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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Die Formen der Angliederung unselbständiger Gebiete

ständig gleichartige staatsrechtliche und politische Vorgänge zu denken, an die
Erweiterung des ursprünglichen Staatsgebietes, mit dem Kurfürst Friedrich
der Erste 1415 belehnt war, durch die genannten späteren Erwerbungen seiner
Nachfolger. Und doch handelt es sich um ganz verschiedenartige Vorgänge.

Richtig ist, daß Kurfürst Friedrich der Zweite mit den von seinem Vater
ererbten Marken die Neumark und einige kleinere Gebiete verband, ebenso seine
nächsten Nachfolger. Diese neuen Erwerbungen wurden ein Bestandteil der
Mark Brandenburg. Ebenso vollzog Friedrich der Zweite die Einverleibung
von Schlesien und Westpreußen, Friedrich Wilhelm der Dritte die der Rhein¬
provinz, der Hälfte des Königreichs Sachsen und von Neuvorpommern und
Rügen und endlich Wilhelm der Erste die der neuen Provinzen in den
nunmehrigen preußischen Staat. Da war es wirklich so, wie wir uns ge¬
wöhnlich die ganze Entwicklung der preußischen Territorialgeschichte vorstellen.

Einen ganz anderen Charakter hatten dagegen die Gebietserwerbungen
des siebzehnten Jahrhunderts, die von Kleve-Mark, Ravensburg und Preußen
durch Johann Sigismund und die von Hinterpommern, Kammin, Minden,
Halberstadt und Magdeburg durch den großen Kurfürsten.

Das waren keine Gebietserweiterungen des brandenburgischen Staats¬
wesens, sondern nur seines Landesherrn. Die einzelnen Gebiete waren ge¬
wissermaßen rein zufällig nur durch die Person des Landesherrn in reiner
Personalunion verbunden, zum Teil auf Grund verschiedenen Erbrechtes und
konnten auch ebenso wieder auseinandergehen. Im übrigen standen sie sich in
voller verfassungsmäßiger Selbständigkeit gegenüber, jedes Gebiet mit eigenen
Landständen. Eine verfassungsmäßige Verschmelzung fand nur an einer Stelle
statt. Die Stände des säkularisierten Bistums und nunmehrigen Fürstentums
Kammin traten in die hinterpommerschen Stände ein. Damit wurde Kammin
in Pommern einverleibt.

Es war das große Werk der Regierung des Großen Kurfürsten, aus
diesen vereinzelten Gebieten von der Memel bis zur Maas in heißem Kampfe
mit den Ständen und unter immer stärkerer Lockerung der Reichsgewalt durch
Heer und Verwaltung den neuen brandenburgisch-preußischen Gesamtstaat, die
werdende norddeutsche Großmacht, geschaffen zu haben. Das durch den Werbe¬
vertrag allein an die Person des Landesherren geknüpfte stehende Heer war
das erste verbindende Glied, es gehörte keinem einzelnen Gebiete, sondern der
Gesamtheit an. Auf das Heer stützte sich eine einheitliche Politik, die immer
als Hintergrund der Macht bedarf. Gerade' wegen des einheitlichen Heeres
erschienen dem Auslande die verschiedenen Gebiete als politische Gesamtmacht.
Seit 1651 erfolgte die Verschmelzung auf dem Gebiete, auf dem dem Landes¬
herren überkommene Rechte der Stände nicht entgegenstanden, auf dem der
Domänen und Regalien, der einheitliche Kammerstaat war vollendet. Und
endlich nahmen die Militärintendanturen, die Kommissariate, in beständigen
Kompetenzkonflikten mit den alten Landesregierungen die unmittelbare Verwaltung


Die Formen der Angliederung unselbständiger Gebiete

ständig gleichartige staatsrechtliche und politische Vorgänge zu denken, an die
Erweiterung des ursprünglichen Staatsgebietes, mit dem Kurfürst Friedrich
der Erste 1415 belehnt war, durch die genannten späteren Erwerbungen seiner
Nachfolger. Und doch handelt es sich um ganz verschiedenartige Vorgänge.

Richtig ist, daß Kurfürst Friedrich der Zweite mit den von seinem Vater
ererbten Marken die Neumark und einige kleinere Gebiete verband, ebenso seine
nächsten Nachfolger. Diese neuen Erwerbungen wurden ein Bestandteil der
Mark Brandenburg. Ebenso vollzog Friedrich der Zweite die Einverleibung
von Schlesien und Westpreußen, Friedrich Wilhelm der Dritte die der Rhein¬
provinz, der Hälfte des Königreichs Sachsen und von Neuvorpommern und
Rügen und endlich Wilhelm der Erste die der neuen Provinzen in den
nunmehrigen preußischen Staat. Da war es wirklich so, wie wir uns ge¬
wöhnlich die ganze Entwicklung der preußischen Territorialgeschichte vorstellen.

Einen ganz anderen Charakter hatten dagegen die Gebietserwerbungen
des siebzehnten Jahrhunderts, die von Kleve-Mark, Ravensburg und Preußen
durch Johann Sigismund und die von Hinterpommern, Kammin, Minden,
Halberstadt und Magdeburg durch den großen Kurfürsten.

