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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Ein deutscher Reichsvolkswirtschaftsrat

noch auf die Schöpfung eines sogenannten "Wirtschaftlichen Generalstabes" zu
sprechen. Würden sich nun auch die Reichsbehörden mit einem sachverständigen
Stäbe, mit den sachkundigsten Vertretern der verschiedenen gewerblichen und
wirtschaftlichen Gruppen umgeben und diese bei der Ausarbeitung der wirt-
schaftlichen Gesetzesentwürfe zu Rate ziehen, so würden die noch so gut aus¬
gearbeiteten Entwürfe doch heillos verpfuscht, wenn sie erst im Reichstage hin-
und herberaten, in Kommissionen abgeändert und schließlich im Wege des
Kompromisses, d. h. in völlig veränderter und häufig verkehrter Gestalt an¬
genommen würden.

Schon bei nichtwirtschaftlichen Gesetzen besteht die Gefahr, daß ein
Parlament die bestdurchdachten Entwürfe, wie Hartmann bemerkt, "entweder
ablehnt, oder in Kommissionen begräbt, oder verstümmelt oder verballhornistert".
(Zwei Jahrz. usw. S. 115.) Bet den wirtschaftlichen Gesetzen ist diese Gefahr
noch viel größer. Hartmann weist darauf hin, "wie unsere wirtschaftlichen
gesetzgeberischen Maßregeln durch eine oft völlig sinnwidrige politische Partei¬
taktik, durch den parlamentarischen Schacher mit Konzessionen wirtschaftlicher,
politischer und kirchlicher Art verfälscht und verdorben" werden, ebenso "wie
unsere politischen Parteigegensätze durch die Spezialberatung der wirtschaftlichen
Fragen im Parlament verfälscht und in heillose Verwirrung gebracht" worden
sind. Die politischen Parlamente seien schon wegen der mangelhaften Vor¬
bildung der Mehrzahl ihrer Vertreter zur Einzelberatung wirtschaftlicher Fragen
unfähig; dazu träfen sie die wichtigsten Entscheidungen über wirtschaftliche
Fragen "nicht einmal nach ihrer unzulänglichen wirtschaftlichen Einsicht, sondern
nach politischen Parteirücksichten, die mit den wirtschaftlichen Fragen gar nichts
zu tun" hätten. Dies sei um so schlimmer, weil die Entscheidung über jene
Fragen in die Hände von Leuten gelegt sei, die, trotzdem die Mehrzahl nicht
die für den Gegenstand erforderliche Vorbildung besitze, nichtsdestoweniger
berufsmäßig gewöhnt seien, über das, was sie nicht oder unvollkommen ver¬
stünden, sich "mit formeller Gewandtheit so auszulassen, als ob ihr Urteil wohl
informiert und unfehlbar" wäre. Ganz anders wäre es, wenn man die Einzel¬
beratung wirtschaftlicher Fragen einer sa Koa zusammengesetzten Körperschaft
anvertraue, die sich teils aus Männern zusammensetzt, die das Studium des
Gegenstandes zu ihrer Lebensaufgabe gemacht haben (Volkswirtschaftlern, Finanz¬
leuten usw.), teils aus auserlesenen Vertretern aller wirtschaftlichen Gruppen.
Die ersten, die als persönlich uninteressiert die Gewähr böten, daß sie nur das
Wohl und Heil der Gesamtheit im Auge hätten, müßten von der Regierung
berufen, die anderen von den Organisationen der Wirtschaftsgruppen gewählt
werden. Dem Reichstag dagegen könne sehr wohl der ihm zustehende Einfluß
gewahrt werden, wenn ihm die aus dem Volkswirtschaftsrat hervorgegangenen
Gesetzesvorlagen und Handelsverträge mit fremden Staaten nur zur Annahme
oder Ablehnung, jedoch unter Ausschluß jeder Änderung vorgelegt würden
(a. a. O. S. 128 bis 131).


