Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Gin Blick in die ZVoövre, das Vorland von Toul und verbum

eine Kirche das Ganze etwas ansehnlicher. Eine irgendwie baulich hervor¬
ragende Kirche habe ich indessen nirgends gesehen, es sei denn die beinahe
als französische Ruhmeshalle ausgestattete, neue Kirche in Mars - la - Tour.
Hin und wieder erzählt ein verwittertes Haus mit stattlichem Hoftor und
gepflasterten Hof von besseren Zeiten, oder ein mit hoher Steinmauer
eingefriedigter Garten mit geschnittenen Lauben und buchsbaumeingefaßten
Beeten erinnert an französische Gartenkunst. Aber auch da, wo ein Haus
etwas weniger kahl aussieht und Wohnlichkeit ahnen läßt, glänzen die
"sanitären Einrichtungen" durch Abwesenheit oder äußerst rudimentäre Be¬
schaffenheit. Ich habe mich deshalb nicht enthalten können, die von unseren
Truppen errichteten diesbezüglichen Einrichtungen, die sich in ihrer Ausgestaltung
nach militärischen Rangstufen unterscheiden, als Kulturdenkmäler auf die Platte
zu bannen. Ein weiteres Zeichen der Anwesenheit deutscher Truppen sind auch
riesige, wohlgepflegte Dungstätten und --. Auf jenen tummeln sich gackernde
Hühnervölker, ein Beweis, daß nicht alles Eßbare den plündernden Barbaren
zum Opfer gefallen ist.

Viel malerischer als die Dörfer sind die "Fernes". Es find dies, wie
der Name sagt, geschlossene, oft recht ansehnliche Höfe, für deren Anlage mit
Vorliebe eine kleine Bodenwelle gewählt ist; sie ähneln mit ihren fast fenster¬
losen Außenwänden den alten Räubernestern in den Gebirgen Italiens, bergen
im Innern aber manchmal stattliche Räume und guten Hausrat.

Die Eintönigkeit der Woevre-Landschaft ist bedingt durch die Gleich¬
mäßigkeit der geologischen Unterlage. Sie besteht aus könig-kalkigen Ausbildungen
des braunen Jura, die wenig wasserdurchlässig sind und eine schwer zu bearbeitende
Ackerkrume entstehen lassen. Wo nicht für genügende Entwässerung gesorgt ist
oder gesorgt werden kann -- und dies ist auf ziemlich großen Flächen der
Fall -- findet man nasse Wiesen, die in wirklich sumpfiges Gelände übergehen
können. Da und dort sind auch kleine Waldstückchen, die aber in der eigentlichen
Wosvre zu klein sind, um das Landschaftsbild zu beeinflussen. Im Frühling und
Sommer mag das gewaltige Korn- und Wiesenmeer der Woevre mit dem
weiten Himmelsdom darüber etwas Herrliches, Großartiges haben, aber so wie
ich die Gegend angetroffen habe, in einem lauen, regnerischen Dezember, der
den Boden allenthalben mit Wasser durchtränkt hatte, sahen die abgemausten
Felder, in denen Roß und Mann beinahe stecken blieben, die schnurgeraden
Straßen mit ihrem unregelmäßigen Besatz schlecht gewachsener oder verstümmelter
Waldbäume und die kleinen Waldstücke recht trübselig aus. Diese Waldfetzen
erinnern ganz an die Beschreibung der Argonnen: alles voll Unterholz und
darunter viel Dorngestrüpp. Arten, die auch bei uns für Hände und Kleider
nicht harmlos sind, die dort aber eine ganz ungeahnte Bösartigkeit, so etwas
Verbissenes, Franktireurartiges entwickelt haben.

