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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Demokratie sieht. schürfte man tiefer, beobachtete man gleichzeitig schärfer die
internationale Erdbebenwarte, so hätten sich Zusammenhänge bloßgelegt, die die
herrschende Oberschicht Englands im Kampfe um ihre Vorrechte als würdigen
Erben jenes Macbeth zeigt, der mit seiner Sünden Urmaß den aus der Hölle
Abgründen steigenden Teufel überhöhte. Nun ist das Beben so stark geworden,
daß der Apparat zersprang. Dennoch sollen die Urheber des Weltkrieges zu
erkennen sein. Macbeth ist reif zum Schütteln, und der Ewige legt Werkzeug an.

Großbritannien, dessen Aristokratie sich in der maZna Ltiarta die Plattform
schuf, von der aus sie das Inselreich und nachmals die Welt beherrschte und zu
beherrschen suchte, das seinen Reichtum durch den Stockfischhandel begründete,
dessen Oberschicht in allen innern und außer" Fehden Macht einheimste,
Großbritannien, das in seiner kolonialen und industriellen Epoche jene Reich¬
tümer sammelte, die später durch das System der Kapitalanlage im Aus¬
lande goldene Ketten über die ganze Welt warfen, dies Großbritannien wäre in
seiner geschichtlichen Einheit zerstört, könnte nicht neue Jahresringe ansetzen,
gukte der herrschenden Oberschicht die Macht aus den Händen.

Die Untersuchung des Wesens dieser Macht stellt den Satz an die Spitze,
daß England das industriestaatliche Zeitalter längst hinter sich hat, daß es zu
einem plutokratisch regierten Rentnerstaat geworden ist. Als Industriestaat
brauchte England den deutschen Wettbewerb auf dem Weltmarkt nicht zu fürchten,
um so weniger, als die Hauptsäulen des britischen Exports, die Textilindustrie
und die Kohlenerzeugung in ihrer Tragfähigkeit noch unerschüttert sind.
Deutschlands wirtschaftliche Struktur vermag die Tragfähigkeit gerade dieser
Säulen nicht zu erschüttern. Englands Vorsprung ist so groß, daß er in un¬
absehbarer Zeit schon aus industriell-entwicklungsgeschichtlichen Gründen nicht
eingeholt werden könnte. Am 1. März 1914 liefen in England rund
56 Millionen Baumwollspindeln, gegen rund llVs Millionen in Deutschland.
Selbst das größte Baumwollproduktionsland der Welt, die Vereinigten Staaten,
stehen mit 31 Millionen Spindeln weit hinter England zurück. In der Liste
der britischen Hauptexportartikel steht denn auch die Textilindustrie mit
drei und einer halben Milliarde Mark an erster Stelle. Der deutsche Export,
der nur in zugerichteten und gefärbten Baumwollgeweben nennenswert ist, ver-
schwindet dem gegenüber. Die Kohlenausfuhr Großbritanniens überstieg 1913
den Wert von einer Milliarde Mark, betrug also das Vierfache des deutschen
Exportes. Allein die deutsche Maschinenausfuhr hat mit über 600 Millionen
Mark den Wert der britischen nahezu erreicht. Indessen bedroht dieser Export
nicht die merkantile Weltherrschaft Englands, noch weniger die enorme welt¬
wirtschaftliche Kraftentfaltung der sogenannten wissenschaftlichen Industrien
Deutschlands, der chemischen und der elektrotechnischen, in denen wir dank
unserer gründlichen und gewissenhaften Arbeit unzerstörbare Weltmonopole besitzen.

Das ist also ein Wettbewerb ans dem Weltmarkt, der auf ehernen
Geleisen aneinander vorbeifährt, ohne daß der eine den andern wesentlich zu


6*

Demokratie sieht. schürfte man tiefer, beobachtete man gleichzeitig schärfer die
internationale Erdbebenwarte, so hätten sich Zusammenhänge bloßgelegt, die die
herrschende Oberschicht Englands im Kampfe um ihre Vorrechte als würdigen
Erben jenes Macbeth zeigt, der mit seiner Sünden Urmaß den aus der Hölle
Abgründen steigenden Teufel überhöhte. Nun ist das Beben so stark geworden,
daß der Apparat zersprang. Dennoch sollen die Urheber des Weltkrieges zu
erkennen sein. Macbeth ist reif zum Schütteln, und der Ewige legt Werkzeug an.

Großbritannien, dessen Aristokratie sich in der maZna Ltiarta die Plattform
schuf, von der aus sie das Inselreich und nachmals die Welt beherrschte und zu
beherrschen suchte, das seinen Reichtum durch den Stockfischhandel begründete,
dessen Oberschicht in allen innern und außer« Fehden Macht einheimste,
Großbritannien, das in seiner kolonialen und industriellen Epoche jene Reich¬
tümer sammelte, die später durch das System der Kapitalanlage im Aus¬
lande goldene Ketten über die ganze Welt warfen, dies Großbritannien wäre in
seiner geschichtlichen Einheit zerstört, könnte nicht neue Jahresringe ansetzen,
gukte der herrschenden Oberschicht die Macht aus den Händen.