Das waren keine Gebietserweiterungen des brandenburgischen Staats¬
wesens, sondern nur seines Landesherrn. Die einzelnen Gebiete waren ge¬
wissermaßen rein zufällig nur durch die Person des Landesherrn in reiner
Personalunion verbunden, zum Teil auf Grund verschiedenen Erbrechtes und
konnten auch ebenso wieder auseinandergehen. Im übrigen standen sie sich in
voller verfassungsmäßiger Selbständigkeit gegenüber, jedes Gebiet mit eigenen
Landständen. Eine verfassungsmäßige Verschmelzung fand nur an einer Stelle
statt. Die Stände des säkularisierten Bistums und nunmehrigen Fürstentums
Kammin traten in die hinterpommerschen Stände ein. Damit wurde Kammin
in Pommern einverleibt.

Es war das große Werk der Regierung des Großen Kurfürsten, aus
diesen vereinzelten Gebieten von der Memel bis zur Maas in heißem Kampfe
mit den Ständen und unter immer stärkerer Lockerung der Reichsgewalt durch
Heer und Verwaltung den neuen brandenburgisch-preußischen Gesamtstaat, die
werdende norddeutsche Großmacht, geschaffen zu haben. Das durch den Werbe¬
vertrag allein an die Person des Landesherren geknüpfte stehende Heer war
das erste verbindende Glied, es gehörte keinem einzelnen Gebiete, sondern der
Gesamtheit an. Auf das Heer stützte sich eine einheitliche Politik, die immer
als Hintergrund der Macht bedarf. Gerade' wegen des einheitlichen Heeres
erschienen dem Auslande die verschiedenen Gebiete als politische Gesamtmacht.
Seit 1651 erfolgte die Verschmelzung auf dem Gebiete, auf dem dem Landes¬
herren überkommene Rechte der Stände nicht entgegenstanden, auf dem der
Domänen und Regalien, der einheitliche Kammerstaat war vollendet. Und
endlich nahmen die Militärintendanturen, die Kommissariate, in beständigen
Kompetenzkonflikten mit den alten Landesregierungen die unmittelbare Verwaltung


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[0119] Die Formen der Angliederung unselbständiger Gebiete ständig gleichartige staatsrechtliche und politische Vorgänge zu denken, an die Erweiterung des ursprünglichen Staatsgebietes, mit dem Kurfürst Friedrich der Erste 1415 belehnt war, durch die genannten späteren Erwerbungen seiner Nachfolger. Und doch handelt es sich um ganz verschiedenartige Vorgänge. Richtig ist, daß Kurfürst Friedrich der Zweite mit den von seinem Vater ererbten Marken die Neumark und einige kleinere Gebiete verband, ebenso seine nächsten Nachfolger. Diese neuen Erwerbungen wurden ein Bestandteil der Mark Brandenburg. Ebenso vollzog Friedrich der Zweite die Einverleibung von Schlesien und Westpreußen, Friedrich Wilhelm der Dritte die der Rhein¬ provinz, der Hälfte des Königreichs Sachsen und von Neuvorpommern und Rügen und endlich Wilhelm der Erste die der neuen Provinzen in den nunmehrigen preußischen Staat. Da war es wirklich so, wie wir uns ge¬ wöhnlich die ganze Entwicklung der preußischen Territorialgeschichte vorstellen. Einen ganz anderen Charakter hatten dagegen die Gebietserwerbungen des siebzehnten Jahrhunderts, die von Kleve-Mark, Ravensburg und Preußen durch Johann Sigismund und die von Hinterpommern, Kammin, Minden, Halberstadt und Magdeburg durch den großen Kurfürsten. Das waren keine Gebietserweiterungen des brandenburgischen Staats¬ wesens, sondern nur seines Landesherrn. Die einzelnen Gebiete waren ge¬ wissermaßen rein zufällig nur durch die Person des Landesherrn in reiner Personalunion verbunden, zum Teil auf Grund verschiedenen Erbrechtes und konnten auch ebenso wieder auseinandergehen. Im übrigen standen sie sich in voller verfassungsmäßiger Selbständigkeit gegenüber, jedes Gebiet mit eigenen Landständen. Eine verfassungsmäßige Verschmelzung fand nur an einer Stelle statt. Die Stände des säkularisierten Bistums und nunmehrigen Fürstentums Kammin traten in die hinterpommerschen Stände ein. Damit wurde Kammin in Pommern einverleibt. Es war das große Werk der Regierung des Großen Kurfürsten, aus diesen vereinzelten Gebieten von der Memel bis zur Maas in heißem Kampfe mit den Ständen und unter immer stärkerer Lockerung der Reichsgewalt durch Heer und Verwaltung den neuen brandenburgisch-preußischen Gesamtstaat, die werdende norddeutsche Großmacht, geschaffen zu haben. Das durch den Werbe¬ vertrag allein an die Person des Landesherren geknüpfte stehende Heer war das erste verbindende Glied, es gehörte keinem einzelnen Gebiete, sondern der Gesamtheit an. Auf das Heer stützte sich eine einheitliche Politik, die immer als Hintergrund der Macht bedarf. Gerade' wegen des einheitlichen Heeres erschienen dem Auslande die verschiedenen Gebiete als politische Gesamtmacht. Seit 1651 erfolgte die Verschmelzung auf dem Gebiete, auf dem dem Landes¬ herren überkommene Rechte der Stände nicht entgegenstanden, auf dem der Domänen und Regalien, der einheitliche Kammerstaat war vollendet. Und endlich nahmen die Militärintendanturen, die Kommissariate, in beständigen Kompetenzkonflikten mit den alten Landesregierungen die unmittelbare Verwaltung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/119>, abgerufen am 17.06.2024.