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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Die Formen der Angliedcrung unselbständiger Gebiete

irgendwo angeführtes Wort von ihm und hält ihn im übrigen für einen Franzosen.
(Was einem deutschen Universitätslehrer nicht passieren sollte!).

Also keine Kultur durch Spekulation, durch Parteiwesen oder staatliche
Verordnung! Die Affinität der mitteleuropäischen Kernvölker wird heute stark
genug empfunden, daß der deutschen Kultur die Wirkung selbst über den Boden
der Nation hinaus nicht fehlen wird. Und vor allem muß Mitteleuropa erst
staatlich geschaffen werden. "Erst sein, dann wie sein!" würde wiederum
Lagarde sagen.




Die Formen der Angliederung unselbständiger Gebiete
Professor or. Lonrad Bornhak von

nsere Schulerinnerungen an römische Geschichte, die sich im
wesentlichen der überlieferten römischen Geschichtsschreibung an¬
schließen, gehen ungefähr dahin, daß der römische Stadtstaat sich
erst Latium unterwarf, dann in den Samnitenkriegen das übrige
Mittel- und Unter-Italien sich untertänig machte, durch den ersten
punischen Krieg sich Sizilien, nach diesem die Poebene, Sardinien und Korsika
sich angliederte und schließlich nach den beiden anderen großen Halbinseln des
Mittelmeeres, nach Afrika und Asien übergriff. So kam denn das geschichtliche
Endergebnis heraus, daß die ganze Kulturwelt des Altertums um das Mittel¬
meerbecken herum der weltbeherrschenden Stadt am Tiberstrome unterworfen
war. Die Machtgrenzen Urbi8 et 0l-bi8 waren dieselben geworden.

Demgegenüber hat Mommsen mit Entschiedenheit betont, daß die politische
Geschichte Roms in zwei verschiedene Perioden zerfällt. Die erste umfaßt
die Einigung der stammverwandten italischen Stamme in einer festen Eid¬
genossenschaft unter römischer Führung und ist mit den Samnitenkriegen
abgeschlossen. Seit dem ersten punischen Kriege greift Rom, durch die bittere
Not gedrängt, zur Sicherung des italischen Gebietes über dieses hinaus,
erwirbt die Italien umgebenden großen Inseln und die Poebene. damals Italien
gegenüber noch fremdstämmiges Gebiet, und im weiteren Verlaufe der Ent¬
wicklung die anderen Mittelmeerländer. Diese Unterwerfung des Weltalls ist
nicht mehr das Werk einer Stadt, sondern der unter Roms Führung geeinigten
italischen Nation.

Es war nicht Eroberungssucht, die Rom dazu trieb, diese fremdartigen
Gebiete sich Untertan zu machen, sondern die dringendste Notlage, weil sonst
Italien selbst aus diesen Gebieten beständigen Angriffen, die italische Eid-


Die Formen der Angliedcrung unselbständiger Gebiete

irgendwo angeführtes Wort von ihm und hält ihn im übrigen für einen Franzosen.
(Was einem deutschen Universitätslehrer nicht passieren sollte!).

Also keine Kultur durch Spekulation, durch Parteiwesen oder staatliche
Verordnung! Die Affinität der mitteleuropäischen Kernvölker wird heute stark
genug empfunden, daß der deutschen Kultur die Wirkung selbst über den Boden
der Nation hinaus nicht fehlen wird. Und vor allem muß Mitteleuropa erst
staatlich geschaffen werden. „Erst sein, dann wie sein!" würde wiederum
Lagarde sagen.




Die Formen der Angliederung unselbständiger Gebiete
Professor or. Lonrad Bornhak von

nsere Schulerinnerungen an römische Geschichte, die sich im
wesentlichen der überlieferten römischen Geschichtsschreibung an¬
schließen, gehen ungefähr dahin, daß der römische Stadtstaat sich
erst Latium unterwarf, dann in den Samnitenkriegen das übrige
Mittel- und Unter-Italien sich untertänig machte, durch den ersten
punischen Krieg sich Sizilien, nach diesem die Poebene, Sardinien und Korsika
sich angliederte und schließlich nach den beiden anderen großen Halbinseln des
Mittelmeeres, nach Afrika und Asien übergriff. So kam denn das geschichtliche
Endergebnis heraus, daß die ganze Kulturwelt des Altertums um das Mittel¬
meerbecken herum der weltbeherrschenden Stadt am Tiberstrome unterworfen
war. Die Machtgrenzen Urbi8 et 0l-bi8 waren dieselben geworden.

