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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Briefwechsel von Gustav Lreytag mit Graf und Gräfin Baudissin

am 18ten Abend, wie man gesollt, nach Alsen übergegangen u. hätte man in
der That das dänische Landheer demoralisirt u. unbrauchbar gemacht, so wäre
ein großer Erfolg gesichert. Man hatte weder dazu den Muth, noch hat man
in Berlin die Courage, Europa Trotz zu bieten. Auch die Reise des Herzogs
nach Berlin ist verfrüht. Denn die Situation zwingt Alles zu vermeiden, was
wie ein privates Abkommen des Herzogs mit Preußen aussieht. England,
Rußland, selbst Frankreich, u. vor allem Oestreich werden in demselben Grade
argwöhnisch werden, als die Stellung des Herzogs zu Preußen einem Contract-
verhältniß näher tritt. Und die richtige Politik der Preußen wie des Herzogs
wäre doch wohl gewesen, sich öffentlich kalt anzuschnurren u. in der größten
Stille das Abkommen zu treffen, was die Preußen, wie die Dinge einmal liegen,
als Preis ihrer Unterstützung betrachten.

Jetzt sind wir in der Gefahr, daß die Preußen mit dem Herzog con-
Lrahiren u. wenn in Folge dessen seine Actien gefallen sind, ihn u. sich im Stich
lassen. Und daß durch solche Transaction die Stellung des Herzogs im eigenen
Lande, die ohnedies schwierig sein wird, noch spinöser gemacht wird.

Für d. Preußen endlich liegt mir am Herzen, daß sie in der gegen¬
wärtigen Situation auch nicht genug vom Herzog fordern und zu wenig gewähren
werden.

Die Grundzüge, nach welchen Preußen -- regenerirt u. in innrem Frieden
-- die deutsche Frage ohne Gefahr lösen kann, ist

1) Aufnahme der souveraine in das preuß. Haus. Eine Adoption, die
allerdings zunächst nur die kleineren als Avancement betrachten werden. 2) Schutz
aller Deutschen im Auslande durch Uebernahme zunächst der Zollvereins- u.
Verkehrsinteressen in seinen Consulaten. 3) die Erklärung, daß jeder Zoll¬
vereinsbewohner preuß. Bürgerrecht habe. Das 3te käme zuerst, das I ste wäre
die unvermeidliche Folge. Denn die Einrichtung No. 3. würde die ganze öffent¬
liche Meinung u. den Consensus Populi in wenigen Monaten so energisch auf
Preußen hinüberwerfen, daß die Regierungen gegen die stille Besitzergreifung
ihrer Unterthanen gar kein Mittel hätten.

Doch es ist unnütz jetzt darüber zu reden, u. ich bitte Sie über meine
Phantasien nicht zu lachen. Wer mag sagen, was mein armes Preußen noch
durchmachen wird, bevor es sich selbst wiederfindet.

Ein Gutes hat in jedem Falle der Krieg gehabt. Er schafft eine preußische
Flotte, die sich sehen lassen kann. Und er hat bereits das Heer besser ge¬
macht u. dem Volk auch das Gute, das unter Umständen eine Armee haben
kann, in die Seele geführt.

Ein Schlimmes aber ist, daß er Bismarck befestigt hat, und das elende
System durch äußere Erfolge die innere Tymnnis zu halten.

In den "Grenzb." haben Militärische Briefe gestanden, von einem starken
vharacter und militärischen Talent ersten Ranges. Ist Ihnen Einzelnes da¬
von nach dem Herzen gewesen, so wird auch mir das große Freude sein.


Briefwechsel von Gustav Lreytag mit Graf und Gräfin Baudissin

am 18ten Abend, wie man gesollt, nach Alsen übergegangen u. hätte man in
der That das dänische Landheer demoralisirt u. unbrauchbar gemacht, so wäre
ein großer Erfolg gesichert. Man hatte weder dazu den Muth, noch hat man
in Berlin die Courage, Europa Trotz zu bieten. Auch die Reise des Herzogs
nach Berlin ist verfrüht. Denn die Situation zwingt Alles zu vermeiden, was
wie ein privates Abkommen des Herzogs mit Preußen aussieht. England,
Rußland, selbst Frankreich, u. vor allem Oestreich werden in demselben Grade
argwöhnisch werden, als die Stellung des Herzogs zu Preußen einem Contract-
verhältniß näher tritt. Und die richtige Politik der Preußen wie des Herzogs
wäre doch wohl gewesen, sich öffentlich kalt anzuschnurren u. in der größten
Stille das Abkommen zu treffen, was die Preußen, wie die Dinge einmal liegen,
als Preis ihrer Unterstützung betrachten.

Jetzt sind wir in der Gefahr, daß die Preußen mit dem Herzog con-
Lrahiren u. wenn in Folge dessen seine Actien gefallen sind, ihn u. sich im Stich
lassen. Und daß durch solche Transaction die Stellung des Herzogs im eigenen
Lande, die ohnedies schwierig sein wird, noch spinöser gemacht wird.

Für d. Preußen endlich liegt mir am Herzen, daß sie in der gegen¬
wärtigen Situation auch nicht genug vom Herzog fordern und zu wenig gewähren
werden.

