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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Die deutschen Kolonien in Bosnien und der Aricg

widmete und als sein Bruder Dr. jur. A. Osler, "der Kolonienanwalt", unter
großen Schwierigkeiten in den größeren Ortschaften Raiffeisenkassen. Einkaufs¬
und Verkaufsgenossenschaften und ähnliche Unternehmungen zustande brachte,
und dadurch die Ansiedler allmählich aus den Händen des Wuchers befreite,
der nicht bloß zwölf, sondern zwanzig Prozent zu nehmen pflegte. Pfarrer
Osler verstand es, alle völkischen und kirchlichen Schutzvereine für seine Pflege¬
befohlenen zu interessieren und das Kirchen- und Schulwesen der evangelischen
Kolonien allmählich auf festere Grundlagen zu stellen. Angesichts des in
verhältnismäßig so kurzer Zeit Erreichten, konnte man von einer hoffnungsvollen
Zukunft des Deutschtums in Bosnien sprechen; ja, wenn man auf der Karte
den Kranz der an der Nordgrenze Bosniens gelegenen deutschen Dörfer betrachtete,
konnte man von einer deutschen Durchdringung dieser Gegend träumen, umsomehr
als sich eine geldkräftige schweizerische Gesellschaft bildete, die türkischen Gro߬
grundbesitz aufkaufte und zur Aufteilung unter neu herbeizuziehende Ansiedler
vorbereitete.

Da trat ein Ereignis ein, welches alles Gewonnene in Frage stellte: Die
Verwandlung der "Okkupation" Bosniens in eine dauernde Annexion imJahr 1908
und anschließend daran der Abbau der militärischen Verwaltung und die
Einrichtung eines mit weitgehenden Befugnissen ausgestatteten Landtags. In
diesem Landtag, in dem die Deutschen bis jetzt nie einen Vertreter hatten, war
und ist die weitaus überwiegende Mehrzahl deutschfeindlich. Daß von nun
ab keine weiteren deutschen Regierungskolonien mehr gegründet wurden,
braucht kaum gesagt zu werden, aber auch die bestehenden bekamen die Feind¬
schaft alsbald zu fühlen: der Landtag knüpfte an die weitere Bewilligung der
bisherigen Zuschüsse für die Schulen der deutschen Kolonien Bedingungen,
die zur Aufgabe ihres deutschen Wesens und damit zur Entdeutschung der
Kolonien geführt hätten. Alle Bemühungen, die gemeinsame Regierung des
österreichisch-ungarischen Kondominiums zu einer nachhaltigen Vertretung der
verbrieften Rechte der deutschen Kolonien zu bringen, waren mehr oder weniger
fruchtlos, und nur die tatkräftige Unterstützung der reichsdeutschen und öster¬
reichischen Schutzvereine hat bisher die Durchhaltung der Schulen ermöglicht.

Mitten in diese Kämpfe um Sein oder Nichtsein des Deutschtums in
Bosnien fiel der Fürstenmord in Sarajewo und der Ausbruch des Krieges.

In das Feuer der serbischen Kanonen ist nur eine der Kolonien an der
serbischen Grenze gekommen, und auch sonst ist der Krieg nach dem Arbeits¬
bericht des Pfarrer Osler für 1915, dem wir die folgenden Angaben entnehmen,
bis jetzt verhältnismäßig glimpflich vorbeigegangen. "Im allgemeinen" heißt
es dort, "kann man sagen, daß die Lähmung, die zu Beginn des Krieges fast
alle Arbeitsgebiete ergriff, und zwar in um so höherem Maß, je ferner das
Gebiet dem Krieg und der Kriegsfürsorge stand, völlig gewichen ist. Wir
haben in dem vergangenen Jahr versucht zu arbeiten, als wäre kein Krieg,
oder als könnte er noch ein Jahrzehnt dauern." Es sind auch tatsächlich nur


Grenzboten III 191K 8
Die deutschen Kolonien in Bosnien und der Aricg

widmete und als sein Bruder Dr. jur. A. Osler, „der Kolonienanwalt", unter
großen Schwierigkeiten in den größeren Ortschaften Raiffeisenkassen. Einkaufs¬
und Verkaufsgenossenschaften und ähnliche Unternehmungen zustande brachte,
und dadurch die Ansiedler allmählich aus den Händen des Wuchers befreite,
der nicht bloß zwölf, sondern zwanzig Prozent zu nehmen pflegte. Pfarrer
Osler verstand es, alle völkischen und kirchlichen Schutzvereine für seine Pflege¬
befohlenen zu interessieren und das Kirchen- und Schulwesen der evangelischen
Kolonien allmählich auf festere Grundlagen zu stellen. Angesichts des in
verhältnismäßig so kurzer Zeit Erreichten, konnte man von einer hoffnungsvollen
Zukunft des Deutschtums in Bosnien sprechen; ja, wenn man auf der Karte
den Kranz der an der Nordgrenze Bosniens gelegenen deutschen Dörfer betrachtete,
konnte man von einer deutschen Durchdringung dieser Gegend träumen, umsomehr
als sich eine geldkräftige schweizerische Gesellschaft bildete, die türkischen Gro߬
grundbesitz aufkaufte und zur Aufteilung unter neu herbeizuziehende Ansiedler
vorbereitete.

