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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr.

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Zur Genesis des Weltkrieges

sein sollte. Nun sind belgische Jndustrieorte nicht zerstört worden, wir
haben sogar stillgelegte Fabriken wieder in Betrieb gesetzt. Trotzdem kündigten
uns Times und Genossen an, daß die Kruppwerke in? Vergeltungswege dem
Erdboden gleichgemacht werden sollten. Allerdings stellt Krupp Geschütze her,
indessen ist er noch aus anderen Betriebsgründen der größte Stahlverbraucher
der Welt. Und den englischen Interessen hätte es gewiß entsprochen, das
rheinisch-westfälische Industriegebiet zu vernichten. Zwar nicht deshalb, weil
der deutsche industrielle Wettbewerb gefahrdrohenden Umfang angenommen hat
-- wir haben ja gesehen, daß er sich auf dem Weltmarkt mit dem englischen
gut vertragen kann -- sondern nur darum, weil allein die Zertrümmerung der
deutschen Industrie London den Weltmetallmarkt weiter sichert. Es ist nachzu¬
weisen, daß England aus der Behauptung des Metallmarktes mehr Nutzen zieht, als
ans seiner Metallindustrie. Die Einbuße des Metallmarktes würde sich sofort
greifbar in Zahlen umsetzen und auf die Bankwelt und auf die Schiffahrts¬
gewinne gewaltig zurückwirken. Nun ist die Überlegenheit der britischen Handels¬
marine für unabsehbare Zeit streitfrei: das gesamte britische Reich verfügte
1912 weit über 39000 Fahrzeuge mit über 14 Millionen Registertonnen netto.
Im Verhältnis dazu nimmt Deutschlands Handelsflotte sich sehr bescheiden aus:
rund 5000 Fahrzeuge mit etwas über drei Millionen Negistertonnengeho.le.
Indessen ist auf die hinter der Handelsflotte stehende tatsächliche eigenwirt¬
schaftliche Kraft Rücksicht zu nehmen. Deutschlands Ausfuhr im SpezialHandel
hat die britische nach hartnäckiger Verfolgung nahezu erreicht. Freilich wird
die britische Einfuhr der deutschen schon deshalb überlegen bleiben, weil das
Inselreich jährlich rund sechs Milliarden allein für die notwendige Nahrungs¬
mitteleinfuhr ausgeben muß. Will aber England seine gewaltige Handels¬
flotte dauernd lohnend beschäftigen, so muß London das heftig pulsierende Herz
des Welthandels bleiben. Jede Abgabe, besonders des für die Weltwirtschaft
immer mehr entscheidenden Metallmarltes würde die Adern des britischen Welt¬
handels in absehbarer Zeit fast blutleer machen. Denn nur die handels¬
politische Überlegenheit Londons stützt das über die ganze Erde verzweigte
System der englischen finanzkapitalistischen Weltherrschaft. Jede Erschütterung
löst andere aus und würde endlich das kapitalistische Zentralnervensystem an der
empfindlichsten Stelle berühren. Jede Erschütterung wäre ein Verlust, jeder Verlust
würde die sogenannte Forderungsbilanz unheilvoll beeinflussen. Das würde be¬
sonders zutage treten, sofern Deutschland die Tonnage vergrößerte, um den Zuwachs
des internationalen Verkehrs nicht nur an sich zu reißen, sondern ständig zu behalten
und zu vermehren. Was Großbritannien dann Deutschland an Schiffahrtfrachten
abgeben müßte, reichte hin, um Englands Forderungsbilanz passiv zu gestalten.
Nun hat es gerade England zu einem System ausgebaut, von Jahr zu Jahr
seine Milliarden im Auslande anzulegen. Indessen sicherte es sich Gegenwerte,
zum Beispiel durch die Verpflichtung des beliehenen Staates, alle Jndustrie-
erzeugnisse aus Großbritannien zu beziehen. Jedoch hat dies seine natürlichen


