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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Die Formen der Angliederung unselbständiger Gebiete

genossenschaft der Vernichtung ausgesetzt gewesen wäre. Der Sicherungszweck
forderte die militärische Beherrschung. Das wirtschaftliche Bedürfnis aus dem
geschlossenen Binnenmeere der Adrta und aus dem durch Karthago geschlossenen
tyrrhenischen Meere herauszubekommen, drängte in derselben Richtung. Der
italische Bauer, der friedlich seine Scholle bebauen wollte, wurde fürwahr nicht
durch Eroberungssucht zu immer neuen Kämpfen getrieben. Aber die italische
Eidgenossenschaft mußte aus militärischen und wirtschaftlichen Gründen über ihre
Grenzen hinauswachsen, wenn sie nicht selbst untergehen wollte.

Nimmermehr konnte man aber daran denken, diese unterworfenen Gebiete
mit fremdartiger, meist feindseliger Bevölkerung in die festgefügte italische
Bundesgenossenschaft aufzunehmen. Nach dem ersten punischen Kriege wurden
Sizilien, bald darauf die Poebene, Sardinien und Korsika und schließlich die
anderen Mittelmeerländer römische Provinzen.

In der römischen Provinzialverfassung war das Problem gelöst, Länder,
die man aus politischen, militärischen und wirtschaftlichen Gründen unbedingt
beherrschen mußte, in Abhängigkeit zu halten, ohne ihnen doch politische Gleich¬
berechtigung zu gewähren und damit das eigene staatliche Gemeinwesen zu
sprengen. Die Provinzialen erfreuten sich meist in freier Munizipalverfassung
großer Selbständigkeit, nur in der hohen Politik hatten sie nichts zu sagen.
Ihr wirtschaftliches Leben blühte im Anschlusse an die große Weltmacht unter
ihrem Schutze und ihrem Frieden. Für das römische Heer stellten sie Hilfs¬
truppen unter römischen Befehlshabern. Die ganze Verwaltung stand unter
römischen Statthaltern. Mochten die römischen Landpfleger sich beim Verfalle
der Aristokratie manche Ausschreitungen zuschulden kommen lassen nach Art
eines Verres, so lag das am politischen System des herrschenden Staates, nicht
an der Provinzialverfassung. Mit der Kaiserzeit wurde es auch in dieser
Beziehung wesentlich besser.

Allmählich bildeten sich in den Provinzen auch stärkere italische Nieder¬
lassungen von Handel- und Gewerbetreibenden in den Städten und von italischen
Bauern. Das wirkte zurück auf die einheimische Bevölkerung. Sizilien, die
Poebene, Sardinien, Korsika, Spanien, Gallien und Dazien wurden bis auf
den heutigen Tag, Nord-Afrika wenigstens bis zur arabischen Eroberung von
Roms Kultur und Sprache erfüllt. Damit vollzog sich auch die innere Ver¬
schmelzung der Provinzialen mit dem herrschenden Staate.

So konnte Caesar den romanisierten Galliern, Ligurern und Venetern der
Poebene, Augustus den Bewohnern Siziliens das Bürgerrecht geben. Und
endlich konnte Antoninus Caracalla (211 bis 217) allen freien Bewohnern des
römischen Reiches das Bürgerrecht verleihen. Aus dem italischen Staate, der
sich das Mittelmeerbecken unterworfen, war auch innerlich das Weltreich
geworden. Alle Provinzialen fühlten sich jetzt als Römer. Daß heute alle
Bewohner der italischen Halbinsel von Sizilien bis zu den Kämmen der Alpen
Italiener, daß noch heute Franzosen, Spanier, Portugiesen und Rumänen


Die Formen der Angliederung unselbständiger Gebiete

genossenschaft der Vernichtung ausgesetzt gewesen wäre. Der Sicherungszweck
forderte die militärische Beherrschung. Das wirtschaftliche Bedürfnis aus dem
geschlossenen Binnenmeere der Adrta und aus dem durch Karthago geschlossenen
tyrrhenischen Meere herauszubekommen, drängte in derselben Richtung. Der
italische Bauer, der friedlich seine Scholle bebauen wollte, wurde fürwahr nicht
durch Eroberungssucht zu immer neuen Kämpfen getrieben. Aber die italische
Eidgenossenschaft mußte aus militärischen und wirtschaftlichen Gründen über ihre
Grenzen hinauswachsen, wenn sie nicht selbst untergehen wollte.

Nimmermehr konnte man aber daran denken, diese unterworfenen Gebiete
mit fremdartiger, meist feindseliger Bevölkerung in die festgefügte italische
Bundesgenossenschaft aufzunehmen. Nach dem ersten punischen Kriege wurden
Sizilien, bald darauf die Poebene, Sardinien und Korsika und schließlich die
anderen Mittelmeerländer römische Provinzen.

In der römischen Provinzialverfassung war das Problem gelöst, Länder,
die man aus politischen, militärischen und wirtschaftlichen Gründen unbedingt
beherrschen mußte, in Abhängigkeit zu halten, ohne ihnen doch politische Gleich¬
berechtigung zu gewähren und damit das eigene staatliche Gemeinwesen zu
sprengen. Die Provinzialen erfreuten sich meist in freier Munizipalverfassung
großer Selbständigkeit, nur in der hohen Politik hatten sie nichts zu sagen.
Ihr wirtschaftliches Leben blühte im Anschlusse an die große Weltmacht unter
ihrem Schutze und ihrem Frieden. Für das römische Heer stellten sie Hilfs¬
truppen unter römischen Befehlshabern. Die ganze Verwaltung stand unter
römischen Statthaltern. Mochten die römischen Landpfleger sich beim Verfalle
der Aristokratie manche Ausschreitungen zuschulden kommen lassen nach Art
eines Verres, so lag das am politischen System des herrschenden Staates, nicht
an der Provinzialverfassung. Mit der Kaiserzeit wurde es auch in dieser
Beziehung wesentlich besser.

