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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Die koloniale Alternative

Kolonien nicht bedarf. Befestigte Kohlenstationen tun denselben Dienst, und
sie entführen dem Mutterland nicht dauernd, sondern nur für eine Anzahl von
Jahren wertvolles Menschenmaterial. Denn das übersehen die neueren Erörte-
rungen des kolonialen Problems zumeist: Menschen, die als Ansiedler zu
brauchen sind, bilden für unsere Nation -- insbesondere nach den Verlusten
in diesem Kriege -- einen Stoff von solchem Werte, daß wir ihn nicht ver¬
schwenden dürfen.*) Bauern und landwirtschaftliche Arbeiter können wir in
der Heimat nicht entbehren; in enger Fühlung mit der heimischen Volksart
müssen wir sie zu mehren bestrebt sein. Die größte physische und moralische
Kraft hat der Deutsche von jeher dort entfaltet, wo er im besessenen Boden
einwurzelte und hoffen durfte, für Generationen seine Nachkommen demselben
Boden einzupflanzen. Dem Wandertrieb steht im deutschen Wesen doch auch
die Sehnsucht nach dem Besitz einer Heimat gegenüber, und sie ist stärker. So
weist deutsche Art vielmehr auf Vorwiegen heimischen Lebens, auf Konzentration
der Kraft hin, nicht aus Expansion, hinter der -- der Erfolg lehrt es -- die
Zersplitterung lauert, die Degeneration und das Untergehen im fremden Wesen.

Hier muß noch auf einen Gedanken hingewiesen werden, den Hans Delbrück
kürzlich geäußert hat.**) Er sieht wie ich von der Bedeutung der Kolonien als
Wirtschastsfaktor und als Siedlungsgebiet ganz ab, um einen sozialen Gesichts¬
punkt geltend zu machen. Den großen Überschuß an gebildeten Männern um
die Dreißig, die bisher unzureichend genützt in der Heimat saßen oder fremden
Ländern ihre Kräfte weihten, will er in ein zu erwerbendes ungeheures Kolonial¬
reich schicken, damit sie dort die Völker niederer Rasse regieren. Darauf wäre
Zu erwidern: Die Produktion eines Überflusses von "Gebildeten" ist ein allseitig
empfundener Mißstand, der auf einer verkehrten Kulturpolitik unserer Staaten
beruht. Es wird dadurch eine Fülle wertvoller Kräfte in Jahren großer
Leistungsfähigkeit nicht ausgenützt. Diese Kräfte wird die Zukunft unseres
Volkes, so hoffen wir, besser nützen, indem es die Bildung vermenschlicht und
von Ansprüchen und Standesvorurteilen löst, und indem es lernt, die Eignung
und Bewährung des Menschen für sein Werk von dem rohen Prüfstein der
Berechtigungen und Examina zu lösen. Es wäre Verschwendung, wertvolle
Menschen unseres Volkes aus volksfremden Beweggründen wie dem kultureller
Erziehung oder politischer Leitung tiefstehender Nassen in fremden Ländern und
Klimaten zu verbrauchen. Auf die Mißgriffe, die von unseren Kolonialpionieren
selbst in den beschränkten Gebieten unserer bisherigen Schutzgebiete gemacht
worden sind und die Eignung unseres Volkes zur Erziehung fremder Rassen
Weifelhaft erscheinen lassen, sei nur nebenbei verwiesen. Wen aber Abenteuer¬
lust in die Welt treibt, der mag seinen Weg gehen; ihm braucht die Flagge
des Reiches nicht überallhin zu folgen.




*) Über das große Risiko der Siedlung auf kolonialen Boden vergl. Wiedenfeld, S. 26 f.
**
) Bismarcks Erbe (Ullstein und Co., Berlin, 1915) S. 193 ff.
Die koloniale Alternative

Kolonien nicht bedarf. Befestigte Kohlenstationen tun denselben Dienst, und
sie entführen dem Mutterland nicht dauernd, sondern nur für eine Anzahl von
Jahren wertvolles Menschenmaterial. Denn das übersehen die neueren Erörte-
rungen des kolonialen Problems zumeist: Menschen, die als Ansiedler zu
brauchen sind, bilden für unsere Nation — insbesondere nach den Verlusten
in diesem Kriege — einen Stoff von solchem Werte, daß wir ihn nicht ver¬
schwenden dürfen.*) Bauern und landwirtschaftliche Arbeiter können wir in
der Heimat nicht entbehren; in enger Fühlung mit der heimischen Volksart
müssen wir sie zu mehren bestrebt sein. Die größte physische und moralische
Kraft hat der Deutsche von jeher dort entfaltet, wo er im besessenen Boden
einwurzelte und hoffen durfte, für Generationen seine Nachkommen demselben
Boden einzupflanzen. Dem Wandertrieb steht im deutschen Wesen doch auch
die Sehnsucht nach dem Besitz einer Heimat gegenüber, und sie ist stärker. So
weist deutsche Art vielmehr auf Vorwiegen heimischen Lebens, auf Konzentration
der Kraft hin, nicht aus Expansion, hinter der — der Erfolg lehrt es — die
Zersplitterung lauert, die Degeneration und das Untergehen im fremden Wesen.

