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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Volkswille und Kriegführung

Dann aber noch ein weiterer Grund, der zum reden zwingt. Wenn eins
Wortfehde einen gewissen Grad von Heftigkeit erreicht hat, entsteht leicht der
Eindruck, daß es außer den beiden streitenden Meinungen nichts gibt. Das
ist aber nicht immer zum Vorteil der Sache und erschwert manchem Nicht¬
beteiligten das Verständnis. Ursprünglich sind die Gegner zwei verschiedene
Richtungen, die sich bei der Erörterung möglicher Kriegsergebnisse in den
bescheidenen Grenzen, die von der Zensur gestattet sind, scharf gegenübertraten.
Sie bewegten sich in ziemlich verschiedenen Vorstellungskreisen. Um wirkliche,
klare Programme handelte es sich dabei noch gar nicht, konnte es sich noch gar
nicht handeln. Darum wurde auch das Für und Wider nicht ernsthaft erörtert.
Was da geäußert, befürwortet und bekämpft wurde, waren Umrisse von
Folgerungen, die einzelne Preßorgane und oft gehörte Wortführer bestimmter
Richtungen aus der Summe ihrer persönlichen Erfahrungen und Anschauungen
zogen und dabei in der öffentlichen Meinung einen mehr oder weniger breiten
Boden fanden. Gewiß hat die allgemeine Stimmung des Weltkrieges manchen
inneren Gegensatz zum Schweigen gebracht, manchen einzelnen Volksgenossen so
aufgerüttelt und ihm Gesichte offenbart, daß er ein politisches Damaskus
erleben mußte. Konnte man aber erwarten, daß nun alle Leute, die sich in
pazifistischen Träumen gewiegt hatten, plötzlich die Hoffnung aufgeben sollten,
dieser furchtbare Krieg könnte vielleicht eine letzte Lehre und ein letztes
abschreckendes Beispiel werden? Sollten auf der anderen Seite alle diejenigen,
die immer schon eifrig die Machtidee im Wirken des Staates verfochten hatten
und denen nun der Krieg mit seinen glänzenden Erfolgen die Verwirklichung
ihrer Wünsche nahe zu bringen schien, sich unter solchen Umständen scheu und
schamhaft zurückhalten, statt jubelnd hinauszuschmettern, daß die Zeit herannaht,
wo dem deutschen Vaterlande Macht über seine mißgünstigen und haßerfüllten
Feinde gegeben ist? Dazwischen gibt es unzählige Schattierungen der Ansichten,
und jeder hat das Bedürfnis, sich sein Bild von den Wirkungen des Krieges
im Rahmen seiner persönlichen Lieblingsideen zu machen. Wir bedauern es
zwar sehr, daß die von Begeisterung hoch emporgetragene und doch durch die
Größe der Aufgabe gehaltene und beherrschte Stimmung der ersten Kriegs¬
monate diesen freier schaltenden und nicht immer angenehm wirkenden Neigungen
Platz gemacht hat. Aber denken wir bei solchen Menschlichkeiten auch wohl
daran, daß dieses Sichfreierfühlen und Sichgehenlassen gegenüber den Rück¬
sichten, die uns die Kriegszeit auferlegt, die natürliche Folge der bereits
beginnenden Siegesstimnmng ist? Wir fangen an, uns zu zanken, weil wir
wissen, daß wir nicht unterliegen werden. Denn leider geschieht der Meinungs¬
austausch, soweit es Zensur und Burgfrieden möglich machen, schon wieder in den
durch Friedensgewohnheiten unausrottbaren Formen des Parteikampses. Das
entspricht so sehr der menschlichen Natur, daß es falsch wäre, sich mehr des-
wegen zu sorgen, als die Sache wert ist. Die Voraussetzung ist dabei nur.
daß. solange der Krieg dauert, bei den Reibungen, die durch die öffentliche


