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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Die Formen der Angliederung unselbständiger Gebiete

zum Teil nicht einmal die große Masse der slovenischen Bevölkerung zu ger¬
manisieren, so daß das Deutschtum nur vereinzelt über die Drau vorgedrungen
ist. Dagegen haben die nordöstlichen Marken und der preußische Orden gerade
in dem Jahrhundert nach dem Untergange der Hohenstaufen von 1250 bis 1350
noch ein bedeutendes deutsches Siedelungsgebiet gewonnen, bis sie schließlich,
ohne Rückhalt an einem eigenen Nationalstaate auf den geschlossenen polnisch¬
litauischen Nationalstaat stießen.

Mit dem alten Reiche verfiel auch seine Markenverfassung. Es ging wie
in aller menschlichen Entwicklung. Was nicht mehr zunimmt, muß abnehmen.
Die "saturierten" Völker, die nicht mehr Bedürfnis und Kraft in sich fühlen,
fremdes Volkstum in sich aufzunehmen und mit der eigenen Kultur zu erfüllen,
sind zum Untergange bestimmt. Statt daß das Reich wie einst in seiner Blüte
durch neue Marken aus sich herauswuchs, bröckelte es an allen Enden. Die
erstarkten Nachbarvölker, die nicht mehr unter die Macht der Reichsgewalt zu
beugen waren, eigneten sich ein Grenzgebiet nach dem anderen an. Mit der
Unterwerfung Preußens unter Polen und von Metz, Tüll und Virten unter
Frankreich fing es im sechzehnten Jahrhundert an, der westfälische Frieden
brachte die zweite große Teilung, bis schließlich im Untergange des alten
Reiches und im Rheinbunde diese Entwicklung ihr Endziel fand.

Immerhin hatten die Grenzmarken ihre Aufgabe erfüllt. Sie waren
Reichsgebiete wie alle anderen, der gewöhnlichen Landeshoheit unterworfen,
wenn die Gebiete der Marken auch an der Ostgrenze des Reiches lagen und
namentlich im Südosten noch einen Teil undeutscher Bevölkerung umfaßten.
Gerade daß es jetzt gewöhnliches Reichsgebiet war, zeigt wie einst in der
römischen Provinzialverfassung die endgültige Lösung des geschichtlich-politischen
Problems. Der Fehler bestand nur darin, daß man bei der Schwäche der
Reichsgewalt die Markenbildung zu früh abgeschlossen hatte.

Doch nichts zeigt die staatenbildende Kraft des deutschen Volkes in dem
Maße, als daß gerade zu dem Zeitpunkte, da das heilige römische Reich
deutscher Nation durch den westfälischen Frieden den Todesstoß empfing, sich
auf dem alten Slawenboden Ostelbiens aus den früheren Marken eine neue
Bildung erhob, die dem staatenlos gewordenen Volke in Kämpfen von zwei
Jahrhunderten das gab, was es vor allem bedürfte, den Staat. Es ist der
brandenburgisch-preußische Staat des Großen Kurfürsten.

Auch hier geben uns unsere Schulerinnerungen ein falsches Bild der
wirklichen geschichtlichen Vorgänge. Unterstützt durch eine geschichtliche Karte
von der Gebietsentwicklung des brandenburgisch-preußischen Staates haben wir
da wohl gelernt, daß Kurfürst Friedrich der Zweite die Neumark erwarb,
Albrecht Achill Krossen und Züllichau, Johann Sigismund Kleve-Mark und
Preußen, der Große Kurfürst Hinterpommern, Kammin, Halberstadt, Minden
und Magdeburg, Friedrich der Große Schlesien und Westpreußen und endlich
Wilhelm der Erste die neuen Provinzen. Dabei sind wir geneigt, an voll-


Die Formen der Angliederung unselbständiger Gebiete

zum Teil nicht einmal die große Masse der slovenischen Bevölkerung zu ger¬
manisieren, so daß das Deutschtum nur vereinzelt über die Drau vorgedrungen
ist. Dagegen haben die nordöstlichen Marken und der preußische Orden gerade
in dem Jahrhundert nach dem Untergange der Hohenstaufen von 1250 bis 1350
noch ein bedeutendes deutsches Siedelungsgebiet gewonnen, bis sie schließlich,
ohne Rückhalt an einem eigenen Nationalstaate auf den geschlossenen polnisch¬
litauischen Nationalstaat stießen.

Mit dem alten Reiche verfiel auch seine Markenverfassung. Es ging wie
in aller menschlichen Entwicklung. Was nicht mehr zunimmt, muß abnehmen.
Die „saturierten" Völker, die nicht mehr Bedürfnis und Kraft in sich fühlen,
fremdes Volkstum in sich aufzunehmen und mit der eigenen Kultur zu erfüllen,
sind zum Untergange bestimmt. Statt daß das Reich wie einst in seiner Blüte
durch neue Marken aus sich herauswuchs, bröckelte es an allen Enden. Die
erstarkten Nachbarvölker, die nicht mehr unter die Macht der Reichsgewalt zu
beugen waren, eigneten sich ein Grenzgebiet nach dem anderen an. Mit der
Unterwerfung Preußens unter Polen und von Metz, Tüll und Virten unter
Frankreich fing es im sechzehnten Jahrhundert an, der westfälische Frieden
brachte die zweite große Teilung, bis schließlich im Untergange des alten
Reiches und im Rheinbunde diese Entwicklung ihr Endziel fand.

