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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr.

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Belle Alliance

Hiernach handelte er mit jener rücksichtslosen Entschlossenheit, die alles aufs
Spiel setzt, um alles zu gewinnen.

Freilich -- mißlang dieser Ursprung, vermochten Wellington und Blücher
sich rechtzeitig zu vereinigen, dann war er verloren. Aber er dachte nicht an
die Möglichkeiten des Mißlingens. Er sah nur das Gelingen und seine Folgen.




Jm Vertrauen auf Wellingtons Hilfe hatte Blücher am 16. Juni die
Schlacht bei Ligny angenommen. Da aber diese Hilfe durch Wellingtons
Schuld ausblieb, der sich selbst nur mit Mühe bei Quatrebras der Truppen
Neys hatte erwehren können, so ist Blücher -- freilich unter Mitwirkung
anderer unglücklicher Umstände wie des Ausbleibens von Bülows Korps -- bei
Ligny geschlagen worden. Daran hatte selbst das verzweifelte persönliche Ein¬
greifen des alten Helden nichts ändern können; als nach stundenlangen,
Wütendem Ringen im Dorfe Ligny selbst Napoleons alte Garde das preußische
Lentrum durchbrochen hatte und die Franzosen schon auf Brye vordrangen,
hatte sich Blücher in Erkenntnis der Gefahr persönlich an die Spitze einer
Meiterbrigade gesetzt und sie mit gezogenem Säbel gegen den Feind geführt.
Andere Regimenter, wie die sechsten Ulanen unter Lützow, hatte" sich mit stürmischem
Zuruf angeschlossen. Da stürzt Blüchers Pferd, von einer Kugel getroffen;
der greise Feldmarschall kommt unter das schwere Tier zu liegen, die franzö¬
sischen Reiter jagen vorüber, ohne seine Nähe zu ahnen. Vergeblich sucht
inzwischen Gneisenau die Kavallerie nochmals zu sammeln. Mitten im wildesten
-Getümmel der hin- und herwogenden Reiterschlacht rettet er mit gezogenem
Säbel den verwundeten Major von Bardeleben, der, den Arm in der Binde,
neben ihm reitet. "Ein Hundsfott, wenn ich Sie nicht heraushaue!" ...

Da Blücher verschwunden bleibt, jagen mehrere höhere Offiziere, um Befehle
für den unvermeidlich gewordenen Rückzug zu erbitten, zu Gneisenau. Der
Hält unbeweglich zu Pferde bei Brye, die Karte in der Hand. Ein kurzes
Schweigen . . . Befahl er jetzt den Rückzug nach Osten, wohin schon ein Teil
der geschlagenen Preußen flutete, so behielt die preußische Armee, die von
Wellington trotz seiner bestimmten und wiederholten Zusage so schnöde im
Stich gelassen war, ihre natürliche Rückzugslinie nach dem Rhein und war
gerettet ... Da befiehlt er den Rückzug nach Norden! So gibt er die Ver¬
bindung mit der Heimat auf, um unter allen Umständen mit Wellington in
Fühlung zu bleiben und in den nächsten Tagen mit ihm gemeinsam zu
schlagen. Durch diesen Befehl Gneisenaus, den er, ungebrochen durch das
Unglück des Tages, im vollen Bewußtsein seiner Tragweite gegeben hat. ist
der Sturz des Korsen besiegelt für immer. An die traumhafte Möglichkeit, daß
die geschlagenen Preußen unmittelbar nach ihrer Niederlage ihre Rückzugslinie
aufgeben würden, um alsbald, mit Wellington vereint, von neuem eine Schacht
M liefern, hat er im Ernst niemals gedacht. Ja, in der ihm eigenen Unter-


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Hiernach handelte er mit jener rücksichtslosen Entschlossenheit, die alles aufs
Spiel setzt, um alles zu gewinnen.

Freilich — mißlang dieser Ursprung, vermochten Wellington und Blücher
sich rechtzeitig zu vereinigen, dann war er verloren. Aber er dachte nicht an
die Möglichkeiten des Mißlingens. Er sah nur das Gelingen und seine Folgen.




Jm Vertrauen auf Wellingtons Hilfe hatte Blücher am 16. Juni die
Schlacht bei Ligny angenommen. Da aber diese Hilfe durch Wellingtons
Schuld ausblieb, der sich selbst nur mit Mühe bei Quatrebras der Truppen
Neys hatte erwehren können, so ist Blücher — freilich unter Mitwirkung
anderer unglücklicher Umstände wie des Ausbleibens von Bülows Korps — bei
Ligny geschlagen worden. Daran hatte selbst das verzweifelte persönliche Ein¬
greifen des alten Helden nichts ändern können; als nach stundenlangen,
Wütendem Ringen im Dorfe Ligny selbst Napoleons alte Garde das preußische
Lentrum durchbrochen hatte und die Franzosen schon auf Brye vordrangen,
hatte sich Blücher in Erkenntnis der Gefahr persönlich an die Spitze einer
Meiterbrigade gesetzt und sie mit gezogenem Säbel gegen den Feind geführt.
Andere Regimenter, wie die sechsten Ulanen unter Lützow, hatte» sich mit stürmischem
Zuruf angeschlossen. Da stürzt Blüchers Pferd, von einer Kugel getroffen;
der greise Feldmarschall kommt unter das schwere Tier zu liegen, die franzö¬
sischen Reiter jagen vorüber, ohne seine Nähe zu ahnen. Vergeblich sucht
inzwischen Gneisenau die Kavallerie nochmals zu sammeln. Mitten im wildesten
-Getümmel der hin- und herwogenden Reiterschlacht rettet er mit gezogenem
Säbel den verwundeten Major von Bardeleben, der, den Arm in der Binde,
neben ihm reitet. „Ein Hundsfott, wenn ich Sie nicht heraushaue!" ...

Da Blücher verschwunden bleibt, jagen mehrere höhere Offiziere, um Befehle
für den unvermeidlich gewordenen Rückzug zu erbitten, zu Gneisenau. Der
Hält unbeweglich zu Pferde bei Brye, die Karte in der Hand. Ein kurzes
Schweigen . . . Befahl er jetzt den Rückzug nach Osten, wohin schon ein Teil
der geschlagenen Preußen flutete, so behielt die preußische Armee, die von
Wellington trotz seiner bestimmten und wiederholten Zusage so schnöde im
Stich gelassen war, ihre natürliche Rückzugslinie nach dem Rhein und war
gerettet ... Da befiehlt er den Rückzug nach Norden! So gibt er die Ver¬
bindung mit der Heimat auf, um unter allen Umständen mit Wellington in
Fühlung zu bleiben und in den nächsten Tagen mit ihm gemeinsam zu
schlagen. Durch diesen Befehl Gneisenaus, den er, ungebrochen durch das
Unglück des Tages, im vollen Bewußtsein seiner Tragweite gegeben hat. ist
der Sturz des Korsen besiegelt für immer. An die traumhafte Möglichkeit, daß
die geschlagenen Preußen unmittelbar nach ihrer Niederlage ihre Rückzugslinie
aufgeben würden, um alsbald, mit Wellington vereint, von neuem eine Schacht
M liefern, hat er im Ernst niemals gedacht. Ja, in der ihm eigenen Unter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323538/341>, abgerufen am 13.05.2024.