Volkswille und Kriegführung

Dann aber noch ein weiterer Grund, der zum reden zwingt. Wenn eins
Wortfehde einen gewissen Grad von Heftigkeit erreicht hat, entsteht leicht der
Eindruck, daß es außer den beiden streitenden Meinungen nichts gibt. Das
ist aber nicht immer zum Vorteil der Sache und erschwert manchem Nicht¬
beteiligten das Verständnis. Ursprünglich sind die Gegner zwei verschiedene
Richtungen, die sich bei der Erörterung möglicher Kriegsergebnisse in den
bescheidenen Grenzen, die von der Zensur gestattet sind, scharf gegenübertraten.
Sie bewegten sich in ziemlich verschiedenen Vorstellungskreisen. Um wirkliche,
klare Programme handelte es sich dabei noch gar nicht, konnte es sich noch gar
nicht handeln. Darum wurde auch das Für und Wider nicht ernsthaft erörtert.
Was da geäußert, befürwortet und bekämpft wurde, waren Umrisse von
Folgerungen, die einzelne Preßorgane und oft gehörte Wortführer bestimmter
Richtungen aus der Summe ihrer persönlichen Erfahrungen und Anschauungen
zogen und dabei in der öffentlichen Meinung einen mehr oder weniger breiten
Boden fanden. Gewiß hat die allgemeine Stimmung des Weltkrieges manchen
inneren Gegensatz zum Schweigen gebracht, manchen einzelnen Volksgenossen so
aufgerüttelt und ihm Gesichte offenbart, daß er ein politisches Damaskus
erleben mußte. Konnte man aber erwarten, daß nun alle Leute, die sich in
pazifistischen Träumen gewiegt hatten, plötzlich die Hoffnung aufgeben sollten,
dieser furchtbare Krieg könnte vielleicht eine letzte Lehre und ein letztes
abschreckendes Beispiel werden? Sollten auf der anderen Seite alle diejenigen,
die immer schon eifrig die Machtidee im Wirken des Staates verfochten hatten
und denen nun der Krieg mit seinen glänzenden Erfolgen die Verwirklichung
ihrer Wünsche nahe zu bringen schien, sich unter solchen Umständen scheu und
schamhaft zurückhalten, statt jubelnd hinauszuschmettern, daß die Zeit herannaht,
wo dem deutschen Vaterlande Macht über seine mißgünstigen und haßerfüllten
Feinde gegeben ist? Dazwischen gibt es unzählige Schattierungen der Ansichten,
und jeder hat das Bedürfnis, sich sein Bild von den Wirkungen des Krieges
im Rahmen seiner persönlichen Lieblingsideen zu machen. Wir bedauern es
zwar sehr, daß die von Begeisterung hoch emporgetragene und doch durch die
Größe der Aufgabe gehaltene und beherrschte Stimmung der ersten Kriegs¬
monate diesen freier schaltenden und nicht immer angenehm wirkenden Neigungen
Platz gemacht hat. Aber denken wir bei solchen Menschlichkeiten auch wohl
daran, daß dieses Sichfreierfühlen und Sichgehenlassen gegenüber den Rück¬
sichten, die uns die Kriegszeit auferlegt, die natürliche Folge der bereits
beginnenden Siegesstimnmng ist? Wir fangen an, uns zu zanken, weil wir
wissen, daß wir nicht unterliegen werden. Denn leider geschieht der Meinungs¬
austausch, soweit es Zensur und Burgfrieden möglich machen, schon wieder in den
durch Friedensgewohnheiten unausrottbaren Formen des Parteikampses. Das
entspricht so sehr der menschlichen Natur, daß es falsch wäre, sich mehr des-
wegen zu sorgen, als die Sache wert ist. Die Voraussetzung ist dabei nur.
daß. solange der Krieg dauert, bei den Reibungen, die durch die öffentliche


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[0142] Volkswille und Kriegführung Dann aber noch ein weiterer Grund, der zum reden zwingt. Wenn eins Wortfehde einen gewissen Grad von Heftigkeit erreicht hat, entsteht leicht der Eindruck, daß es außer den beiden streitenden Meinungen nichts gibt. Das ist aber nicht immer zum Vorteil der Sache und erschwert manchem Nicht¬ beteiligten das Verständnis. Ursprünglich sind die Gegner zwei verschiedene Richtungen, die sich bei der Erörterung möglicher Kriegsergebnisse in den bescheidenen Grenzen, die von der Zensur gestattet sind, scharf gegenübertraten. Sie bewegten sich in ziemlich verschiedenen Vorstellungskreisen. Um wirkliche, klare Programme handelte es sich dabei noch gar nicht, konnte es sich noch gar nicht handeln. Darum wurde auch das Für und Wider nicht ernsthaft erörtert. Was da geäußert, befürwortet und bekämpft wurde, waren Umrisse von Folgerungen, die einzelne Preßorgane und oft gehörte Wortführer bestimmter Richtungen aus der Summe ihrer persönlichen Erfahrungen und Anschauungen zogen und dabei in der öffentlichen Meinung einen mehr oder weniger breiten Boden fanden. Gewiß hat die allgemeine Stimmung des Weltkrieges manchen inneren Gegensatz zum Schweigen gebracht, manchen einzelnen Volksgenossen so aufgerüttelt und ihm Gesichte offenbart, daß er ein politisches Damaskus erleben mußte. Konnte man aber erwarten, daß nun alle Leute, die sich in pazifistischen Träumen gewiegt hatten, plötzlich die Hoffnung aufgeben sollten, dieser furchtbare Krieg könnte vielleicht eine letzte Lehre und ein letztes abschreckendes Beispiel werden? Sollten auf der anderen Seite alle diejenigen, die immer schon eifrig die Machtidee im Wirken des Staates verfochten hatten und denen nun der Krieg mit seinen glänzenden Erfolgen die Verwirklichung ihrer Wünsche nahe zu bringen schien, sich unter solchen Umständen scheu und schamhaft zurückhalten, statt jubelnd hinauszuschmettern, daß die Zeit herannaht, wo dem deutschen Vaterlande Macht über seine mißgünstigen und haßerfüllten Feinde gegeben ist? Dazwischen gibt es unzählige Schattierungen der Ansichten, und jeder hat das Bedürfnis, sich sein Bild von den Wirkungen des Krieges im Rahmen seiner persönlichen Lieblingsideen zu machen. Wir bedauern es zwar sehr, daß die von Begeisterung hoch emporgetragene und doch durch die Größe der Aufgabe gehaltene und beherrschte Stimmung der ersten Kriegs¬ monate diesen freier schaltenden und nicht immer angenehm wirkenden Neigungen Platz gemacht hat. Aber denken wir bei solchen Menschlichkeiten auch wohl daran, daß dieses Sichfreierfühlen und Sichgehenlassen gegenüber den Rück¬ sichten, die uns die Kriegszeit auferlegt, die natürliche Folge der bereits beginnenden Siegesstimnmng ist? Wir fangen an, uns zu zanken, weil wir wissen, daß wir nicht unterliegen werden. Denn leider geschieht der Meinungs¬ austausch, soweit es Zensur und Burgfrieden möglich machen, schon wieder in den durch Friedensgewohnheiten unausrottbaren Formen des Parteikampses. Das entspricht so sehr der menschlichen Natur, daß es falsch wäre, sich mehr des- wegen zu sorgen, als die Sache wert ist. Die Voraussetzung ist dabei nur. daß. solange der Krieg dauert, bei den Reibungen, die durch die öffentliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/142>, abgerufen am 17.06.2024.