Ein deutscher Reichsvolkswirtschaftsrat

noch auf die Schöpfung eines sogenannten „Wirtschaftlichen Generalstabes" zu
sprechen. Würden sich nun auch die Reichsbehörden mit einem sachverständigen
Stäbe, mit den sachkundigsten Vertretern der verschiedenen gewerblichen und
wirtschaftlichen Gruppen umgeben und diese bei der Ausarbeitung der wirt-
schaftlichen Gesetzesentwürfe zu Rate ziehen, so würden die noch so gut aus¬
gearbeiteten Entwürfe doch heillos verpfuscht, wenn sie erst im Reichstage hin-
und herberaten, in Kommissionen abgeändert und schließlich im Wege des
Kompromisses, d. h. in völlig veränderter und häufig verkehrter Gestalt an¬
genommen würden.

Schon bei nichtwirtschaftlichen Gesetzen besteht die Gefahr, daß ein
Parlament die bestdurchdachten Entwürfe, wie Hartmann bemerkt, „entweder
ablehnt, oder in Kommissionen begräbt, oder verstümmelt oder verballhornistert".
(Zwei Jahrz. usw. S. 115.) Bet den wirtschaftlichen Gesetzen ist diese Gefahr
noch viel größer. Hartmann weist darauf hin, „wie unsere wirtschaftlichen
gesetzgeberischen Maßregeln durch eine oft völlig sinnwidrige politische Partei¬
taktik, durch den parlamentarischen Schacher mit Konzessionen wirtschaftlicher,
politischer und kirchlicher Art verfälscht und verdorben" werden, ebenso „wie
unsere politischen Parteigegensätze durch die Spezialberatung der wirtschaftlichen
Fragen im Parlament verfälscht und in heillose Verwirrung gebracht" worden
sind. Die politischen Parlamente seien schon wegen der mangelhaften Vor¬
bildung der Mehrzahl ihrer Vertreter zur Einzelberatung wirtschaftlicher Fragen
unfähig; dazu träfen sie die wichtigsten Entscheidungen über wirtschaftliche
Fragen „nicht einmal nach ihrer unzulänglichen wirtschaftlichen Einsicht, sondern
nach politischen Parteirücksichten, die mit den wirtschaftlichen Fragen gar nichts
zu tun" hätten. Dies sei um so schlimmer, weil die Entscheidung über jene
Fragen in die Hände von Leuten gelegt sei, die, trotzdem die Mehrzahl nicht
die für den Gegenstand erforderliche Vorbildung besitze, nichtsdestoweniger
berufsmäßig gewöhnt seien, über das, was sie nicht oder unvollkommen ver¬
stünden, sich „mit formeller Gewandtheit so auszulassen, als ob ihr Urteil wohl
informiert und unfehlbar" wäre. Ganz anders wäre es, wenn man die Einzel¬
beratung wirtschaftlicher Fragen einer sa Koa zusammengesetzten Körperschaft
anvertraue, die sich teils aus Männern zusammensetzt, die das Studium des
Gegenstandes zu ihrer Lebensaufgabe gemacht haben (Volkswirtschaftlern, Finanz¬
leuten usw.), teils aus auserlesenen Vertretern aller wirtschaftlichen Gruppen.
Die ersten, die als persönlich uninteressiert die Gewähr böten, daß sie nur das
Wohl und Heil der Gesamtheit im Auge hätten, müßten von der Regierung
berufen, die anderen von den Organisationen der Wirtschaftsgruppen gewählt
werden. Dem Reichstag dagegen könne sehr wohl der ihm zustehende Einfluß
gewahrt werden, wenn ihm die aus dem Volkswirtschaftsrat hervorgegangenen
Gesetzesvorlagen und Handelsverträge mit fremden Staaten nur zur Annahme
oder Ablehnung, jedoch unter Ausschluß jeder Änderung vorgelegt würden
(a. a. O. S. 128 bis 131).