Immerhin hatten die Grenzmarken ihre Aufgabe erfüllt. Sie waren
Reichsgebiete wie alle anderen, der gewöhnlichen Landeshoheit unterworfen,
wenn die Gebiete der Marken auch an der Ostgrenze des Reiches lagen und
namentlich im Südosten noch einen Teil undeutscher Bevölkerung umfaßten.
Gerade daß es jetzt gewöhnliches Reichsgebiet war, zeigt wie einst in der
römischen Provinzialverfassung die endgültige Lösung des geschichtlich-politischen
Problems. Der Fehler bestand nur darin, daß man bei der Schwäche der
Reichsgewalt die Markenbildung zu früh abgeschlossen hatte.

Doch nichts zeigt die staatenbildende Kraft des deutschen Volkes in dem
Maße, als daß gerade zu dem Zeitpunkte, da das heilige römische Reich
deutscher Nation durch den westfälischen Frieden den Todesstoß empfing, sich
auf dem alten Slawenboden Ostelbiens aus den früheren Marken eine neue
Bildung erhob, die dem staatenlos gewordenen Volke in Kämpfen von zwei
Jahrhunderten das gab, was es vor allem bedürfte, den Staat. Es ist der
brandenburgisch-preußische Staat des Großen Kurfürsten.

Auch hier geben uns unsere Schulerinnerungen ein falsches Bild der
wirklichen geschichtlichen Vorgänge. Unterstützt durch eine geschichtliche Karte
von der Gebietsentwicklung des brandenburgisch-preußischen Staates haben wir
da wohl gelernt, daß Kurfürst Friedrich der Zweite die Neumark erwarb,
Albrecht Achill Krossen und Züllichau, Johann Sigismund Kleve-Mark und
Preußen, der Große Kurfürst Hinterpommern, Kammin, Halberstadt, Minden
und Magdeburg, Friedrich der Große Schlesien und Westpreußen und endlich
Wilhelm der Erste die neuen Provinzen. Dabei sind wir geneigt, an voll-


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[0118] Die Formen der Angliederung unselbständiger Gebiete zum Teil nicht einmal die große Masse der slovenischen Bevölkerung zu ger¬ manisieren, so daß das Deutschtum nur vereinzelt über die Drau vorgedrungen ist. Dagegen haben die nordöstlichen Marken und der preußische Orden gerade in dem Jahrhundert nach dem Untergange der Hohenstaufen von 1250 bis 1350 noch ein bedeutendes deutsches Siedelungsgebiet gewonnen, bis sie schließlich, ohne Rückhalt an einem eigenen Nationalstaate auf den geschlossenen polnisch¬ litauischen Nationalstaat stießen. Mit dem alten Reiche verfiel auch seine Markenverfassung. Es ging wie in aller menschlichen Entwicklung. Was nicht mehr zunimmt, muß abnehmen. Die „saturierten" Völker, die nicht mehr Bedürfnis und Kraft in sich fühlen, fremdes Volkstum in sich aufzunehmen und mit der eigenen Kultur zu erfüllen, sind zum Untergange bestimmt. Statt daß das Reich wie einst in seiner Blüte durch neue Marken aus sich herauswuchs, bröckelte es an allen Enden. Die erstarkten Nachbarvölker, die nicht mehr unter die Macht der Reichsgewalt zu beugen waren, eigneten sich ein Grenzgebiet nach dem anderen an. Mit der Unterwerfung Preußens unter Polen und von Metz, Tüll und Virten unter Frankreich fing es im sechzehnten Jahrhundert an, der westfälische Frieden brachte die zweite große Teilung, bis schließlich im Untergange des alten Reiches und im Rheinbunde diese Entwicklung ihr Endziel fand. Immerhin hatten die Grenzmarken ihre Aufgabe erfüllt. Sie waren Reichsgebiete wie alle anderen, der gewöhnlichen Landeshoheit unterworfen, wenn die Gebiete der Marken auch an der Ostgrenze des Reiches lagen und namentlich im Südosten noch einen Teil undeutscher Bevölkerung umfaßten. Gerade daß es jetzt gewöhnliches Reichsgebiet war, zeigt wie einst in der römischen Provinzialverfassung die endgültige Lösung des geschichtlich-politischen Problems. Der Fehler bestand nur darin, daß man bei der Schwäche der Reichsgewalt die Markenbildung zu früh abgeschlossen hatte. Doch nichts zeigt die staatenbildende Kraft des deutschen Volkes in dem Maße, als daß gerade zu dem Zeitpunkte, da das heilige römische Reich deutscher Nation durch den westfälischen Frieden den Todesstoß empfing, sich auf dem alten Slawenboden Ostelbiens aus den früheren Marken eine neue Bildung erhob, die dem staatenlos gewordenen Volke in Kämpfen von zwei Jahrhunderten das gab, was es vor allem bedürfte, den Staat. Es ist der brandenburgisch-preußische Staat des Großen Kurfürsten. Auch hier geben uns unsere Schulerinnerungen ein falsches Bild der wirklichen geschichtlichen Vorgänge. Unterstützt durch eine geschichtliche Karte von der Gebietsentwicklung des brandenburgisch-preußischen Staates haben wir da wohl gelernt, daß Kurfürst Friedrich der Zweite die Neumark erwarb, Albrecht Achill Krossen und Züllichau, Johann Sigismund Kleve-Mark und Preußen, der Große Kurfürst Hinterpommern, Kammin, Halberstadt, Minden und Magdeburg, Friedrich der Große Schlesien und Westpreußen und endlich Wilhelm der Erste die neuen Provinzen. Dabei sind wir geneigt, an voll-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/118>, abgerufen am 17.06.2024.