Wenn man über die Woevre hinwegschaut, so findet man, wie nach dem
Geschilderten nicht anders möglich, nirgends eine rechte Landmarke, auf der


Gin Blick in die ZVoövre, das Vorland von Toul und verbum

eine Kirche das Ganze etwas ansehnlicher. Eine irgendwie baulich hervor¬
ragende Kirche habe ich indessen nirgends gesehen, es sei denn die beinahe
als französische Ruhmeshalle ausgestattete, neue Kirche in Mars - la - Tour.
Hin und wieder erzählt ein verwittertes Haus mit stattlichem Hoftor und
gepflasterten Hof von besseren Zeiten, oder ein mit hoher Steinmauer
eingefriedigter Garten mit geschnittenen Lauben und buchsbaumeingefaßten
Beeten erinnert an französische Gartenkunst. Aber auch da, wo ein Haus
etwas weniger kahl aussieht und Wohnlichkeit ahnen läßt, glänzen die
„sanitären Einrichtungen" durch Abwesenheit oder äußerst rudimentäre Be¬
schaffenheit. Ich habe mich deshalb nicht enthalten können, die von unseren
Truppen errichteten diesbezüglichen Einrichtungen, die sich in ihrer Ausgestaltung
nach militärischen Rangstufen unterscheiden, als Kulturdenkmäler auf die Platte
zu bannen. Ein weiteres Zeichen der Anwesenheit deutscher Truppen sind auch
riesige, wohlgepflegte Dungstätten und —. Auf jenen tummeln sich gackernde
Hühnervölker, ein Beweis, daß nicht alles Eßbare den plündernden Barbaren
zum Opfer gefallen ist.

Viel malerischer als die Dörfer sind die „Fernes". Es find dies, wie
der Name sagt, geschlossene, oft recht ansehnliche Höfe, für deren Anlage mit
Vorliebe eine kleine Bodenwelle gewählt ist; sie ähneln mit ihren fast fenster¬
losen Außenwänden den alten Räubernestern in den Gebirgen Italiens, bergen
im Innern aber manchmal stattliche Räume und guten Hausrat.

Die Eintönigkeit der Woevre-Landschaft ist bedingt durch die Gleich¬
mäßigkeit der geologischen Unterlage. Sie besteht aus könig-kalkigen Ausbildungen
des braunen Jura, die wenig wasserdurchlässig sind und eine schwer zu bearbeitende
Ackerkrume entstehen lassen. Wo nicht für genügende Entwässerung gesorgt ist
oder gesorgt werden kann — und dies ist auf ziemlich großen Flächen der
Fall — findet man nasse Wiesen, die in wirklich sumpfiges Gelände übergehen
können. Da und dort sind auch kleine Waldstückchen, die aber in der eigentlichen
Wosvre zu klein sind, um das Landschaftsbild zu beeinflussen. Im Frühling und
Sommer mag das gewaltige Korn- und Wiesenmeer der Woevre mit dem
weiten Himmelsdom darüber etwas Herrliches, Großartiges haben, aber so wie
ich die Gegend angetroffen habe, in einem lauen, regnerischen Dezember, der
den Boden allenthalben mit Wasser durchtränkt hatte, sahen die abgemausten
Felder, in denen Roß und Mann beinahe stecken blieben, die schnurgeraden
Straßen mit ihrem unregelmäßigen Besatz schlecht gewachsener oder verstümmelter
Waldbäume und die kleinen Waldstücke recht trübselig aus. Diese Waldfetzen
erinnern ganz an die Beschreibung der Argonnen: alles voll Unterholz und
darunter viel Dorngestrüpp. Arten, die auch bei uns für Hände und Kleider
nicht harmlos sind, die dort aber eine ganz ungeahnte Bösartigkeit, so etwas
Verbissenes, Franktireurartiges entwickelt haben.

