Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Volkswille und Ariegführung
N). von Massow von

le Freude über die herrlichen Erfolge der deutschen Waffen soll uns,
wie es scheint, nicht ganz ungemischt zuteil werden. Wer unser Volk
und die stolze Festigkeit der Unterlagen unserer Siegesgewißheit
nicht näher kennt, könnte leicht auf den Gedanken kommen, es sei
mit unserer inneren Kraft und Einigkeit nicht mehr so gut bestellt
wie früher. Unsere Feinde werden sich wahrscheinlich die Gelegenheit nicht
entgehen lassen, aus dem heftigen Streit, der kürzlich über die Freigebung der
Kriegszielbesprechungen und die Stellungnahme des Reichskanzlers zu dieser
Frage entbrannt ist, auf ihre Art Nutzen zu ziehen. Das ist bedauerlich, wenn
wir auch wissen, daß der Streit, so häßlich und unerquicklich er auch sein mag,
nicht die Bedeutung hat, die von schadenfrohen Seelen im Feindeslager erhofft
und von ängstlichen Gemütern auf unserer Seite befürchtet wird.

Man könnte sich gegenüber der Tatsache dieses Streites, der glücklicherweise
in seinen heftigsten Äußerungen vorläufig verstummt, aber leider keineswegs
beigelegt ist, vielleicht besser auf den Standpunkt stellen: Nur nicht weiter davon
reden! Ob aber diese beliebte Regel der Alltagsklugheit hier wirklich angebracht
ist, erscheint bei näherer Betrachtung sehr fraglich. Es ist besser, erst recht
davon zu reden, nur anders als bisher. Wer freilich glaubt, entgegengesetzte
Meinungen durch gutes Zureden einander näher zu führen, tut besser, zu
schweigen. Es kann nicht davon die Rede sein, streitende in so ernsten Fragen
eines Besseren zu belehren. Aber es gibt noch unzählige gebildete, gute Patrioten,
die bei diesem heftigen Streit nicht so recht wußten, wie ihnen geschah, denen
der Kernpunkt der Sache noch heute nicht recht deutlich ist und die ihn aus
dem irreführender Wortstreit und seinen dialektischen Kunstgriffen auch nicht zu
entnehmen vermögen. Die Sache ist jedoch zu wichtig, als daß solche Unver-
Handlichkeiten bestehen bleiben könnten.


Grenzboten III 191" S


Volkswille und Ariegführung
N). von Massow von

le Freude über die herrlichen Erfolge der deutschen Waffen soll uns,
wie es scheint, nicht ganz ungemischt zuteil werden. Wer unser Volk
und die stolze Festigkeit der Unterlagen unserer Siegesgewißheit
nicht näher kennt, könnte leicht auf den Gedanken kommen, es sei
mit unserer inneren Kraft und Einigkeit nicht mehr so gut bestellt
wie früher. Unsere Feinde werden sich wahrscheinlich die Gelegenheit nicht
entgehen lassen, aus dem heftigen Streit, der kürzlich über die Freigebung der
Kriegszielbesprechungen und die Stellungnahme des Reichskanzlers zu dieser
Frage entbrannt ist, auf ihre Art Nutzen zu ziehen. Das ist bedauerlich, wenn
wir auch wissen, daß der Streit, so häßlich und unerquicklich er auch sein mag,
nicht die Bedeutung hat, die von schadenfrohen Seelen im Feindeslager erhofft
und von ängstlichen Gemütern auf unserer Seite befürchtet wird.

Man könnte sich gegenüber der Tatsache dieses Streites, der glücklicherweise
in seinen heftigsten Äußerungen vorläufig verstummt, aber leider keineswegs
beigelegt ist, vielleicht besser auf den Standpunkt stellen: Nur nicht weiter davon
reden! Ob aber diese beliebte Regel der Alltagsklugheit hier wirklich angebracht
ist, erscheint bei näherer Betrachtung sehr fraglich. Es ist besser, erst recht
davon zu reden, nur anders als bisher. Wer freilich glaubt, entgegengesetzte
Meinungen durch gutes Zureden einander näher zu führen, tut besser, zu
schweigen. Es kann nicht davon die Rede sein, streitende in so ernsten Fragen
eines Besseren zu belehren. Aber es gibt noch unzählige gebildete, gute Patrioten,
die bei diesem heftigen Streit nicht so recht wußten, wie ihnen geschah, denen
der Kernpunkt der Sache noch heute nicht recht deutlich ist und die ihn aus
dem irreführender Wortstreit und seinen dialektischen Kunstgriffen auch nicht zu
entnehmen vermögen. Die Sache ist jedoch zu wichtig, als daß solche Unver-
Handlichkeiten bestehen bleiben könnten.


