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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Die koloniale Alternative

Es ist ein erfreuliches Zeichen der Zeit, daß man beginnt, sich in den
Kreisen der Fachleute über die Grenzen der in den Kolonien liegenden Mög¬
lichkeiten keinen Illusionen hinzugeben. So kann niam hoffen, daß in ab¬
sehbarer Zeit auch im Volke die unklaren Begriffe vom wirtschaftlichen Werte
unserer Kolonien schwinden; sie haben durch die wohlgeleitete Agitation, die
mit den Gefühlswerten unseres berechtigten nationalen Ehrgeizes wirken
konnte, in Köpfen und Herzen Platz gegriffen und sind durch populäre Schriften
und Schulbücher in die junge Generation gedrungen. Ihr muß man immer
wieder versichern, daß unsere weitgreifende wirtschaftliche Stellung in der Welt
keineswegs auf den Kolonien beruht.

Aus einer Mißleitung des nationalen Ehrgeizes stammt denn auch der
andere Grund, den man für die Notwendigkeit überseeischer Ausdehnung anführt,
und der unsere ersten Pioniere auf diesem Gebiet geleitet hat. Das nationale
Selbstbewußtsein im neuen Deutschen Reiche glaubte den Gedanken nicht ertragen
zu können, daß andere Völker in fremden Erdteilen ihre Flaggen wehen ließen,
während dies Deutschland nicht vergönnt sein sollte. Der Bürger der spätge¬
kommenen Großmacht verriet einen Mangel an Sicherheit des Auftretens, wenn
er glaubte weniger zu gelten als andere, bloß weil ihm dieses Herrschafts¬
attribut fehlte. Er ließ sich in diesem Punkte von andern Nationen, besonders
von England, gewaltig imponieren.*) Die Weltgeltung Deutschlands schien den
Besitz überseeischer Kolonien zu erfordern. Freilich herrschte selbst in England
zeitweilig eine weitgehende Kolonialmüdigkeit; aber als sich nun dieser Staat
besann und wieder um sich griff, schienen Kolonien allen Nationen von neuem
erstrebenswert. Es handelte sich in jenen achtziger Jahren zum guten Teil um
eine Suggestion, die -- angeregt von der anerkannten Geschäftstüchtigkeit des
Königs der Belgier**) -- sich von der Hauptkolonialmacht auf die Auchkolonial-
mächte verbreitete. Die Völker glaubten an ihrem Prestige Einbuße zu erleiden,
wenn -sie sich nicht an der Austeilung der Reste Afrikas beteiligten. Bismarck,
der sich auf das Stimmungsmäßige bei den Völkern verstand, sträubte sich
dagegen und versuchte, das Reich durch das System der privilegierten Kompanie
von der direkten Berührung mit den kolonialen Aufgaben fernzuhalten. Es
war umsonst. Aber er hat doch jedenfalls den Gedanken vertreten, daß ein
Reich wie das unfere zur Wahrung seines Ansehens der äußeren Attribute
nicht bedürfe. Man möchte auch heute nach der in diesem Kriege gegebenen
Probe unserer Kraft gleicher Ansicht sein.

Wenn Wiedenfeld, nachdem er zugegeben hat, daß die Kolonien für uns
wirtschaftlich nicht in die Wagschale fallen, ihre Bedeutung als weltpolitische
Stützpunkte in den Vordergrund stellt, so ist doch wohl klar, daß es dafür der




*) Bezeichnend hierfür sind die eigenen Äußerungen von Karl Peters, z. B. in "Wie
Deutsch-Ostafrika entstand" (1912) S. 7.
-*) Vgl. Alfred Zimmermann, Die Kolonialreiche der Großmächte (Berlin 1916,
Ullstein) S. öl, 64, 192 ff.
Die koloniale Alternative

Es ist ein erfreuliches Zeichen der Zeit, daß man beginnt, sich in den
Kreisen der Fachleute über die Grenzen der in den Kolonien liegenden Mög¬
lichkeiten keinen Illusionen hinzugeben. So kann niam hoffen, daß in ab¬
sehbarer Zeit auch im Volke die unklaren Begriffe vom wirtschaftlichen Werte
unserer Kolonien schwinden; sie haben durch die wohlgeleitete Agitation, die
mit den Gefühlswerten unseres berechtigten nationalen Ehrgeizes wirken
konnte, in Köpfen und Herzen Platz gegriffen und sind durch populäre Schriften
und Schulbücher in die junge Generation gedrungen. Ihr muß man immer
wieder versichern, daß unsere weitgreifende wirtschaftliche Stellung in der Welt
keineswegs auf den Kolonien beruht.