Wenn man über die Woevre hinwegschaut, so findet man, wie nach dem
Geschilderten nicht anders möglich, nirgends eine rechte Landmarke, auf der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0134" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/323673"/>
          <fw type="header" place="top"> Gin Blick in die ZVoövre, das Vorland von Toul und verbum</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_419" prev="#ID_418"> eine Kirche das Ganze etwas ansehnlicher. Eine irgendwie baulich hervor¬<lb/>
ragende Kirche habe ich indessen nirgends gesehen, es sei denn die beinahe<lb/>
als französische Ruhmeshalle ausgestattete, neue Kirche in Mars - la - Tour.<lb/>
Hin und wieder erzählt ein verwittertes Haus mit stattlichem Hoftor und<lb/>
gepflasterten Hof von besseren Zeiten, oder ein mit hoher Steinmauer<lb/>
eingefriedigter Garten mit geschnittenen Lauben und buchsbaumeingefaßten<lb/>
Beeten erinnert an französische Gartenkunst. Aber auch da, wo ein Haus<lb/>
etwas weniger kahl aussieht und Wohnlichkeit ahnen läßt, glänzen die<lb/>
&#x201E;sanitären Einrichtungen" durch Abwesenheit oder äußerst rudimentäre Be¬<lb/>
schaffenheit. Ich habe mich deshalb nicht enthalten können, die von unseren<lb/>
Truppen errichteten diesbezüglichen Einrichtungen, die sich in ihrer Ausgestaltung<lb/>
nach militärischen Rangstufen unterscheiden, als Kulturdenkmäler auf die Platte<lb/>
zu bannen. Ein weiteres Zeichen der Anwesenheit deutscher Truppen sind auch<lb/>
riesige, wohlgepflegte Dungstätten und &#x2014;. Auf jenen tummeln sich gackernde<lb/>
Hühnervölker, ein Beweis, daß nicht alles Eßbare den plündernden Barbaren<lb/>
zum Opfer gefallen ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_420"> Viel malerischer als die Dörfer sind die &#x201E;Fernes". Es find dies, wie<lb/>
der Name sagt, geschlossene, oft recht ansehnliche Höfe, für deren Anlage mit<lb/>
Vorliebe eine kleine Bodenwelle gewählt ist; sie ähneln mit ihren fast fenster¬<lb/>
losen Außenwänden den alten Räubernestern in den Gebirgen Italiens, bergen<lb/>
im Innern aber manchmal stattliche Räume und guten Hausrat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_421"> Die Eintönigkeit der Woevre-Landschaft ist bedingt durch die Gleich¬<lb/>
mäßigkeit der geologischen Unterlage. Sie besteht aus könig-kalkigen Ausbildungen<lb/>
des braunen Jura, die wenig wasserdurchlässig sind und eine schwer zu bearbeitende<lb/>
Ackerkrume entstehen lassen. Wo nicht für genügende Entwässerung gesorgt ist<lb/>
oder gesorgt werden kann &#x2014; und dies ist auf ziemlich großen Flächen der<lb/>
Fall &#x2014; findet man nasse Wiesen, die in wirklich sumpfiges Gelände übergehen<lb/>
können. Da und dort sind auch kleine Waldstückchen, die aber in der eigentlichen<lb/>
Wosvre zu klein sind, um das Landschaftsbild zu beeinflussen. Im Frühling und<lb/>
Sommer mag das gewaltige Korn- und Wiesenmeer der Woevre mit dem<lb/>
weiten Himmelsdom darüber etwas Herrliches, Großartiges haben, aber so wie<lb/>
ich die Gegend angetroffen habe, in einem lauen, regnerischen Dezember, der<lb/>
den Boden allenthalben mit Wasser durchtränkt hatte, sahen die abgemausten<lb/>
Felder, in denen Roß und Mann beinahe stecken blieben, die schnurgeraden<lb/>
Straßen mit ihrem unregelmäßigen Besatz schlecht gewachsener oder verstümmelter<lb/>
Waldbäume und die kleinen Waldstücke recht trübselig aus. Diese Waldfetzen<lb/>
erinnern ganz an die Beschreibung der Argonnen: alles voll Unterholz und<lb/>
darunter viel Dorngestrüpp. Arten, die auch bei uns für Hände und Kleider<lb/>
nicht harmlos sind, die dort aber eine ganz ungeahnte Bösartigkeit, so etwas<lb/>