Da trat ein Ereignis ein, welches alles Gewonnene in Frage stellte: Die
Verwandlung der „Okkupation" Bosniens in eine dauernde Annexion imJahr 1908
und anschließend daran der Abbau der militärischen Verwaltung und die
Einrichtung eines mit weitgehenden Befugnissen ausgestatteten Landtags. In
diesem Landtag, in dem die Deutschen bis jetzt nie einen Vertreter hatten, war
und ist die weitaus überwiegende Mehrzahl deutschfeindlich. Daß von nun
ab keine weiteren deutschen Regierungskolonien mehr gegründet wurden,
braucht kaum gesagt zu werden, aber auch die bestehenden bekamen die Feind¬
schaft alsbald zu fühlen: der Landtag knüpfte an die weitere Bewilligung der
bisherigen Zuschüsse für die Schulen der deutschen Kolonien Bedingungen,
die zur Aufgabe ihres deutschen Wesens und damit zur Entdeutschung der
Kolonien geführt hätten. Alle Bemühungen, die gemeinsame Regierung des
österreichisch-ungarischen Kondominiums zu einer nachhaltigen Vertretung der
verbrieften Rechte der deutschen Kolonien zu bringen, waren mehr oder weniger
fruchtlos, und nur die tatkräftige Unterstützung der reichsdeutschen und öster¬
reichischen Schutzvereine hat bisher die Durchhaltung der Schulen ermöglicht.

Mitten in diese Kämpfe um Sein oder Nichtsein des Deutschtums in
Bosnien fiel der Fürstenmord in Sarajewo und der Ausbruch des Krieges.

In das Feuer der serbischen Kanonen ist nur eine der Kolonien an der
serbischen Grenze gekommen, und auch sonst ist der Krieg nach dem Arbeits¬
bericht des Pfarrer Osler für 1915, dem wir die folgenden Angaben entnehmen,
bis jetzt verhältnismäßig glimpflich vorbeigegangen. „Im allgemeinen" heißt
es dort, „kann man sagen, daß die Lähmung, die zu Beginn des Krieges fast
alle Arbeitsgebiete ergriff, und zwar in um so höherem Maß, je ferner das
Gebiet dem Krieg und der Kriegsfürsorge stand, völlig gewichen ist. Wir
haben in dem vergangenen Jahr versucht zu arbeiten, als wäre kein Krieg,
oder als könnte er noch ein Jahrzehnt dauern." Es sind auch tatsächlich nur


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[0125] Die deutschen Kolonien in Bosnien und der Aricg widmete und als sein Bruder Dr. jur. A. Osler, „der Kolonienanwalt", unter großen Schwierigkeiten in den größeren Ortschaften Raiffeisenkassen. Einkaufs¬ und Verkaufsgenossenschaften und ähnliche Unternehmungen zustande brachte, und dadurch die Ansiedler allmählich aus den Händen des Wuchers befreite, der nicht bloß zwölf, sondern zwanzig Prozent zu nehmen pflegte. Pfarrer Osler verstand es, alle völkischen und kirchlichen Schutzvereine für seine Pflege¬ befohlenen zu interessieren und das Kirchen- und Schulwesen der evangelischen Kolonien allmählich auf festere Grundlagen zu stellen. Angesichts des in verhältnismäßig so kurzer Zeit Erreichten, konnte man von einer hoffnungsvollen Zukunft des Deutschtums in Bosnien sprechen; ja, wenn man auf der Karte den Kranz der an der Nordgrenze Bosniens gelegenen deutschen Dörfer betrachtete, konnte man von einer deutschen Durchdringung dieser Gegend träumen, umsomehr als sich eine geldkräftige schweizerische Gesellschaft bildete, die türkischen Gro߬ grundbesitz aufkaufte und zur Aufteilung unter neu herbeizuziehende Ansiedler vorbereitete. Da trat ein Ereignis ein, welches alles Gewonnene in Frage stellte: Die Verwandlung der „Okkupation" Bosniens in eine dauernde Annexion imJahr 1908 und anschließend daran der Abbau der militärischen Verwaltung und die Einrichtung eines mit weitgehenden Befugnissen ausgestatteten Landtags. In diesem Landtag, in dem die Deutschen bis jetzt nie einen Vertreter hatten, war und ist die weitaus überwiegende Mehrzahl deutschfeindlich. Daß von nun ab keine weiteren deutschen Regierungskolonien mehr gegründet wurden, braucht kaum gesagt zu werden, aber auch die bestehenden bekamen die Feind¬ schaft alsbald zu fühlen: der Landtag knüpfte an die weitere Bewilligung der bisherigen Zuschüsse für die Schulen der deutschen Kolonien Bedingungen, die zur Aufgabe ihres deutschen Wesens und damit zur Entdeutschung der Kolonien geführt hätten. Alle Bemühungen, die gemeinsame Regierung des österreichisch-ungarischen Kondominiums zu einer nachhaltigen Vertretung der verbrieften Rechte der deutschen Kolonien zu bringen, waren mehr oder weniger fruchtlos, und nur die tatkräftige Unterstützung der reichsdeutschen und öster¬ reichischen Schutzvereine hat bisher die Durchhaltung der Schulen ermöglicht. Mitten in diese Kämpfe um Sein oder Nichtsein des Deutschtums in Bosnien fiel der Fürstenmord in Sarajewo und der Ausbruch des Krieges. In das Feuer der serbischen Kanonen ist nur eine der Kolonien an der serbischen Grenze gekommen, und auch sonst ist der Krieg nach dem Arbeits¬ bericht des Pfarrer Osler für 1915, dem wir die folgenden Angaben entnehmen, bis jetzt verhältnismäßig glimpflich vorbeigegangen. „Im allgemeinen" heißt es dort, „kann man sagen, daß die Lähmung, die zu Beginn des Krieges fast alle Arbeitsgebiete ergriff, und zwar in um so höherem Maß, je ferner das Gebiet dem Krieg und der Kriegsfürsorge stand, völlig gewichen ist. Wir haben in dem vergangenen Jahr versucht zu arbeiten, als wäre kein Krieg, oder als könnte er noch ein Jahrzehnt dauern." Es sind auch tatsächlich nur Grenzboten III 191K 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/125>, abgerufen am 17.06.2024.