Allmählich bildeten sich in den Provinzen auch stärkere italische Nieder¬
lassungen von Handel- und Gewerbetreibenden in den Städten und von italischen
Bauern. Das wirkte zurück auf die einheimische Bevölkerung. Sizilien, die
Poebene, Sardinien, Korsika, Spanien, Gallien und Dazien wurden bis auf
den heutigen Tag, Nord-Afrika wenigstens bis zur arabischen Eroberung von
Roms Kultur und Sprache erfüllt. Damit vollzog sich auch die innere Ver¬
schmelzung der Provinzialen mit dem herrschenden Staate.

So konnte Caesar den romanisierten Galliern, Ligurern und Venetern der
Poebene, Augustus den Bewohnern Siziliens das Bürgerrecht geben. Und
endlich konnte Antoninus Caracalla (211 bis 217) allen freien Bewohnern des
römischen Reiches das Bürgerrecht verleihen. Aus dem italischen Staate, der
sich das Mittelmeerbecken unterworfen, war auch innerlich das Weltreich
geworden. Alle Provinzialen fühlten sich jetzt als Römer. Daß heute alle
Bewohner der italischen Halbinsel von Sizilien bis zu den Kämmen der Alpen
Italiener, daß noch heute Franzosen, Spanier, Portugiesen und Rumänen


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[0116] Die Formen der Angliederung unselbständiger Gebiete genossenschaft der Vernichtung ausgesetzt gewesen wäre. Der Sicherungszweck forderte die militärische Beherrschung. Das wirtschaftliche Bedürfnis aus dem geschlossenen Binnenmeere der Adrta und aus dem durch Karthago geschlossenen tyrrhenischen Meere herauszubekommen, drängte in derselben Richtung. Der italische Bauer, der friedlich seine Scholle bebauen wollte, wurde fürwahr nicht durch Eroberungssucht zu immer neuen Kämpfen getrieben. Aber die italische Eidgenossenschaft mußte aus militärischen und wirtschaftlichen Gründen über ihre Grenzen hinauswachsen, wenn sie nicht selbst untergehen wollte. Nimmermehr konnte man aber daran denken, diese unterworfenen Gebiete mit fremdartiger, meist feindseliger Bevölkerung in die festgefügte italische Bundesgenossenschaft aufzunehmen. Nach dem ersten punischen Kriege wurden Sizilien, bald darauf die Poebene, Sardinien und Korsika und schließlich die anderen Mittelmeerländer römische Provinzen. In der römischen Provinzialverfassung war das Problem gelöst, Länder, die man aus politischen, militärischen und wirtschaftlichen Gründen unbedingt beherrschen mußte, in Abhängigkeit zu halten, ohne ihnen doch politische Gleich¬ berechtigung zu gewähren und damit das eigene staatliche Gemeinwesen zu sprengen. Die Provinzialen erfreuten sich meist in freier Munizipalverfassung großer Selbständigkeit, nur in der hohen Politik hatten sie nichts zu sagen. Ihr wirtschaftliches Leben blühte im Anschlusse an die große Weltmacht unter ihrem Schutze und ihrem Frieden. Für das römische Heer stellten sie Hilfs¬ truppen unter römischen Befehlshabern. Die ganze Verwaltung stand unter römischen Statthaltern. Mochten die römischen Landpfleger sich beim Verfalle der Aristokratie manche Ausschreitungen zuschulden kommen lassen nach Art eines Verres, so lag das am politischen System des herrschenden Staates, nicht an der Provinzialverfassung. Mit der Kaiserzeit wurde es auch in dieser Beziehung wesentlich besser. Allmählich bildeten sich in den Provinzen auch stärkere italische Nieder¬ lassungen von Handel- und Gewerbetreibenden in den Städten und von italischen Bauern. Das wirkte zurück auf die einheimische Bevölkerung. Sizilien, die Poebene, Sardinien, Korsika, Spanien, Gallien und Dazien wurden bis auf den heutigen Tag, Nord-Afrika wenigstens bis zur arabischen Eroberung von Roms Kultur und Sprache erfüllt. Damit vollzog sich auch die innere Ver¬ schmelzung der Provinzialen mit dem herrschenden Staate. So konnte Caesar den romanisierten Galliern, Ligurern und Venetern der Poebene, Augustus den Bewohnern Siziliens das Bürgerrecht geben. Und endlich konnte Antoninus Caracalla (211 bis 217) allen freien Bewohnern des römischen Reiches das Bürgerrecht verleihen. Aus dem italischen Staate, der sich das Mittelmeerbecken unterworfen, war auch innerlich das Weltreich geworden. Alle Provinzialen fühlten sich jetzt als Römer. Daß heute alle Bewohner der italischen Halbinsel von Sizilien bis zu den Kämmen der Alpen Italiener, daß noch heute Franzosen, Spanier, Portugiesen und Rumänen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/116>, abgerufen am 17.06.2024.