Grenzboten III 191« S
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0141" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330679"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341903_330533/figures/grenzboten_341903_330533_330679_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Volkswille und Ariegführung<lb/><note type="byline"> N). von Massow</note> von </head><lb/>
          <p xml:id="ID_477"> le Freude über die herrlichen Erfolge der deutschen Waffen soll uns,<lb/>
wie es scheint, nicht ganz ungemischt zuteil werden. Wer unser Volk<lb/>
und die stolze Festigkeit der Unterlagen unserer Siegesgewißheit<lb/>
nicht näher kennt, könnte leicht auf den Gedanken kommen, es sei<lb/>
mit unserer inneren Kraft und Einigkeit nicht mehr so gut bestellt<lb/>
wie früher. Unsere Feinde werden sich wahrscheinlich die Gelegenheit nicht<lb/>
entgehen lassen, aus dem heftigen Streit, der kürzlich über die Freigebung der<lb/>
Kriegszielbesprechungen und die Stellungnahme des Reichskanzlers zu dieser<lb/>
Frage entbrannt ist, auf ihre Art Nutzen zu ziehen. Das ist bedauerlich, wenn<lb/>
wir auch wissen, daß der Streit, so häßlich und unerquicklich er auch sein mag,<lb/>
nicht die Bedeutung hat, die von schadenfrohen Seelen im Feindeslager erhofft<lb/>
und von ängstlichen Gemütern auf unserer Seite befürchtet wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_478"> Man könnte sich gegenüber der Tatsache dieses Streites, der glücklicherweise<lb/>
in seinen heftigsten Äußerungen vorläufig verstummt, aber leider keineswegs<lb/>
beigelegt ist, vielleicht besser auf den Standpunkt stellen: Nur nicht weiter davon<lb/>
reden! Ob aber diese beliebte Regel der Alltagsklugheit hier wirklich angebracht<lb/>
ist, erscheint bei näherer Betrachtung sehr fraglich. Es ist besser, erst recht<lb/>
davon zu reden, nur anders als bisher. Wer freilich glaubt, entgegengesetzte<lb/>
Meinungen durch gutes Zureden einander näher zu führen, tut besser, zu<lb/>
schweigen. Es kann nicht davon die Rede sein, streitende in so ernsten Fragen<lb/>
eines Besseren zu belehren. Aber es gibt noch unzählige gebildete, gute Patrioten,<lb/>
die bei diesem heftigen Streit nicht so recht wußten, wie ihnen geschah, denen<lb/>
der Kernpunkt der Sache noch heute nicht recht deutlich ist und die ihn aus<lb/>
dem irreführender Wortstreit und seinen dialektischen Kunstgriffen auch nicht zu<lb/>
entnehmen vermögen. Die Sache ist jedoch zu wichtig, als daß solche Unver-<lb/>
Handlichkeiten bestehen bleiben könnten.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 191« S</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0141] [Abbildung] Volkswille und Ariegführung N). von Massow von le Freude über die herrlichen Erfolge der deutschen Waffen soll uns, wie es scheint, nicht ganz ungemischt zuteil werden. Wer unser Volk und die stolze Festigkeit der Unterlagen unserer Siegesgewißheit nicht näher kennt, könnte leicht auf den Gedanken kommen, es sei mit unserer inneren Kraft und Einigkeit nicht mehr so gut bestellt wie früher. Unsere Feinde werden sich wahrscheinlich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, aus dem heftigen Streit, der kürzlich über die Freigebung der Kriegszielbesprechungen und die Stellungnahme des Reichskanzlers zu dieser Frage entbrannt ist, auf ihre Art Nutzen zu ziehen. Das ist bedauerlich, wenn wir auch wissen, daß der Streit, so häßlich und unerquicklich er auch sein mag, nicht die Bedeutung hat, die von schadenfrohen Seelen im Feindeslager erhofft und von ängstlichen Gemütern auf unserer Seite befürchtet wird. Man könnte sich gegenüber der Tatsache dieses Streites, der glücklicherweise in seinen heftigsten Äußerungen vorläufig verstummt, aber leider keineswegs beigelegt ist, vielleicht besser auf den Standpunkt stellen: Nur nicht weiter davon reden! Ob aber diese beliebte Regel der Alltagsklugheit hier wirklich angebracht ist, erscheint bei näherer Betrachtung sehr fraglich. Es ist besser, erst recht davon zu reden, nur anders als bisher. Wer freilich glaubt, entgegengesetzte Meinungen durch gutes Zureden einander näher zu führen, tut besser, zu schweigen. Es kann nicht davon die Rede sein, streitende in so ernsten Fragen eines Besseren zu belehren. Aber es gibt noch unzählige gebildete, gute Patrioten, die bei diesem heftigen Streit nicht so recht wußten, wie ihnen geschah, denen der Kernpunkt der Sache noch heute nicht recht deutlich ist und die ihn aus dem irreführender Wortstreit und seinen dialektischen Kunstgriffen auch nicht zu entnehmen vermögen. Die Sache ist jedoch zu wichtig, als daß solche Unver- Handlichkeiten bestehen bleiben könnten. Grenzboten III 191« S

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/141
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/141>, abgerufen am 17.06.2024.