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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Die Formen der Angliedermig unselbständiger Gebiete

Romanen sind und romanische Sprachen reden, ist das Ergebnis der römischen
Provinzialverfassung.

Das untergegangene weströmische Reich erneuerte sich mit den Kaiser¬
krönungen Karls des Großen und Ottos des Großen im fränkischen Reiche
und im heiligen römischen Reiche deutscher Nation. Die Erneuerung war nichts
Willkürliches. Denn das neue Germanenreich war vor ähnliche Aufgaben
gestellt wie einst das römische, im Interesse der eigenen Sicherheit fremde
Nachbarstämme sich zu unterwerfen und mit der eigenen Kultur zu erfüllen.
Doch nur äußerlich war die durch die Kaiserkrönungen vermittelte Anknüpfung
des neuen Reiches an das römische, alle seine Staatseinrichtungen waren rein
germanisch. Das ganze Mittelalter hindurch pflegte mau alle Einrichtungen
des Staats- und Rechtslebens, auf denen das germanisch-romanische Europa
sich fortentwickelte, auf Karl den Großen zurückzuführen, auch wenn sie auf eine
noch ältere Zeit zurückgingen. Und in der Tat, eine staatliche Schöpfung geht
einzig und allein auf ihn zurück, die Grenzmarken, die man noch im merovin-
gischen Frankenreiche nicht kannte.

Durch die Grenzmarken wurde ein militärisch geschützter Grenzbezirk so
weit in das Gebiet fremden Volkstums vorgeschoben, daß das eigentliche Volks¬
land von den verwüstenden kriegerischen Angriffen des Feindes überhaupt nicht
betroffen werden konnte. Gleichzeitig wurden die Marken der Besiedelung und
dem nationalen Einflüsse des dahintersitzenden Volksstammes eröffnet und dadurch
allmählich mit den alten Stammlanden verschmolzen. Daß man damit zunächst
fremdartige Volksstämme zu Untertanen erhielt, erregte kein Bedenken. Lagen
doch die Marken außerhalb der alten Stammesherzogtümer, von denen sie nur
ausgingen. Was wäre aus Deutschland geworden, wenn man sich aus Bedenken
der Nationalität gescheut hätte, die Grenzen über das alte Stammesland hinaus¬
zuschieben? Liegt doch ein Drittel des heutigen Deutschland mit seiner Haupt¬
stadt auf altem Slawenboden, und ist doch der führende Staat Deutschlands,
Brandenburg-Preußen aus dem Zusammenwachsen von zwei großen Grenz¬
marken entstanden.

So umzogen Marken das ganze Reich Karls des Großen, am Ebro, gegen
die Bretagne, an der Eider, der Elbe, Saale, Raab, Donau und Jsonzo.
Nach der Teilung des fränkischen Reiches hatte Deutschland hauptsächlich Marken
an der Ostqrenze, da von dem schwachen westfränkischen Reiche keine Gefahr
drohte. Nur an der italienischen Alpengrenze und an den Apenninen ent¬
standen einige neue Markgrafschaften wie Jvrea, Susa, Tuscien gegen Burgund.
Auch die Markgrafschaft Baden, die übrigens bis zum westfälischen Frieden die
Reichsgrenze gar nicht berührte, war keine eigentliche Mark, sondern ihre Be¬
zeichnung stammt daher, daß die Zähringer den Titel ihrer verlorenen Mark
Verona auf ihre badischen Stammgüter übertrugen.

Nur ein Teil der Marken hat seine Aufgabe erfüllt. Die südöstlichen
Marken blieben im allgemeinen innerhalb ihrer alten Grenzen, ja vermochten


Die Formen der Angliedermig unselbständiger Gebiete

Romanen sind und romanische Sprachen reden, ist das Ergebnis der römischen
Provinzialverfassung.

Das untergegangene weströmische Reich erneuerte sich mit den Kaiser¬
krönungen Karls des Großen und Ottos des Großen im fränkischen Reiche
und im heiligen römischen Reiche deutscher Nation. Die Erneuerung war nichts
Willkürliches. Denn das neue Germanenreich war vor ähnliche Aufgaben
gestellt wie einst das römische, im Interesse der eigenen Sicherheit fremde
Nachbarstämme sich zu unterwerfen und mit der eigenen Kultur zu erfüllen.
Doch nur äußerlich war die durch die Kaiserkrönungen vermittelte Anknüpfung
des neuen Reiches an das römische, alle seine Staatseinrichtungen waren rein
germanisch. Das ganze Mittelalter hindurch pflegte mau alle Einrichtungen
des Staats- und Rechtslebens, auf denen das germanisch-romanische Europa
sich fortentwickelte, auf Karl den Großen zurückzuführen, auch wenn sie auf eine
noch ältere Zeit zurückgingen. Und in der Tat, eine staatliche Schöpfung geht
einzig und allein auf ihn zurück, die Grenzmarken, die man noch im merovin-
gischen Frankenreiche nicht kannte.

Durch die Grenzmarken wurde ein militärisch geschützter Grenzbezirk so
weit in das Gebiet fremden Volkstums vorgeschoben, daß das eigentliche Volks¬
land von den verwüstenden kriegerischen Angriffen des Feindes überhaupt nicht
betroffen werden konnte. Gleichzeitig wurden die Marken der Besiedelung und
dem nationalen Einflüsse des dahintersitzenden Volksstammes eröffnet und dadurch
allmählich mit den alten Stammlanden verschmolzen. Daß man damit zunächst
fremdartige Volksstämme zu Untertanen erhielt, erregte kein Bedenken. Lagen
doch die Marken außerhalb der alten Stammesherzogtümer, von denen sie nur
ausgingen. Was wäre aus Deutschland geworden, wenn man sich aus Bedenken
der Nationalität gescheut hätte, die Grenzen über das alte Stammesland hinaus¬
zuschieben? Liegt doch ein Drittel des heutigen Deutschland mit seiner Haupt¬
stadt auf altem Slawenboden, und ist doch der führende Staat Deutschlands,
Brandenburg-Preußen aus dem Zusammenwachsen von zwei großen Grenz¬
marken entstanden.

So umzogen Marken das ganze Reich Karls des Großen, am Ebro, gegen
die Bretagne, an der Eider, der Elbe, Saale, Raab, Donau und Jsonzo.
Nach der Teilung des fränkischen Reiches hatte Deutschland hauptsächlich Marken
an der Ostqrenze, da von dem schwachen westfränkischen Reiche keine Gefahr
drohte. Nur an der italienischen Alpengrenze und an den Apenninen ent¬
standen einige neue Markgrafschaften wie Jvrea, Susa, Tuscien gegen Burgund.
Auch die Markgrafschaft Baden, die übrigens bis zum westfälischen Frieden die
Reichsgrenze gar nicht berührte, war keine eigentliche Mark, sondern ihre Be¬
zeichnung stammt daher, daß die Zähringer den Titel ihrer verlorenen Mark
Verona auf ihre badischen Stammgüter übertrugen.

Nur ein Teil der Marken hat seine Aufgabe erfüllt. Die südöstlichen
Marken blieben im allgemeinen innerhalb ihrer alten Grenzen, ja vermochten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/117>, abgerufen am 17.06.2024.