Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.Die koloniale Alternatire man durchaus unter dem Eindruck des englischen Vorbildes, und man nahm Immerhin -- ist unser Volk zu seiner Existenz auf überseeische Kolonien Da wird zunächst mit dem Humanitären Zweckgedanken aufgeräumt werden *) Deutschland und der Weltkrieg. S. 169, *) Koloniale Erziehung, München 1907, S. 8.
Die koloniale Alternatire man durchaus unter dem Eindruck des englischen Vorbildes, und man nahm Immerhin — ist unser Volk zu seiner Existenz auf überseeische Kolonien Da wird zunächst mit dem Humanitären Zweckgedanken aufgeräumt werden *) Deutschland und der Weltkrieg. S. 169, *) Koloniale Erziehung, München 1907, S. 8.
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0208" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330746"/> <fw type="header" place="top"> Die koloniale Alternatire</fw><lb/> <p xml:id="ID_703" prev="#ID_702"> man durchaus unter dem Eindruck des englischen Vorbildes, und man nahm<lb/> bei dem Wettlauf der europäischen Staaten um die noch unverteilten Reste<lb/> Afrikas, was noch zu haben war. Der Gedanke einer kontinentalen Kolonisation<lb/> nach russischem System konnte im Frieden nicht auftreten. So wurde unser<lb/> „Kolonialreich" völlig transozeanisch. Gegenüber Frankreich ist Deutschland<lb/> geographisch nicht nur dadurch im Nachteil, daß es breite Ozeane durch¬<lb/> queren muß. um seine Kolonien zu erreichen, sondern besonders dadurch, daß<lb/> es schon an seinem maritimen Ausgang als Wächter England vor sich steht.<lb/> Wir sind also, solange Englands überlegene Seemacht besteht, für unsere<lb/> kolonialen Unternehmungen in noch viel höherem Maße auf dessen Wohlwollen<lb/> angewiesen. Wer es noch nicht gewußt hatte, hat es in diesem Kriege er¬<lb/> fahren, daß für uns eine überseeische Kolonalpolitik nur möglich ist, wenn wir<lb/> zur See England die Spitze bieten können. Jeder Seekrieg, selbst wenn er zu<lb/> unseren Gunsten ausfällt, trennt uns von unseren Kolonien und setzt sie der<lb/> Gefahr der Invasion und der Zerstörung der dortigen Werte aus. Sonder¬<lb/> barerweise scheint Dr. Sols in seinen Vorträgen anzudeuten, daß Kolonisation<lb/> künftig ohne die Voraussetzung der Seemacht bestehen könne.</p><lb/> <p xml:id="ID_704"> Immerhin — ist unser Volk zu seiner Existenz auf überseeische Kolonien<lb/> angewiesen, so muß die geographische Notlage durch äußerste Kraftanstrengung<lb/> überwunden werden. Man wird also nach Zweck und Nutzen der Kolonie fragen.</p><lb/> <p xml:id="ID_705" next="#ID_706"> Da wird zunächst mit dem Humanitären Zweckgedanken aufgeräumt werden<lb/> müssen, den Dr. Sols in der Form ausspricht*:) „Kolonisieren ist Missionieren,<lb/> und zwar Misstonieren in dem hohen Sinne der Erziehung zur Kultur". An<lb/> anderer Stelle spricht er von den Kolonien als der Heimat von Menschen,<lb/> denen wir unseren Schutz versprochen haben und für die wir sorgen müssen.<lb/> Ja, müssen wir fragen, wer hat uns denn geheißen, einem Negerstamm unseren<lb/> Schutz zu versprechen? Hat uns unser gutes Herz getrieben, Menschen und<lb/> Kapitalien zu wagen, um das ferne Land uns zu eigen zu machen? Der Stamm<lb/> hat den Schutz nicht begehrt, und das deutsche Volk hat nicht daran gedacht,<lb/> hier eine Kleinkinderschule für unerzogene Völker anzulegen. Es wollte wirt¬<lb/> schaftliche Vorteile und Siedlungsland. Herrn Solfs Vorgänger, Dernburg, hat<lb/> damit auch nicht hinter dem Berge gehalten.