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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Frankreichs Werben um Belgien

fast unfreiwillig. Wer alle verherrlichten täglich die französische Kultur
Selbst solche Vereine, deren Zweck die Beschäftigung mit der belgischen National¬
literatur wäre, hätten dabei ihre fest umgrenzte Aufgabe. Sie seien die
Verkörperung einer furchtbaren Idee. Sie hätten ihre Fahne und Parole,
und morgen könnten sie in den Kampf ziehen. "Ihr Ziel ist kein anderes als
den Vertrag von 1330 zu zerreißen, das nationale Leben zu spalten, das
Parlament machtlos zu machen und den König zu zwingen, zwischen seinen
Untertanen zu wählen." Also der König zwischen zwei Stühlen. Das heißt,
er dürfte sich nur auf den setzen, der ihm angeboten würde. Und die Wallonen,
die das Entstehen der Republik miterlebt und ihre Ideen mitempfunden hatten,
die seit sechzig Jahren von freigeistigen und radikalen Franzosen bearbeitet
werden, deren Hauptorgan, die Inclepenäance belZe, einen ausgesprochen
antiklerikalen Charakter trägt, sollten sich dann nicht zu Frankreich neigen?
Deutlicher kann man das politische Ziel der ^Iliance t^raneai8e und ihrer
Genossen nicht zum Ausdruck bringen.

Die französischen Behörden haben oft genug gezeigt, welche amtliche Teil¬
nahme sie für die Bestrebungen der Vereine empfanden. Den französischen
Gesandtschaften und Konsulaten wurde Geld zugestellt für alle, die im französischen
Interesse arbeiteten. An Orden und Auszeichnungen wurde nicht gespart. So
berichtet das flämische Blatt "Onze stam": So machen die Französler alles
zugunsten Frankreichs, seiner Sprache, Ideen, Kultur und Sitte. Frankreich
ernennt sie, um sie für diese Zwecke zu belohnen, zu okkieiers ä'^caäenüs
oder okkiciers ä'instruction publique. Im Sonderzuge wurden die Mit¬
glieder der ^mitiös ?ranLai8e8 nach Valenciennes gefahren, wo sie der Unter-
präfekt, also ein Staatsbeamter, festlich empfing, bewirtete und beweihräucherte
<Mrcns8 6e 1'L8t. 1912/13. Seite 775). Auf den Kongressen der ^IlianLs
?l-An?Al8e hat der französische Gesandte Gerard mehrmals die erste Rolle
gespielt. Zum Weihnachtsfest derselben Vereinigung in Luxemburg erschien
sogar General d'Amade, der bekannte Besieger Marokkos, damals Befehlshaber
des 6. Armeekorps, nachdem man einige Tage vorher mit französischen Lust¬
spielen und französischer Musik Stimmung gemacht hatte. "Wie gewöhnlich
verschönten zahlreiche Offiziere den Ball, die aus den benachbarten Grenzgarnisonen
herbeigekommen waren" <MarLliö8 6e !'L8t, 1912/13, Seite 651). Ja, der
Bürgermeister von Lyon, Herriot, trieb die Dreistigkeit soweit, auf einer Tagung
der erwähnten l^ecleration internationale öffentlich für den französischen Charakter
der Universität Gent einzutreten, die von den Flamen beansprucht wurde. Wenn
der Bürgermeister der drittgrößten Stadt Frankreichs es wagt, in einer so wichtigen
innerpolitischen Frage das belgische Volk zu beeinflussen, dann handelt es sich
natürlich nicht um eine Kathederrede von rein sprachlicher oder kultureller Be¬
deutung, sondern um die offenbare Ausnutzung der belgischen Neutralität zu
politischen Zwecken. Wenn dann der tölpische Belgier allzu laut erkennen
läßt, daß er die französischen Absichten verstanden hat, und die Forderung


Frankreichs Werben um Belgien

fast unfreiwillig. Wer alle verherrlichten täglich die französische Kultur
Selbst solche Vereine, deren Zweck die Beschäftigung mit der belgischen National¬
literatur wäre, hätten dabei ihre fest umgrenzte Aufgabe. Sie seien die
Verkörperung einer furchtbaren Idee. Sie hätten ihre Fahne und Parole,
und morgen könnten sie in den Kampf ziehen. „Ihr Ziel ist kein anderes als
den Vertrag von 1330 zu zerreißen, das nationale Leben zu spalten, das
Parlament machtlos zu machen und den König zu zwingen, zwischen seinen
Untertanen zu wählen." Also der König zwischen zwei Stühlen. Das heißt,
er dürfte sich nur auf den setzen, der ihm angeboten würde. Und die Wallonen,
die das Entstehen der Republik miterlebt und ihre Ideen mitempfunden hatten,
die seit sechzig Jahren von freigeistigen und radikalen Franzosen bearbeitet
werden, deren Hauptorgan, die Inclepenäance belZe, einen ausgesprochen
antiklerikalen Charakter trägt, sollten sich dann nicht zu Frankreich neigen?
Deutlicher kann man das politische Ziel der ^Iliance t^raneai8e und ihrer
Genossen nicht zum Ausdruck bringen.