Hier muß noch auf einen Gedanken hingewiesen werden, den Hans Delbrück
kürzlich geäußert hat.**) Er sieht wie ich von der Bedeutung der Kolonien als
Wirtschastsfaktor und als Siedlungsgebiet ganz ab, um einen sozialen Gesichts¬
punkt geltend zu machen. Den großen Überschuß an gebildeten Männern um
die Dreißig, die bisher unzureichend genützt in der Heimat saßen oder fremden
Ländern ihre Kräfte weihten, will er in ein zu erwerbendes ungeheures Kolonial¬
reich schicken, damit sie dort die Völker niederer Rasse regieren. Darauf wäre
Zu erwidern: Die Produktion eines Überflusses von „Gebildeten" ist ein allseitig
empfundener Mißstand, der auf einer verkehrten Kulturpolitik unserer Staaten
beruht. Es wird dadurch eine Fülle wertvoller Kräfte in Jahren großer
Leistungsfähigkeit nicht ausgenützt. Diese Kräfte wird die Zukunft unseres
Volkes, so hoffen wir, besser nützen, indem es die Bildung vermenschlicht und
von Ansprüchen und Standesvorurteilen löst, und indem es lernt, die Eignung
und Bewährung des Menschen für sein Werk von dem rohen Prüfstein der
Berechtigungen und Examina zu lösen. Es wäre Verschwendung, wertvolle
Menschen unseres Volkes aus volksfremden Beweggründen wie dem kultureller
Erziehung oder politischer Leitung tiefstehender Nassen in fremden Ländern und
Klimaten zu verbrauchen. Auf die Mißgriffe, die von unseren Kolonialpionieren
selbst in den beschränkten Gebieten unserer bisherigen Schutzgebiete gemacht
worden sind und die Eignung unseres Volkes zur Erziehung fremder Rassen
Weifelhaft erscheinen lassen, sei nur nebenbei verwiesen. Wen aber Abenteuer¬
lust in die Welt treibt, der mag seinen Weg gehen; ihm braucht die Flagge
des Reiches nicht überallhin zu folgen.




*) Über das große Risiko der Siedlung auf kolonialen Boden vergl. Wiedenfeld, S. 26 f.
**
) Bismarcks Erbe (Ullstein und Co., Berlin, 1915) S. 193 ff.
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[0211] Die koloniale Alternative Kolonien nicht bedarf. Befestigte Kohlenstationen tun denselben Dienst, und sie entführen dem Mutterland nicht dauernd, sondern nur für eine Anzahl von Jahren wertvolles Menschenmaterial. Denn das übersehen die neueren Erörte- rungen des kolonialen Problems zumeist: Menschen, die als Ansiedler zu brauchen sind, bilden für unsere Nation — insbesondere nach den Verlusten in diesem Kriege — einen Stoff von solchem Werte, daß wir ihn nicht ver¬ schwenden dürfen.*) Bauern und landwirtschaftliche Arbeiter können wir in der Heimat nicht entbehren; in enger Fühlung mit der heimischen Volksart müssen wir sie zu mehren bestrebt sein. Die größte physische und moralische Kraft hat der Deutsche von jeher dort entfaltet, wo er im besessenen Boden einwurzelte und hoffen durfte, für Generationen seine Nachkommen demselben Boden einzupflanzen. Dem Wandertrieb steht im deutschen Wesen doch auch die Sehnsucht nach dem Besitz einer Heimat gegenüber, und sie ist stärker. So weist deutsche Art vielmehr auf Vorwiegen heimischen Lebens, auf Konzentration der Kraft hin, nicht aus Expansion, hinter der — der Erfolg lehrt es — die Zersplitterung lauert, die Degeneration und das Untergehen im fremden Wesen. Hier muß noch auf einen Gedanken hingewiesen werden, den Hans Delbrück kürzlich geäußert hat.**) Er sieht wie ich von der Bedeutung der Kolonien als Wirtschastsfaktor und als Siedlungsgebiet ganz ab, um einen sozialen Gesichts¬ punkt geltend zu machen. Den großen Überschuß an gebildeten Männern um die Dreißig, die bisher unzureichend genützt in der Heimat saßen oder fremden Ländern ihre Kräfte weihten, will er in ein zu erwerbendes ungeheures Kolonial¬ reich schicken, damit sie dort die Völker niederer Rasse regieren. Darauf wäre Zu erwidern: Die Produktion eines Überflusses von „Gebildeten" ist ein allseitig empfundener Mißstand, der auf einer verkehrten Kulturpolitik unserer Staaten beruht. Es wird dadurch eine Fülle wertvoller Kräfte in Jahren großer Leistungsfähigkeit nicht ausgenützt. Diese Kräfte wird die Zukunft unseres Volkes, so hoffen wir, besser nützen, indem es die Bildung vermenschlicht und von Ansprüchen und Standesvorurteilen löst, und indem es lernt, die Eignung und Bewährung des Menschen für sein Werk von dem rohen Prüfstein der Berechtigungen und Examina zu lösen. Es wäre Verschwendung, wertvolle Menschen unseres Volkes aus volksfremden Beweggründen wie dem kultureller Erziehung oder politischer Leitung tiefstehender Nassen in fremden Ländern und Klimaten zu verbrauchen. Auf die Mißgriffe, die von unseren Kolonialpionieren selbst in den beschränkten Gebieten unserer bisherigen Schutzgebiete gemacht worden sind und die Eignung unseres Volkes zur Erziehung fremder Rassen Weifelhaft erscheinen lassen, sei nur nebenbei verwiesen. Wen aber Abenteuer¬ lust in die Welt treibt, der mag seinen Weg gehen; ihm braucht die Flagge des Reiches nicht überallhin zu folgen. *) Über das große Risiko der Siedlung auf kolonialen Boden vergl. Wiedenfeld, S. 26 f. ** ) Bismarcks Erbe (Ullstein und Co., Berlin, 1915) S. 193 ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/211>, abgerufen am 17.06.2024.