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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Gin deutscher Reichsvolkswirtschaftsrat

Wenn z. Zt., als Hartmann diesen seinen Vorschlag begründete, noch nicht
sämtliche wirtschaftlichen Gruppen über die notwendigen Organisationen und
Vertretungen verfügten, die zur Bildung eines Volkswirtschaftsrates erforderlich
sind, fo verhält sich dies heute wesentlich anders. Es bestehen heute außer
den Handels-, die Landwirtschafts', Handwerks- und Gewerbekammern, die ihre
Vertreter wieder in den deutschen Handelstag, Landwirtschaftsrat, Handwerks¬
und Gewerbekammertag entsenden können. Ebenso müßte zur Vertretung der
Interessen des eigentlichen Arbeiterstandes, soweit er nicht schon eine solche in
den heutigen Handwerks- und Gewerbekammern besitzt, eine einheitliche Orga¬
nisation geschaffen werden. Das Nächstliegende wäre, daß man an die bestehenden
Gewerkschaften anknüpfte. Der Reichstagsabgeordnete Legten hat aber jüngst
dem Reichskanzler gegenüber dessen Frage, ob man nicht eine einheitliche
Arbeiterorganisation durch die Begründung eines Kartells aller Gewerkschaften
schaffen könne, eher verneint als bejaht. Wäre hiermit das letzte Wort in
dieser Frage gesprochen, so würde man eine solche einheitliche Organisation zur
Geltendmachung der rein wirtschaftlichen Interessen des Arbeiterstandes künstlich
neu bilden müssen, aber auch ohne große Schwierigkeiten ins Leben rufen
können. Von allen diesen Vertretungen müßten die Vertreter der einzelnen
Wirtschaftsgruppen in den Reichsvolkswirtschaftsrat gewählt werden. In welcher
Weise und in welcher Zahl die von der Regierung berufenen Mitglieder aus¬
gewählt würden, könnte und müßte gesetzlich näher festgelegt werden.

Ob uns nach diesem Kriege ein lange dauernder Friede beschieden sein
wird, hängt davon ab, inwieweit wir England (und Rußland) dieses Mal
niederringen; ferner davon, ob England jemals wieder eine ähnliche Koalition
gegen uns zusammenbringt wie 1914; vor allem davon, wie sich künftighin die
politischen Verhältnisse gestalten, und es unserer Diplomatie gelingt, kriegerischen
Verwicklungen durch zielbewußte und kraftvolle Führung unserer Auslandspolitik
vorzubeugen. Immerhin müssen wir damit rechnen, daß in absehbarer Zeit
nochmals ein schwerer Krieg entbrennen könne, der erst die endgültige Ent¬
scheidung darüber bringen wird, ob wir uns von England unseren Anteil an
der Weltwirtschaft und unseren Platz im Leben der Völker verkümmern lassen
müssen. Damit wir aber wirtschaftlich gegen einen künftigen Krieg besser
gerüstet sind als bisher, muß die zweckmäßige Durchführung der Kriegswirtschaft
schon im Frieden vorbereitet werden. Deshalb müssen die Abteilungen des
Preußischen Kriegsministeriums weiter ausgebaut werden, die die Feststellung
des Bedarfes und die Erzeugung der industriellen Rohstoffe und Lebens- und
Futtermittel sowie ihre Zuführung zum Heere und zu dessen Teilen bearbeiten.
Ferner müßte das jetzt im Krieg geschaffene Kriegsernährungsamt zu einem
Reichswirtschaftsamt ausgebaut werden, das die gleichen Aufgaben für die
Versorgung der bürgerlichen Bevölkerung übernimmt. (Ob man diese Behörde
zu einem selbständigen Reichsamt macht oder an das Neichsamt des Innern
angliedert, ist eine mehr untergeordnete Frage.) Das Reichswirtschaftsamt,


Gin deutscher Reichsvolkswirtschaftsrat

Wenn z. Zt., als Hartmann diesen seinen Vorschlag begründete, noch nicht
sämtliche wirtschaftlichen Gruppen über die notwendigen Organisationen und
Vertretungen verfügten, die zur Bildung eines Volkswirtschaftsrates erforderlich
sind, fo verhält sich dies heute wesentlich anders. Es bestehen heute außer
den Handels-, die Landwirtschafts', Handwerks- und Gewerbekammern, die ihre
Vertreter wieder in den deutschen Handelstag, Landwirtschaftsrat, Handwerks¬
und Gewerbekammertag entsenden können. Ebenso müßte zur Vertretung der
Interessen des eigentlichen Arbeiterstandes, soweit er nicht schon eine solche in
den heutigen Handwerks- und Gewerbekammern besitzt, eine einheitliche Orga¬
nisation geschaffen werden. Das Nächstliegende wäre, daß man an die bestehenden
Gewerkschaften anknüpfte. Der Reichstagsabgeordnete Legten hat aber jüngst
dem Reichskanzler gegenüber dessen Frage, ob man nicht eine einheitliche
Arbeiterorganisation durch die Begründung eines Kartells aller Gewerkschaften
schaffen könne, eher verneint als bejaht. Wäre hiermit das letzte Wort in
dieser Frage gesprochen, so würde man eine solche einheitliche Organisation zur
Geltendmachung der rein wirtschaftlichen Interessen des Arbeiterstandes künstlich
neu bilden müssen, aber auch ohne große Schwierigkeiten ins Leben rufen
können. Von allen diesen Vertretungen müßten die Vertreter der einzelnen
Wirtschaftsgruppen in den Reichsvolkswirtschaftsrat gewählt werden. In welcher
Weise und in welcher Zahl die von der Regierung berufenen Mitglieder aus¬
gewählt würden, könnte und müßte gesetzlich näher festgelegt werden.