Die Grundzüge, nach welchen Preußen — regenerirt u. in innrem Frieden
— die deutsche Frage ohne Gefahr lösen kann, ist

1) Aufnahme der souveraine in das preuß. Haus. Eine Adoption, die
allerdings zunächst nur die kleineren als Avancement betrachten werden. 2) Schutz
aller Deutschen im Auslande durch Uebernahme zunächst der Zollvereins- u.
Verkehrsinteressen in seinen Consulaten. 3) die Erklärung, daß jeder Zoll¬
vereinsbewohner preuß. Bürgerrecht habe. Das 3te käme zuerst, das I ste wäre
die unvermeidliche Folge. Denn die Einrichtung No. 3. würde die ganze öffent¬
liche Meinung u. den Consensus Populi in wenigen Monaten so energisch auf
Preußen hinüberwerfen, daß die Regierungen gegen die stille Besitzergreifung
ihrer Unterthanen gar kein Mittel hätten.

Doch es ist unnütz jetzt darüber zu reden, u. ich bitte Sie über meine
Phantasien nicht zu lachen. Wer mag sagen, was mein armes Preußen noch
durchmachen wird, bevor es sich selbst wiederfindet.

Ein Gutes hat in jedem Falle der Krieg gehabt. Er schafft eine preußische
Flotte, die sich sehen lassen kann. Und er hat bereits das Heer besser ge¬
macht u. dem Volk auch das Gute, das unter Umständen eine Armee haben
kann, in die Seele geführt.

Ein Schlimmes aber ist, daß er Bismarck befestigt hat, und das elende
System durch äußere Erfolge die innere Tymnnis zu halten.

In den „Grenzb." haben Militärische Briefe gestanden, von einem starken
vharacter und militärischen Talent ersten Ranges. Ist Ihnen Einzelnes da¬
von nach dem Herzen gewesen, so wird auch mir das große Freude sein.


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[0135] Briefwechsel von Gustav Lreytag mit Graf und Gräfin Baudissin am 18ten Abend, wie man gesollt, nach Alsen übergegangen u. hätte man in der That das dänische Landheer demoralisirt u. unbrauchbar gemacht, so wäre ein großer Erfolg gesichert. Man hatte weder dazu den Muth, noch hat man in Berlin die Courage, Europa Trotz zu bieten. Auch die Reise des Herzogs nach Berlin ist verfrüht. Denn die Situation zwingt Alles zu vermeiden, was wie ein privates Abkommen des Herzogs mit Preußen aussieht. England, Rußland, selbst Frankreich, u. vor allem Oestreich werden in demselben Grade argwöhnisch werden, als die Stellung des Herzogs zu Preußen einem Contract- verhältniß näher tritt. Und die richtige Politik der Preußen wie des Herzogs wäre doch wohl gewesen, sich öffentlich kalt anzuschnurren u. in der größten Stille das Abkommen zu treffen, was die Preußen, wie die Dinge einmal liegen, als Preis ihrer Unterstützung betrachten. Jetzt sind wir in der Gefahr, daß die Preußen mit dem Herzog con- Lrahiren u. wenn in Folge dessen seine Actien gefallen sind, ihn u. sich im Stich lassen. Und daß durch solche Transaction die Stellung des Herzogs im eigenen Lande, die ohnedies schwierig sein wird, noch spinöser gemacht wird. Für d. Preußen endlich liegt mir am Herzen, daß sie in der gegen¬ wärtigen Situation auch nicht genug vom Herzog fordern und zu wenig gewähren werden. Die Grundzüge, nach welchen Preußen — regenerirt u. in innrem Frieden — die deutsche Frage ohne Gefahr lösen kann, ist 1) Aufnahme der souveraine in das preuß. Haus. Eine Adoption, die allerdings zunächst nur die kleineren als Avancement betrachten werden. 2) Schutz aller Deutschen im Auslande durch Uebernahme zunächst der Zollvereins- u. Verkehrsinteressen in seinen Consulaten. 3) die Erklärung, daß jeder Zoll¬ vereinsbewohner preuß. Bürgerrecht habe. Das 3te käme zuerst, das I ste wäre die unvermeidliche Folge. Denn die Einrichtung No. 3. würde die ganze öffent¬ liche Meinung u. den Consensus Populi in wenigen Monaten so energisch auf Preußen hinüberwerfen, daß die Regierungen gegen die stille Besitzergreifung ihrer Unterthanen gar kein Mittel hätten. Doch es ist unnütz jetzt darüber zu reden, u. ich bitte Sie über meine Phantasien nicht zu lachen. Wer mag sagen, was mein armes Preußen noch durchmachen wird, bevor es sich selbst wiederfindet. Ein Gutes hat in jedem Falle der Krieg gehabt. Er schafft eine preußische Flotte, die sich sehen lassen kann. Und er hat bereits das Heer besser ge¬ macht u. dem Volk auch das Gute, das unter Umständen eine Armee haben kann, in die Seele geführt. Ein Schlimmes aber ist, daß er Bismarck befestigt hat, und das elende System durch äußere Erfolge die innere Tymnnis zu halten. In den „Grenzb." haben Militärische Briefe gestanden, von einem starken vharacter und militärischen Talent ersten Ranges. Ist Ihnen Einzelnes da¬ von nach dem Herzen gewesen, so wird auch mir das große Freude sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/135>, abgerufen am 17.06.2024.