Demgegenüber hat Mommsen mit Entschiedenheit betont, daß die politische
Geschichte Roms in zwei verschiedene Perioden zerfällt. Die erste umfaßt
die Einigung der stammverwandten italischen Stamme in einer festen Eid¬
genossenschaft unter römischer Führung und ist mit den Samnitenkriegen
abgeschlossen. Seit dem ersten punischen Kriege greift Rom, durch die bittere
Not gedrängt, zur Sicherung des italischen Gebietes über dieses hinaus,
erwirbt die Italien umgebenden großen Inseln und die Poebene. damals Italien
gegenüber noch fremdstämmiges Gebiet, und im weiteren Verlaufe der Ent¬
wicklung die anderen Mittelmeerländer. Diese Unterwerfung des Weltalls ist
nicht mehr das Werk einer Stadt, sondern der unter Roms Führung geeinigten
italischen Nation.

Es war nicht Eroberungssucht, die Rom dazu trieb, diese fremdartigen
Gebiete sich Untertan zu machen, sondern die dringendste Notlage, weil sonst
Italien selbst aus diesen Gebieten beständigen Angriffen, die italische Eid-


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[0115] Die Formen der Angliedcrung unselbständiger Gebiete irgendwo angeführtes Wort von ihm und hält ihn im übrigen für einen Franzosen. (Was einem deutschen Universitätslehrer nicht passieren sollte!). Also keine Kultur durch Spekulation, durch Parteiwesen oder staatliche Verordnung! Die Affinität der mitteleuropäischen Kernvölker wird heute stark genug empfunden, daß der deutschen Kultur die Wirkung selbst über den Boden der Nation hinaus nicht fehlen wird. Und vor allem muß Mitteleuropa erst staatlich geschaffen werden. „Erst sein, dann wie sein!" würde wiederum Lagarde sagen. Die Formen der Angliederung unselbständiger Gebiete Professor or. Lonrad Bornhak von nsere Schulerinnerungen an römische Geschichte, die sich im wesentlichen der überlieferten römischen Geschichtsschreibung an¬ schließen, gehen ungefähr dahin, daß der römische Stadtstaat sich erst Latium unterwarf, dann in den Samnitenkriegen das übrige Mittel- und Unter-Italien sich untertänig machte, durch den ersten punischen Krieg sich Sizilien, nach diesem die Poebene, Sardinien und Korsika sich angliederte und schließlich nach den beiden anderen großen Halbinseln des Mittelmeeres, nach Afrika und Asien übergriff. So kam denn das geschichtliche Endergebnis heraus, daß die ganze Kulturwelt des Altertums um das Mittel¬ meerbecken herum der weltbeherrschenden Stadt am Tiberstrome unterworfen war. Die Machtgrenzen Urbi8 et 0l-bi8 waren dieselben geworden. Demgegenüber hat Mommsen mit Entschiedenheit betont, daß die politische Geschichte Roms in zwei verschiedene Perioden zerfällt. Die erste umfaßt die Einigung der stammverwandten italischen Stamme in einer festen Eid¬ genossenschaft unter römischer Führung und ist mit den Samnitenkriegen abgeschlossen. Seit dem ersten punischen Kriege greift Rom, durch die bittere Not gedrängt, zur Sicherung des italischen Gebietes über dieses hinaus, erwirbt die Italien umgebenden großen Inseln und die Poebene. damals Italien gegenüber noch fremdstämmiges Gebiet, und im weiteren Verlaufe der Ent¬ wicklung die anderen Mittelmeerländer. Diese Unterwerfung des Weltalls ist nicht mehr das Werk einer Stadt, sondern der unter Roms Führung geeinigten italischen Nation. Es war nicht Eroberungssucht, die Rom dazu trieb, diese fremdartigen Gebiete sich Untertan zu machen, sondern die dringendste Notlage, weil sonst Italien selbst aus diesen Gebieten beständigen Angriffen, die italische Eid-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/115>, abgerufen am 17.06.2024.