Verbissenes, Franktireurartiges entwickelt haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_422" next="#ID_423"> Wenn man über die Woevre hinwegschaut, so findet man, wie nach dem<lb/>
Geschilderten nicht anders möglich, nirgends eine rechte Landmarke, auf der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0134] Gin Blick in die ZVoövre, das Vorland von Toul und verbum eine Kirche das Ganze etwas ansehnlicher. Eine irgendwie baulich hervor¬ ragende Kirche habe ich indessen nirgends gesehen, es sei denn die beinahe als französische Ruhmeshalle ausgestattete, neue Kirche in Mars - la - Tour. Hin und wieder erzählt ein verwittertes Haus mit stattlichem Hoftor und gepflasterten Hof von besseren Zeiten, oder ein mit hoher Steinmauer eingefriedigter Garten mit geschnittenen Lauben und buchsbaumeingefaßten Beeten erinnert an französische Gartenkunst. Aber auch da, wo ein Haus etwas weniger kahl aussieht und Wohnlichkeit ahnen läßt, glänzen die „sanitären Einrichtungen" durch Abwesenheit oder äußerst rudimentäre Be¬ schaffenheit. Ich habe mich deshalb nicht enthalten können, die von unseren Truppen errichteten diesbezüglichen Einrichtungen, die sich in ihrer Ausgestaltung nach militärischen Rangstufen unterscheiden, als Kulturdenkmäler auf die Platte zu bannen. Ein weiteres Zeichen der Anwesenheit deutscher Truppen sind auch riesige, wohlgepflegte Dungstätten und —. Auf jenen tummeln sich gackernde Hühnervölker, ein Beweis, daß nicht alles Eßbare den plündernden Barbaren zum Opfer gefallen ist. Viel malerischer als die Dörfer sind die „Fernes". Es find dies, wie der Name sagt, geschlossene, oft recht ansehnliche Höfe, für deren Anlage mit Vorliebe eine kleine Bodenwelle gewählt ist; sie ähneln mit ihren fast fenster¬ losen Außenwänden den alten Räubernestern in den Gebirgen Italiens, bergen im Innern aber manchmal stattliche Räume und guten Hausrat. Die Eintönigkeit der Woevre-Landschaft ist bedingt durch die Gleich¬ mäßigkeit der geologischen Unterlage. Sie besteht aus könig-kalkigen Ausbildungen des braunen Jura, die wenig wasserdurchlässig sind und eine schwer zu bearbeitende Ackerkrume entstehen lassen. Wo nicht für genügende Entwässerung gesorgt ist oder gesorgt werden kann — und dies ist auf ziemlich großen Flächen der Fall — findet man nasse Wiesen, die in wirklich sumpfiges Gelände übergehen können. Da und dort sind auch kleine Waldstückchen, die aber in der eigentlichen Wosvre zu klein sind, um das Landschaftsbild zu beeinflussen. Im Frühling und Sommer mag das gewaltige Korn- und Wiesenmeer der Woevre mit dem weiten Himmelsdom darüber etwas Herrliches, Großartiges haben, aber so wie ich die Gegend angetroffen habe, in einem lauen, regnerischen Dezember, der den Boden allenthalben mit Wasser durchtränkt hatte, sahen die abgemausten Felder, in denen Roß und Mann beinahe stecken blieben, die schnurgeraden Straßen mit ihrem unregelmäßigen Besatz schlecht gewachsener oder verstümmelter Waldbäume und die kleinen Waldstücke recht trübselig aus. Diese Waldfetzen erinnern ganz an die Beschreibung der Argonnen: alles voll Unterholz und darunter viel Dorngestrüpp. Arten, die auch bei uns für Hände und Kleider nicht harmlos sind, die dort aber eine ganz ungeahnte Bösartigkeit, so etwas Verbissenes, Franktireurartiges entwickelt haben. Wenn man über die Woevre hinwegschaut, so findet man, wie nach dem Geschilderten nicht anders möglich, nirgends eine rechte Landmarke, auf der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/134
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/134>, abgerufen am 15.05.2024.