Zur Genesis des Weltkrieges

sein sollte. Nun sind belgische Jndustrieorte nicht zerstört worden, wir
haben sogar stillgelegte Fabriken wieder in Betrieb gesetzt. Trotzdem kündigten
uns Times und Genossen an, daß die Kruppwerke in? Vergeltungswege dem
Erdboden gleichgemacht werden sollten. Allerdings stellt Krupp Geschütze her,
indessen ist er noch aus anderen Betriebsgründen der größte Stahlverbraucher
der Welt. Und den englischen Interessen hätte es gewiß entsprochen, das
rheinisch-westfälische Industriegebiet zu vernichten. Zwar nicht deshalb, weil
der deutsche industrielle Wettbewerb gefahrdrohenden Umfang angenommen hat
— wir haben ja gesehen, daß er sich auf dem Weltmarkt mit dem englischen
gut vertragen kann — sondern nur darum, weil allein die Zertrümmerung der
deutschen Industrie London den Weltmetallmarkt weiter sichert. Es ist nachzu¬
weisen, daß England aus der Behauptung des Metallmarktes mehr Nutzen zieht, als
ans seiner Metallindustrie. Die Einbuße des Metallmarktes würde sich sofort
greifbar in Zahlen umsetzen und auf die Bankwelt und auf die Schiffahrts¬
gewinne gewaltig zurückwirken. Nun ist die Überlegenheit der britischen Handels¬
marine für unabsehbare Zeit streitfrei: das gesamte britische Reich verfügte
1912 weit über 39000 Fahrzeuge mit über 14 Millionen Registertonnen netto.
Im Verhältnis dazu nimmt Deutschlands Handelsflotte sich sehr bescheiden aus:
rund 5000 Fahrzeuge mit etwas über drei Millionen Negistertonnengeho.le.
Indessen ist auf die hinter der Handelsflotte stehende tatsächliche eigenwirt¬
schaftliche Kraft Rücksicht zu nehmen. Deutschlands Ausfuhr im SpezialHandel
hat die britische nach hartnäckiger Verfolgung nahezu erreicht. Freilich wird
die britische Einfuhr der deutschen schon deshalb überlegen bleiben, weil das
Inselreich jährlich rund sechs Milliarden allein für die notwendige Nahrungs¬
mitteleinfuhr ausgeben muß. Will aber England seine gewaltige Handels¬
flotte dauernd lohnend beschäftigen, so muß London das heftig pulsierende Herz
des Welthandels bleiben. Jede Abgabe, besonders des für die Weltwirtschaft
immer mehr entscheidenden Metallmarltes würde die Adern des britischen Welt¬
handels in absehbarer Zeit fast blutleer machen. Denn nur die handels¬
politische Überlegenheit Londons stützt das über die ganze Erde verzweigte
System der englischen finanzkapitalistischen Weltherrschaft. Jede Erschütterung
löst andere aus und würde endlich das kapitalistische Zentralnervensystem an der
empfindlichsten Stelle berühren. Jede Erschütterung wäre ein Verlust, jeder Verlust
würde die sogenannte Forderungsbilanz unheilvoll beeinflussen. Das würde be¬
sonders zutage treten, sofern Deutschland die Tonnage vergrößerte, um den Zuwachs
des internationalen Verkehrs nicht nur an sich zu reißen, sondern ständig zu behalten
und zu vermehren. Was Großbritannien dann Deutschland an Schiffahrtfrachten
abgeben müßte, reichte hin, um Englands Forderungsbilanz passiv zu gestalten.
Nun hat es gerade England zu einem System ausgebaut, von Jahr zu Jahr
seine Milliarden im Auslande anzulegen. Indessen sicherte es sich Gegenwerte,
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erzeugnisse aus Großbritannien zu beziehen. Jedoch hat dies seine natürlichen


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[0081] Zur Genesis des Weltkrieges sein sollte. Nun sind belgische Jndustrieorte nicht zerstört worden, wir haben sogar stillgelegte Fabriken wieder in Betrieb gesetzt. Trotzdem kündigten uns Times und Genossen an, daß die Kruppwerke in? Vergeltungswege dem Erdboden gleichgemacht werden sollten. Allerdings stellt Krupp Geschütze her, indessen ist er noch aus anderen Betriebsgründen der größte Stahlverbraucher der Welt. Und den englischen Interessen hätte es gewiß entsprochen, das rheinisch-westfälische Industriegebiet zu vernichten. Zwar nicht deshalb, weil der deutsche industrielle Wettbewerb gefahrdrohenden Umfang angenommen hat — wir haben ja gesehen, daß er sich auf dem Weltmarkt mit dem englischen gut vertragen kann — sondern nur darum, weil allein die Zertrümmerung der deutschen Industrie London den Weltmetallmarkt weiter sichert. Es ist nachzu¬ weisen, daß England aus der Behauptung des Metallmarktes mehr Nutzen zieht, als ans seiner Metallindustrie. Die Einbuße des Metallmarktes würde sich sofort greifbar in Zahlen umsetzen und auf die Bankwelt und auf die Schiffahrts¬ gewinne gewaltig zurückwirken. Nun ist die Überlegenheit der britischen Handels¬ marine für unabsehbare Zeit streitfrei: das gesamte britische Reich verfügte 1912 weit über 39000 Fahrzeuge mit über 14 Millionen Registertonnen netto. Im Verhältnis dazu nimmt Deutschlands Handelsflotte sich sehr bescheiden aus: rund 5000 Fahrzeuge mit etwas über drei Millionen Negistertonnengeho.le. Indessen ist auf die hinter der Handelsflotte stehende tatsächliche eigenwirt¬ schaftliche Kraft Rücksicht zu nehmen. Deutschlands Ausfuhr im SpezialHandel hat die britische nach hartnäckiger Verfolgung nahezu erreicht. Freilich wird die britische Einfuhr der deutschen schon deshalb überlegen bleiben, weil das Inselreich jährlich rund sechs Milliarden allein für die notwendige Nahrungs¬ mitteleinfuhr ausgeben muß. Will aber England seine gewaltige Handels¬ flotte dauernd lohnend beschäftigen, so muß London das heftig pulsierende Herz des Welthandels bleiben. Jede Abgabe, besonders des für die Weltwirtschaft immer mehr entscheidenden Metallmarltes würde die Adern des britischen Welt¬ handels in absehbarer Zeit fast blutleer machen. Denn nur die handels¬ politische Überlegenheit Londons stützt das über die ganze Erde verzweigte System der englischen finanzkapitalistischen Weltherrschaft. Jede Erschütterung löst andere aus und würde endlich das kapitalistische Zentralnervensystem an der empfindlichsten Stelle berühren. Jede Erschütterung wäre ein Verlust, jeder Verlust würde die sogenannte Forderungsbilanz unheilvoll beeinflussen. Das würde be¬ sonders zutage treten, sofern Deutschland die Tonnage vergrößerte, um den Zuwachs des internationalen Verkehrs nicht nur an sich zu reißen, sondern ständig zu behalten und zu vermehren. Was Großbritannien dann Deutschland an Schiffahrtfrachten abgeben müßte, reichte hin, um Englands Forderungsbilanz passiv zu gestalten. Nun hat es gerade England zu einem System ausgebaut, von Jahr zu Jahr seine Milliarden im Auslande anzulegen. Indessen sicherte es sich Gegenwerte, zum Beispiel durch die Verpflichtung des beliehenen Staates, alle Jndustrie- erzeugnisse aus Großbritannien zu beziehen. Jedoch hat dies seine natürlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323097/81>, abgerufen am 29.05.2024.