Aus einer Mißleitung des nationalen Ehrgeizes stammt denn auch der
andere Grund, den man für die Notwendigkeit überseeischer Ausdehnung anführt,
und der unsere ersten Pioniere auf diesem Gebiet geleitet hat. Das nationale
Selbstbewußtsein im neuen Deutschen Reiche glaubte den Gedanken nicht ertragen
zu können, daß andere Völker in fremden Erdteilen ihre Flaggen wehen ließen,
während dies Deutschland nicht vergönnt sein sollte. Der Bürger der spätge¬
kommenen Großmacht verriet einen Mangel an Sicherheit des Auftretens, wenn
er glaubte weniger zu gelten als andere, bloß weil ihm dieses Herrschafts¬
attribut fehlte. Er ließ sich in diesem Punkte von andern Nationen, besonders
von England, gewaltig imponieren.*) Die Weltgeltung Deutschlands schien den
Besitz überseeischer Kolonien zu erfordern. Freilich herrschte selbst in England
zeitweilig eine weitgehende Kolonialmüdigkeit; aber als sich nun dieser Staat
besann und wieder um sich griff, schienen Kolonien allen Nationen von neuem
erstrebenswert. Es handelte sich in jenen achtziger Jahren zum guten Teil um
eine Suggestion, die — angeregt von der anerkannten Geschäftstüchtigkeit des
Königs der Belgier**) — sich von der Hauptkolonialmacht auf die Auchkolonial-
mächte verbreitete. Die Völker glaubten an ihrem Prestige Einbuße zu erleiden,
wenn -sie sich nicht an der Austeilung der Reste Afrikas beteiligten. Bismarck,
der sich auf das Stimmungsmäßige bei den Völkern verstand, sträubte sich
dagegen und versuchte, das Reich durch das System der privilegierten Kompanie
von der direkten Berührung mit den kolonialen Aufgaben fernzuhalten. Es
war umsonst. Aber er hat doch jedenfalls den Gedanken vertreten, daß ein
Reich wie das unfere zur Wahrung seines Ansehens der äußeren Attribute
nicht bedürfe. Man möchte auch heute nach der in diesem Kriege gegebenen
Probe unserer Kraft gleicher Ansicht sein.

Wenn Wiedenfeld, nachdem er zugegeben hat, daß die Kolonien für uns
wirtschaftlich nicht in die Wagschale fallen, ihre Bedeutung als weltpolitische
Stützpunkte in den Vordergrund stellt, so ist doch wohl klar, daß es dafür der




*) Bezeichnend hierfür sind die eigenen Äußerungen von Karl Peters, z. B. in „Wie
Deutsch-Ostafrika entstand" (1912) S. 7.
-*) Vgl. Alfred Zimmermann, Die Kolonialreiche der Großmächte (Berlin 1916,
Ullstein) S. öl, 64, 192 ff.
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[0210] Die koloniale Alternative Es ist ein erfreuliches Zeichen der Zeit, daß man beginnt, sich in den Kreisen der Fachleute über die Grenzen der in den Kolonien liegenden Mög¬ lichkeiten keinen Illusionen hinzugeben. So kann niam hoffen, daß in ab¬ sehbarer Zeit auch im Volke die unklaren Begriffe vom wirtschaftlichen Werte unserer Kolonien schwinden; sie haben durch die wohlgeleitete Agitation, die mit den Gefühlswerten unseres berechtigten nationalen Ehrgeizes wirken konnte, in Köpfen und Herzen Platz gegriffen und sind durch populäre Schriften und Schulbücher in die junge Generation gedrungen. Ihr muß man immer wieder versichern, daß unsere weitgreifende wirtschaftliche Stellung in der Welt keineswegs auf den Kolonien beruht. Aus einer Mißleitung des nationalen Ehrgeizes stammt denn auch der andere Grund, den man für die Notwendigkeit überseeischer Ausdehnung anführt, und der unsere ersten Pioniere auf diesem Gebiet geleitet hat. Das nationale Selbstbewußtsein im neuen Deutschen Reiche glaubte den Gedanken nicht ertragen zu können, daß andere Völker in fremden Erdteilen ihre Flaggen wehen ließen, während dies Deutschland nicht vergönnt sein sollte. Der Bürger der spätge¬ kommenen Großmacht verriet einen Mangel an Sicherheit des Auftretens, wenn er glaubte weniger zu gelten als andere, bloß weil ihm dieses Herrschafts¬ attribut fehlte. Er ließ sich in diesem Punkte von andern Nationen, besonders von England, gewaltig imponieren.*) Die Weltgeltung Deutschlands schien den Besitz überseeischer Kolonien zu erfordern. Freilich herrschte selbst in England zeitweilig eine weitgehende Kolonialmüdigkeit; aber als sich nun dieser Staat besann und wieder um sich griff, schienen Kolonien allen Nationen von neuem erstrebenswert. Es handelte sich in jenen achtziger Jahren zum guten Teil um eine Suggestion, die — angeregt von der anerkannten Geschäftstüchtigkeit des Königs der Belgier**) — sich von der Hauptkolonialmacht auf die Auchkolonial- mächte verbreitete. Die Völker glaubten an ihrem Prestige Einbuße zu erleiden, wenn -sie sich nicht an der Austeilung der Reste Afrikas beteiligten. Bismarck, der sich auf das Stimmungsmäßige bei den Völkern verstand, sträubte sich dagegen und versuchte, das Reich durch das System der privilegierten Kompanie von der direkten Berührung mit den kolonialen Aufgaben fernzuhalten. Es war umsonst. Aber er hat doch jedenfalls den Gedanken vertreten, daß ein Reich wie das unfere zur Wahrung seines Ansehens der äußeren Attribute nicht bedürfe. Man möchte auch heute nach der in diesem Kriege gegebenen Probe unserer Kraft gleicher Ansicht sein. Wenn Wiedenfeld, nachdem er zugegeben hat, daß die Kolonien für uns wirtschaftlich nicht in die Wagschale fallen, ihre Bedeutung als weltpolitische Stützpunkte in den Vordergrund stellt, so ist doch wohl klar, daß es dafür der *) Bezeichnend hierfür sind die eigenen Äußerungen von Karl Peters, z. B. in „Wie Deutsch-Ostafrika entstand" (1912) S. 7. -*) Vgl. Alfred Zimmermann, Die Kolonialreiche der Großmächte (Berlin 1916, Ullstein) S. öl, 64, 192 ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/210>, abgerufen am 17.06.2024.