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[0216] Ein deutscher Reichsvolkswirtschaftsrat noch auf die Schöpfung eines sogenannten „Wirtschaftlichen Generalstabes" zu sprechen. Würden sich nun auch die Reichsbehörden mit einem sachverständigen Stäbe, mit den sachkundigsten Vertretern der verschiedenen gewerblichen und wirtschaftlichen Gruppen umgeben und diese bei der Ausarbeitung der wirt- schaftlichen Gesetzesentwürfe zu Rate ziehen, so würden die noch so gut aus¬ gearbeiteten Entwürfe doch heillos verpfuscht, wenn sie erst im Reichstage hin- und herberaten, in Kommissionen abgeändert und schließlich im Wege des Kompromisses, d. h. in völlig veränderter und häufig verkehrter Gestalt an¬ genommen würden. Schon bei nichtwirtschaftlichen Gesetzen besteht die Gefahr, daß ein Parlament die bestdurchdachten Entwürfe, wie Hartmann bemerkt, „entweder ablehnt, oder in Kommissionen begräbt, oder verstümmelt oder verballhornistert". (Zwei Jahrz. usw. S. 115.) Bet den wirtschaftlichen Gesetzen ist diese Gefahr noch viel größer. Hartmann weist darauf hin, „wie unsere wirtschaftlichen gesetzgeberischen Maßregeln durch eine oft völlig sinnwidrige politische Partei¬ taktik, durch den parlamentarischen Schacher mit Konzessionen wirtschaftlicher, politischer und kirchlicher Art verfälscht und verdorben" werden, ebenso „wie unsere politischen Parteigegensätze durch die Spezialberatung der wirtschaftlichen Fragen im Parlament verfälscht und in heillose Verwirrung gebracht" worden sind. Die politischen Parlamente seien schon wegen der mangelhaften Vor¬ bildung der Mehrzahl ihrer Vertreter zur Einzelberatung wirtschaftlicher Fragen unfähig; dazu träfen sie die wichtigsten Entscheidungen über wirtschaftliche Fragen „nicht einmal nach ihrer unzulänglichen wirtschaftlichen Einsicht, sondern nach politischen Parteirücksichten, die mit den wirtschaftlichen Fragen gar nichts zu tun" hätten. Dies sei um so schlimmer, weil die Entscheidung über jene Fragen in die Hände von Leuten gelegt sei, die, trotzdem die Mehrzahl nicht die für den Gegenstand erforderliche Vorbildung besitze, nichtsdestoweniger berufsmäßig gewöhnt seien, über das, was sie nicht oder unvollkommen ver¬ stünden, sich „mit formeller Gewandtheit so auszulassen, als ob ihr Urteil wohl informiert und unfehlbar" wäre. Ganz anders wäre es, wenn man die Einzel¬ beratung wirtschaftlicher Fragen einer sa Koa zusammengesetzten Körperschaft anvertraue, die sich teils aus Männern zusammensetzt, die das Studium des Gegenstandes zu ihrer Lebensaufgabe gemacht haben (Volkswirtschaftlern, Finanz¬ leuten usw.), teils aus auserlesenen Vertretern aller wirtschaftlichen Gruppen. Die ersten, die als persönlich uninteressiert die Gewähr böten, daß sie nur das Wohl und Heil der Gesamtheit im Auge hätten, müßten von der Regierung berufen, die anderen von den Organisationen der Wirtschaftsgruppen gewählt werden. Dem Reichstag dagegen könne sehr wohl der ihm zustehende Einfluß gewahrt werden, wenn ihm die aus dem Volkswirtschaftsrat hervorgegangenen Gesetzesvorlagen und Handelsverträge mit fremden Staaten nur zur Annahme oder Ablehnung, jedoch unter Ausschluß jeder Änderung vorgelegt würden (a. a. O. S. 128 bis 131).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/216>, abgerufen am 17.06.2024.