Die französischen Behörden haben oft genug gezeigt, welche amtliche Teil¬
nahme sie für die Bestrebungen der Vereine empfanden. Den französischen
Gesandtschaften und Konsulaten wurde Geld zugestellt für alle, die im französischen
Interesse arbeiteten. An Orden und Auszeichnungen wurde nicht gespart. So
berichtet das flämische Blatt „Onze stam": So machen die Französler alles
zugunsten Frankreichs, seiner Sprache, Ideen, Kultur und Sitte. Frankreich
ernennt sie, um sie für diese Zwecke zu belohnen, zu okkieiers ä'^caäenüs
oder okkiciers ä'instruction publique. Im Sonderzuge wurden die Mit¬
glieder der ^mitiös ?ranLai8e8 nach Valenciennes gefahren, wo sie der Unter-
präfekt, also ein Staatsbeamter, festlich empfing, bewirtete und beweihräucherte
<Mrcns8 6e 1'L8t. 1912/13. Seite 775). Auf den Kongressen der ^IlianLs
?l-An?Al8e hat der französische Gesandte Gerard mehrmals die erste Rolle
gespielt. Zum Weihnachtsfest derselben Vereinigung in Luxemburg erschien
sogar General d'Amade, der bekannte Besieger Marokkos, damals Befehlshaber
des 6. Armeekorps, nachdem man einige Tage vorher mit französischen Lust¬
spielen und französischer Musik Stimmung gemacht hatte. „Wie gewöhnlich
verschönten zahlreiche Offiziere den Ball, die aus den benachbarten Grenzgarnisonen
herbeigekommen waren" <MarLliö8 6e !'L8t, 1912/13, Seite 651). Ja, der
Bürgermeister von Lyon, Herriot, trieb die Dreistigkeit soweit, auf einer Tagung
der erwähnten l^ecleration internationale öffentlich für den französischen Charakter
der Universität Gent einzutreten, die von den Flamen beansprucht wurde. Wenn
der Bürgermeister der drittgrößten Stadt Frankreichs es wagt, in einer so wichtigen
innerpolitischen Frage das belgische Volk zu beeinflussen, dann handelt es sich
natürlich nicht um eine Kathederrede von rein sprachlicher oder kultureller Be¬
deutung, sondern um die offenbare Ausnutzung der belgischen Neutralität zu
politischen Zwecken. Wenn dann der tölpische Belgier allzu laut erkennen
läßt, daß er die französischen Absichten verstanden hat, und die Forderung


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[0130] Frankreichs Werben um Belgien fast unfreiwillig. Wer alle verherrlichten täglich die französische Kultur Selbst solche Vereine, deren Zweck die Beschäftigung mit der belgischen National¬ literatur wäre, hätten dabei ihre fest umgrenzte Aufgabe. Sie seien die Verkörperung einer furchtbaren Idee. Sie hätten ihre Fahne und Parole, und morgen könnten sie in den Kampf ziehen. „Ihr Ziel ist kein anderes als den Vertrag von 1330 zu zerreißen, das nationale Leben zu spalten, das Parlament machtlos zu machen und den König zu zwingen, zwischen seinen Untertanen zu wählen." Also der König zwischen zwei Stühlen. Das heißt, er dürfte sich nur auf den setzen, der ihm angeboten würde. Und die Wallonen, die das Entstehen der Republik miterlebt und ihre Ideen mitempfunden hatten, die seit sechzig Jahren von freigeistigen und radikalen Franzosen bearbeitet werden, deren Hauptorgan, die Inclepenäance belZe, einen ausgesprochen antiklerikalen Charakter trägt, sollten sich dann nicht zu Frankreich neigen? Deutlicher kann man das politische Ziel der ^Iliance t^raneai8e und ihrer Genossen nicht zum Ausdruck bringen. Die französischen Behörden haben oft genug gezeigt, welche amtliche Teil¬ nahme sie für die Bestrebungen der Vereine empfanden. Den französischen Gesandtschaften und Konsulaten wurde Geld zugestellt für alle, die im französischen Interesse arbeiteten. An Orden und Auszeichnungen wurde nicht gespart. So berichtet das flämische Blatt „Onze stam": So machen die Französler alles zugunsten Frankreichs, seiner Sprache, Ideen, Kultur und Sitte. Frankreich ernennt sie, um sie für diese Zwecke zu belohnen, zu okkieiers ä'^caäenüs oder okkiciers ä'instruction publique. Im Sonderzuge wurden die Mit¬ glieder der ^mitiös ?ranLai8e8 nach Valenciennes gefahren, wo sie der Unter- präfekt, also ein Staatsbeamter, festlich empfing, bewirtete und beweihräucherte <Mrcns8 6e 1'L8t. 1912/13. Seite 775). Auf den Kongressen der ^IlianLs ?l-An?Al8e hat der französische Gesandte Gerard mehrmals die erste Rolle gespielt. Zum Weihnachtsfest derselben Vereinigung in Luxemburg erschien sogar General d'Amade, der bekannte Besieger Marokkos, damals Befehlshaber des 6. Armeekorps, nachdem man einige Tage vorher mit französischen Lust¬ spielen und französischer Musik Stimmung gemacht hatte. „Wie gewöhnlich verschönten zahlreiche Offiziere den Ball, die aus den benachbarten Grenzgarnisonen herbeigekommen waren" <MarLliö8 6e !'L8t, 1912/13, Seite 651). Ja, der Bürgermeister von Lyon, Herriot, trieb die Dreistigkeit soweit, auf einer Tagung der erwähnten l^ecleration internationale öffentlich für den französischen Charakter der Universität Gent einzutreten, die von den Flamen beansprucht wurde. Wenn der Bürgermeister der drittgrößten Stadt Frankreichs es wagt, in einer so wichtigen innerpolitischen Frage das belgische Volk zu beeinflussen, dann handelt es sich natürlich nicht um eine Kathederrede von rein sprachlicher oder kultureller Be¬ deutung, sondern um die offenbare Ausnutzung der belgischen Neutralität zu politischen Zwecken. Wenn dann der tölpische Belgier allzu laut erkennen läßt, daß er die französischen Absichten verstanden hat, und die Forderung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/130>, abgerufen am 15.05.2024.