußland noch etwas zu requirieren gäbe! Als ob die russische« Armeen noch etwas verschont hätten! Du lieber Gott! Und was sie wirklich mal mitzunehmen vergaßen oder nicht mehr aufzupacken vermochten, das wird von „Bauern" und streifenden Horden geholt. Davon weiß auch Lodz zu erzählen. Auch Lodz! jawohl. Es steckt ja trotz allem so gut wie das ganze übrige polnische Land voller Spionenfurcht, voll nagender Angst vor späterer Denunziation

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/66
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/66>, abgerufen am 29.05.2024.