**) „Die Zwecke, für welche<lb/> kolonisiert wird, sind materielle und merkantilistische." In der Tat, wir sind<lb/> jetzt von Rousseauscher Ideologie weit genug entfernt, um einfach zu sagen: die<lb/> neuen Gebiete sollen „erschlossen", d. h. ausgebeutet werden. Freilich kann<lb/> man nicht behaupten, daß das Merkantile zu den grundlegenden Wesens¬<lb/> zügen unseres Volkes gehöre. Daß wir dem Händlertum anderer Nationen<lb/> durchaus entgegengesetzt wären, ist nur eine glänzende Stilisierung, beruht<lb/> aber doch auf einem vorhandenen Tatbestand. Der Deutsche ist von Natur</p><lb/> <note xml:id="FID_27" place="foot"> *) Deutschland und der Weltkrieg. S. 169,</note><lb/> <note xml:id="FID_28" place="foot"> *) Koloniale Erziehung, München 1907, S. 8.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0208]
Die koloniale Alternatire
man durchaus unter dem Eindruck des englischen Vorbildes, und man nahm
bei dem Wettlauf der europäischen Staaten um die noch unverteilten Reste
Afrikas, was noch zu haben war. Der Gedanke einer kontinentalen Kolonisation
nach russischem System konnte im Frieden nicht auftreten. So wurde unser
„Kolonialreich" völlig transozeanisch. Gegenüber Frankreich ist Deutschland
geographisch nicht nur dadurch im Nachteil, daß es breite Ozeane durch¬
queren muß. um seine Kolonien zu erreichen, sondern besonders dadurch, daß
es schon an seinem maritimen Ausgang als Wächter England vor sich steht.
Wir sind also, solange Englands überlegene Seemacht besteht, für unsere
kolonialen Unternehmungen in noch viel höherem Maße auf dessen Wohlwollen
angewiesen. Wer es noch nicht gewußt hatte, hat es in diesem Kriege er¬
fahren, daß für uns eine überseeische Kolonalpolitik nur möglich ist, wenn wir
zur See England die Spitze bieten können. Jeder Seekrieg, selbst wenn er zu
unseren Gunsten ausfällt, trennt uns von unseren Kolonien und setzt sie der
Gefahr der Invasion und der Zerstörung der dortigen Werte aus. Sonder¬
barerweise scheint Dr. Sols in seinen Vorträgen anzudeuten, daß Kolonisation
künftig ohne die Voraussetzung der Seemacht bestehen könne.
Immerhin — ist unser Volk zu seiner Existenz auf überseeische Kolonien
angewiesen, so muß die geographische Notlage durch äußerste Kraftanstrengung
überwunden werden. Man wird also nach Zweck und Nutzen der Kolonie fragen.
Da wird zunächst mit dem Humanitären Zweckgedanken aufgeräumt werden
müssen, den Dr. Sols in der Form ausspricht*:) „Kolonisieren ist Missionieren,
und zwar Misstonieren in dem hohen Sinne der Erziehung zur Kultur". An
anderer Stelle spricht er von den Kolonien als der Heimat von Menschen,
denen wir unseren Schutz versprochen haben und für die wir sorgen müssen.
Ja, müssen wir fragen, wer hat uns denn geheißen, einem Negerstamm unseren
Schutz zu versprechen? Hat uns unser gutes Herz getrieben, Menschen und
Kapitalien zu wagen, um das ferne Land uns zu eigen zu machen? Der Stamm
hat den Schutz nicht begehrt, und das deutsche Volk hat nicht daran gedacht,
hier eine Kleinkinderschule für unerzogene Völker anzulegen. Es wollte wirt¬
schaftliche Vorteile und Siedlungsland. Herrn Solfs Vorgänger, Dernburg, hat
damit auch nicht hinter dem Berge gehalten.**) „Die Zwecke, für welche
kolonisiert wird, sind materielle und merkantilistische." In der Tat, wir sind
jetzt von Rousseauscher Ideologie weit genug entfernt, um einfach zu sagen: die
neuen Gebiete sollen „erschlossen", d. h. ausgebeutet werden. Freilich kann
man nicht behaupten, daß das Merkantile zu den grundlegenden Wesens¬
zügen unseres Volkes gehöre. Daß wir dem Händlertum anderer Nationen
durchaus entgegengesetzt wären, ist nur eine glänzende Stilisierung, beruht
aber doch auf einem vorhandenen Tatbestand. Der Deutsche ist von Natur
*) Deutschland und der Weltkrieg. S. 169,
*) Koloniale Erziehung, München 1907, S. 8.
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