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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Die koloniale Alternative

kein Ausbeuter. Auch daß der Handel um des Handelswillen zu fördern
wäre, ist ihm. wie mir scheinen will, im Grunde seines Herzens zuwider; er
sieht ihn nicht sowohl als Selbstzweck an, denn als Mittel zur Beschaffung
nötiger Bedürfnisse.

Aber sehen wir doch, was andere Völker von ihren Kolonien haben. Wir
haben sie doch nachgeahmt, um gleiche Pfade zu gehen.

Den Engländern sind ihre Kolonien teils Lieferanten wichtiger Roh¬
produkte (30 v. H. der gesamten Einfuhr kommt aus den Kolonien)*), teils
Absatzgebiete für die Industrie des Mutterlandes, sodann Betätigungsfelder für
die merkantile und politische Beherrschung und schließlich die gegebenen Sied¬
lungsländer für die Auswanderung. Was sind uns demgemäß unsere Schutz¬
gebiete? Sie liefern einen verschwindend kleinen Teil der für uns nötigen
Rohprodukte (einhalb v. H. unserer Einfuhr kommt aus den Kolonien), sie
nehmen unserer Industrie einen unbedeutenden Teil ihrer Erzeugnisse ab (wenig
über einhalb v. H. unserer Ausfuhr)**), sie haben von unserer Auswanderung
ein paar Tausend Menschen aufgenommen. Lieferanten für tropische Roh¬
erzeugnisse, lohnende Absatzgebiete, ja selbst Auswanderungsländer sind nach
der Gründung der Kolonien wie vorher in weitaus überwiegendem Maße Land¬
striche, über denen die deutsche Flagge nicht weht.

Nun wird die Aufschließung und Entwicklung unserer Kolonialgebiete, so¬
bald sie nach dem Kriege wieder in unseren Händen sein werden, wohl noch
Fortschritte machen***), aber zu einem unentbehrlichen, ja selbst zu einem
schwer ins Gewicht fallenden Faktor unserer nationalen Wirtschaft werden sie
niemals werden. Dies bezeugt heute auch ein so warmer Befürworter der
Kolonien wie Professor Wiedenfeld in Halle f). Rein wirtschaftlich stellen sich
die kolonialen Anlagen dar als Geschäftsunternehmungen, deren Rentabilität
nur eine scheinbare ist; denn sie ist nur durch den kostspieligen Schutz, die
Verkehrsanlagen und Verwaltung bedingt, von denen das Reich einen großen
Teil trägt. Dieses Ergebnis wird sich auch bei Berücksichtigung der nach Lage
der Verhältnisse möglichen Vermehrung unseres kolonialen Besitzes, ja selbst
bei seiner Verdoppelung nicht wesentlich ändern. Und was die Schutzgebiete
als Siedlungsländer betrifft, so ist nach kompetenten Kennern diese Möglichkeit
gering im Verhältnis zur Ausdehnung der Gebiete und zur Größe der auf¬
zuwendenden Mühen und Kosten.






") Nach Hettner, Englands Weltherrschaft und der Krieg (Teubner, Leipzig 191ö), S. 188.
**) Vgl. Kurt Wiedenfeld, Der Sinn deutschen Kolonialbesitzes (Deutsche Kriegsschriften,
", Heft), Bonn 1915, Marcus und Weber, S. 13 f.
***) Sols scheint es für einen Vorzug der deutschen KolonialPolM zu halten, dasz man
um der liberalen Idee willen den freihändlerischen Standpunkt bis zur Schädigung des
Mutterlandes festgehalten hat. Den Vorteil hatte England. (Vgl. das arges. Sammel¬
werk, S. 154 f.). Das müßte natürlich anders werden,
t) A. a. O. S. 17.
Die koloniale Alternative

kein Ausbeuter. Auch daß der Handel um des Handelswillen zu fördern
wäre, ist ihm. wie mir scheinen will, im Grunde seines Herzens zuwider; er
sieht ihn nicht sowohl als Selbstzweck an, denn als Mittel zur Beschaffung
nötiger Bedürfnisse.

Aber sehen wir doch, was andere Völker von ihren Kolonien haben. Wir
haben sie doch nachgeahmt, um gleiche Pfade zu gehen.

Den Engländern sind ihre Kolonien teils Lieferanten wichtiger Roh¬
produkte (30 v. H. der gesamten Einfuhr kommt aus den Kolonien)*), teils
Absatzgebiete für die Industrie des Mutterlandes, sodann Betätigungsfelder für
die merkantile und politische Beherrschung und schließlich die gegebenen Sied¬
lungsländer für die Auswanderung. Was sind uns demgemäß unsere Schutz¬
gebiete? Sie liefern einen verschwindend kleinen Teil der für uns nötigen
Rohprodukte (einhalb v. H. unserer Einfuhr kommt aus den Kolonien), sie
nehmen unserer Industrie einen unbedeutenden Teil ihrer Erzeugnisse ab (wenig
über einhalb v. H. unserer Ausfuhr)**), sie haben von unserer Auswanderung
ein paar Tausend Menschen aufgenommen. Lieferanten für tropische Roh¬
erzeugnisse, lohnende Absatzgebiete, ja selbst Auswanderungsländer sind nach
der Gründung der Kolonien wie vorher in weitaus überwiegendem Maße Land¬
striche, über denen die deutsche Flagge nicht weht.