Die Untersuchung des Wesens dieser Macht stellt den Satz an die Spitze,
daß England das industriestaatliche Zeitalter längst hinter sich hat, daß es zu
einem plutokratisch regierten Rentnerstaat geworden ist. Als Industriestaat
brauchte England den deutschen Wettbewerb auf dem Weltmarkt nicht zu fürchten,
um so weniger, als die Hauptsäulen des britischen Exports, die Textilindustrie
und die Kohlenerzeugung in ihrer Tragfähigkeit noch unerschüttert sind.
Deutschlands wirtschaftliche Struktur vermag die Tragfähigkeit gerade dieser
Säulen nicht zu erschüttern. Englands Vorsprung ist so groß, daß er in un¬
absehbarer Zeit schon aus industriell-entwicklungsgeschichtlichen Gründen nicht
eingeholt werden könnte. Am 1. März 1914 liefen in England rund
56 Millionen Baumwollspindeln, gegen rund llVs Millionen in Deutschland.
Selbst das größte Baumwollproduktionsland der Welt, die Vereinigten Staaten,
stehen mit 31 Millionen Spindeln weit hinter England zurück. In der Liste
der britischen Hauptexportartikel steht denn auch die Textilindustrie mit
drei und einer halben Milliarde Mark an erster Stelle. Der deutsche Export,
der nur in zugerichteten und gefärbten Baumwollgeweben nennenswert ist, ver-
schwindet dem gegenüber. Die Kohlenausfuhr Großbritanniens überstieg 1913
den Wert von einer Milliarde Mark, betrug also das Vierfache des deutschen
Exportes. Allein die deutsche Maschinenausfuhr hat mit über 600 Millionen
Mark den Wert der britischen nahezu erreicht. Indessen bedroht dieser Export
nicht die merkantile Weltherrschaft Englands, noch weniger die enorme welt¬
wirtschaftliche Kraftentfaltung der sogenannten wissenschaftlichen Industrien
Deutschlands, der chemischen und der elektrotechnischen, in denen wir dank
unserer gründlichen und gewissenhaften Arbeit unzerstörbare Weltmonopole besitzen.

Das ist also ein Wettbewerb ans dem Weltmarkt, der auf ehernen
Geleisen aneinander vorbeifährt, ohne daß der eine den andern wesentlich zu


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[0079] Demokratie sieht. schürfte man tiefer, beobachtete man gleichzeitig schärfer die internationale Erdbebenwarte, so hätten sich Zusammenhänge bloßgelegt, die die herrschende Oberschicht Englands im Kampfe um ihre Vorrechte als würdigen Erben jenes Macbeth zeigt, der mit seiner Sünden Urmaß den aus der Hölle Abgründen steigenden Teufel überhöhte. Nun ist das Beben so stark geworden, daß der Apparat zersprang. Dennoch sollen die Urheber des Weltkrieges zu erkennen sein. Macbeth ist reif zum Schütteln, und der Ewige legt Werkzeug an. Großbritannien, dessen Aristokratie sich in der maZna Ltiarta die Plattform schuf, von der aus sie das Inselreich und nachmals die Welt beherrschte und zu beherrschen suchte, das seinen Reichtum durch den Stockfischhandel begründete, dessen Oberschicht in allen innern und außer« Fehden Macht einheimste, Großbritannien, das in seiner kolonialen und industriellen Epoche jene Reich¬ tümer sammelte, die später durch das System der Kapitalanlage im Aus¬ lande goldene Ketten über die ganze Welt warfen, dies Großbritannien wäre in seiner geschichtlichen Einheit zerstört, könnte nicht neue Jahresringe ansetzen, gukte der herrschenden Oberschicht die Macht aus den Händen. Die Untersuchung des Wesens dieser Macht stellt den Satz an die Spitze, daß England das industriestaatliche Zeitalter längst hinter sich hat, daß es zu einem plutokratisch regierten Rentnerstaat geworden ist. Als Industriestaat brauchte England den deutschen Wettbewerb auf dem Weltmarkt nicht zu fürchten, um so weniger, als die Hauptsäulen des britischen Exports, die Textilindustrie und die Kohlenerzeugung in ihrer Tragfähigkeit noch unerschüttert sind. Deutschlands wirtschaftliche Struktur vermag die Tragfähigkeit gerade dieser Säulen nicht zu erschüttern. Englands Vorsprung ist so groß, daß er in un¬ absehbarer Zeit schon aus industriell-entwicklungsgeschichtlichen Gründen nicht eingeholt werden könnte. Am 1. März 1914 liefen in England rund 56 Millionen Baumwollspindeln, gegen rund llVs Millionen in Deutschland. Selbst das größte Baumwollproduktionsland der Welt, die Vereinigten Staaten, stehen mit 31 Millionen Spindeln weit hinter England zurück. In der Liste der britischen Hauptexportartikel steht denn auch die Textilindustrie mit drei und einer halben Milliarde Mark an erster Stelle. Der deutsche Export, der nur in zugerichteten und gefärbten Baumwollgeweben nennenswert ist, ver- schwindet dem gegenüber. Die Kohlenausfuhr Großbritanniens überstieg 1913 den Wert von einer Milliarde Mark, betrug also das Vierfache des deutschen Exportes. Allein die deutsche Maschinenausfuhr hat mit über 600 Millionen Mark den Wert der britischen nahezu erreicht. Indessen bedroht dieser Export nicht die merkantile Weltherrschaft Englands, noch weniger die enorme welt¬ wirtschaftliche Kraftentfaltung der sogenannten wissenschaftlichen Industrien Deutschlands, der chemischen und der elektrotechnischen, in denen wir dank unserer gründlichen und gewissenhaften Arbeit unzerstörbare Weltmonopole besitzen. Das ist also ein Wettbewerb ans dem Weltmarkt, der auf ehernen Geleisen aneinander vorbeifährt, ohne daß der eine den andern wesentlich zu 6*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/79>, abgerufen am 29.05.2024.