Ob uns nach diesem Kriege ein lange dauernder Friede beschieden sein
wird, hängt davon ab, inwieweit wir England (und Rußland) dieses Mal
niederringen; ferner davon, ob England jemals wieder eine ähnliche Koalition
gegen uns zusammenbringt wie 1914; vor allem davon, wie sich künftighin die
politischen Verhältnisse gestalten, und es unserer Diplomatie gelingt, kriegerischen
Verwicklungen durch zielbewußte und kraftvolle Führung unserer Auslandspolitik
vorzubeugen. Immerhin müssen wir damit rechnen, daß in absehbarer Zeit
nochmals ein schwerer Krieg entbrennen könne, der erst die endgültige Ent¬
scheidung darüber bringen wird, ob wir uns von England unseren Anteil an
der Weltwirtschaft und unseren Platz im Leben der Völker verkümmern lassen
müssen. Damit wir aber wirtschaftlich gegen einen künftigen Krieg besser
gerüstet sind als bisher, muß die zweckmäßige Durchführung der Kriegswirtschaft
schon im Frieden vorbereitet werden. Deshalb müssen die Abteilungen des
Preußischen Kriegsministeriums weiter ausgebaut werden, die die Feststellung
des Bedarfes und die Erzeugung der industriellen Rohstoffe und Lebens- und
Futtermittel sowie ihre Zuführung zum Heere und zu dessen Teilen bearbeiten.
Ferner müßte das jetzt im Krieg geschaffene Kriegsernährungsamt zu einem
Reichswirtschaftsamt ausgebaut werden, das die gleichen Aufgaben für die
Versorgung der bürgerlichen Bevölkerung übernimmt. (Ob man diese Behörde
zu einem selbständigen Reichsamt macht oder an das Neichsamt des Innern
angliedert, ist eine mehr untergeordnete Frage.) Das Reichswirtschaftsamt,


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[0217] Gin deutscher Reichsvolkswirtschaftsrat Wenn z. Zt., als Hartmann diesen seinen Vorschlag begründete, noch nicht sämtliche wirtschaftlichen Gruppen über die notwendigen Organisationen und Vertretungen verfügten, die zur Bildung eines Volkswirtschaftsrates erforderlich sind, fo verhält sich dies heute wesentlich anders. Es bestehen heute außer den Handels-, die Landwirtschafts', Handwerks- und Gewerbekammern, die ihre Vertreter wieder in den deutschen Handelstag, Landwirtschaftsrat, Handwerks¬ und Gewerbekammertag entsenden können. Ebenso müßte zur Vertretung der Interessen des eigentlichen Arbeiterstandes, soweit er nicht schon eine solche in den heutigen Handwerks- und Gewerbekammern besitzt, eine einheitliche Orga¬ nisation geschaffen werden. Das Nächstliegende wäre, daß man an die bestehenden Gewerkschaften anknüpfte. Der Reichstagsabgeordnete Legten hat aber jüngst dem Reichskanzler gegenüber dessen Frage, ob man nicht eine einheitliche Arbeiterorganisation durch die Begründung eines Kartells aller Gewerkschaften schaffen könne, eher verneint als bejaht. Wäre hiermit das letzte Wort in dieser Frage gesprochen, so würde man eine solche einheitliche Organisation zur Geltendmachung der rein wirtschaftlichen Interessen des Arbeiterstandes künstlich neu bilden müssen, aber auch ohne große Schwierigkeiten ins Leben rufen können. Von allen diesen Vertretungen müßten die Vertreter der einzelnen Wirtschaftsgruppen in den Reichsvolkswirtschaftsrat gewählt werden. In welcher Weise und in welcher Zahl die von der Regierung berufenen Mitglieder aus¬ gewählt würden, könnte und müßte gesetzlich näher festgelegt werden. Ob uns nach diesem Kriege ein lange dauernder Friede beschieden sein wird, hängt davon ab, inwieweit wir England (und Rußland) dieses Mal niederringen; ferner davon, ob England jemals wieder eine ähnliche Koalition gegen uns zusammenbringt wie 1914; vor allem davon, wie sich künftighin die politischen Verhältnisse gestalten, und es unserer Diplomatie gelingt, kriegerischen Verwicklungen durch zielbewußte und kraftvolle Führung unserer Auslandspolitik vorzubeugen. Immerhin müssen wir damit rechnen, daß in absehbarer Zeit nochmals ein schwerer Krieg entbrennen könne, der erst die endgültige Ent¬ scheidung darüber bringen wird, ob wir uns von England unseren Anteil an der Weltwirtschaft und unseren Platz im Leben der Völker verkümmern lassen müssen. Damit wir aber wirtschaftlich gegen einen künftigen Krieg besser gerüstet sind als bisher, muß die zweckmäßige Durchführung der Kriegswirtschaft schon im Frieden vorbereitet werden. Deshalb müssen die Abteilungen des Preußischen Kriegsministeriums weiter ausgebaut werden, die die Feststellung des Bedarfes und die Erzeugung der industriellen Rohstoffe und Lebens- und Futtermittel sowie ihre Zuführung zum Heere und zu dessen Teilen bearbeiten. Ferner müßte das jetzt im Krieg geschaffene Kriegsernährungsamt zu einem Reichswirtschaftsamt ausgebaut werden, das die gleichen Aufgaben für die Versorgung der bürgerlichen Bevölkerung übernimmt. (Ob man diese Behörde zu einem selbständigen Reichsamt macht oder an das Neichsamt des Innern angliedert, ist eine mehr untergeordnete Frage.) Das Reichswirtschaftsamt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/217>, abgerufen am 17.06.2024.