Nun wird die Aufschließung und Entwicklung unserer Kolonialgebiete, so¬
bald sie nach dem Kriege wieder in unseren Händen sein werden, wohl noch
Fortschritte machen***), aber zu einem unentbehrlichen, ja selbst zu einem
schwer ins Gewicht fallenden Faktor unserer nationalen Wirtschaft werden sie
niemals werden. Dies bezeugt heute auch ein so warmer Befürworter der
Kolonien wie Professor Wiedenfeld in Halle f). Rein wirtschaftlich stellen sich
die kolonialen Anlagen dar als Geschäftsunternehmungen, deren Rentabilität
nur eine scheinbare ist; denn sie ist nur durch den kostspieligen Schutz, die
Verkehrsanlagen und Verwaltung bedingt, von denen das Reich einen großen
Teil trägt. Dieses Ergebnis wird sich auch bei Berücksichtigung der nach Lage
der Verhältnisse möglichen Vermehrung unseres kolonialen Besitzes, ja selbst
bei seiner Verdoppelung nicht wesentlich ändern. Und was die Schutzgebiete
als Siedlungsländer betrifft, so ist nach kompetenten Kennern diese Möglichkeit
gering im Verhältnis zur Ausdehnung der Gebiete und zur Größe der auf¬
zuwendenden Mühen und Kosten.






") Nach Hettner, Englands Weltherrschaft und der Krieg (Teubner, Leipzig 191ö), S. 188.
**) Vgl. Kurt Wiedenfeld, Der Sinn deutschen Kolonialbesitzes (Deutsche Kriegsschriften,
«, Heft), Bonn 1915, Marcus und Weber, S. 13 f.
***) Sols scheint es für einen Vorzug der deutschen KolonialPolM zu halten, dasz man
um der liberalen Idee willen den freihändlerischen Standpunkt bis zur Schädigung des
Mutterlandes festgehalten hat. Den Vorteil hatte England. (Vgl. das arges. Sammel¬
werk, S. 154 f.). Das müßte natürlich anders werden,
t) A. a. O. S. 17.
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[0209] Die koloniale Alternative kein Ausbeuter. Auch daß der Handel um des Handelswillen zu fördern wäre, ist ihm. wie mir scheinen will, im Grunde seines Herzens zuwider; er sieht ihn nicht sowohl als Selbstzweck an, denn als Mittel zur Beschaffung nötiger Bedürfnisse. Aber sehen wir doch, was andere Völker von ihren Kolonien haben. Wir haben sie doch nachgeahmt, um gleiche Pfade zu gehen. Den Engländern sind ihre Kolonien teils Lieferanten wichtiger Roh¬ produkte (30 v. H. der gesamten Einfuhr kommt aus den Kolonien)*), teils Absatzgebiete für die Industrie des Mutterlandes, sodann Betätigungsfelder für die merkantile und politische Beherrschung und schließlich die gegebenen Sied¬ lungsländer für die Auswanderung. Was sind uns demgemäß unsere Schutz¬ gebiete? Sie liefern einen verschwindend kleinen Teil der für uns nötigen Rohprodukte (einhalb v. H. unserer Einfuhr kommt aus den Kolonien), sie nehmen unserer Industrie einen unbedeutenden Teil ihrer Erzeugnisse ab (wenig über einhalb v. H. unserer Ausfuhr)**), sie haben von unserer Auswanderung ein paar Tausend Menschen aufgenommen. Lieferanten für tropische Roh¬ erzeugnisse, lohnende Absatzgebiete, ja selbst Auswanderungsländer sind nach der Gründung der Kolonien wie vorher in weitaus überwiegendem Maße Land¬ striche, über denen die deutsche Flagge nicht weht. Nun wird die Aufschließung und Entwicklung unserer Kolonialgebiete, so¬ bald sie nach dem Kriege wieder in unseren Händen sein werden, wohl noch Fortschritte machen***), aber zu einem unentbehrlichen, ja selbst zu einem schwer ins Gewicht fallenden Faktor unserer nationalen Wirtschaft werden sie niemals werden. Dies bezeugt heute auch ein so warmer Befürworter der Kolonien wie Professor Wiedenfeld in Halle f). Rein wirtschaftlich stellen sich die kolonialen Anlagen dar als Geschäftsunternehmungen, deren Rentabilität nur eine scheinbare ist; denn sie ist nur durch den kostspieligen Schutz, die Verkehrsanlagen und Verwaltung bedingt, von denen das Reich einen großen Teil trägt. Dieses Ergebnis wird sich auch bei Berücksichtigung der nach Lage der Verhältnisse möglichen Vermehrung unseres kolonialen Besitzes, ja selbst bei seiner Verdoppelung nicht wesentlich ändern. Und was die Schutzgebiete als Siedlungsländer betrifft, so ist nach kompetenten Kennern diese Möglichkeit gering im Verhältnis zur Ausdehnung der Gebiete und zur Größe der auf¬ zuwendenden Mühen und Kosten. ") Nach Hettner, Englands Weltherrschaft und der Krieg (Teubner, Leipzig 191ö), S. 188. **) Vgl. Kurt Wiedenfeld, Der Sinn deutschen Kolonialbesitzes (Deutsche Kriegsschriften, «, Heft), Bonn 1915, Marcus und Weber, S. 13 f. ***) Sols scheint es für einen Vorzug der deutschen KolonialPolM zu halten, dasz man um der liberalen Idee willen den freihändlerischen Standpunkt bis zur Schädigung des Mutterlandes festgehalten hat. Den Vorteil hatte England. (Vgl. das arges. Sammel¬ werk, S. 154 f.). Das müßte natürlich anders werden, t) A. a. O. S. 17.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/209>, abgerufen am 17.06.2024.